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GLEICHHEIT/3566: UN-Resolution macht Weg frei für Nato-Angriff auf Libyen


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

UN-Resolution macht Weg frei für Nato-Angriff auf Libyen

Von Bill Van Auken
19. März 2011


Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat in der Nacht von Donnerstag auf Freitag eine Resolution gebilligt, die den Weg für eine Intervention der Vereinigten Staaten und anderer imperialistischer Großmächte in Libyen frei macht. Unter dem Deckmantel einer "humanitären" Mission zum Schutz des Lebens von Zivilisten wollen sie eine direkte militärische Intervention in dem nordafrikanischen Land durchführen.

Die Resolution wurde von den USA, Frankreich, Großbritannien und dem Libanon betrieben und geht weit über die Einrichtung einer Flugverbotszone hinaus. Sie erlaubt auch die Anwendung "aller notwendigen militärischen Gewalt, [...] um Zivilisten und von Zivilisten bewohnte Gebiete vor Angriffen zu schützen." Zu diesen "Gebieten" zählt auch die 670.000 Einwohner umfassende Stadt Bengasi, die letzte Hochburg jener Revolte, die vor einem Monat gegen die Gaddafi-Diktatur ausbrach. Die einzige Einschränkung in der Resolution betrifft "die Entsendung ausländischer Bodentruppen auf libysches Territorium".

Die Resolution setzt die Bombardierung Libyens durch amerikanische, französische und britische Kampfflugzeuge auf die Tagesordnung. Der französische Premierminister Francois Fillon sagte auf France-2 Television, dass militärische Handlungen innerhalb weniger Stunden beginnen könnten. Associated Press zitiert einen nicht namentlich genannten britischen Unterhausabgeordneten mit den Worten: "Britische Truppen stehen für Luftschläge bereit und könnten schon Donnerstagnacht mobilisiert werden."

Amerikanische Militärsprecher haben schon erklärt, dass selbst die Einrichtung einer Flugverbotszone die vorherige Zerstörung der libyschen Luftabwehr voraussetze. Das beinhaltet eine intensive Bombardierung Libyens und wird ohne Zweifel "Kollateralschäden" in Form von toten und verstümmelten libyschen Zivilisten mit sich bringen.

Das Wall Street Journal zitiert Pentagonsprecher mit den Worten: "Zu den Optionen gehört der Einsatz von Cruise Missiles gegen stationäre libysche Militäranlagen und Luftverteidigungssysteme. [...] Bemannte und unbemannte Flugzeuge könnten auch gegen Oberst Gaddafis Panzer, Truppentransporter und Infanteriestellungen eingesetzt werden. Die Einsätze können von US- und Nato-Stützpunkten im südlichen Mittelmeer aus geflogen werden."

Vor dem Streitkräfteausschuss des Senats sagte der Chef der US-Air Force, General Norton Schwartz, am Donnerstag aus, dass die Einrichtung einer Flugverbotszone "mindestens eine Woche" dauern werde, was als Ankündigung einer langen, intensiven Bombardierung Libyens zu verstehen ist. Er kündigte an, dass zusätzlich zu Flugzeugen, die in den USA und Europa stationiert sind, auch Maschinen aus den Kriegsgebieten in Afghanistan und im Irak abgezogen werden müssten.

In Übereinstimmung mit anderen Militärexperten sagte Schwartz, dass eine Flugverbotszone "nicht ausreichen werde", um den Vormarsch loyaler Truppen Oberst Gaddafis aufzuhalten, die in den letzten zehn Tagen unaufhaltsam nach Osten auf Bengasi vorgerückt sind. Ganz offensichtlich werden Luftangriffe auf Gaddafis Bodentruppen vorbereitet. Auch die Ermordung Gaddafis mittels Bombenangriffen wird offenbar erwogen.

Diese Kriegspläne haben nichts mit dem Wunsch zu tun, die libysche Bevölkerung zu schützen oder die Demokratie voranzubringen, wie die Befürworter der Sicherheitsratsresolution glauben machen wollen. Hinter der bevorstehenden Intervention in dem ölreichen nordafrikanischen Land stehen Profitinteressen und geopolitische Bestrebungen, die nichts mit den "humanitären" Vorwänden zu tun haben, die die Großmächte vor sich hertragen. Sie wollen den Bürgerkrieg in Libyen nutzen, um ein Regime durchzusetzen, das den Interessen der Großmächte und den großen westlichen Ölkonzernen gegenüber noch unterwürfiger gegenüber steht.

Die abstoßende Heuchelei und der Zynismus der imperialistischen Mächte werden unterstrichen durch die Entscheidung, die UN-Resolution vom französischen Außenminister Alain Juppé einbringen zu lassen. Juppé, der den "arabischen Frühling" als eine der "großen Revolutionen" beschwor, die "den Gang der Geschichte verändern", übernahm seinen Posten kürzlich als Nachfolger von Michèle Alliot-Marie, die nach einem Skandal zurücktreten musste: Es war ans Licht gekommen, dass sie enge politische und private Beziehungen zum gestürzten tunesischen Diktator Ben Ali unterhielt. Die französische Regierung hatte gerade angeboten, Ausrüstung für die Aufstandsbekämpfung in ihre ehemalige Kolonie zu liefern, als die Massenproteste den Diktator in die Flucht schlugen.

Die amerikanische UN-Botschafterin Susan Rice, die sich für die Aufnahme des Zusatzes "mit allen nötigen Mitteln" in die Resolution eingesetzt hatte, lobte deren Verabschiedung. Der Zusatz erlaubt einen umfassenden militärischen Angriff auf Libyen. Rice erklärte: "Die Zukunft Libyens muss vom libyschen Volk entschieden werden."

Genau! Die Aufgabe, die rechte Diktatur der Gaddafi-Clique zu stürzen, liegt bei den Arbeitern und Unterdrückten Libyens, die damit bereits begonnen hatten. Das Ziel der amerikanischen Intervention ist aber gerade, eine wirkliche Revolution zu verhindern und sicherzustellen, dass das Regime, das Gaddafi ersetzt, nicht die Interessen der libyschen Bevölkerung vertritt, sondern die Forderungen Washingtons und der Ölkonzerne erfüllt. Außerdem hoffen die USA, Libyen als Operationsbasis für die Unterdrückung revolutionärer Bewegungen von Arbeitern in der ganzen Region nutzen zu können.

Die Sicherheitsratsresolution wurde mit zehn Ja-Stimmen bei fünf Enthaltungen verabschiedet. Russland, China, Deutschland, Brasilien und Indien enthielten sich der Stimme. Die permanenten Mitglieder des Sicherheitsrats Russland und China hätten die Resolution mit ihrem Veto-Recht zu Fall bringen können, aber sie entschieden sich dagegen und stellten damit sicher, dass die UN weiterhin wie gewohnt die Forderungen der imperialistischen Großmächte erfüllt.

In den Begründungen für ihre Enthaltung machten die Botschafter der fünf Länder allerdings klar, dass der bevorstehende Angriff auf Libyen nichts mit einem Konsens der "Weltgemeinschaft" zu tun hat, das libysche Volk zu schützen. Vielmehr ist er das Ergebnis einer Verschwörung, die hinter den Kulissen zwischen Washington, London und Paris ausgeheckt wurde.

Der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin sagte, die Maßnahme "öffnet die Tür für eine umfassende Militärintervention". Er betonte, dass in den vorbereitenden Diskussionen Fragen aufgeworfen worden seien, wie die Resolution durchgesetzt werden solle, von welchen Kräften und nach welchen Eingreifregeln. Aber darauf habe es "keine Antworten" gegeben.

Der indische UN-Botschafter Hardeep Singh Puri erklärte, der UN-Sicherheitsrat habe zwar einen Sonderbotschafter für Libyen ernannt, aber "keinen Bericht über die Lage vor Ort" erhalten und handele, ohne über "belastbare Informationen" zu verfügen. Er sagte, es habe keine Erklärung gegeben, "wie, von wem oder mit welchen Mitteln" die Resolution durchgesetzt werden solle. Er äußerte sich besorgt bezüglich der "Souveränität, Einheit und territoriale Integrität" Libyens.

Singh äußerte auch Bedenken bezüglich einiger neuer Wirtschaftssanktionen, die sich unter anderem gegen die nationale Ölgesellschaft Libyens richten. Er sagte, die Maßnahmen könnten Handel und Investitionen von Mitgliedstaaten stören.

Der deutsche UN-Botschafter Peter Witte warnte, dass die Erlaubnis, militärische Gewalt anzuwenden, "die Wahrscheinlichkeit von hohen Verlusten an Menschenleben" erhöhe. Deutschland werde sich nicht mit Truppen an der Intervention beteiligen.

Chinas UN-Botschafter Li Baodong, der amtierende Vorsitzende des Sicherheitsrates, äußerte ebenfalls Bedenken. Er rechtfertigte Pekings Verzicht auf ein Veto gegen den Beschluss mit der Entscheidung der Arabischen Liga vom vergangenen Wochenende, vom UN-Sicherheitsrat die Einrichtung einer Flugverbotszone zu verlangen.

Auch die Nato führte diese Abstimmung als Rechtfertigung für eine Intervention an, weil sie "regionale Unterstützung" signalisiere. Tatsache ist aber, dass die Arabische Liga sich selbst aus Diktaturen, Monarchien und Emiraten zusammensetzt, die in keiner Weise die Wünsche und Interessen der arabischen Völker repräsentieren. Viele der dort vertretenen Regierungen sind gerade mit der aktiven gewaltsamen Unterdrückung von Volksaufständen beschäftigt.

Obwohl Washington gefordert hatte, an jeder Intervention gegen Libyen müssten sich auch arabische Länder beteiligen, zeichnet sich tatsächlich eine allenfalls minimale Beteiligung ab. Nach dem Besuch von US-Außenministerin Hillary Clinton in Kairo sagte eine Sprecherin des ägyptischen Außenministeriums gegenüber Reuters: "Ägypten wird nicht zu diesen Ländern gehören. Wir werden uns an keiner militärischen Intervention beteiligen. Keine Intervention. Punkt!"

Am Donnerstag konnte die Arabische Liga nur zwei Staaten benennen, die bereit waren, sich an einem Angriff von Seiten der USA und Nato zu beteiligen: Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate. Beide Länder werden von königlichen Dynastien beherrscht und beide beteiligen sich an der Intervention Saudi-Arabiens in Bahrain zur Unterdrückung der Massenbewegung gegen die dort herrschende Monarchie. In Bahrain erschießen die Sicherheitskräfte in den Straßen Demonstranten, sie sind bereits in Krankenhäuser eingedrungen und üben ein Terrorregime gegen schiitische Dörfer aus. Dennoch hat noch keiner jener angeblichen Bannerträger der Demokratie, die nun in Libyen so aktiv werden wollen, eine UN-Intervention in Bahrain vorgeschlagen, wo übrigens das Hauptquartier der Fünften US-Flotte liegt.

Die Gaddafi-Regierung warnte, jeder Angriff auf Libyen werde "den Luft- und Schiffsverkehr im Mittelmeer gefährden wie auch zivile und militärische Anlagen zum Ziel libyscher Gegenangriffe machen ".

Außenministerin Clinton gab den neuen strammen Ton der USA gegenüber Libyen vor, als sie bei einer Stellungnahme in Tunesien Gaddafi als Mann verurteilte, "der kein Gewissen hat und jeden bedroht, der ihm im Wege steht. [...] Das ist sein Charakter. Es gibt eben solche Geschöpfe."

Noch im April 2009 hatte dieselbe Hillary Clinton Gaddafis Sohn und Sicherheitsminister im Außenministerium willkommen geheißen und erklärt: "Wir schätzen die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Libyen sehr. Wir haben viele Möglichkeiten, um die Zusammenarbeit zu verbreitern und zu vertiefen, und ich freue mich darauf, auf dieser Beziehung aufzubauen."

Wie ihre europäischen Amtskollegen bemühte sich Clinton noch vor wenigen Monaten um die Gunst des Gaddafi-Regimes - dahinter standen die Profitinteressen der Ölwirtschaft wie auch die Zusammenarbeit mit Gaddafis Geheimpolizei im Rahmen des "globalen Kriegs gegen den Terror"

Jetzt ist ein Crescendo der Menschrechtspropaganda in den Medien zu vernehmen und Teile versteigen sich zu der Behauptung, Gaddafis Repressionen erfüllten den Tatbestand des "Völkermords". Dabei greifen der amerikanische, französische und britische Imperialismus in Libyen in einem Bürgerkrieg ein, für dessen Ausbruch sie ein gehöriges Maß an Verantwortung tragen.

All das Gerede über "das Retten von Menschenleben" kann nicht die Tatsache verbergen, dass ein Akt imperialistischen Banditentums bevorsteht, vergleichbar mit den Versuchen im zwanzigsten Jahrhundert, den Kongo oder Nigeria zu spalten. In diesen Fällen ging es, wie in Libyen, um die Kontrolle strategischer Rohstoffe.

Die Rechtfertigungen für die Intervention in Libyen stecken voller grotesker Widersprüche. Washington beteuert, über die Tötung libyscher Zivilisten empört zu sein und nur die Rettung von Menschenleben im Sinn zu haben, ist aber selbst für das Massaker an Hunderttausenden im Irak und in Afghanistan verantwortlich und hat gerade am Vorabend der UN-Abstimmung erneut einen kaltblütigen Mord an ca. vierzig Zivilisten bei einem Drohnenangriff in Pakistan begangen.

Die USA und ihre Verbündeten lassen keine Neigung erkennen, eine Resolution zum Einsatz militärischer Gewalt in der Elfenbeinküste herbeizuführen, wo sich ein vergleichbarer Konflikt wie in Libyen entwickelt. Die offensichtliche Erklärung hierfür ist, dass Kakao nicht so sehr als strategisch bedeutender Rohstoff angesehen wird wie Öl.

Washington behauptet, die Intervention in Libyen sei notwendig, um den Triumph der Demokratie im Nahen Osten sicherzustellen. Doch die USA unterstützen zur gleichen Zeit die Regimes in Bahrain und im Jemen, die eben jene Demonstranten niederschießen lassen, die demokratische Rechte fordern.

Die Intervention der USA und der Nato beinhaltet ein Element extremer Verantwortungslosigkeit. Zu was wird sie führen? Eine mögliche Variante ist die Teilung Libyens und die Wiedererstehung der Cyrenaika, d.h. ein koloniales Territorium, das Italien 1912 vom Osmanischen Reich übernommen hatte. Elemente, die in einem solchen Gebilde an die Macht kämen, wären von vorneherein rechte Marionetten des Imperialismus, vergleichbar mit Karsai in Afghanistan oder Maliki im Irak und würden noch schlimmere Massaker an der libyschen Bevölkerung verüben.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 19.03.2011
UN-Resolution macht Weg frei für Nato-Angriff auf Libyen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. März 2011