Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GLEICHHEIT/3655: Der Krieg in Libyen und die Krise der Europäischen Union - Teil 2


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Der Krieg in Libyen und die Krise der Europäischen Union
Teil 2

Von Peter Schwarz
17. Mai 2011


Der folgende Artikel beruht auf einem Bericht, den Peter Schwarz, Sekretär des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, auf einem Seminar der Partei für Soziale Gleichheit während der Osterfeiertage 2011 gab. Wir veröffentlichen ihn in drei Teilen.


Die Krise der Europäischen Union

Die Differenzen zwischen Deutschland und Frankreich beschränken sich nicht auf außenpolitische Fragen. Auch in Wirtschafts- und Finanzfragen gibt es heftige Konflikte, die den Euro und die Europäische Union zu sprengen drohen.

Anders als von Helmut Kohl, Joschka Fischer und anderen erwartet, hat die Einführung des Euro nicht zur Harmonisierung Europas geführt. Sie hat die ökonomischen und sozialen Gegensätze in Europa im Gegenteil deutlich verschärft. Es gibt zu dieser Frage viel statistisches Material, das deutlich zeigt, dass die wachsenden Differenzen zwischen Deutschland und Frankreich und das Auseinanderbrechen der EU keine zufälligen Entwicklungen sind.

Die deutsche Wirtschaft hat von der Einführung des Euro in hohem Maße profitiert. Die deutschen Exporte haben sich zwischen 1990 - dem Jahr der Wiedervereinigung - und 2008 fast verdreifacht: von 348 auf 984 Milliarden Euro. Auch die Importe sind stark gestiegen: von 293 auf 806 Milliarden Euro.

Wichtig ist dabei vor allem der Anstieg des Außenhandelsüberschusses. Er hat sich zwischen 1990 und 2008 mehr als verdreifacht. Nach der Wiedervereinigung war er anfangs zurückgegangen. Die deutsche Wirtschaft war eher auf den Binnenhandel als auf den Außenhandel konzentriert. Doch im Laufe der 1990er Jahre stieg er dann kontinuierlich an. Der größte Sprung erfolgte von 2000 bis 2005. In diesen Jahren stieg der Außenhandelsüberschuss um 22 Prozent pro Jahr. 2007 erreichte er mit rund 200 Milliarden Euro einen Rekordwert.

Im Wesentlichen trugen drei Faktoren zum Anstieg der deutschen Exporte und des Außenhandelsüberschusses bei - die Einführung des Euro, die EU-Osterweiterung und die niedrige Lohnentwicklung aufgrund der Agenda 2010.

Der Euro schützte Deutschland gegen Währungsschwankungen innerhalb Europas, hielt den Wert der Währung im internationalen Maßstab niedrig und stärkte so die deutsche Exportindustrie in Europa und auf dem Weltmarkt.

2008 gingen 63 Prozent aller deutschen Exporte in die Europäische Union und 43 Prozent in die Eurozone. Zwei Drittel der Exporte wurden in Euro in Rechnung gestellt und waren damit von Wechselkursschwankungen weitgehend unabhängig.

Der Euro hielt die deutsche Währung künstlich niedrig. Bei Beibehaltung der nationalen Währungen wäre der Kurs der D-Mark gegenüber inflationären Währungen wie der griechischen Drachme, der spanischen Peseta, der italienischen Lira und dem französischen Franc stark angestiegen. Auch gegenüber dem Dollar und dem Yen wäre die DM wohl höher bewertet worden als der Euro. Mit dem Euro blieben die Währungsrelationen dagegen stabil.

Während die Preise und die Nominallöhne in den schwächeren europäischen Ländern mit der Einführung des Euro stark anstiegen, erhöhten sie sich in Deutschland kaum. Das war in erster Linie der Agenda 2010 der Regierung Schröder, die einen riesigen Niedriglohnsektor schuf und das Lohnniveau deutlich senkte, sowie den niedrigen Lohnabschlüssen der Gewerkschaften zu verdanken.

Als Folge verzeichnete Deutschland im Zeitraum 2000 bis 2010 den geringsten Anstieg der Lohnstückkosten in ganz Europa. In Deutschland betrug der jährliche Anstieg lediglich 0,7 Prozent. Der EU-Durchschnitt lag bei 2,1 Prozent. In Griechenland stiegen die Lohnstückkosten jährlich um 3 Prozent, in Portugal um 2,7 Prozent und in Spanien um 2,6 Prozent. Auch in Frankreich stiegen die Lohnstückkosten mit jährlich 1,9 Prozent mehr als doppelt so schnell wie in Deutschland.

Die Folge war ein starker Anstieg der wirtschaftlichen Ungleichgewichte in Europa. Während Deutschland steigende Außenhandelsüberschüsse erzielte, wuchsen in Frankreich und England die Defizite. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt erzielte Deutschland 2008 einen Außenhandelsüberschuss von 7,1 Prozent. Frankreich wies dagegen ein Defizit von 3,5 Prozent aus, England von 6,6 Prozent und Polen von 6,8 Prozent.

Auch die Osterweiterung der Europäischen Union kam in erster Linie Deutschland zugute. Während der Anteil der Ausfuhren in die alten EU-Staaten deutlich abnahm, verdoppelte sich der Anteil der Ausfuhren in die neuen Mitgliedsländer. Diese werden von Deutschland als verlängerte Werkbank benutzt. In der Außenhandelsstatistik sind nämlich nicht nur die Ausfuhr fertiger Produkte wie Autos und Maschinen, sondern auch der sogenannte "intra firm trade" enthalten. Wenn eine Ware im Verlauf ihrer Produktion mehrmals die Grenze überschreitet, schlägt sich dieser "Globalisierungseffekt" in der Statistik nieder und bläht sie künstlich auf.

Nicht nur in Europa, auch international haben sich die Gewichte im internationalen Handel in den vergangenen zwanzig Jahren deutlich verschoben. Deutschland hat die USA bei den Exporten überholt, während Japan stark zurückgefallen ist. Der eigentliche Aufsteiger ist aber China, dessen Exporte von 62 Milliarden US-Dollar im Jahr 1990 auf 1,4 Billionen US Dollar im Jahr 2008 gestiegen sind. Das ist eine Erhöhung um das 22-Fache.

Ein weiterer wichtiger Maßstab für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen sind die Internationalen Direktinvestitionen (Foreign Direct Investment, FDI). Die OECD definiert die FDI folgendermaßen: "Internationale Direktinvestition bezeichnet die Investition einer Einheit, die in einer Wirtschaft ansässig ist, mit dem Ziel, ein anhaltendes Interesse an einem Unternehmen zu erwerben, das in einer anderen Wirtschaft ansässig ist."

Es geht also darum, durch Kapitalexport Arbeiter in anderen Ländern auszubeuten. Schon Lenin hatte den Kapitalexport als wichtiges Kennzeichen des Imperialismus bezeichnet. Er schrieb: "Für den alten Kapitalismus, mit der vollen Herrschaft der freien Konkurrenz, war der Export von Waren kennzeichnend. Für den neuesten Kapitalismus, mit der Herrschaft der Monopole, ist der Export von Kapital kennzeichnend."

Auch auf diesem Gebiet hat in den letzten beiden Jahrzehnten eine starke Entwicklung stattgefunden. Gestützt auf seine hohen Exportüberschüsse ist Deutschland zu einem wichtigen Kapitalexporteur geworden. Seit 1990 haben sich die deutschen Kapitalinvestitionen im Ausland versechsfacht, während die ausländischen Kapitalinvestitionen in Deutschland um das Vierfache gestiegen sind.

Gemessen an der Wirtschaftsleitung und auch in absoluten Zahlen liegen aber die alten europäischen Kolonialmächte England und Frankreich hier aber noch deutlich vor Deutschland.

England hatte 2008 einen Gesamtbestand von Direktinvestitionen im Ausland von 57 Prozent des BIP. Es lag damit deutlich vor Frankreich mit 50 und Deutschland mit 40 Prozent. Auch in absoluten Zahlen lag England mit 1,8 Billionen Dollar vor Frankreich mit 1,3 und Deutschland mit 1,2 Billionen Dollar. Führend waren hier die USA mit 3,5 Billionen Dollar.

Die deutschen Direktinvestitionen konzentrierten sich außerdem weitgehend auf Europa und die USA. 2004 waren 50 Prozent in den alten EU-Ländern und 30 Prozent in den USA investiert. 6 Prozent entfielen auf die neuen EU-Mitglieder und lediglich 1 Prozent auf China.

Originalartikel mit diversen Tabellen siehe unter:
http://www.wsws.org/de/2011/mai2011/eur2-m17.shtml


*


Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: wsws@gleichheit.de!.

Copyright 1998-2011 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten


*


Quelle:
World Socialist Web Site, 17.05.2011
Der Krieg in Libyen und die Krise der Europäischen Union
Teil 2
http://www.wsws.org/de/2011/mai2011/eur2-m17.shtml
Deutschland: Partei für Soziale Gleichheit
Postfach 040144, 10061 Berlin
Tel.: (030) 30 87 24 40, Fax: (030) 30 87 26 20
E-Mail: info@gleichheit.de
Internet: www.wsws.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2011