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GLEICHHEIT/3675: Grüne und SPD unterstützen de Maizières Bundeswehrreform


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Grüne und SPD unterstützen de Maizières Bundeswehrreform

Von Peter Schwarz
31. Mai 2011


Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière hat am Freitag im Bundestag sein neues Bundeswehrkonzept in einer Regierungserklärung vorgestellt. Er bekam dafür nicht nur die Unterstützung der Union und der FDP, sondern auch der SPD und der Grünen.

Maizières Konzept sieht vor, die Zahl der Soldaten, die für dauerhafte Auslandseinsätze zur Verfügung stehen, von derzeit 7.000 auf 10.000 zu erhöhen. Zu diesem Zweck soll die Bundeswehr kleiner und effektiver gestaltet werden und fast ausschließlich aus Berufssoldaten bestehen. Auch die Befehlsstrukturen sollen vereinfacht und von der zivilen auf die militärische Ebene verlagert werden.

In den neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien, die de Maizière (CDU) mit seinem Reformkonzept veröffentlichte, wird die imperialistische Zielsetzung zukünftiger Bundeswehreinsätze unmissverständlich formuliert. Der weltweite Einsatz der Bundeswehr soll zum "Ausdruck nationalen Selbstbehauptungswillens und staatlicher Souveränität" werden, heißt es darin.

Als konkrete Ziele zukünftiger Bundeswehreinsätze nennen die Richtlinien die Aufrechterhaltung freier Handelswege und einer gesicherte Rohstoffversorgung, den Zugang zu Bodenschätzen, Migrationsströme, Umbrüche beim Zerfall diktatorischer Regimes, Mitsprache bei internationalen Entscheidungen sowie den Heimatschutz, d.h. Einsätze im Innern. (Siehe: De Maizières neue Bundeswehrdoktrin)

Vor seinem Auftritt im Bundestag warb de Maizière in mehreren Interviews für seine Reform. In einem langen Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nannte er Pakistan, den Jemen, Somalia und Sudan als mögliche Einsatzorte der Bundeswehr. "Dass wegen einer Beteiligung in diesen Staaten gegebenenfalls auch Deutschland gefragt wird, damit rechne ich", erklärte er.

Unter Berufung auf Clausewitz' Formulierung: "Krieg ist die Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln", unterstrich de Maizière, dass solche Einsätze eng mit der Außenpolitik und der Wirtschaftspolitik verzahnt sein werden. "Soldaten sind Teil der Außenpolitik", betonte er.

Vor dem Bundestag sprach sich der Verteidigungsminister dann ausdrücklich für die Übernahme weltweiter Verantwortung aus, "die wir uns zutrauen, die man uns zutraut und die man von uns erwartet". Er nannte zwar Libyen nicht beim Namen, doch seine Äußerung wurde als deutliche Kritik am FDP-geführten Außenministerium interpretiert, das eine deutsche Beteiligung am Libyenkrieg bisher abgelehnt hat.

De Maizière begründete seine Doktrin weltweiter Militärinterventionen in zynischer Weise mit der im Grundgesetz verankerten Sozialverpflichtung des Eigentums. Weil Deutschland so wohlhabend sei, erklärte er, sei es verpflichtet, sich auf der ganzen Welt militärisch einzumischen. Der Satz im Grundgesetz, dass Eigentum verpflichte, gelte auch international: "Wohlstand verpflichtet, und zwar zu mehr, als es bisher in Deutschland bekannt und wohl akzeptiert ist."

Zur Überraschung vieler Abgeordneter erhielt de Maizière die uneingeschränkte Zustimmung des Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Jürgen Trittin. Trittin, der seine politische Karriere in einer maoistischen Gruppe begonnen hatte, war von 1998 bis 2005 Bundesumweltminister der rot-grünen Koalition und gilt als möglicher Spitzenkandidat der Grünen für die nächste Bundestagswahl. Seine an de Maizière gerichteten Komplimente, die er mit Seitenhieben gegen die FDP verband, hörten sich an wie eine Koalitionsofferte an die CDU.

Trittin begann seinen Beitrag mit einem Lob de Maizières, weil "über die strategische und sicherheitspolitische Ausrichtung der Bundesrepublik Deutschland" jetzt nicht mehr im Außenministerium, sondern im Verteidigungsministerium entschieden werde. Den "wichtigen strategischen Grundentscheidungen" des Verteidigungsministers stimmte er ausdrücklich zu. Ebenso dem Ziel, die Zahl der Soldaten für internationale Einsätze zu erhöhen: "Wir teilen die Auffassung, dass wir 10.000 Soldatinnen und Soldaten für Auslandseinsätze vorhalten müssen."

Die Pläne de Maizières gehen Trittin in dieser Frage allerdings nicht weit genug. Er warf ihm vor, er gewichte die traditionelle Verteidigung "wieder höher als die Aufgabe, die wir alle als wichtig identifiziert haben, nämlich mehr Einheiten sowie mehr Soldatinnen und Soldaten für Auslandseinsätze bereitzustellen". "Wir glauben, dass Sie hier nicht konsequent sind", fuhr Trittin fort. "Es wird die Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland sein, der internationalen Verantwortung stärker gerecht zu werden."

Internationale Verantwortung bedeute nicht nur die Sicherung von Rohstoffquellen, sondern "dass wir uns an den Gefahren für die Sicherheit, die sich auf der Welt ergeben, orientieren", erklärte Trittin. Es gehe dabei "typischerweise um asymmetrische Konflikte", "um das Vorgehen in gemischten zivil militärischen Missionen" und "um die Sicherung vor Staatszerfall und Ähnlichem". "Wir dürfen keine rechtsfreien Räume auf diesem Globus dulden", betonte er.

Die Grünen verlangen also, dass sich die Bundeswehr in Zukunft überall auf der Welt in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einmischt. "In diesem Zusammenhang", so Trittin, "wird mehr auf die Bundesrepublik Deutschland zukommen als in der Vergangenheit. Das ist eine Botschaft, die man in einer solchen Debatte aussprechen muss."

Notwendig sei "eine konsequente Ausrichtung der Bundeswehr im Hinblick auf multilaterale Einsätze im Auftrag der Vereinten Nationen zur Stabilisierung von zerfallenden Staaten; das wird die Kernanforderung sein." Als Beispiel für einen baldigen Bundeswehreinsatz nannte Trittin den "Trennungsprozess zwischen dem Südsudan und dem Sudan".

Auch die SPD unterstützte die Pläne de Maizières. Ihr verteidigungspolitische Sprecher Rainer Arnold bescheinigte dem Verteidigungsminister "Vernunft und Sachlichkeit" und bekräftigte die Bereitschaft der SPD-Fraktion, sich der "gemeinsamen Verantwortung für die Soldaten zu stellen".

Arnold erinnerte daran, dass SPD und Grüne bereits während ihrer gemeinsamen Regierungszeit Soldaten nach Osttimor geschickt hatten, obwohl dort keine unmittelbaren deutschen Verteidigungsinteressen berührt gewesen seien. Er versicherte dem Verteidigungsminister, man könne mit den Sozialdemokraten auch über die militärische Sicherung "wohl verstandener Wirtschaftsinteressen" reden, ebenso wie über "wohl verstandenen Stabilitätsinteressen im nördlichen Afrika".

Auch Arnold gehen de Maizières Pläne nicht weit genug. Er kritisierte, dass der Minister am Einsparziel von 8,3 Milliarden Euro festhalte und dass der Regierung Sparen um jeden Preis wichtiger sei als die Sicherheitspolitik. Vertrauen in die Reform setze eine seriöse Finanzierung voraus. Arnold bemängelte auch, dass der Soldatenberuf nicht attraktiv genug sei. Die SPD habe 82 Vorschläge ausgearbeitet, wie er attraktiver gestaltet werden könne, verkündete er.

Die einzige Kritik an de Maizières Plänen kam von der Fraktion der Linkspartei. Ihr Verteidigungsexperte Paul Schäfer warf dem Verteidigungsminister vor, er stelle der Bundeswehr einen "Blankoscheck für Interventionismus" aus und rief: "Ohne uns!"

Doch wie es bei dieser Partei so oft der Fall ist, vollzog die Linke unter dem Deckmantel verbalen Protests einen Schwenk nach rechts. Mittlerweile akzeptiert und unterstützt nämlich auch sie die Bundeswehr. Sie dürfte ihrer Meinung nach lediglich etwas kleiner sein. Mit 125.000 statt der von de Maizière geplanten 185.000 Mann wäre sie einverstanden, wie Schäfer vor dem Bundestag erklärte.

Die nahezu einhellige Unterstützung des Bundestags für die Kriegspläne de Maizières ist ein Alarmsignal. In den 1950er Jahren hatten sich einzelne SPD-Politiker noch an die Spitze der Proteste gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands gestellt; die Mehrheit der SPD hatte die Bundeswehr allerdings schon damals unterstützt. Um 1980 entstanden dann die Grünen in enger Verbindung mit der Friedensbewegung, die Millionen gegen die Stationierung amerikanischer nuklearer Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden mobilisierte.

Jetzt, dreißig Jahre später, stehen SPD wie Grüne uneingeschränkt im Lager des deutschen Militarismus. Und die Opposition der Linkspartei dient lediglich als Verhandlungsmasse, die gegebenenfalls gegen eine zukünftige Regierungsbeteiligung eingetauscht werden kann.

Richtete sich die Friedensbewegung der 1950er Jahren noch gegen die Einbindung Deutschlands ins westliche Militärbündnis und die der 1980er Jahre gegen die Stationierung amerikanischer Nuklearsprengköpfe, stehen heute unmittelbare nationale Interessen auf dem Spiel. Der deutsche Imperialismus tritt seit der Wiedervereinigung zunehmend selbstbewusst auf. Im atlantischen Bündnis und in der Europäischen Union sind tiefe Risse entstanden. Um ihre nationalen Interessen durchzusetzen, greifen alle Großmächte zunehmend auf den Einsatz von Streitkräften zurück.

Angesichts wachsender internationaler Spannungen stellen sich SPD und Grüne bedingungslos an die Seite der herrschenden Klasse und übernehmen die Aufgabe, die militärische Aufrüstung gegen das Misstrauen und die Opposition breiter Bevölkerungsschichten durchzusetzen. Nur eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse, die sich gegen den Kapitalismus richtet, kann dem Militarismus und der damit verbundenen Kriegsgefahr Einhalt gebieten.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 31.05.2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juni 2011