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GLEICHHEIT/3694: Massiver Anstieg der Mieten in Berlin


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Massiver Anstieg der Mieten in Berlin

Von Emma Bode
11. Juni 2011


Die Mieten in Berlin sind in den letzten zwei Jahren um durchschnittlich 7,9 Prozent gestiegen. Das geht aus dem Berliner Mietspiegel 2011 hervor, den die Senatorin für Stadtentwicklung Ingeborg Junge-Reyer (SPD) Ende Mai auf einer Presseveranstaltung vorstellte. Verantwortlich für den dramatischen Anstieg der Mieten ist der rot-rote Senat, der eine Politik im Sinne der großen Wohnbaukonzerne und Finanzspekulanten betreibt.

Laut Berliner Mieterverein hat die Hauptstadt im Jahre 2010 den Investoren die höchsten Renditen auf dem deutschen Wohnungsmarkt eingebracht. Der SPD-Linkspartei-Senat hat seit seinem Amtsantritt 150.000 öffentliche Wohnungen privatisiert, die verbliebenen städtischen Wohnbausgesellschaften auf Renditeorientierung verpflichtet, den staatlichen Wohnungsbau völlig eingestellt und durch den Ausstieg aus der Anschlussförderung für Sozialwohnungen extreme Mietsteigerungen ermöglicht. Auch vorhandene Instrumente zum Erhalt von günstigem Wohnraum, wie das Zweckentfremdungsverbot, wurden vom Senat nicht genutzt.

2004 hatte der Senat die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft GSW an die Investoren Goldmann Sachs & Cerberus verkauft und damit die Kontrolle über 65.000 Wohnungen aus der Hand gegeben. Das Unternehmen ist inzwischen börsennotiert und die Aktionäre wollen Dividende sehen. Die neuen Eigentümer haben allein im Jahre 2009 fast eine halbe Milliarde Euro aus dem Unternehmen abgezogen, während die Modernisierung und Instandhaltung der Wohnungen vernachlässigt werden und die GSW rigoros gegen säumige Mieter vorgeht.

Der vom Senat herausgegebene Mietspiegel bildet den durchschnittlichen Anstieg der Mieten ab und dient gleichzeitig als Grundlage für weitere Mietsteigerungen. Hausbesitzer können die Miete alle drei Jahre ohne weitere Begründung um bis zu 20 Prozent erhöhen, wenn diese unter der "ortsüblichen Vergleichsmiete" liegt. Auch beim Abschluss neuer Mietverträge und gerichtlichen Entscheidungen dient der Mietspiegel als Richtschnur.

Da im Mietspiegel nur Mietverträge berücksichtigt werden, die während der letzten vier Jahre abgeschlossen oder erhöht wurden, nicht aber günstigere Bestandsmieten, die sich nicht verändert haben, dreht der Senat allein durch die Art der Berechnung mit an der Preisschraube.

Zahlreiche Wohnungsunternehmen werden den neuen Mietspiegel als Freibrief betrachten, die Mieten noch einmal drastisch zu erhöhen. Vor 2009 lagen die jährlichen Steigerungsraten bei lediglich 0,8 Prozent. Doch in den letzten beiden Jahren hat sich diese Rate verfünffacht. Durchschnittlich kostet der Quadratmeter einer Mietwohnung (netto-kalt) nun 5,21 Euro statt zuvor 4,83 Euro. Hinzu kommen die Kosten für Heizung, Wasser, Müllabfuhr, usw., die wegen der Spar- und Privatisierungspolitik des Senats ebenfalls drastisch gestiegen sind.

Die Mieterhöhung von 7,9 Prozent ist ein Durchschnittswert. Für einige Stadtteile und Wohnungstypen ist die Steigerung wesentlich höher. Bei rund einem Viertel aller frei finanzierten Wohnungen liegt der Mietanstieg über zehn Prozent.

Die Nettopreise von Kleinwohnungen unter 40 Quadratmeter stiegen durchschnittlich um 8,5 Prozent, von mittelgroßen Wohnungen (60 bis 90 Quadratmeter) um 7,6 Prozent und von großen Wohnungen (über 90 Quadratmeter) um 9,3 Prozent. Für die rund 60.000 Neubauwohnungen in Berlin liegt die Miete inzwischen bei rund sieben Euro je Quadratmeter und Monat.

Besonders hoch ist die Mietsteigerung mit 11,8 Prozent bei attraktiven Altbauten, die vor 1918 entstanden sind. Noch stärker, nämlich um sage und schreibe 17,5 Prozent, stiegen die Mieten für Altbauwohnungen ohne moderne Heizung oder Bad, wie sie von Geringverdienern, Arbeitslosen und Studenten bevorzugt werden.

Auf der Pressekonferenz der Senatorin für Stadtentwicklung protestierten junge Leute, die sich als die "Überflüssigen" bezeichneten, gegen den "Mieterhöhungsspiegel". Der Berliner Wohnungsmarkt sei ein "Spielplatz für Reiche, und der Senat spielt mit", erklärten sie. Die "Selbstorganisation der Mieter" protestierte gegen die "extremen Mietsteigerungen".

Demgegenüber behauptete Senatorin Junge-Reyer, es gebe weiterhin einen großen Bestand an leer stehenden Wohnungen. Deshalb bestehe in Berlin kein Wohnungsmangel. Doch in Berlin werden zunehmend Wohnungen in Büros, Praxen und Unterkünfte für Touristen umgewandelt und der verfügbare Wohnraum wird damit weiter verknappt.

Aus Sicht des Mietervereins bedürfte es daher eines ganzen Bündels von Gegenmaßnahmen - einer neuen Verordnung zum Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum, einer Verlängerung der Kündigungssperrfrist-Verordnung, einer Ausweitung des Schutzes vor Eigenbedarf auf zehn Jahre, eines Genehmigungsvorbehalts bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen für mehr Berliner Wohnquartiere, sowie der Androhung der Nutzung des Vorkaufsrechtes durch den Senat.

Doch obwohl der spürbare Rückgang des Leerstandes und die zunehmende Umwandlung von Miet- in Eigentumsquartiere zu einer kontinuierlichen Verringerung des Wohnungsangebotes geführt haben, ergreift der Senat keine Gegenmaßnahmen.

Wohnungsmarkt-Experten machen auch die zunehmende Zahl der Haushalte in der Stadt und die dadurch wachsende Nachfrage nach Wohnungen für den Mietanstieg verantwortlich. Sie regen die Förderung des Baus günstiger Wohnungen an und halten eine Verdoppelung der Neubauten von jährlich 4.000 auf 8.000 Wohnungen für erforderlich, um den Mietanstieg zu bremsen. Einer Neuauflage des sozialen Wohnungsbaus hat der Berliner Senat jedoch eine klare Absage erteilt.

Mittlerweile werden in Berlin nur noch rund 100.000 Wohnungen für weniger als vier Euro je Quadratmeter und Monat vermietet. Wie Hohn klingen da die Worte der Stadtentwicklungssenatorin, dass das Mietniveau in Berlin zwar steige, aber dennoch weiterhin deutlich hinter vergleichbaren Großstädten wie Hamburg und München zurückbliebe.

Vor allem die mehr als 400.000 Hartz-IV-Bezieher in Berlin sind vom Anstieg der Mieten betroffen. Ihnen droht der Zwangsumzug in eine billigere Wohnung, oder sie müssen eine erhöhte Miete aus den Regelsätzen bezahlen, weil die Jobcenter die hohen Kosten nicht übernehmen.

Jede fünfte Bedarfsgemeinschaft, das sind fast 70 000, liegt über den vom Senat vorgegebenen Obergrenzen für die Kosten der Unterkunft. Besonders kritisch ist die Lage der Hartz-IV-Haushalte mit zwei Personen. Aus dieser Gruppe sind bereits 40 Prozent von den Jobcentern aufgefordert worden, ihre Wohnkosten unter die zulässige Bruttowarmmiete von 444 Euro zu senken. Auch jeder dritte Drei- und Vier-Personen-Haushalt war betroffen.

Schon im vergangenen Jahr hatte sich die Zahl der Hartz-IV-Empfänger, die zwangsweise umziehen mussten, gegenüber 2009 verdreifacht. 1.195 Haushalte mussten in eine billigere Bleibe wechseln, im Jahr davor waren es noch 428 gewesen. Seit 2006 mussten laut Sozialverwaltung insgesamt 3.292 Hartz-IV-Haushalte umziehen. Trotzdem stiegen die Gesamtkosten der Unterkunft, die vom Land Berlin getragen werden müssen. 2006 waren es 1,36 Milliarden Euro für 346.000 Bedarfsgemeinschaften, 2010 1,44 Milliarden Euro für 332.000 Haushalte.

Eine weitere Ursache für die Berliner Wohnungsnot ist die Erhebung der vollen Kostenmiete für Sozialwohnungen, die in den 1980er Jahren im Zusammenhang mit der internationalen Bauausstellung in der Nähe der Berliner Mauer mit sehr hohen Bau- und Finanzierungskosten errichtet wurden. Anfangs hatte das Land Berlin die Differenz zwischen der so genannten Kostenmiete, die sich aus dem vom Eigentümer eingesetzten Finanzierungsaufwand (Baukosten, Kreditzinsen) errechnet, und der "Sozialmiete" finanziert. Diese "Grundförderung" endete allerdings bereits vor einigen Jahren.

Inzwischen hat der Senat die Anschlussförderung für 28.000 der rund 170.000 Sozialwohnungen gestrichen. Folglich gelten diese Wohnungen ab sofort nicht mehr als Sozialwohnungen. Ihre Eigentümer können die volle Kostenmiete verlangen, selbst wenn die ortsübliche Vergleichsmiete erheblich unter diesem Niveau liegt!

So sollten Mieter in der Fanny-Hensel-Siedlung in Kreuzberg von heute auf morgen statt 5,33 Euro 9,62 Euro Kaltmiete pro qm bezahlen. Die Siedlung liegt in der Nähe des Potsdamer Platzes. Dort lebten bisher viele Geringverdiener und Hartz-IV-Empfänger. Nach dem Fall der Mauer wurde das Gebiet wieder Innenstadt und zur begehrten Wohnlage. Inzwischen kostet dort eine 50 qm große Wohnung zzgl. Heizung und Warmwasser 830 Euro im Monat, das sind 13,02 Euro Kaltmiete.

Für die Mieter, die die extrem verteuerte Miete nicht zahlen können, bieten auch die landeseigenen Wohnungsunternehmen Degewo und Gewobag in der Nähe der Siedlung keinen preiswerten Wohnraum an. Die Menschen werden dadurch gezwungen, ihr angestammtes Wohnumfeld zu verlassen und an den Stadtrand zu ziehen.

Rasante Mieterhöhungen durch den Wegfall der Anschlussförderung gibt es auch in der Weddinger Koloniestraße, wo aktuell 15,66 Euro pro qm verlangt werden. In der Kreuzberger Kochstraße 15-26 erfolgte im Februar eine Mieterhöhung um 120 Prozent!

Der Berliner Senat behauptet, ihm seien die Hände gebunden. Die Vermieter könnten die volle Kostenmiete verlangen, weil ansonsten eine "unzulässige Einschränkung ihres Eigentums" vorläge. Tatsächlich sind die Bundesländer seit der Föderalismusreform 2006 ermächtigt, eigene gesetzliche Regelungen zum sozialen Wohnungsbau aufzulegen. In mehreren Bundesländern ist dies erfolgt. In Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein wurde das Kostenmietprinzip zugunsten des Vergleichsmietensystems abgeschafft. Der Berliner Mieterverein meint dazu: "Der Senat hat es bisher versäumt, rechtzeitig Schutzklauseln für die Sozialmieter zu erlassen."

Die genannten Beispiele zeigen, dass hier keine überraschende, sondern eine vom Senat offenbar gewollte Entwicklung stattfindet! Zur "Aufwertung" bestimmter Gegenden der Innenstadt trägt der Senat mit seine Politik der Verdrängung von Haushalten mit geringem Einkommen bei.

Außer einer lächerlichen Fristverlängerung um zwei Wochen für den Mieter bei Räumung der Wohnung und der Möglichkeit, im äußersten Notfall einen Antrag auf einen finanziellen Zuschuss zum Umzug stellen, hat der Senat nichts für die von Kündigung betroffenen Mieter getan. Das führte beispielsweise dazu, dass im Prenzlauer Berg, einem ehemaligen Arbeiterbezirk, mit der Sanierung der attraktiven Altbauten innerhalb der letzten zwanzig Jahre fast die gesamte Bevölkerung ausgetauscht wurde. Die hohen Mieten können sich Studenten, Rentner und Geringverdiener nun mal nicht leisten.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 11.06.2011
Massiver Anstieg der Mieten in Berlin
http://www.wsws.org/de/2011/jun2011/miet-j11.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juni 2011