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GLEICHHEIT/3947: Ägypten - Gewaltorgie der Militärjunta gegen Demonstranten


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Ägypten: Gewaltorgie der Militärjunta gegen Demonstranten

Von Johannes Stern
22. November 2011


Vergangenes Wochenende ging die ägyptische Militärjunta mit brutaler Gewalt gegen Demonstranten vor. Es gab mehrere Tote und mehr als siebenhundert Verletzte. Die Gewaltorgie fand kurz vor den Parlamentswahlen vom 28. November statt.

Die Proteste gegen staatliche Gewalt reißen nicht ab. Die Junta des Obersten Militärrats (SCAF) genießt nach wie vor die Unterstützung der USA. Auch zehn Monate, nachdem eine millionenstarke Massenbewegung Diktator Hosni Mubarak zum Rücktritt gezwungen hatte, weigert sich das Militär, die Macht abzugeben.

Der 23-jährige Ahmed Mohamed Ahmed wurde am Samstag in Kairo von der Polizei mit scharfer Munition erschossen. Ein weiterer Demonstrant wurde in Alexandria von Scharfschützen in den Kopf getroffen. Bisher sind an diesem Wochenende fünf Menschen durch die Hand der Polizei zu Tode gekommen, aber die Zahl der Toten wird vermutlich noch steigen.

Was sich jetzt auf dem Tahrir-Platz und den angrenzenden Straße abspielt, erinnert an die Ereignisse vom 28. Januar, als sich demonstrierende Massen erbitterte Kämpfe mit Mubaraks berüchtigten Amn Al Markazy (Zentrale Sicherheitskräfte) lieferten.

Auslöser für die Zusammenstöße war diesmal ein Angriff der Sicherheitskräfte auf einen friedlichen Sitzstreik von etwa einhundert Demonstranten, die sich als das "verletzte Bündnis der Revolution" bezeichnen und die gegen den verhassten Militärrat und seinen Anführer, Feldmarschall Mohamed Hussein Tantawi, protestieren.

Nachdem die Polizei angriff, um die Demonstranten vom Platz zu vertreiben, strömten Tausende auf die Straßen, um den Sitzstreik zu verteidigen. Sicherheitskräfte und Militärpolizei kämpften noch stundenlang mit den Demonstranten. Sie setzten Gummigeschosse, Tränengas und LKWs und auch scharfe Munition ein.

Die Demonstranten verteidigten sich mit Steinwürfen und Brandsätzen und warfen die Tränengaskanister zurück auf die Polizisten. In ihren Parolen forderten sie den Sturz des Militärrates und von Tantawi, und sie beschimpften die Sicherheitskräfte als Schläger. Auch der Gesang, "Das Volk will den Sturz des Regimes", der vom Kampf gegen Mubarak her bekannt ist, war auf dem Platz wieder zu hören.

Die Polizei verhaftete zahlreiche Demonstranten und Journalisten, raubte sie aus und schlug sie brutal zusammen. Auch Ahmed Feteha, Reporter für Al Ahram Online, war betroffen. Ein 32-jähriger Wirtschaftsprofessor der Nachrichtenagentur AFP berichtete: "Sie haben uns übel verprügelt. Es war ihnen egal, ob es Männer oder Frauen waren."

Ghada Shahbender, Mitglied der Ägyptischen Menschenrechtsorganisation, sagte Associated Press, die Polizei habe "mit Gummigeschossen genau auf die Köpfe der Leute geschossen. Ich habe gehört, wie ein Offizier seinen Männern befahl, auf die Köpfe zu zielen".

Ein Demonstrant namens Malek Mostafa verlor ein Auge, als er von einem Gummigeschoss getroffen wurde.

Premierminister Essam Sharaf rief die Demonstranten dazu auf, den Platz zu verlassen, und das ägyptische Staatsfernsehen nannte sie "Randalierer" und "Hooligans."

Seither sind auch in Alexandria, Suez, Mansura und Mahalla al Kubra Massenproteste ausgebrochen. In Alexandria sagte Ahmed Abdel-Qader der Associated Press: "Wir haben dem Regime nur den Kopf abgeschlagen [d.h. Hosni Mubarak]. Der Rest des Baumes steht aber noch."

Das staatliche Fernsehen rechtfertigte das Vorgehen gegen die Proteste auf dem Tahrir-Platz. Es verwies auf das Vorgehen der amerikanischen Polizei gegen die Occupy-Proteste. Bezeichnenderweise stammen viele der eingesetzten Tränengaskanister aus amerikanischer Produktion.

General Mohsen El-Fangary, Mitglied des Militärrates, sagte, die Polizei gehe in Übereinstimmung mit dem Gesetz von März vor, das Sitzstreiks und Streiks im Allgemeinen unter Strafe stellt. "Wir setzen hier das Rückgrat des Staates ein, das Militär", erklärte der General. An die Adresse der Demonstranten gerichtet: "Wenn keine Sicherheit herrscht, werden wir die Macht des Gesetzes anwenden. Jeder, der dagegen verstößt, wird dafür bezahlen."

Die Junta bereitet sich darauf vor, mit massiver Gewalt die ägyptische Revolution im Blut zu ertränken. Dabei genießt sie die volle Unterstützung der USA, die immer noch Hauptsponsoren des ägyptischen Militärs sind. Am 15. November besuchte der Chef des US Central Command, General James N. Mattis, Tantawi und Sami Anan, dem Stabschef der ägyptischen Streitkräfte, in Kairo zu Gesprächen. Mattis lobte den SCAF ausdrücklich und soll Möglichkeiten diskutiert haben, die Beziehungen zwischen den USA und Ägypten zu verbessern.

Die USA sehen das Militär als Rückgrat der ägyptischen Bourgeoisie, welche die kapitalistische Herrschaft und die Interessen des westlichen Imperialismus im Nahen Osten verteidigt. Seit Mubarak am 11. Februar durch einen Massenaufstand gestürzt wurde, arbeitet die Obama-Regierung eng mit dem SCAF zusammen, um den Streiks und Protesten ein Ende zu setzen. Eine zweite Revolution soll um jeden Preis verhindert werden.

Die ägyptischen Arbeiter fordern soziale Gleichheit und demokratische Rechte. Ägyptens gesamte herrschende Elite lebt in Angst und Schrecken vor der ägyptischen Arbeiterklasse. Nach Mubaraks Sturz stellten sich sämtliche offiziellen und halboffiziellen politischen Kräfte, Islamisten, Liberale wie kleinbürgerliche "Linke", einhellig auf die Seite der Militärjunta. Sie behaupteten, Mubaraks Generäle organisierten einen "demokratischen Übergang".

Die jüngsten Zusammenstöße veranlassen nun Vertreter der offiziellen Opposition, Besorgnis zu äußern. Präsidentschaftskandidat Mohamed ElBaradei und Amr Moussa kritisierten den Einsatz exzessiver Gewalt, da sie die Gefahr sehen, dadurch könnten noch größere Proteste provoziert werden. Moussa warnte: "Wir befinden uns in einer sehr gefährlichen Lage. Wir müssen den Einsatz von Gewalt beenden, er war nicht gerechtfertigt. Wir sollten das Gespräch suchen. Mit Gewalt gegen friedliche Sitzstreiks und Demonstrationen vorzugehen, wird die Lage nur noch verschlimmern."

Mohamed Badie, das Oberhaupt der Moslembrüder (MB), forderte "alle ehrenhaften Ägypter auf, sich zu beherrschen und die Revolution vom 25. Januar zu schützen". Laut Al Masri Al Youm forderte der Sprecher Mahmoud Ghozlan Demonstranten und Behörden auf, zusammen "jene aufzuhalten, die wollen, dass sich Ägypten in einem endlosen Netz aus Konflikten und Gewalt verstrickt".

Vor den Zusammenstößen vom Samstag organisierten die islamistischen Moslembrüder und andere salafistische Gruppen am Freitag Massendemonstrationen auf dem Tahrir-Platz, um gegen ein Dokument zu protestieren, das "über der Verfassung stehende Prinzipien" festlegt. Dieses Statement legte der stellvertretende Premierminister Ali al-Selmy am 1. November vor. Darin heißt es, das Militär stehe über dem Gesetz und habe das Recht, jedes Gesetz, das sich auf die Streitkräfte bezieht, abzusegnen und die Planung einer neuen Verfassung zu kontrollieren.

Die Islamisten bezeichnen das Dokument als Versuch des Militärs, sie von der Bildung eines islamistischen Staates fernzuhalten. Nach der Kundgebung vom 29. Juli war dies seit Mubaraks Sturz die zweite Massendemonstration der Islamisten.

Die Bruderschaft und ihr politischer Arm, die Partei für Freiheit und Gerechtigkeit (FJP), sowie die Salafisten, die hauptsächlich in den Parteien Al-Nur (Das Licht) und Al-Asala (die Wahrheit) organisiert sind, hatten die Massenproteste vom 25. Januar, die letztlich zu Mubaraks Sturz führten, anfangs abgelehnt. Sie boykottierten auch die meisten Millionenmärsche, die auf seine Absetzung folgten.

Die Islamisten wenden sich gegen Streiks der Arbeiter und arbeiten eng mit der Junta und ihren imperialistischen Hintermännern zusammen.

Letzte Woche erklärte William Taylor, Sonderkoordinator der US-Regierung für den Nahen Osten, die USA könnten sich mit einer islamistischen Regierung in Ägypten "zufriedengeben". Bei einem Forum des Atlantikrates, einer Denkfabrik aus Washington, sagte Taylor: "Wir müssen die Leute, Parteien und Bewegung danach beurteilen, was sie tun, und nicht danach, wie sie heißen."

Seit dem Sturz von Zine Abedine Ben Ali in Tunesien und Mubarak in Ägypten knüpfen die USA engere Beziehungen zu der islamistischen Ennahda-Partei in Tunesien und den Moslembrüdern in Ägypten. In Libyen haben die USA und die Nato einen Krieg geführt; sie haben Muammar Gaddafi durch einen Nationalen Übergangsrat ersetzt, der aus Islamisten, ehemaligen Gaddafi-Anhängern und CIA-Mitarbeitern besteht.

Um die Revolution fortzusetzen, brauchen Ägyptens Arbeiter und Jugendliche eine neue politische Perspektive. Die Erfahrungen der letzten Monate haben gezeigt, dass sich die ägyptische Militärjunta nicht durch Proteste und Streiks zwingen lässt, demokratische und soziale Reformen durchzuführen. Sie muss gestürzt und durch eine Arbeiterregierung ersetzt werden.

Die kleinbürgerlichen "linken" Kräfte lehnen eine solche Perspektive entschieden ab. Das sind in Ägypten hauptsächlich die Revolutionären Sozialisten (RS) und die Sozialistische Volksfrontpartei. Als der SCAF im Februar die Macht übernahm, erklärten diese Gruppen, die Arbeiterklasse solle auf Reformen hoffen, die das neue Regime durchführen werde, wie auch auf deren Wahlscharade. Später, als während der Massenproteste vom 27. Mai und 8. Juli die Forderung nach einer zweiten Revolution erhoben wurde, lehnten sie dies ab.

Durch ihre Unterstützung für die Junta tragen diese Parteien die Verantwortung dafür, dass der Widerstand gegen die Junta derzeit von den islamistischen Rechten kontrolliert wird, die in den ersten Monaten des revolutionären Kampfes nur eine kleine Rolle gespielt haben.

Am 16. Oktober kündigten die RS an, sie würden zur Wahl antreten. Damit geben sie einem Prozess Legitimität, dessen Ziel es ist, die Militärdiktatur zu stabilisieren und zu stärken. Als Rechtfertigung veröffentlichten die RS am 23. Oktober einen Artikel mit dem Titel: "Die Wahlen und der Fehler einer revolutionären Dringlichkeit". Während die ägyptische Arbeiterklasse einer Militärjunta gegenübersteht, die in großem Ausmaß Gewalt gegen Demonstranten und Streikende anwendet, sagen die RS den Arbeitern, sie sollten revolutionäre Politik meiden und sich stattdessen auf die Wahlen konzentrieren.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 22.11.2011
Ägypten: Gewaltorgie der Militärjunta gegen Demonstranten
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. November 2011