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GLEICHHEIT/4041: Libyen - Menschenrechtsgruppen werfen NATO Kriegsverbrechen vor


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Libyen: Menschenrechtsgruppen werfen NATO Kriegsverbrechen vor

Von Bill Van Aucken
24. Januar 2012


Ein am Donnerstag veröffentlichter Bericht von Menschenrechtsgruppen aus dem Nahen Osten enthält überzeugende Beweise dafür, dass die NATO in ihrem achtmonatigen Krieg zur Herbeiführung eines Regimewechsels in Libyen Kriegsverbrechen begangen hat.

Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass die Resolution der Vereinten Nationen, die "alle notwendigen Maßnahmen" zum Schutz der Zivilbevölkerung erlaubte, als Rechtfertigung für Militäraktionen gegen zivile Ziele benutzt wurde, bei denen viele Libyer getötet und verwundet wurden.

Grundlage des Berichts ist eine Erkundungsmission, die von der Arabischen Organisation für Menschenrechte zusammen mit dem Palästinensischen Zentrum für Menschenrechte und dem International Legal Assistance Consortium (Vereinigung für internationalen juristischen Beistand) durchgeführt wurde.

Sowohl mit Opfern von Kriegsverbrechen, wie auch mit Zeugen und libyschen Behördenvertretern wurden ausführliche Interviews geführt. Es wurde vor Ort in und um Tripolis, Sawija, Khoms, Zliten, Misrata, Tawergha und Sirte ermittelt.

Die Nachforschungen ergaben, dass die Regierung von Oberst Muammar Gaddafi exzessive Gewalt gegen Demonstranten anwandte. Der Bericht stellt aber auch fest: "Es scheint keine klare Trennung zwischen friedlichen Protesten und bewaffneter Opposition gegeben zu haben. Glaubhafte Informationen deuten darauf hin, dass die Demonstranten schon in einem frühen Stadium der Revolution zu den Waffen griffen."

Was die Rolle der NATO angeht, so führt der Bericht Beweise an, dass das von den USA angeführte Bündnis Bodentruppen stationierte, die die Offensive der sogenannten "Rebellen" mit den Luftangriffen koordinierte.

"Die NATO nahm an Aktionen teil, die als Angriffshandlungen der Oppositionskräfte eingestuft werden können. Zu ihnen zählten zum Beispiel Angriffe auf Städte, die von Gaddafi-Anhängern gehalten wurden", heißt es in dem Bericht. "Auch die Auswahl bestimmter Ziele wie regionaler Lebensmittellager wirft auf den ersten Blick Fragen nach der Rolle solcher Angriffe hinsichtlich des Schutzes der Zivilbevölkerung auf."

Zu den von NATO-Bomben und Raketen getroffenen zivilen Zielen, die die Menschenrechtsorganisationen aufsuchten, zählen Schulen und Universitäten, ein Lebensmittellager in Zliten, das Büro des Verwaltungschefs in Tripolis und Privathäuser.

Die stärksten Beweise für Kriegsverbrechen wurden in der Küstenstadt Sirte gefunden, einer Hochburg der Gaddafi-Anhänger, die den von der NATO unterstützten Truppen als eines der letzten Gebiete zum Opfer fiel.

Der Bericht erwähnt einen Vorfall vom 15. September, bei dem NATO-Bomber zwei Jeeps trafen, die eine Küstenstraße bewachten. Dabei wurden zehn pro-Gaddafi-Kämpfer getötet oder verwundet. Als Anwohner ihre Häuser verließen, um den Verwundeten zu helfen und die Toten zu bergen, schlugen die NATO-Kampfflieger ein weiteres Mal zu und feuerten eine dritte Rakete in die Menge. Etwa fünfzig Zivilisten kamen ums Leben.

Der Bericht enthält auch detaillierte Berichte über Kriegsverbrechen, die die von der NATO unterstützten "Rebellen" begangen haben. Außer Massenexekutionen angeblicher pro-Gaddafi-Kämpfer berichteten Zeugen von "willkürlichen Vergeltungsmorden", darunter dem Abschlachten (mittels Kehle-Durchschneiden) ehemaliger Kämpfer.

Besuche in Gefangenenlagern ergaben, dass vielen Insassen nicht viel mehr vorgeworfen wird, als das Gaddafi-Regime unterstützt zu haben. In einem dieser Lager in Zawija berichteten sichtlich "panische" und "verzweifelte" Gefangene, regelmäßig von ihren Bewachern geschlagen worden zu sein. Sie wiesen Verletzungen auf, die derartige Behandlungen belegten. Vor allem durch Kleidung bedeckte Körperteile wie Rumpf und Oberschenkel der Gefangenen wiesen Hämatome auf, was bei oberflächlicher Betrachtung nicht zu sehen ist. Die Gefangenen wurden mit Fäusten, elektrischen Kabeln und Plastikleinen geschlagen. Sie berichteten auch von zwei Todesfällen in Behördengewahrsam."

Der Bericht nimmt vor allem die Behandlung schwarzer afrikanischer Fremdarbeiter und schwarzer Libyer ins Visier, die willkürlich zusammengetrieben wurden und denen "Söldnertum" vorgeworfen wurde. Menschen "mit dunkler Hautfarbe werden als mutmaßliche Söldner festgehalten. In solchen Fällen scheint es eine Schuldzuweisung zu geben. Die angeblichen Söldner, die im Rahmen der Untersuchung befragt wurden, behaupteten, Fremdarbeiter gewesen zu sein. Einige von ihnen sagten, sie hätten vor der Revolution bereits fünf Jahre oder länger in Libyen gelebt", heißt es in dem Bericht.

Symbolisch für diese rassisch motivierte Unterdrückung ist das Schicksal von Tawergha, einer Stadt, die einmal eine Bevölkerung von Dreißigtausend hatte. Das etwa 38 Meilen östlich von Misrata gelegene Tawergha war ehemals ein Sklavenhandelsposten, den befreite Sklaven besiedelt hatten. Folglich war die Bevölkerung mehrheitlich schwarz.

Als Gaddafi-Anhänger gebrandmarkt, wurde die gesamte Bevölkerung von Tawergha durch eine Terrorkampagne von "Rebellen" aus Misrata vertrieben. Zurück blieb eine Geisterstadt. Die Nachforschungen ergaben, dass sich in den zerstörten Häusern noch persönliche Gegenstände der Bewohner befanden, die offensichtlich "in extremer Eile" aufgebrochen waren. Außerdem wurde berichtet, dass während der Nachforschungen im November viele der verlassenen Häuser von Brandstiftern angezündet wurden.

Der Bericht zitiert einen hohen libyschen Militärkommandanten, der "bestätigte, dass eine Anzahl weiterer 'Loyalisten'-Dörfer in ganz Libyen ein ähnliches Schicksal ereilt hat."

"Wir haben Grund zur Annahme, dass von der NATO einige Kriegsverbrechen begangen wurden", sagte Raji Sourani, Chef des palästinensischen Zentrums für Menschenrechte, der britischen Zeitung Independent. Der Bericht hält fest, dass die Feststellung des Ausmaßes dieser Verbrechen von den jetzt herrschenden Gaddafi-Gegnern behindert werde. Sie hätten ein "offensichtliches Verlangen... die NATO zu schützen oder jede direkte oder indirekte Kritik zu unterbinden."

Der Bericht kommt zu dem Schluss: Die Beweise für Kriegsverbrechen während der Militärintervention zum Regimewechsel in Libyen sind so erdrückend, dass "effektive Ermittlungen einschließlich einer angemessenen Verfolgung der Verantwortlichen notwendig sind".

Im November 2011 sagte Luis Moreno Ocampo, Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH), gegen NATO-Kräfte lägen Verbrechensvorwürfe vor (und) diese Vorwürfe würden unvoreingenommen und unabhängig geprüft."

Während der IStGH Libyens Nationalem Übergangsrat letzte Woche die Frist für die Ablieferung eines Berichts über die Haftbedingungen, unter denen Saif al-Islam, der Sohn des ermordeten libyschen Führers, gehalten wird, um zwei Wochen verlängerte, hat Moreno-Campo keine Andeutungen gemacht, dass der IStGH Vorwürfen im Zusammenhang mit den NATO-Kriegsverbrechen und dem Lynchmord an Gaddafi nachgehen werde.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 24.01.2012
Libyen: Menschenrechtsgruppen werfen NATO Kriegsverbrechen vor
http://www.wsws.org/de/2012/jan2012/nato-j24.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Januar 2012