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GLEICHHEIT/4045: Ein Jahr nach der ägyptischen Revolution


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Ein Jahr nach der ägyptischen Revolution

Von Alex Lantier
26. Januar 2012


Heute vor einem Jahr begannen in ganz Ägypten revolutionäre Proteste gegen Präsident Hosni Mubarak, an denen sich Millionen von Arbeitern beteiligten. Unter dem Eindruck des Sturzes des tunesischen Präsidenten Zine El Abidine Ben Ali durch Proteste der Arbeiterklasse, nur elf Tage zuvor, begannen die ägyptischen Arbeiter einen achtzehntägigen revolutionären Kampf, der Mubaraks dreißig Jahre andauernde Herrschaft beendete.

Obwohl Mubarak von dem amerikanischen Botschafter Frank Wisner unterstützt wurde und etwa 840 Menschen durch Polizeigewalt starben, musste Mubarak am 11. Februar in Schande zurücktreten und übergab die Macht an eine von den USA unterstützte Militärjunta. Die amerikanischen, europäischen und israelischen Regierungen waren schockiert über den Wegfall eines wertvollen Verbündeten, der jahrzehntelang dabei mitgeholfen hatte, den Widerstand der Arbeiter gegen Armut und imperialistische Unterdrückung im Nahen Osten zu unterdrücken.

Zwanzig Jahre nachdem die herrschenden Klassen behauptet hatten, die Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie sei das "Ende der Geschichte" und der endgültige Triumph des Kapitalismus' über Klassenkampf und Sozialismus, beflügelte der anfängliche Sieg gegen Mubarak die Arbeiterklasse weltweit. In Ägypten wurde noch wochenlang gefeiert und für höhere Löhne und bessere Bedingungen gestreikt. Die Proteste breiteten sich im ganzen Nahen Osten aus, zuletzt sogar nach Israel und die Vereinigten Staaten, wo Arbeiter im Kampf gegen soziale Kürzungen des Gouverneurs von Wisconsin, Scott Walker, drohten, "es wie die Ägypter zu machen"

Der anfängliche Sieg war Auftakt für ein Jahr der Kriege und erbitterter Klassenkämpfe. Ein Jahr später ist die Militärdiktatur trotz Mubaraks Sturz noch an der Macht, lässt Tausende einsperren und foltern, während die arbeitenden Massen von Armutslöhnen in Höhe von zwei US-Dollar am Tag leben. Trotz ihres grenzenlosen Mutes und ihrer Entschlossenheit konnte die Arbeiterklasse nicht einfach die historischen Probleme der politischen Perspektive, des Programms und der Führung überspringen, die sich ihnen Kampf gegen Mubaraks Regime stellten.

In den ersten Tagen der Revolution, letzten Februar, erklärte die World Socialist Web Site: "Die Revolution befindet sich noch in ihrem Anfangsstadium. Die Klassenkräfte, die in dieser gesellschaftlichen Explosion entfesselt werden, fangen erst an, sich in bestimmten Forderungen auszudrücken. ... Die Arbeiterklasse, die jahrzehntelang unterdrückt wurde, hat noch kein eigenes Programm aufgestellt. In diesen ersten Momenten des sich entfaltenden Kampfs kann dies auch nicht anders sein."

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) kämpft für eine unabhängige politische Perspektive für die Arbeiterklasse. Das unterscheidet es von anderen Klassentendenzen, die anfänglich in der Protestbewegung entstanden. Auf der Grundlage von Leo Trotzkis Theorie der permanenten Revolution versuchte das IKVI zu erklären, dass die Bourgeoisie und das Kleinbürgertum vor der Arbeiterklasse Angst haben und vom Imperialismus abhängig sind. Sie können daher kein demokratisches Regime hervorbringen. Die Demokratie kann nur das Ergebnis eines revolutionären Kampfes für den Sozialismus sein, geführt von der Arbeiterklasse und mit dem Ziel, alle Ressourcen der nationalen und internationalen Wirtschaft unter die Kontrolle der Arbeiter und der unterdrückten Massen zu stellen.

Das IKVI bemühte sich, die die immer schärferen Widersprüche zwischen Arbeitern und Teilen der anderen Klassen zu erklären, die durch die Revolution ins politische Leben hineingezogen wurden: bürgerliche Schichten - islamistische Parteien, die unter Mubarak verboten waren, Sektionen der liberalen Bourgeoisie, die Mohammed ElBaradei unterstützten - und vor allem "linke" Gruppierungen dieser Mittelschicht.

Die bürgerlichen Parteien strebten eine Übereinkunft mit der ägyptischen Militärregierung an. Die "linken" Vertreter der Mittelschicht, beispielsweise die irreführenderweise so genannten Revolutionären Sozialisten (RS) und ihre internationalen Mitstreiter wollten mit Washington zusammenarbeiten, um die Proteste der Bevölkerung zu manipulieren - und einen "vergrößerten demokratischen Spielraum" unter der Militärherrschaft schaffen, in dem sie sich entfalten konnten.

Diese Kräfte verhalfen der Propaganda des US-Imperialismus zu einem leicht "linken" Anstrich: Durch die Finanzierung von politischen Gruppen und angeblich unabhängigen Gewerkschaften unterstützt Washington die Proteste des "Arabischen Frühlings" beim Übergang zur Demokratie im gesamten Nahen Osten.

Ein wichtiges Thema war im vergangenen Jahr der wachsende Konflikt zwischen dieser reaktionären Schicht und den revolutionären Kämpfen der Arbeiterklasse. Als im Frühling aufgrund von wachsendem Unmut über das Militär Rufe nach einer "zweiten Revolution" laut wurden, stellten sich die RS gegen diese Forderung. Stattdessen halfen sie bei der Organisation einer vereinten Kampagne von "Oppositionsparteien", darunter auch ultrarechte Islamisten wie Gamaa IslamiyahDadurch verloren sie die Unterstützung der Öffentlichkeit und erlaubten es dem Militär, im Juni und Juli die wieder aufflammenden Proteste auf dem Tahrir-Platz niederzuschlagen.

Im Herbst nahmen die Streiks wieder zu, besonders Ende November, kurz vor Beginn der ägyptischen Parlamentswahlen. Darin zeigte sich der wachsende Ärger über den betrügerischen "demokratischen Übergang", der unter Kriegsrecht durchgeführt wird. Die Wahlen waren trotz massiver Propaganda von Gleichgültigkeit der Wähler gekennzeichnet, wodurch die Islamisten im Parlament ihre Stellung verbessern konnten. Der Grund dafür ist nicht deren Rolle in der Revolution - die unbedeutend war - sondern die Unterstützung durch Parteien der Mittelschicht und die Finanzierung, die sie durch die herrschenden Klassen Ägyptens und die Scheichtümer vom Persischen Golf erhielten.

Dennoch drängen die RS jetzt darauf, die Macht einem zivilen Regime auszuhändigen, das von islamistischen Kräften wie den Moslembrüdern und den rechtsextremen Salafisten angeführt würde.

Eine solche Regierung richtet sich mit vorgehaltener Waffe gegen die sozialen Forderungen, die die Arbeiter in den Kampf gegen Mubarak getrieben haben. Sie kann nichts anderes sein als ein gewalttätiges konterrevolutionäres Regime, durch das die Armee im Hintergrund weiterregieren kann. Islamistische Funktionäre erklärten vor kurzem, die Armee habe "das Recht auf einen Sonderstatus in der kommenden Verfassung, einen größeren als in früheren."

Die "Linken" aus der Mittelschicht richten sich auch außerhalb Ägyptens feindselig gegen die Interessen der Arbeiterklasse. Die RS und ihre internationalen Partner wie die britische Socialist Workers Party (SWP) und die französische Neue Antikapitalistische Partei (NPA) wiederholten die Behauptungen der Westmächte, sie kämpften bei ihrer Invasion im Nachbarstaat Libyen für Demokratie und Menschenrechte. Die Nato nutzte die Gelegenheit, um in Libyen einen Krieg zu beginnen und damit im ganzen Nahen Osten zu intervenieren.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 26.01.2012
Ein Jahr nach der ägyptischen Revolution
http://www.wsws.org/de/2012/jan2012/egyp-j26.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Januar 2012