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GLEICHHEIT/4139: Generalstreik gegen zweites Sparpaket in Portugal


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Generalstreik gegen zweites Sparpaket in Portugal

Von Paul Mitchell
27. März 2012


Am 22. März wurde Portugal von einem Generalstreik lahmgelegt. Die Arbeiter demonstrierten damit gegen Sparmaßnahmen und Arbeitsmarktreformen.

Die Lissaboner U-Bahn, die täglich mehr als eine halbe Million Passagiere transportiert, blieb geschlossen. Eisenbahn,- Bus- und Fährunternehmen in der Hauptstadt und der zweitgrößten Stadt des Landes, Porto, reduzierten ihre Dienstleistungen. Auch viele Schulen, Krankenhäuser, Gerichte, Regierungsbehörden, Postämter, Bibliotheken, Museen, Müllabfuhren und Häfen waren betroffen.

Im Privatsektor beteiligten sich 60 bis 100 Prozent aller Arbeiter an Streiks gegen Bosch, Portugal Energy, Delphi Automotive, Parmalat, Citroen, Saint-Gobain, Tenneco, RTS Group und andere große Bauunternehmen.

Es gab keine offiziellen Zahlen darüber, wie viele Arbeiter sich an dem Streik beteiligten. Die rechte Koalition aus Sozialdemokraten, Demokratischem und Sozialem Zentrum und Volkspartei hat beschlossen, keine Schätzungen zu veröffentlichen, da das zu einer Kontroverse führen würde, die die Regierung vermeiden will. Meldungen deuten jedoch darauf hin, dass sich mehr Arbeiter daran beteiligten als die 25 Prozent an dem Generalstreik im November 2011.

Letztes Jahr hatte sich die UGT am Generalstreik beteiligt, unterzeichnete jedoch im Januar ein Reformpaket für den Arbeitsmarkt, das von der Europäischen Union und dem Internationalen Währungsfonds als Gegenleistung für das Rettungspaket der Troika (EU, IWF, Europäische Zentralbank) in Höhe von 78 Milliarden Euro im Mai letzten Jahres gefordert wurde. Diese Reformen erlauben die Kürzung von Urlaubsgeld, Abfindungen, Überstundenzuschlag und Arbeitslosenhilfe, die Flexibilisierung von Arbeitszeiten. Sie erleichtern es Arbeitgebern, Arbeiter zu entlassen und höhlen das Tarifrecht aus. Zuvor wurden bereits durch Sparmaßnahmen Löhne und Renten gesenkt, die Privatisierung der öffentlichen Unternehmen begonnen, Eigenleistungen für medizinische Versorgung eingeführt und die Mehrwertsteuer und die Gebühren für öffentliche Verkehrsmittel sowie die Studiengebühren erhöht.

Die portugiesische Regierung wurde von der EU gelobt, weil sie durch das Sparprogramm ihr Haushaltsdefizit drastisch senken konnte. Nach neuesten Schätzungen der Regierung beträgt das Defizit etwa vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes, deutlich unter dem Soll von 5,9 Prozent

Portugal ist bereits das ärmste Land Westeuropas. Das Wirtschaftswachstum betrug in den zehn Jahren bis 2010 nur ein Prozent. Die Kahlschlagspolitik der Regierung hat zur schlimmsten Rezession seit 1975 geführt. Im Jahr 2011 sank die Wirtschaftsleistung um 1,5 Prozent, Prognosen zufolge wird sie dieses Jahr um 3,3 Prozent sinken.

Dennoch sind die Staatsschulden Portugals von 92 Prozent des BIP im Jahr 2010 auf 110 Prozent Ende 2011 gestiegen. Ratingagenturen haben seine Staatsanleihen auf Ramsch-Status heruntergestuft. Berichten zufolge wird Portugal nicht in der Lage sein, im September 2013 Darlehen auf den internationalen Geldmärkten zu erhalten und ein weiteres Rettungspaket brauchen.

Das Grunddefizit hat sich in den ersten beiden Monaten des Jahres 2012 verdreifacht, da die Rezession Steuererträge und andere Einkünfte der Regierung mindert und zu wachsenden Ausgaben für Arbeitslosenhilfe führt. Die Lage wird sich noch weiter verschlimmern, wenn der Nachbarstaat Spanien, in den mehr als 25 Prozent aller portugiesischen Exporte gehen, zu einem Rettungspaket gezwungen wird.

Immer mehr kleinen und mittelständischen Unternehmen droht der Bankrott, während große Firmen das Land in Richtung europäischer Steuerparadiese verlassen. Der Supermarktriese Jeronimo Martins, dessen Gewinne im Jahr 2011 um 21 Prozent stiegen, hat vor kurzem die Hälfte seines Kapitals in die Niederlande geschafft, um weniger Steuern zahlen zu müssen.

Der Verkauf von Staatseigentum ist nur langsam vonstatten gegangen, chinesische Unternehmen gehörten zu den wenigen Bietern. Als ein Viertel des Stromnetzbetreibers REN letzten Monat für 387 Millionen Euro verkauft wurde, gab es zuletzt nur noch einen Bieter - ein Joint Venture aus China State Grid und Oman Oil. Ähnliche Probleme könnte es bei der geplanten Privatisierung des Luftfahrtunternehmens TAP, des Flughafenbetreibers ANA, Teilen des Postunternehmens CTT, Wasserwerken, staatlichen Banken, dem Bahnbetreiber CP und dem Ölunternehmen Galp geben.

Ökonomen behaupten, das Land benötige angesichts der wachsenden Rezession ein zweites Rettungspaket. Dadurch werden die Haushaltsziele und die geplante Rückkehr auf den Anleihenmarkt in Frage gestellt. Die Zinsen für Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit betrugen am Mittwoch 12,5 Prozent, mehr als doppelt soviel wie als vertretbar gilt, Ende Januar hatten sie sogar 17 Prozent betragen. Goldman Sachs nimmt an, dass Portugal in den nächsten zwei Jahren weitere 50 Milliarden Euro brauchen wird.

Arnab Das, Leitender Direktor für Marktforschung und Strategie bei Roubini Global Economics, sagte auf CNBC: "Unserer Meinung nach ist Griechenland erledigt, danach kommt Portugal und dann Irland."

Er warnte, die EZB habe zwar die Liquidität der Banken erhöht, aber es wurde nichts gegen das zentrale Problem der Zahlungsfähigkeit oder Kapitalisierung getan. "Wir haben zwar die schlimmste Finanzkrise der Geschichte abgewendet, aber wir haben noch nichts gegen ihre Kernursachen unternommen", erklärte er.

Für die Arbeiterklasse waren die Sparmaßnahmen eine Katastrophe. Die Arbeitslosenquote hat im Jahr 2011 12,7 Prozent erreicht und wird vermutlich auf 14,5 Prozent steigen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist in nur neun Monaten von 27 auf 35 Prozent gestiegen. Das sind fast 160.000 Arbeitslose. Durch den monatlichen Netto-Mindestlohn von 432 Euro rutschen Hunderttausende in die Armut. Ein Viertel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze.

Im Februar starben unerwartet eintausend Menschen zusätzlich, was die Regierung auf Grippe und die Kältewelle schob. Allerdings haben die Medien Berichte veröffentlicht, laut denen die Todesursache mit steigenden Heizkosten und Kosten im Gesundheitswesen zusammenhängt. So kostet ein Besuch in einer Notfallklinik 20 Euro statt, wie bisher, neun Euro. Der Präsident des Nationalen Verbandes der Ärzte im Öffentlichen Dienst erklärte: "Ich kenne Menschen, die nicht mehr ins Krankenhaus gehen, keine Medikamente mehr kaufen und sich nicht mehr untersuchen lassen, weil sie sich die Gebühren nicht mehr leisten können."

Die EU lobte die PSD-CDS-Regierung und die PS, die sie im Juni abgelöst hatte, weil sie Proteste wie in Griechenland und in Spanien verhindert haben. Das liegt vollkommen in der Verantwortung der Kommunistischen Partei Portugals, der Gewerkschaft CGTP und des kleinbürgerlichen Linken Blocks (BE). Sie leisten pro forma Widerstand, um die Arbeiter mit Appellen an die Regierung, die Schulden neu zu verhandeln, ruhigzustellen.

UGT-Generalsekretär Joao Proenca sagte, er sei von "Führern der Mehrheitsgewerkschaft CGTP" "ermutigt" worden, den Arbeitsmarktreformen zuzustimmen, bevor sie die Gespräche abbrachen. Die BE fordert eine Auflistung der Schulden, um sie zu überprüfen und nur diejenigen abzulehnen, die sie als "unrechtmäßig" einschätzt.

Bei den Wahlen im Jahr 2009 gewannen PCP und BE fast 18 Prozent der Stimmen und hatten großen Rückhalt unter den Angestellten im öffentlichen Dienst. Bei der Wahl im letzten Jahr fiel ihr Anteil durch die Halbierung der Stimmen für die BE auf weniger als 13 Prozent. Das ist die Quittung für ihre bedingungslose Unterstützung für die PS und die Gewerkschaftsbürokratie.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 27.03.2012
Generalstreik gegen zweites Sparpaket in Portugal
http://www.wsws.org/de/2012/mar2012/port-m27.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. März 2012