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GLEICHHEIT/4227: EU-Gipfel - Europas Staatschef uneins, Märkte stürzen ab


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

EU-Gipfel: Europas Staatschef uneins, Märkte stürzen ab

Von Stefan Steinberg
25. Mai 2012



Die europäischen Staatschefs konnten sich in Brüssel nicht auf konkrete Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise einigen.

Nach dem sechsstündigen Gipfel in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag konnten die Staatschefs der größten Wirtschaftsmächte ihre wachsenden Unstimmigkeiten in wirtschaftspolitischen Fragen nicht überspielen. Vor allem der Vorschlag des neuen "sozialistischen" französischen Präsidenten Francois Hollande, Eurobonds einzuführen, der angeblich von der Mehrheit der anwesenden Staatschefs unterstützt wurde, war umstritten. Eurobonds haben die Wirkung, die Zinssätze für Staatsschulden in ganz Europa zu vereinheitlichen. Eng damit verbunden ist die Frage der Unterstützung für die krisengeschüttelten Banken des Kontinents.

Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnte Eurobands kategorisch ab, da sich die Bundesregierung weigert, die schwächeren Wirtschaften der Eurozone zu subventionieren.

"Es gab Differenzen in der Diskussion über Eurobonds," erklärte Merkel der Presse nach dem Gipfel. Während des Gipfels lehnte sie Hollandes Argumente angeblich mit der Begründung ab, Eurobonds würden "zum Wachstum weder beitragen, noch es stimulieren."

Hollande erklärte: "Wir sind nicht zusammengekommen, um uns zu streiten... aber wir müssen sagen, was wir denken, was die richtigen Instrumente, Methoden, Schritte und Initiativen sind, um Wachstum zu schaffen."

Der Gipfel endete spät in der Nacht ohne Einigung darüber, welche Methoden, Schritte und Initiativen gegen die wachsende Krise aufgeboten werden sollen.

Das einzige, worüber Einigkeit herrschte, war, dass Griechenland in der Eurozone bleiben solle und eine neue Regierung die drastischen Sparmaßnahmen umsetzen müsse.

"Wir wollen, dass Griechenland den Euro behält, aber wir bestehen darauf, dass es sich an seine vereinbarten Verpflichtungen hält", sagte Merkel vor der Presse.

Hollande erklärte: "Frankreich und Europa wollen, dass Griechenland in der Eurozone bleibt... Wir wollen, dass es seine Verpflichtungen erfüllt, aber wir wollen ihm auch zeigen, dass wir ihm wieder Hoffnung geben wollen."

Trotz kleinerer rhetorischer Unterschiede besteht Konsens darüber, dass die Arbeiterklasse Griechenlands und ganz Europas, für die Krise zahlen soll, die der Kapitalismus geschaffen hat.

Die Spaltungen, die vor dem Hintergrund einer wachsenden Rezession in Europa aufbrechen, führten in ganz Europa zu sinkenden Aktienkursen. Die europäischen Märkte haben letzte Woche nach einem Kurssturz der wichtigsten Aktienindizes ihre schwersten Verluste seit einem Monat gemacht. Der britische FTSE 100 fiel um 2,5 Prozent, der französische CAC um 2,6 Prozent, und der deutsche DAX um 2,4 Prozent. Der spanische Hauptindex IBEX fiel um 3,3 Prozent und der Euro ist im Vergleich zum Dollar auf dem tiefsten Stand seit fast zwei Jahren. Die Öl- und Warenpreise sanken, was auf Sorgen über einen möglichen Zerfall der Eurozone vonseiten der Märkte hindeutet.

Die Märkte reagierten gleichzeitig auf die Unfähigkeit der EU-Staatschefs, sich auf neue Maßnahmen zur Finanzierung des europäischen Bankensystems zu einigen, und auf Berichte, dass einige europäische Regierungen, allen voran Deutschland, Pläne für einen Austritt Griechenlands aus dem Euro vorbereiten. Reuters meldete, dass Vertreter der Finanzministerien der Eurozonenstaaten zu einer Telefonkonferenz zusammenkamen, um ihre Notfallpläne für einen Austritt Griechenlands zu erläutern.

Spekulationen über den Austritt Griechenlands wurden auch durch einen Bericht der deutschen Zentralbank angeheizt, laut dem dieser Austritt "verkraftbar" wäre.

Dass die europäischen Staatschefs in Brüssel keine Einigung erzielten, war nicht wirklich überraschend. In seiner Einladung zu dem informellen Abendessen in Brüssel hatte Präsident Van Rompuy ausdrücklich ausgeschlossen, dass verbindliche Maßnahmen beschlossen würden. Er schrieb: "In diesem Stadium haben wir noch nicht vor, Schlüsse zu ziehen und Entscheidungen zu fällen", sondern uns auf das Treffen des Europäischen Rates im Juni vorzubereiten.

Vor dem Gipfel wurde auf Deutschland und seine wenigen Verbündeten in den nordeuropäischen Staaten von den Vereinigten Staaten, Frankreich und Italien großer Druck ausgeübt. Alle forderten mehr Ausgaben, um zusätzlich zu der drastischen Sparpolitik eine sogenannte Wachstumskomponente zu finanzieren. Eine der Hauptforderungen, die letzte Woche bei dem G-8-Gipfel erhoben wurde, war die Einführung von Eurobonds, um einen neuen Stabilisierungsmechanismus für das europäische Bankensystem zu schaffen. Am Dienstag stellten sich auch die OECD und der IWF hinter diese Idee.

Bundeskanzlerin Merkel lehnte den Vorschlag rundheraus ab, da derartige Maßnahmen EU-Verträge verletzen würden.

Außerdem werden Maßnahmen gefordert, um massive staatliche Geldbeträge an die kränkelnden europäischen Banken zu verteilen. Der spanische Premierminister Mariano Rajoy hatte sich vor dem Gipfel beklagt, dass die Einführung von Eurobonds ein zu langwieriger Prozess sei und wollte schnellere Hilfe für die notleidenden Banken seines Landes.

Es werden zwei Vorschläge propagiert: Zum einen soll der europäische Fonds ESM mehr Macht erhalten, um Geld direkt an die Banken zu verteilen, statt an die Regierungen; außerdem sollen die Befugnisse der Europäischen Zentralbank erweitert werden, damit sie mehr Geld direkt in die Banken stecken kann, ohne den Umweg über die nationalen Regierungen zu nehmen.

Beide Maßnahmen werden von der Bundesregierung vehement abgelehnt, da sie fürchtet, zum Hauptgläubiger für die faulen Darlehen zu werden, die in den Tresoren vieler europäischer Banken lagern.

In den letzten Tagen kam es in Griechenland und Spanien zum Sturm auf die Banken. Groß- und Kleinanleger haben aus Angst vor einem Zusammenbruch ihre Ersparnisse abgehoben. Die Angst vor solch einem Zusammenbruch zeigte sich auch in der Warnung des Chefs der politischen Abteilung der Bank of England, Adam Posen, auf einer Konferenz in Tokio am Montag. Er erklärte dort, Europas Staatschefs sollten sich darauf einstellen, weitere Milliarden in ihre Banken zu stecken, um der Schuldenkrise zu trotzen. Posen sagt, das Hauptproblem in Europa sei nicht Griechenland, sondern die finanzielle Anfälligkeit des Bankensektors durch unterkapitalisierte Banken.

Den Warnungen Posens und anderer vor einem drohenden Bankencrash ging Anfang der Woche ein Bericht der OECD voraus, in der sie davor warnte, dass eine wachsende Krise in Europa die Weltwirtschaft aus dem Gleichgewicht zu bringen drohe. Wirtschaftsdaten deuteten darauf hin, dass Europa und die Welt vor einer neuen Stufe der Wirtschaftskrise stünden, die 2008 mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers begann.

Die Unfähigkeit der 27 Staatschefs Europas, die sich in Brüssel trafen, um eine zusammenhängende, gemeinsame Reaktion zu formulieren, zeigt, wie tief die Krise des europäischen und des Weltkapitalismus ist. Aber in einem sind sie sich alle einig: Dass die europäische Arbeiterklasse den vollen Preis für die Krise zahlen soll.

Jeder Vorschlag, egal ob Merkels "weiter so" oder Hollandes Forderungen nach einer Wachstumsstrategie, bedeuten weitere brutale Angriffe auf die Arbeiterklasse.

"Konjunkturpakete" bedeuten nur: "Mehr Geld für die Superreichen, mehr Opfer für alle anderen, die dafür zahlen müssen." Rettungspakete aller Art werden weiter in die Tresore der Banken und die Taschen der Superreichen fließen. Laut den Vorschlägen der Europäischen Kommission würde ein "Aufschwung mit neuen Arbeitsplätzen" Maßnahmen erfordern, die "die Nachfrage nach Arbeitern unterstützen" - das heißt nichts anderes als Lohnkürzungen, Mehrarbeit und die Senkung von Unternehmenssteuern.

Solange das Schicksal der Arbeiter Europas in den Händen der kapitalistischen Politiker und der Banken und Konzerne bleibt, gibt es kein gutes Ergebnis. Das kann nur durch die Herrschaft der Arbeiterklasse - in den Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa - erreicht werden. Nur so kann dafür gesorgt werden, dass der Reichtum und die Produktionsmittel des Kontinents vor den vampirhaften Forderungen der Spekulanten und ihrer Kumpane in Paris, Berlin, London und Brüssel sicher sind und zum Wohl der Gesellschaft genutzt werden: Zur Schaffung von Arbeitsplätzen, Bildung und einem Gesundheitssystem für die Allgemeinheit.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 25.05.2012
EU-Gipfel: Europas Staatschef uneins, Märkte stürzen ab
http://www.wsws.org/de/2012/mai2012/euro-m25.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Mai 2012