Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GLEICHHEIT/4392: Nach Mord an Botschafter entsenden USA Marines nach Libyen


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Nach Mord an Botschafter entsenden USA Marines nach Libyen

Von Bill Van Auken
15. September 2012



Nachdem der amerikanische Botschafter und drei weitere Botschaftsangehörige am Dienstag bei einem Sturm auf das amerikanische Konsulat in Bengasi getötet wurden, entsandte die Obama-Regierung eine Eliteeinheit von Spezialkräften der amerikanischen Marineinfanterie nach Libyen.

Der Tod des Botschafters Christopher Stevens ist die erste Tötung eines US-Gesandten seit dem Tod des amerikanischen Botschafters in Afghanistan im Jahr 1979. Zusammen mit der Erstürmung der US-Botschaft in Kairo durch islamistische Demonstranten führte er zu erbitterten politischen Schuldzuweisungen in Washington.

Allem Augenschein nach ist der Angriff in Libyen ein Fall, in dem einer in eine selbst ausgehobene Grube fiel. Botschafter Stevens war selbst tief in die Politik verwickelt, die schließlich in seinem eigenen Ableben kulminierte. Der Krieg mit dem Ziel eines "Regimewechsels", der letzten Oktober mit dem Lynchmord am früheren Führer Muammar al-Gaddafi durch den Mob endete, wurde mithilfe eines von den USA und der Nato geführten Bombardements sowie der Bewaffnung, Ausbildung und Finanzierung von "Rebellen" durchgeführt, zu denen auch islamistische Elemente gehörten, die aufs Engste mit Al Qaida verbunden sind. Es scheint, dass eben diese Elemente jetzt Stevens getötet haben.

Obwohl der Krieg zur Einsetzung einer Marionettenregierung geführt wurde, die sich den Interessen Washingtons und der westlichen Ölkonzerne unterordnen sollte, und um China eine Lektion zu erteilen, wer der Herr in Nordafrika ist, erwies er sich jetzt als Bumerang.

Zweifellos ist einer der beitragenden Faktoren zu den blutigen Ereignissen vom Dienstag, dass der Krieg der USA und der Nato den libyschen Massen keinen Gewinn brachte. Sie sind zunehmend verbittert über die Verwüstung ihres Landes.

Die beiden Ereignisse in Bengasi und Kairo sowie kleinere Demonstrationen in Tunesien, dem Sudan, Marokko und dem Gazastreifen waren angeblich Reaktionen auf einen provokativen, fanatisch anti-muslimischen Film, der in den Vereinigten Staaten produziert wurde. Filmausschnitte des dilettantischen und karikaturhaften Videos unter dem Titel "Die Unschuld der Muslime" wurden im Juli auf YouTube gepostet. Vor kurzem wurde es ins Arabische synchronisiert und nach der Ausstrahlung in einem ägyptischen Fernsehprogramm weit verbreitet.

Ursprünglich behauptete ein gewisser Sam Bacile, israelisch-amerikanischer Immobilienentwickler aus Kalifornien, das Video gemacht zu haben, um den Islam zu "entlarven". Es stellte sich später allerdings heraus, dass keine solche Person existiert. Der eigentliche Zweck dieses von rechten christlichen Elementen propagierten Films scheint es zu sein, gewalttätige Konfrontationen zu provozieren.

Die Aufeinanderfolge der Ereignisse in Bengasi bleibt etwas undurchsichtig. Erste Berichte schrieben den Angriff einer als Ansar-al-Scharia-Brigade bekannten Miliz zu, doch diese Gruppe dementierte ihre Beteiligung.

Libyens Vizeinnenminister Wanis al-Scharif versuchte, die Schuld den Unterstützern von Gaddafi anzuhängen, deutete allerdings auch an, dass die Amerikaner für ihr Schicksal selbst verantwortlich seien, weil sie Warnungen vor Angriffen der Al Qaida keine Beachtung geschenkt hätten. "Sie hätten Vorsichtsmaßnahmen ergreifen müssen", sagte er AFP. "Es war ihr Fehler, dass sie nicht die notwendigen Schutzvorkehrungen ergriffen."

Die New York Times zitierte am Mittwoch einen US-Beamten, der angedeutet hätte, dass Stevens' Tod nicht einfach nur zufälliges Nebenprodukt eines spontanen Protestes gewesen sei. "Anhaltspunkte weisen auf die Möglichkeit hin, dass eine organisierte Gruppe entweder auf eine Gelegenheit gewartet hat, Proteste wie etwa gegen das Video auszunutzen oder vielleicht sogar die Proteste als Mantel für ihren Angriff initiierte," berichtete die Times.

Ein libyscher Reporter berichtete der BBC, dass über 80 mit Sturmgewehren, Panzerfäusten, Mörsern und Luftabwehrmaschinengewehren bewaffnete Milizionäre an dem Anschlag teilnahmen.

Andere meinten, dass der Angriff vom 11. September das Werk von mit Al Kaida verbundenen Elementen sein könnte, die den von den USA begangenen Drohnenmord an Abu Jahja al-Libi, dem in Libyen geborenen Al-Qaida-Führer, rächen wollten Al Libi war im Juni in Nord-Waziristan, nahe der afghanischen Grenze, getötet worden.

Scharif sagte, dass zwei der getöteten Amerikaner starben, als amerikanische Sicherheitstruppen, die aus der Hauptstadt Tripolis eingeflogen wurden, versuchten, die amerikanische Belegschaft aus einem sicheren Unterschlupf in Bengasi zu evakuieren, wohin sie während des Angriffs auf das Konsulat gebracht worden waren.

"Wir nahmen an, dies sei ein geheimer Ort und wir waren überrascht, dass die bewaffneten Gruppen ihn kannten. Es gab Schüsse." Scharif äußerte gegenüber Reuters die Vermutung, dass die Angreifer zutreffende Geheimdienstinformationen über die US-Operationen in der Stadt besäßen.

Botschafter Stevens und ein weiteres Mitglied der amerikanischen Botschaftsbelegschaft wurden während des Angriffs auf das Konsulat getötet. Libysche Behörden teilten mit, dass Stevens offenbar infolge der Brände erstickt sei, die von den Panzerfäusten und selbstgemachten Bomben ausgelöst wurden. Das Konsulat wurde geplündert und brannte aus.

Obama betonte am Mittwoch während seiner Ansprache im Rosengarten des Weißen Hauses, dass "die Vereinigten Staaten mit der libyschen Regierung zusammenarbeiten, um die Angreifer der Gerechtigkeit zu überantworten."

Er verdeutlichte nicht, welche Form die "Gerechtigkeit" annehmen werde. Das Weiße Haus befehligte fünfzig Mitglieder der Marineinfanterie nach Libyen. Diese könnten bloß die ersten Elemente einer größeren US-Intervention bilden. Ein hochrangiges Regierungsmitglied sagte am Mittwoch zu Reportern: "Das Verteidigungsministerium ist bereit, weitere militärische Maßnahmen zu ergreifen, wenn der Präsident sie anordnet."

Auch das Pentagon reagiert und verlegt amerikanische Kriegsschiffe vor die libysche Küste. Der Zerstörer USS Laboon bewegte sich am Mittwoch auf eine Position vor Libyens Küste, während sich der Zerstörer USS McFaul Berichten zufolge auf dem Weg befindet. Beide Schiffe führen Tomahawk-Raketen mit sich, die Ziele an Land erreichen können.

Libysche Behörden teilten außerdem mit, dass amerikanische Drohnen regelmäßig über dem nordafrikanischen Land fliegen.

Die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton zeigte sich in ihrer Stellungnahme am Mittwoch verblüfft über den Angriff. "Wie konnte das in einem Land geschehen, dem wir geholfen haben, sich zu befreien, in einer Stadt, die wir vor der Zerstörung gerettet haben? " fragte sie. "Diese Frage reflektiert nur, wie kompliziert und manchmal verwirrend die Welt sein kann."

Clinton hätte sich selbst ihre Frage beantworten können, wenn sie die kriminellen und schmutzigen Methoden deutlich gemacht hätte, die Washington anwandte, um Libyen zu "befreien".

Der Verlust von Stevens, einem hochrangigen amerikanischen Nahostfunktionär, war ein schmerzhafter Schlag. Der fließend Arabisch sprechende Stevens diente an verschiedenen Orten der Region auf mittleren Botschaftsrängen: Er war Chef der politischen Abteilung in Jerusalem, politischer Beamter in Damaskus, konsularischer/politischer Beamter in Kairo und konsularischer/ökonomischer Beamter in Riad. Nachdem er 2007 nach Libyen entsandt worden war, wurde er zunächst als "chargé d'Affaires" geführt, dann als stellvertretender Leiter der Vertretung. Geheime Depeschen, die WikiLeaks veröffentlicht hatte, belegen seine häufigen Treffen mit dem libyschen Führer Muammar Gaddafi, den er einmal einen "bezaubernden und charmanten Gesprächspartner" nannte.

Dann im März letzten Jahres, knapp eine Woche bevor die Vereinigten Staaten und die Nato ihren Krieg für einen Regimewechsel in Libyen begannen, wurde Stevens als amerikanischer "Kontakt zur Opposition" bezeichnet und mit einem Team nach Bengasi entsandt. Ein Sprecher des Außenministeriums sagte, er würde "Wege erkunden, auf denen eine Widerstandsbewegung finanziert werden kann."

Im Rahmen dieser militärischen Intervention haben Washington und seine europäischen, saudischen und katarischen Verbündeten den sogenannten Rebellen Waffen, Ausbildung und schwere Luftunterstützung zukommen lassen. Diese kam auch einer beträchtlichen Anzahl islamistischer Kämpfer zugute, von denen einige mit Al Kaida in Afghanistan oder dem Irak zusammenarbeiteten. Sollte der Anschlag auf das Konsulat von diesen Elementen begangenen worden sein, dann wurden der US-Botschafter und die anderen Amerikaner offenbar von Waffen und Munition getötet, die von der Nato geliefert wurden.

Auch nach den Wahlen im Juli fahren islamistische Milizen fort, substanzielle Macht in Libyen auszuüben. Die libysche Interimsregierung ist nicht in der Lage, die verschiedenen bewaffneten Gruppen zu entwaffnen und ihre eigene Autorität durchzusetzen. In den vergangenen Wochen haben bewaffnete Milizionäre mit Bulldozern Heiligengräber und Moscheen des sufistischen Zweigs des Islam in Tripolis zerstört. Auch in anderen Städten ereigneten sich Zusammenstöße, die zu zahlreichen Toten und Verwundeten führten.

Der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney veröffentlichte Dienstagnacht eine Stellungnahme, in der er seine Entrüstung über die Angriffe in Libyen und Ägypten aussprach und feststellte: "Es ist beschämend, dass die Obama-Regierung nicht als erstes die Angriffe auf unsere diplomatischen Vertretungen verurteilte, sondern denjenigen, die diese Angriffe ausführten, ihre Sympathie bekundete."

Romney bezog sich auf eine Stellungnahme der US-Botschaft in Ägypten, die Stunden vor der Zusammenrottung von tausenden Demonstranten vor der Botschaft herausgegeben wurde. Die Protestierenden erklommen die Wände der Botschaft, holten die amerikanische Fahne ein und ersetzten sie durch eine schwarze Flagge, die von islamistischen Gruppen verwendet wird. Die Stellungnahme verurteilte die "Versuche fehlgeleiteter Individuen, die Gefühle gläubiger Muslime zu verletzen" und sollte den Protesten vorbeugen. Berichten zufolge rief die Botschaft auch die salafistische Nur-Partei auf, diese Stellungnahme zu übermitteln und bat sie, die Demonstration abzusagen.

In einem CBS-Interview antwortete Obama, dass Romney wohl die Angewohnheit habe, "erst zu schießen und dann zu zielen".

Hinter diesen oberflächlichen politischen Anwürfen stehen zweifellos tiefere Bedenken der herrschenden Elite gegen die Politik von "Regimewechseln", die sowohl in Libyen als auch Syrien von islamistischen Kräften ausgeführt werden, die amerikanische Rückendeckung genießen. Im Verlaufe dieses Prozesses wird der gesamte Nahe Osten destabilisiert.

*

Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: psg[at]gleichheit.de

Copyright 2012 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten

*

Quelle:
World Socialist Web Site, 15.09.2012
Nach Mord an Botschafter entsenden USA Marines nach Libyen
http://www.wsws.org/de/2012/sep2012/beng-s15.shtml
Partei für Soziale Gleichheit,
Sektion der Vierten Internationale (PSG)
Postfach 040 144, 10061 Berlin
Telefon: (030) 30 87 27 86, Telefax: (032) 121 31 85 83
E-Mail: psg[at]gleichheit.de
Internet: www.wsws.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. September 2012