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GLEICHHEIT/4557: USA und Deutschland warnen Großbritannien vor EU-Austritt


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

USA und Deutschland warnen Großbritannien vor EU-Austritt

Von Julie Hyland
23. Januar 2013



Premierminister David Cameron sah sich gezwungen, eine Grundsatzrede über Großbritanniens Beziehungen zur Europäischen Union zu halten, nachdem sein Vorschlag eines Referendums über die britische EU-Mitgliedschaft zu scharfen internationalen Reaktionen führte.

Es wurde erwartet, dass Cameron am 22. Januar eine Rede halten werde, in der er seine Haltung klarstellt, aber nachdem er von amerikanischen und deutschen Politikern ungewöhnlich scharf öffentlich kritisiert worden war, sollte Rede schon am Freitag, den 18. Januar, gehalten werden. [Sie wurde dann wegen der Geiselnahme in Algerien verschoben]

Cameron hatte im September erklärt, alle Änderungen der bestehenden EU-Verträge würden eine "neue Zustimmung" der britischen Bevölkerung erfordern. Er nahm zwar das Wort "Referendum" nicht in den Mund, aber seine Bemerkung wurde so ausgelegt, als hätte er dies vor.

Seine Bemerkungen zielten darauf ab, den einflussreichen euroskeptischen Flügel der Konservativen Partei zufrieden zu stellen, aber sie verschärften die Spannungen nur. Im November erlitt Cameron im Parlament seine schwerste Niederlage: seine Regierung hatte sich dafür ausgesprochen, den EU-Haushalt nicht zu erhöhen, aber auch nicht zu senken. Mehr als fünfzig konservative Abgeordnete rebellierten dagegen. Im Dezember gab es mehrere Nachwahlen, bei denen konservative Kandidaten auf den dritten oder vierten Platz hinter der europaskeptischen UK Independence Party kamen.

Deshalb versprach Cameron, seine Haltung zur EU klarzustellen. Es wurde erwartet, dass er zwar weiter die Mitgliedschaft in der EU unterstützen werde, dass er aber auch erklären werde, wie er durch Verhandlungen über Änderungen der EU-Verträge die "Rückgabe" bestimmter Befugnisse von Brüssel nach London forcieren wolle. Wenn die Konservativen 2014 wiedergewählt werden, wird es vermutlich 2018 ein Referendum über die neuen Bedingungen geben.

Obwohl es sich bei all dem um Hypothesen handelt, reichte die bloße Andeutung der Möglichkeit eines Referendums, um eine feindselige Reaktion der wichtigsten Partner Großbritanniens und der Wirtschaft zu provozieren.

Als erstes meldete sich Philip Gordon zu Wort, der stellvertretende US-Außenminister für europäische Angelegenheiten. In einer kaum verhohlenen Drohung erklärte Gordon, Washington "begrüße eine nach außen gerichtete Europäische Union, zu der Großbritannien gehört. Wir profitieren davon, wenn die EU vereint ist, mit einer Stimme spricht und sich für unsere gemeinsamen Interessen in der Welt und in Europa einsetzt.

"Wir wollen, dass Großbritannien in dieser Europäischen Union viel Einfluss hat", erklärte er. "Das ist im Interesse Amerikas."

Am darauffolgenden Tag gab der deutsche CDU-Politiker und Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union Gunther Krichbaum eine Pressekonferenz in der deutschen Botschaft in London. Krichbaum erklärte, eine Neuverhandlung des Vertrages von Lissabon sei "vor allen Dingen rechtlich unmöglich." Jeder Versuch würde außerdem einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen. Er erklärte weiter, es sei "weder weise noch nützlich, die Büchse der Pandora zu öffnen."

Er bezweifelte auch, dass ein Referendum eine gute Idee sei und warnte Großbritannien davor, die anderen 26 Mitgliedsstaaten "erpressen zu wollen". Ein Ausstieg Großbritanniens aus der EU wäre auch für Großbritannien "eine wirtschaftliche Katastrophe."

"Großbritanniens Austritt [aus der EU] würde zwar die europäische Idee schwächen, aber Großbritanniens Stellung in der Welt noch mehr", warnte er.

Pier Luigi Bersani, der Chef der italienischen Demokratischen Partei - und Wunschkandidat für die Führung einer Koalitionsregierung nach den Wahlen im nächsten Monat - erklärte am Montag, man dürfe Großbritannien nicht erlauben, die EU zu "lähmen", und Schritte zu einer "weiteren Integration" der Eurozone zu verhindern.

Camerons Haltung trifft auf starken Widerstand des britischen Finanzkapitals und der Wirtschaft. Die Confederation of British Industrie warnte ihn davor, "das Kind mit dem Bade auszuschütten." CBI-Chef John Cridland betonte in einer Neujahrsrede, dass Großbritannien nur auf einer "EU-weiten Grundlage" international und besonders mit den USA neue Freihandelsabkommen durchsetzen könne.

Auch aus der eigenen Partei und von seinem Koalitionspartner, den Liberaldemokraten, schlägt Cameron Widerstand entgegen. Der ehemalige stellvertretende Premierminister Lord Heseltine kritisierte die Idee eines Referendums als "unüberlegt."

Die Labour Party inszeniert sich als lautstarker Gegner eines Referendums. Labour-Chef Ed Miliband bezeichnete Camerons Haltung als "unglaublich gefährlich" und als "Schlafwandeln in Richtung Austritt." Miliband bezeichnete ein Referendum als "falsches Vorgehen" und "nicht im nationalen Interesse" und weigerte sich, es mit seiner Partei zu unterstützen.

Später gab der konservative Minister Kenneth Clarke bekannt, er werde zusammen mit Peter Mandelson von der Labour Party in der überparteilichen Organisation Centre for British Influence through Europe eine "patriotische Gegenoffensive für die Führung Großbritanniens" starten.

Diese Reaktion hat mehrere Aspekte.

Zum einen zeigt sie die extreme Nervosität, was das Schicksal des Euro und der EU angeht. Trotz allem Gerede, Europa habe das Schlimmste hinter sich, nehmen die Anzeichen für eine Rezession in Europa und in der Weltwirtschaft zu.

Außerdem sind sich die herrschenden Mächte bewusst, dass sich auf dem ganzen Kontinent ein gesellschaftlicher Druck aufbaut.

Die EU wurde geschaffen, um den Interessen der europäischen Großkonzerne zu dienen. Durch Privatisierungen und Deregulierung sollte ein Handelsblock gegen ihre Hauptkonkurrenten geschmiedet werden. Nach Beginn der Krise des Weltkapitalismus im Jahr 2008 wurden die massiven Verluste der Banken mit Steuergeldern ausgeglichen, und brutale Haushaltskürzungen durchgeführt.

Griechenland wurde zum Versuchslabor - hier wurden fünf Sparpakete hintereinander verabschiedet. Arbeitsplätze, Löhne, Renten und Sozialleistungen wurden fast restlos geplündert. Obwohl bereits Millionen ins Elend gestürzt wurden und die Wirtschaft noch tiefer in die Rezession gestoßen worden ist, fordern die Regierungen Europas und der Welt noch weitere sadistische Kürzungen.

In Spanien, Portugal, Irland und Italien werden ähnliche Verhältnisse geschaffen. Aber wie Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Weihnachtsansprache erklärte, wird dies letztlich auf den ganzen Kontinent ausgedehnt. Merkel warnte davor, dass der Sozialstaat unbezahlbar werde, und betonte, Europa müsse sich nach den neuen Standards internationaler Wettbewerbsfähigkeit richten, die von Indien und China gesetzt werden.

Die britische Bourgeoisie unterstützt diese Forderung nach einer sozialen Konterrevolution gegen die europäische Arbeiterklasse. Sie selbst setzt eines der drakonischsten Sparpakete Europas um.

Deshalb unterstützen Cameron, seine Regierung und die herrschende Elite Maßnahmen für eine "engere Integration" der EU, auch wenn Cameron fordert, bestimmte Befugnisse neu zu verhandeln, um das britische Kapital und seine unrechtmäßig erworbenen Reichtümer vor Gefahren zu schützen. Sie versuchen, mithilfe der EU die wirtschaftlichen, politischen und staatlichen Voraussetzungen zu schaffen, um auf dem ganzen Kontinent Massenarmut durchzusetzen.

Das ist der Grund, warum die EU und ihre Mitgliedsstaaten zunehmend zu undemokratischen und autoritären Methoden greifen. Auf wiederholte Massenproteste gegen die Sparmaßnahmen der EU reagieren sie mit Verachtung und Gleichgültigkeit. Wenn die EU und ihr Partner, der Internationale Währungsfonds, unzufrieden damit sind, wie eine bestimmte Regierung ihre Forderungen umsetzt, setzen sie einfach einen ungewählten Kandidaten als Regierungschef ein, wie Mario Monti in Italien und zuvor Lukas Papademos in Griechenland.

Selbst die hypothetische Möglichkeit eines Referendums in Großbritanniens, dessen Ergebnis ein Austritt Großbritanniens aus der EU ("Brexit) sein könnte, provoziert Forderungen, es unter keinen Umständen durchzuführen.

Diese Ereignisse sind ein weiteres Beispiel dafür, wie die Interessen der internationalen Finanzoligarchie die Politik bestimmen. Das kommt daher, dass die arbeitende Bevölkerung keine Instrument hat, mit dem sie für ihre unabhängigen Klasseninteressen kämpfen kann. In allen Ländern können rechte und sogar faschistische Kräfte den berechtigten Unmut gegen die EU auf die Mühlen ihrer reaktionären Politik lenken, weil die offiziellen "linken" Parteien und die Gewerkschaften sie vorbehaltlos verteidigen.

Das wird nirgendwo so deutlich wie in Griechenland, wo die Oppositionspartei SYRIZA, die mit ihrem verbalen Widerstand gegen den Sparkurs bedeutende Unterstützung gewonnen hat, jeden Bruch mit der EU ablehnt. Der Linksblock in Portugal betreibt die gleiche Politik, ebenso die United Left Alliance in Irland, und die meisten pseudolinken Tendenzen in Europa. Sie agieren als Stützen der Bourgeoisie bei ihrem Versuch, Sparpolitik durchzusetzen, während die Rechtsextremen das Bündnis zwischen "Linken" und der EU der Großkonzerne für ihre eigenen reaktionären und nationalistischen Ziele ausnutzen können.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 23.01.2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Januar 2013