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GLEICHHEIT/4866: US-Haushalt- und Schuldenkrise - Renten und Krankengeld jetzt im Visier


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

US-Haushalt- und Schuldenkrise:
Renten und Krankengeld jetzt im Visier

Von Patrick Martin
10. Oktober 2013



Sprecher der Obama-Regierung und der Republikaner im Kongress ließen am Sonntag erkennen, dass sie die Washingtoner Gespräche über die Haushalts- und Schuldenkrise jetzt auf Kürzungen bei den großen Sozialprogrammen Social Security (Renten) und Medicare umlenken wollen.

Demokraten und Republikaner nutzen die teilweise Stilllegung der Bundesbehörden und die drohende Deadline für die Anhebung der Schuldenobergrenze am 17. Oktober bewusst aus, um eine Krisenatmosphäre zu schaffen, in der soziale Kürzungen als gerechtfertigt erscheinen. Die große Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung lehnt solche Kürzungen bisher ab.

Die Republikaner, die im Repräsentantenhaus die Mehrheit haben, provozierten den Shutdown der Bundesbehörden. Sie wollten die notwendigen Finanzmittel für die Bundesregierung zum Beginn des neuen Haushaltsjahres am 1. Oktober nur dann bewilligen, wenn die Obama-Regierung die Finanzierung der Gesundheitsreform aussetzen würde.

Der Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner, signalisierte in einem Interview in der Sendung "This Week" auf ABC News eine Änderung dieser Haltung. Er erklärte dem Interviewer George Stephanopoulos, jetzt bestehe ein Zusammenhang zwischen dem Shutdown der Bundesregierung und der Schuldenobergrenze. Als Preis für jede Zustimmung zu weiterer Schuldenaufnahme der Bundesregierung werde er Kürzungen bei den Renten und der Sozialhilfe verlangen.

Er machte klar, dass trotz der rechten populistischen Demagogie der Tea Party der wirkliche Feind der Republikaner nicht Obama ist, sondern die amerikanische arbeitende Bevölkerung insgesamt und insbesondere die Dutzenden Millionen Rentner, die auf die Rentenzahlungen von Social Security und auf Medicare für ihre Gesundheitsversorgung angewiesen sind.

"Schauen wir uns doch an, wo das Problem liegt", sagte er. "10.000 Baby-Boomer wie ich gehen jeden Tag in Rente. 70.000 jede Woche. 3,5 Millionen dieses Jahr. Und es ist ja nicht so, dass Social Security oder Medicare Rücklagen hätten. Die Regierungen der letzten Jahre haben alles ausgegeben."

"Wie wir wissen, sind diese Programme für Dutzende Millionen Amerikaner wichtig", fuhr er fort. "Aber wenn wir die zugrunde liegenden Probleme nicht in Angriff nehmen, dann sind sie nicht tragfähig."

In der Orwellschen Sprache, die in Washington vorherrscht, bedeuten die "tragfähige" Gestaltung von Sozialhilfe nicht etwa, die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, sondern die Leistungen zusammenzustreichen, die Ansprüche einzuschränken, das Renteneintrittsalter anzuheben und Social Security und Medicare praktisch zu zerstören. Das alles im Namen ihrer "Rettung".

Gleichzeitig wies Boehner kategorisch zurück, die Superreichen auch nur mit einem einzigen zusätzlichen Penny zu besteuern, obwohl der Reichtum der Milliardäre beispiellose Ausmaße angenommen hat. "Es ist ganz einfach", erklärt er. "Wir werden keine Steuern erhöhen."

Finanzminister Jack Lew erklärte die Haltung der Obama-Regierung zum Haushalts- und Schuldenkonflikt am Sonntag gleich in fünf Fernsehsendungen. Er betonte, Obama sei bereit, bei den Ausgaben für Sozialprogramme Zugeständnisse zu machen, sobald der Kongress Geld für die Finanzierung der Regierungsarbeit bereitgestellt und die Anhebung der Schuldenobergrenze beschlossen habe, damit das Finanzministerium wieder normal Kredite aufnehmen könne.

Vertreter des Weißen Hauses und die Kongressdemokraten haben wiederholt versichert, dass sie das Ausgabenniveau der Republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus akzeptieren, das um siebzig Milliarden Dollar unter den Haushaltsansätzen des Senats liegt. Sie seien aber nicht bereit, Obamacare zu opfern, d.h. die Gesundheitsreform, die in Zusammenarbeit mit den Arzneimittel- und Versicherungskonzernen ausgearbeitet wurde, um die Kosten für Wirtschaft und Staat zu senken.

In seinem Interview in NBCs "Meet the Press" sagte Lew: "Der Präsident war und ist bereit, über die Haushaltspolitik zu verhandeln. Er hat die letzten drei Jahre ständig versucht, eine Kompromisslinie zu finden. Er hat ein Angebot nach dem anderen gemacht, eine Verhandlung nach der anderen geführt."

Lew fügte hinzu: "Wir sind gerne bereit, über eine vernünftige Politik zum Thema Sozialreform und Steuerreform zu verhandeln, die Schlupflöcher schließt. Dazu sind wir gerne bereit."

In der Geheimsprache der kapitalistischen Politiker bedeutet "Sozialreform" Kürzungen der Leistungen von Medicare und Social Security, während die "Schließung von Steuerschlupflöchern" bedeutet: keine Erhöhung der Steuern für die Superreichen. Stattdessen wird ein Versteckspiel gespielt, bei dem die Steuersätze für die Reichen in Wirklichkeit gesenkt werden und Steuermehreinnahmen angeblich durch die Schließung von "Schlupflöchern" generiert werden. Tatsächlich kommt dabei eine neue Runde von Steuersenkungen für Milliardäre und Konzerne heraus.

Trotz der zur Schau getragenen unnachgiebigen Opposition und der zunehmend persönlichen gegenseitigen Angriffe teilen die Demokraten und Republikaner ein gemeinsames Klassenprogramm: Die Last des finanziellen Bankrotts des amerikanischen Kapitalismus soll der arbeitenden Bevölkerung aufgehalst werden.

Keine der beiden Parteien schlägt auch nur den mindesten Zugriff auf den Reichtum der Finanzaristokratie vor. Beide machen für die miesen Aussichten, die der Bundeshaushalt bietet, "demographische" Faktoren verantwortlich. Mit anderen Worten, die arbeitende Bevölkerung lebt zu lange. Dieses "Problem" könnte nur durch eine Anhebung des Renteneintrittsalters behoben werden, oder, als Folge von Kürzungen bei der Gesundheitsversorgung und ganz allgemein beim Lebensstandard, durch eine Senkung der Lebenserwartung.

Der inszenierte Charakter der Haushaltskrise wurde auch von der Entscheidung von Verteidigungsminister Chuck Hagel demonstriert, die meisten zivilen Beschäftigten des Pentagon wieder an ihre Arbeitsplätze zurückzurufen, sodass der gigantische amerikanische Militär- und Geheimdienstapparat fast wieder so läuft wie vor dem Government Shutdown.

Hagel berief sich dabei auf das Gesetz, dass am 30. September vom Kongress verabschiedet und von Obama unterzeichnet worden war. Es ermöglicht die Fortsetzung der Gehaltszahlungen an uniformiertes Militärpersonal.

Er sagte, die Anwälte des Pentagon seien der Ansicht, dass ihm das Gesetz erlaube, den Zwangsurlaub für alle Personengruppen zu beenden, die einen Beitrag "zur Moral, dem Wohlergehen, der Einsetzbarkeit und Einsatzbereitschaft der Truppenmitglieder" leisten.

350.000 bis 400.000 zivile Beschäftigte des Pentagon wurden aus dem Zwangsurlaub zurück an ihre Arbeitsplätze beordert. Zu ihnen gehören Beschäftigte von Supermärkten in Kasernen, Büroangestellte bei der Lohnabrechnung, Verwaltungsangestellte, der Gesundheitsdienst, der Nachschub, Ausbildung, Waffenproduktion und Aufklärungspersonal.

Republikaner und Demokraten im Kongress unterstützten Hagels Anordnung. Das Heimatschutzministerium kündigte an, seine Zivilangestellten bei der Küstenwache und anderen dem Ministerium unterstellten Behörden mit der gleichen Begründung ebenfalls zurückzurufen.

Im Ergebnis hat der "Shutdown" der Bundesregierung kaum Auswirkungen auf das Militär, die Polizei und die staatliche Inlandsüberwachung, aber verheerende Folgen für soziale Dienste und für Behörden, die die Wirtschaft überwachen, von den Finanzmärkten bis hin zu den Schlachthöfen.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 10.10.2013
US-Haushalt- und Schuldenkrise: Renten und Krankengeld jetzt im Visier
http://www.wsws.org/de/articles/2013/10/10/debt-o10.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Oktober 2013