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GLEICHHEIT/5055: China vorsichtig nach proamerikanischem Putsch in der Ukraine


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

China vorsichtig nach proamerikanischem Putsch in der Ukraine

Von James Cogan
8. März 2014



Die Reaktion Chinas auf den von den USA und der Europäischen Union unterstützten Putsch in der Ukraine und auf die folgende Intervention Russlands, das damit die Kontrolle über die Krim behalten will, wird von politischen Führern und strategischen Analysten in aller Welt genau beobachtet. Eine Entscheidung Pekings, Moskaus Vorgehen offen zu unterstützen, würde die momentanen globalen Spannungen dramatisch verschärfen.

Bisher vollführt die chinesische Führung einen diplomatischen Balanceakt: Weder verurteilt sie den westlichen Putsch, noch die Reaktion Russlands. Auf einer Pressekonferenz am Sonntag in Peking hob der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Qin Gang, "Chinas seit langem bekannte Position" hervor, "sich nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einzumischen", und äußerte seine Unterstützung für die "Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität" der Ukraine. Er ließ allerdings nicht durchblicken, wer diese nach Meinung Chinas verletzt habe. Auf einer Pressekonferenz am Tag darauf lehnte es Gang ab, Russlands Vorgehen zu unterstützen, wollte aber auch nicht Stellung dazu nehmen, ob China die Legitimität der Putschistenregierung in Kiew anerkenne und das Vordringen Russlands auf der Krim verurteile.

Die Putin-Regierung und regierungsfreundliche Medien in Russland bewerteten Chinas Haltung als Unterstützung. Das russische Außenministerium erklärte am Montag, dass Moskau und Peking "die Lage in der Ukraine und in der Region weitgehend gleich einschätzen". Im Gegensatz dazu hob das Wall Street Journal hervor, dass die chinesische Regierung sich nicht festgelegt habe.

China setzte seinen Schlingerkurs am Dienstag im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen fort. Während amerikanische und europäische Vertreter Russland aggressiv verurteilten und mit nicht näher erläuterter Vergeltung drohten, bekräftigte der chinesische Botschafter Liu Jieyi die vorgebliche Unterstützung Chinas für "das Prinzip der Nichteinmischung in die Angelegenheiten anderer Staaten" und seine "Anerkennung der Unabhängigkeit, Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine."

Die Entwicklungen in der Ukraine stellen eine Gefahr für wichtige strategische und wirtschaftliche Interessen Chinas dar. Mehr als eineinhalb Jahrzehnte lang hat China mit Bedacht wirtschaftliche und militärische Beziehungen zu Russland im Rahmen der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) aufgebaut. Ursprünglich sollte die SCO ein Gegengewicht zu den Interventionen der USA in Zentralasien sein. Neben Russland gehören der SCO die ehemaligen Sowjetrepubliken Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan und Usbekistan an. Für China war sie ein Weg, landgestützte Transportwege für Energie und Rohstoffe aufzutun, um nicht mehr auf die von den USA kontrollierten Seewege von und zum Nahen Osten und nach Afrika angewiesen zu sein.

In den letzten Jahren hat China seinen Zugang zu eurasischen Rohstoffen weiter nach Westen vorgeschoben. Es hat sich insbesondere landwirtschaftliche Produkte aus der Ukraine zu sichern versucht, um seine Abhängigkeit von Lieferungen aus den USA und ihren engen Verbündeten wie Australien zu vermindern. 2012 gewährte die chinesische Export-Importbank der Ukraine einen Kredit über drei Milliarden US-Dollar für die Entwicklung landwirtschaftlicher Projekte. Der Kredit sollte durch Getreidelieferungen zurückgezahlt werden.

Im Juni 2013 unterzeichnete ein großes chinesisches Staatsunternehmen einen über 50 Jahre laufenden Pachtvertrag im Wert von etwa 2,6 Mrd. Dollar für die Nutzung von drei Millionen Hektar ukrainischen Ackerlands. Das war der größte je von einem chinesischen Konzern abgeschlossene Pachtvertrag für Ackerland. Die Ernte wird zu festen Preisen an chinesische Käufer geliefert. Auf den ersten 100.000 Hektar Ackerland wird in Dnipropetrowsk in der zentralöstlichen Ukraine bereits angebaut.

Gleichzeitig hat China bedeutende Waffenkäufe in der Ukraine getätigt, darunter seinen ersten Flugzeugträger, der jetzt unter dem Namen Liaoning in Dienst steht.

Nachdem die Regierung von Viktor Janukowitsch am 21. November letzten Jahres bekanntgegeben hatte, dass sie das geplante Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union auf Eis lege und stattdessen eine engere Zusammenarbeit mit Russland anstrebe, sah es aus, als ob die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Ukraine und China vor einem großen Aufschwung stünden.

Während faschistische und rechtsradikale Organisationen amerika- und EU-freundliche sowie regierungsfeindliche Demonstrationen in Kiew abhielten, besuchte Janukowitsch vom 3. bis 6. Dezember Peking und unterzeichnete mehr als zwanzig Vereinbarungen, die für die Ukraine chinesische Investitionen in Höhe von Dutzenden Mrd. Dollar in Aussicht stellten.

Schon ab 2015 sollten staatliche chinesische Banken beginnen, Kredite in Höhe von fünfzehn Mrd. Dollar für Wohnungsbau auszuzahlen. Ca. dreizehn Mrd. Dollar sollten in den Bau eines neuen Tiefseehafens, eine Weizenverschiffungsanlage und einen damit verbundenen Industriepark auf der Krim fließen. Die ukrainische Nationalbank sollte fünf Milliarden Dollar in Renminbi erhalten, damit der Handel direkt in chinesischem Bargeld erfolgen kann. Andere Projekte beinhalten den Bau einer Gasraffinerie und weitere landwirtschaftliche Investitionen. Im Gegenzug verpflichtete sich die Ukraine dazu, chinesische Baufirmen, Ausrüstung und Baumaterialien einzusetzen und die Exporte von landwirtschaftlichen Produkten nach China auszuweiten.

Die Abkommen zwischen der Ukraine und China waren vermutlich einer der Faktoren, die die Regierung Obama und ihre europäischen Verbündeten motiviert haben, ihre Stellvertreterkräfte in der Ukraine verstärkt zu unterstützen, um Janukowitschs Regierung zu stürzen.

Die Strategie der USA zielte seit der Auflösung der Sowjetunion 1991 darauf ab, ihre Vorherrschaft über die riesige eurasische Landmasse durchzusetzen. Diese Agenda haben sie mit einer Reihe von Kriegen, Stellvertreterkriegen und Interventionen verfolgt, vor allem im Irak (1991), auf dem Balkan (1994-96), in Serbien (1999), Afghanistan (2001), im Irak (2003), mit der "orangenen Revolution" in der Ukraine (2004) und der Krise in Georgien (2008) sowie mit Kriegsdrohungen auf der koreanischen Halbinsel und gegen den Iran.

Im Rahmen eines Plans zur Schwächung Russlands haben die USA aktiv versucht, in der Ukraine eine Regierung an die Macht zu bringen, die sich an der Europäischen Union orientiert und als künftiges Nato-Mitglied in Betracht kommt.

In Asien verfolgt die Obama-Regierung offen die Politik der Schädigung chinesischer Interessen in der ganzen Region. Sie hat die Philippinen und Japan provokativ ermutigt, Ansprüche auf umstrittene Gebiete im Süd- und Ostchinesischen Meer durchzusetzen. Dies ging so weit, dass auf beiden Seiten offen über einen Krieg zwischen Japan und China diskutiert wird. Im Rahmen ihrer "Schwerpunktverlagerung" auf Asien konzentrieren die USA 60 Prozent ihrer See- und Luftstreitkräfte in Asien und stärken ihre Militärbündnisse mit Japan und Australien und ihre Beziehungen zu Indien, um einen umfassenden Krieg vorzubereiten.

Alle Dilemmata, vor denen die herrschende Elite Chinas steht, treten durch die Krise in der Ukraine offen zutage. Ihre Interessen und Ambitionen werden vom US-Imperialismus in jedem Teil der Welt behindert und sabotiert.

Das Pekinger Regime hat historisch die Aufspaltung bestehender Nationalstaaten abgelehnt, da es fürchtet, dass die USA separatistische Bestrebungen unter den ethnischen Minderheiten Chinas schüren könnten, um das Land von innen zu destabilisieren oder sogar ganze Teile seines Staatsgebiets abzutrennen. Im Zentrum seiner Außenpolitik steht das Beharren, dass Taiwan - egal, was dessen Bevölkerung davon hält - ein untrennbarer Teil von China ist und wieder mit dem Festland vereinigt werden muss.

Peking ist sich schmerzlich bewusst, dass jede Unterstützung seinerseits für ein Referendum über die Abtrennung der Krim oder anderer von Russland kontrollierter Teile der Ukraine Forderungen befeuern würde, Taiwan, Tibet oder die westchinesische Provinz Xinjiang, die von Uiguren bewohnt wird, und möglicherweise sogar Hong Kong über ihre Unabhängigkeit abstimmen zu lassen. Außerdem würde das zwangsläufig bedeuten, dass das neue Regime, das in Kiew eingesetzt wird, die Abkommen rückgängig machen würde, die China erst vor drei Monaten mit Janukowitsch unterzeichnet hat - allerdings könnte es dazu ohnehin kommen, wenn Washington und die EU dies diktieren.

Gleichzeitig ist die herrschende Elite aufgrund der aggressiven Haltung der USA in Asien noch abhängiger von Russland als einzigem potenziellen Verbündeten und Lieferanten von Energie und Rohstoffen im Falle eines Konfliktes. Die chinesische Führung ist jetzt mit abgestimmten Aktionen der USA und der EU konfrontiert, nicht nur in Kiew eine Marionettenregierung einzusetzen, sondern auch Putins Regime zu isolieren, zu schwächen und letzten Endes zu stürzen und Russland auf den Status einer Halbkolonie zu reduzieren. Beijing weiß sehr wohl, dass China als nächstes an der Reihe wäre.

Der pausenlose, verantwortungslose und rücksichtslose Druck, den der US-Imperialismus und seine Verbündeten auf die zunehmend verzweifelten herrschenden Eliten Russlands und Chinas ausüben, könnte zu militärischen Zusammenstößen führen, die sich zu einemn Atomkrieg ausweiten. Er ist eine direkte Bedrohung für hunderte Millionen Jugendliche und Arbeiter auf der ganzen Welt, die darauf mit der Entwicklung einer internationalen Antikriegsbewegung auf der Grundlage einer sozialistischen Perspektive reagieren müssen.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 08.03.2014
China vorsichtig nach proamerikanischem Putsch in der Ukraine
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. März 2014