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GLEICHHEIT/5341: Ausnahmezustand in Ferguson, Missouri


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Ausnahmezustand in Ferguson, Missouri

Von Andre Damon
20. November 2014



Der Gouverneur von Missouri Jay Nixon erklärte am Montag den Ausnahmezustand und mobilisierte die Nationalgarde. Zur Begründung führte er an, dies sei notwendig, um "Öffentlichkeit und Eigentum zu schützen", ehe die Grand Jury ihre Entscheidung über eine Anklage gegen Darren Wilson aus Ferguson treffe. Wilson ist der Polizeibeamte, der im August den unbewaffneten Teenager Michael Brown getötet hatte.

Die Einberufung der Nationalgarde ist eine bewusste Entscheidung der Staatsbeamten: Sie wollen damit die Opposition gegen das stark manipulierte Grand-Jury-Verfahren gegen Wilson einschüchtern und zum Schweigen bringen. Die Entscheidung darüber, ob Wilson angeklagt wird oder nicht, ist praktisch jeden Tag zu erwarten.

Jay Nixon, ein Mitglied der Demokraten, rief den Ausnahmezustand aus, obwohl die Straßen Fergusons (Missouri) ruhig und frei von Demonstranten waren und die Gewaltakte und Plünderungen stark abgenommen haben. Tatsächlich erklärte Nixon, selbst die Möglichkeit von Protesten reiche aus, um in einer amerikanischen Stadt Streitkräfte einzusetzen. Dieser historische Präzedenzfall stellt eine neue Stufe in der bewussten und systematischen Zerstörung demokratischer Rechte dar.

In der Verordnung des Gouverneurs, die den Ausnahmezustand bewilligte, bestand Nixon darauf, dass es "unabhängig vom Ausgang der bundes- und landesstrafrechtlichen Ermittlungen, zu stärkeren Unruhen kommen könnte".

"Als Teil unserer fortlaufenden Bemühungen, für jegliche Eventualitäten vorzuplanen und uns auf diese vorzubereiten, ist es notwendig diese Ressourcen schon vor der Verkündung der Grand-Jury-Entscheidung an Ort und Stelle zu haben", sagte Nixon in einer gesonderten Erklärung. Er fügte hinzu, die Nationalgarde werde "die Bemühungen der Strafverfolgung unterstützen, Frieden zu erhalten und jene zu schützen, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ausüben".

Nixons Behauptung, dass der Einsatz des Militärs gegen Demonstranten ein Mittel sei, um das "Recht auf freie Meinungsäußerung" zu schützen, ist Orwell'scher "Neusprech". Die Argumente stützen sich auf die angebliche Notwendigkeit, das "Eigentum" und die "öffentliche Sicherheit" zu schützen und "Unruhen" durch einen "Ausnahmezustand" vorzubeugen. Das sind die Standardfloskeln jedes Polizeistaats.

Die Regierung, die sie anwendet, führt routinemäßig den Schutz von "Demokratie" und "Menschenrechten" im Munde, um ihren weltweiten Einsatz von Militarismus und Gewalt zu rechtfertigen. Würden Russland oder der Iran ähnliche Schritte unternehmen, dann wäre lautes Protestgeschrei der amerikanischen Politiker und der Medien die Folge. Geschieht das jedoch in den Vereinigten Staaten, dann stört sich in der herrschenden Klasse niemand daran.

Die Erklärung eines Ausnahmezustandes bildet den pseudolegalen Rahmen dafür, die demokratischen Grundrechte der US-Verfassung außer Kraft zu setzen. Als Gouverneur Nixon während der ersten Proteste gegen Browns Ermordung das letzte Mal den Ausnahmezustand ausrief, setzte die Polizei das First Amendment Recht der Versammlungsfreiheit praktisch außer Kraft, indem sie erklärte, Demonstranten würden sofort verhaftet, sobald sie stehen blieben. Diese so genannte "Fünf-Sekunden-Regel" wurde von einem Bundesrichter aufgehoben, weil sie verfassungswidrig war.

Jay Nixons Entscheidung folgt auf die Verhängung des de facto Kriegsrechts im vergangenen Jahr in Boston. Damals wurden Bewohner nach dem Anschlag auf den Boston Marathon dazu aufgefordert, in ihrer Wohnung zu bleiben, während schwer bewaffnete Polizisten ohne richterlichen Beschluss von Haus zu Haus gingen und alles willkürlich durchsuchten, als seien sie im besetzten Irak.

Sowohl Boston als auch Ferguson sind Testläufe für Massenunterdrückung und Diktatur. Außerdem dienen sie dazu, die öffentliche Meinung für die weitere Militarisierung der amerikanischen Gesellschaft zu konditionieren.

Der Bürgermeister St. Louis Francis Slay, auch ein Demokrat, machte deutlich, dass die Streitkräfte sich nicht auf den Vorort Ferguson beschränken würden. Er sagte, die Nationalgarde werde eingesetzt werden, um "verschiedene Orte innerhalb der Stadt St. Louis" zu schützen, und fügte hinzu, man werde die militärischen Einheiten zur "Sichtbarkeit, Abschreckung und Frühwarnung" einsetzen.

"Soweit mir bekannt ist, werden diese bewaffnet sein", sagte Slay und fügte hinzu, dass Einheiten der Nationalgarde in Einkaufszentren, Ladenstraßen und Regierungsgebäuden eingesetzt werden könnten.

Diese Schritte werden eng mit der Obama-Regierung koordiniert. Letzte Woche besuchte Justizminister Eric Holder Ferguson und traf sich mit den lokalen und bundesstaatlichen Beamten. Laut eines Zeitungsberichts, "spielen die Regierungsvertreter eine ungewöhnlich aktive Rolle bei der Vorbereitung auf die Grand Jury Proteste".

Am selben Tag, als der Ausnahmezustand verkündet wurde, veröffentlichte ABC News einen FBI-Bericht, der in "den vergangen Tagen" an die lokalen Polizeidienststellen rausgegangen sei, und in dem es heißt: "Bestimmte Personen werden wahrscheinlich die Bekanntgabe der Grand-Jury-Entscheidung als Vorwand nehmen, um die Ordnungskräfte und kritische Infrastruktureinrichtungen zu bedrohen und anzugreifen."

Wie das FBI schreibt, könnte solche "Unterwanderung" sowohl "in der Umgebung von Ferguson als auch bundesweit" auftreten. Der Bericht fügt hinzu, Personen könnten sich "in der Absicht, Gewalt zu schüren und sich daran zu beteiligen, mit scharfen Klingen oder Schusswaffen, mit Kampfausrüstung/Gasmasken oder kugelsicheren Westen ausrüsten, um Strafverfolgungsmaßnahmen zu entschärfen".

Das Memo ist ein Beispiel dafür, in welchem Grad die Sprache und die Konzepte des "Kriegs gegen Terror" schon gegen die innere Opposition gerichtet werden, also gegen all jene, die sich gegen soziale Ungleichheit, den Angriff auf demokratische Rechte und Krieg auflehnen. Die "Extremisten", die planen "Angriffe" gegen "kritische Infrastruktureinrichtungen" durchzuführen, sind nicht ausländische islamistische Fundamentalisten, sondern Menschen, die an politischem Protest innerhalb der Vereinigten Staaten teilnehmen.

Die US-Regierung nutzt den angeblichen Ausnahmezustand schon lange als Teil ihres "Kriegs gegen den Terror", um damit jegliche demokratischen Grundrechte abzuschaffen, die die Bill of Rights garantiert.

So maßt sich die Obama-Regierung unter dem Vorwand, die öffentliche Sicherheit zu schützen, das Recht an, jeden x-beliebigen Menschen, selbst US-Bürger, zu ermorden. Sie lässt einen Militär- und Geheimdienstapparat ausbauen, der die tägliche Kommunikation von Millionen von Menschen aufzeichnet, analysiert und liest.

Es ist bemerkenswert, dass sowohl Nixon als auch Bürgermeister Slay Demokraten sind, und dass niemand in der Demokratischen Partei den Einsatz der Nationalgarde gegen potentielle Proteste verurteilt.

Die Ereignisse in Ferguson sind Ausdruck des Zerfalls der Demokratie in den Vereinigten Staaten. Eine winzige herrschende Elite bestimmt jeden Aspekt des wirtschaftlichen, sozialen und politischen Lebens, während die große Mehrheit der Bevölkerung einer prekären Wirtschaftslage gegenübersteht. Die massenhafte Enthaltung bei den Zwischenwahlen Anfang dieses Monats hat gezeigt, dass sich Millionen Menschen ausgegrenzt und zunehmend entfremdet fühlen. Unter diesen Bedingungen reagiert die herrschende Elite auf jede Äußerung sozialer Opposition seitens der Bevölkerung mit Polizeigewalt und Einschüchterung.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 20.11.2014
Ausnahmezustand in Ferguson, Missouri
http://www.wsws.org/de/articles/2014/11/20/ferg-n20.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. November 2014