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GLEICHHEIT/5396: Mindestens zehn Tote bei Fährenbrand in der Adria


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Mindestens zehn Tote bei Fährenbrand in der Adria

Von Stefan Steinberg
31. Dezember 2014



Mindestens zehn Menschen sind am Samstag in einer verheerenden Feuersbrunst auf einer Autofähre gestorben, die vom griechischen Hafen Patras nach Ancona in Italien unterwegs war.

Das Feuer brach am Sonntag vor Sonnenaufgang auf dem Autodeck der Fähre Norman Atlantic aus, die 422 Passagiere und 56 Besatzungsmitglieder an Bord hatte. Das Schiff befand sich ca. 45 Seemeilen nordwestlich von Korfu.

Die genaue Ursache des Brandes muss noch herausgefunden werden, aber es ist klar, dass das Autodeck hochentzündlich war. An Bord befanden sich 222 Fahrzeuge, darunter mehrere Tanklastzüge mit Benzin und Olivenöl für Italien. Treibstoff ist in Griechenland derzeit billiger als in Italien, daher steht zu vermuten, dass die Benzintanks vieler Fahrzeuge bis zum Rand gefüllt waren. Das Feuer breitete sich rasend schnell aus, und Bilder der brennenden Fähre zeigten das Schiff am Sonntag in dichten Rauch gehüllt.

Rettungsdiensten aus Italien und Griechenland gelang es noch am Sonntag, mehrere Dutzend Passagiere von dem Schiff zu bergen, aber die meisten der an Bord befindlichen Menschen musste zwei Nächte in eisiger Kälte, Regen und stürmischen Winden und in dichtem Rauch auf dem Schiff ausharren.

Auf den Oberdecks der Fähre zusammengedrängte Passagiere berichteten griechischen Medien über Telefon. "Wir befinden uns im Freien, es ist sehr kalt, das Schiff ist voller Rauch", sagte Giorgos Stiliaras. Der gleiche Passagier sagte dem Fernsehsender Greek Mega TV, die Passagiere seien "durch den Geruch brennenden Plastiks" aufgewacht. Die Feuerhitze habe den Fußboden siedend heiß aufgeheizt.

Ein anderer Passagier sagte dem gleichen Sender, das Schiff sei in Rauch gehüllt: "Wir sind im Freien und frieren. Das Schiff ist voller Rauch, es steht immer noch in Flammen, und der Fußboden kocht. Unter den Kabinen muss es seit fünf Uhr brennen. Die Schiffe, die kamen, um uns zu retten, sind wieder umgekehrt, und wir sind immer noch hier. Sie konnten uns nicht übernehmen."

Die Norman Atlantic ist mit fünf Jahren noch relativ neu, hat aber schon mehrfach den Besitzer und den Namen gewechselt. Aktuell befindet sie sich im Besitz des italienischen Fährunternehmens Visemar di Navigazione, das das Schiff an die griechische Fährlinie Anek verliehen hat, um eine Billiglinie zwischen Griechenland und Italien zu bedienen. Die Fähre war erst seit zehn Tagen auf dieser Strecke im Einsatz.

Medienberichten zufolge waren in der letzten Zeit einige Sicherheitsprobleme auf der Fähre bekannt geworden. Der italienische Schiffs-TÜV, Rina, hatte der Fähre am 1. September die Sicherheitsfreigabe erteilt, die normalerweise fünf Jahre gültig ist. Aber nur zehn Wochen später enthüllte eine Inspektion in Patras am 19. Dezember sechs Mängel. Dazu gehörte ein nicht funktionierendes Warnsystem vor dem Ausbreiten von Feuer auf dem Autodeck. Auch die Notbeleuchtung auf dem Schiff wurde kritisiert.

Infolge der Sparmaßnahmen, die die Europäische Union und der Internationale Währungsfond über Griechenland und Italien verhängten, stehen die Fähren unter enormem Druck, ihre Kosten zu senken. Seeleute auf griechischen Fähren haben 2014 mehrfach gestreikt, weil sie zum Teil monatelang keinen Lohn ausgezahlt bekommen haben.

Für viele Dutzende griechische Inseln sind die Fähren lebenswichtig für den Gütertransport und Passatier- und Touristenverkehr. Aber wie der gesamte öffentliche Verkehr haben auch die Fähren in den letzten fünf Jahren der Sparpolitik erhebliche finanzielle Verluste erlitten.

Nach der Katastrophe vom Sonntag erklärte der griechische Schifffahrtsminister Miltiades Varvitsiotis, es sei noch zu früh, nach Sündenböcken zu suchen. Oberste Priorität habe erst einmal die Rettung der Passagiere. Anfang des Jahres hatte der gleiche Minister eine zusätzliche Unterstützung für die ums Überleben kämpfenden Fährlinien ausgeschlossen.

Auf einem Geschäftsessen sagte Varvitsiotis damals, dies sei nicht der passende Zeitpunkt, mehr Geld vom Staat zu erwarten. Dem Minister zufolge würde es ausreichen, das Fährnetz in der Ägäis neu auszurichten, um die Bedürfnisse des erhöhten Verkehrsaufkommens zu befriedigen, ohne dass die Regierungssubventionen aufgestockt werden müssten.

Auf dem gleichen Treffen verurteilte Varvitsiotis populistische Kritik an der Schifffahrtsindustrie des Landes. Die Regierung von Antonis Samaras höhlt die Fährdienste finanziell aus, hält aber weiterhin ihre schützende Hand über die milliardenschweren Schiffsmagnaten, die praktisch keine Steuern zu zahlen brauchen.

In einem neueren Artikel im Spiegel hieß es, seit 2002 seien Einnahmen der Schiffseigner in Höhe von 140 Milliarden Euro völlig unversteuert geblieben. Weiter hieß es in dem Artikel, dass dank 58 gesetzlicher Regelungen die achthundert Familien, die die griechische Schiffsindustrie kontrollieren, kaum Steuern auf ihr Vermögen zahlen müssten.

Der Artikel stellt außerdem fest, dass von den 275 Schiffen, die von den Reedern 2012 in Auftrag gegeben wurden, kein einziger Auftrag an eine griechische Werft ging. Die griechische Schiffsbauindustrie ist praktisch zusammengebrochen.

Viele Reeder kontrollieren in Griechenland einflussreiche Medien und stehen im Zentrum des so genannten "Diaploki"-Systems, das die Verquickung von geschäftlichen und politischen Interessen bezeichnet.

Der französischen Zeitung Le Figaro zufolge beabsichtigt ein italienischer Staatsanwalt, eine Untersuchung über die Ursachen des Feuers auf der Norman Atlantic aufzunehmen, um möglicher strafrechtlich relevanter Fahrlässigkeit auf die Spur zu kommen. Doch in aller Regel machen solche Untersuchungen nur bestimmte Einzelpersonen verantwortlich, die in den konkreten Fall involviert waren, untersuchen aber nicht den gesellschaftlichen und politischen Hintergrund solcher Tragödien.

Am Sonntag gab es noch ein zweites Unglück, das sich in der Adria, nordwestlich des italienischen Hafens Ravenna, ereignete. Zwei Handelsschiffe, ein türkisches und ein unter der Flagge von Belize segelndes Schiff, kollidierten in dichtem Nebel, schwerer See und starkem Sturm. Die italienische Küstenwache gab die Rettung von sechs der elf Besatzungsmitglieder bekannt.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 31.12.2014
Mindestens zehn Tote bei Fährenbrand in der Adria
http://www.wsws.org/de/articles/2014/12/31/adri-d31.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Januar 2015


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