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GLEICHHEIT/5642: De Maizière plant neue Angriffe auf Flüchtlinge


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

De Maizière plant neue Angriffe auf Flüchtlinge

Von Marianne Arens
27. August 2015


Nachdem seit Wochen immer wieder Flüchtlingsunterkünfte in Flammen aufgehen und Neonazis Asylsuchende einschüchtern, haben sich am Mittwoch auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck zu einer offiziellen Stellungnahme bequemt.

Merkel besuchte die Flüchtlingsunterkunft im sächsischen Heidenau, vor der in den vergangenen Tagen wiederholt Rechtsextremisten randaliert [1] hatten, und bekannte sich zur "menschlichen Behandlung" von Asylbewerbern. Gauck ließ sich vor einer Erstaufnahmeunterkunft in Berlin sehen und lobte dort die freiwilligen Helfer, die in ihrer Freizeit ehrenamtlich Hilfe leisten.

Doch diese öffentlichkeitswirksamen Pressetermine und die Verurteilung von Ausländerfeindlichkeit - SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte die braunen Randalierer als "Pack" bezeichnet - dienen in erster Linie dazu, von der Verantwortung der Regierung für die elende Lage der Flüchtlinge abzulenken.

Nicht nur, dass die Bundesregierung Mitverantwortung für die Kriege in Afghanistan, Irak, Syrien, Libyen und das Elend in vielen Regionen trägt, aus denen Millionen um ihr Leben flüchten. Sie schürt auch ganz gezielt die Stimmung gegen Flüchtlinge und legt ihnen so viele Hindernisse wie möglich in den Weg.

Nur einen Tag, bevor Merkel und Gauck öffentlich Krokodilstränen für Flüchtlinge vergossen, versandte Innenminister Thomas de Maizière einen Katalog weitreichender Gesetzesänderungen "zur Eindämmung der Asylmigration" zur Abstimmung an die anderen Ministerien.

Flüchtlinge aus sogenannten "sicheren Herkunftsstaaten", zu denen der Innenminister auch das Kosovo, Montenegro und Albanien zählt, sollen praktisch gefangen gesetzt und sofort wieder abgeschoben werden. Sie sollen künftig doppelt so lang wie bisher, nämlich sechs statt drei Monate, in den Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben müssen und der Residenzpflicht unterliegen, damit sie zur Abschiebung jederzeit zur Verfügung stehen. Die Leistungen für Flüchtlinge sollen drastisch gekürzt werden und vorwiegend in Sachleistungen anstatt in Bargeld erfolgen.

"Aus Sicht des Innenministers sollen raschere Verfahren für Menschen, die kaum eine Aussicht auf Asyl in Deutschland haben, eine Signalwirkung in die Heimatländer senden - und so den Zustrom bremsen", kommentiert SpiegelOnline, dem das Papier vorliegt.

Auch der thüringische SPD-Vorsitzende Andreas Bausewein (SPD) trat mit heftigen Angriffen auf Flüchtlinge in die Öffentlichkeit. In einem "Offenen Brief" an Bundeskanzlerin Angela Merkel und den thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Die Linke) forderte er, Flüchtlingskinder vom Schulunterricht fernzuhalten.

Bausewein verlangt, Kinder von Asylbewerber so lange nicht einzuschulen, bis ihr Aufenthaltsstatus, bzw. der ihrer Familien, geklärt sei. Wörtlich fordert er ein "Aussetzen der Schulpflicht bis zur Feststellung des Aufenthaltsstatus der Kinder/Familien, und keine Schulpflicht bei laufenden Verfahren, jedenfalls für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsländern". Die Zahl der schulpflichtigen Kinder ohne Aufenthaltsstatus sei sehr hoch, klagt der SPD-Politiker. Zwar würden bisher alle Kinder zwischen sechs und sechzehn Jahren nach dreimonatigem Aufenthalt in Deutschland eingeschult, aber: "Die Kapazitäten der Schulen sind ausgereizt."

Bauseweins Forderung ist eindeutig rechtswidrig. Die Forderung nach allgemeiner Schulpflicht geht bis auf den Reformator Martin Luther (1483-1546) zurück und ist in vielen Teilen Deutschland seit hunderten von Jahren Gesetz.

Dass Bausewein die Form eines "Offenen Briefs" wählte, den er in seiner Eigenschaft als Oberbürgermeister von Erfurt unterzeichnete, ist, gelinde gesagt, merkwürdig. Die SPD stellt nämlich gemeinsam mit der Linken in Thüringen die Landesregierung, Bausewein hätte also Ministerpräsident Ramelow jederzeit auch direkt ansprechen können. Doch offensichtlich geht es ihm darum, ausländerfeindliche Stimmungen zu schüren und rechte Vorurteile zu bedienen.

Gleichzeitig fordert Bausewein eine stärkere Überwachung der Flüchtlinge durch eine bessere finanzielle Ausgestaltung der Wachdienste. Er schreibt, nötig sei eine "Anerkennung des von der Kommune als notwendig festgestellten Bewachungsumfangs und vollumfängliche Erstattung der daraus entstehenden Kosten".

Zudem will Bausewein wie de Maizière quasi handstreichartig das Asylgesetz verschärfen und die heute schon sehr restriktiven Gesetze möglich streng auslegen. Er fordert: "Die bestehende Liste der sogenannten sicheren Herkunftsländer muss dringend überarbeitet und den aktuellen Gegebenheiten angepasst werden ... Die Ausreise von Asylbewerbern, die nicht als Flüchtlinge anerkannt werden, deren Asylgesuch abgelehnt wird und die keinen Anspruch auf Duldung haben, sollte konsequent erfolgen und wenn nötig mittels Abschiebung umgesetzt werden."

Eine solche Sprache unterscheidet sich kaum von den "Ausländer-raus"-Rufen der rechtsradikalen Hetzer. Zwar fügt Bausewein zynisch hinzu, der Grund für seine Initiative sei, dass er "kein weiteres 'Heidenau' - weder in Erfurt noch in einer anderen Stadt - haben möchte". Aber mit seinem Schreiben schürt er in Wirklichkeit genau die Stimmungen, die neue Ausschreitungen erst möglich machen.

Bausewein ist ein führender Sozialdemokrat. Der 42-jährige Erfurter Oberbürgermeister, von Beruf Elektroinstallateur und Diplom-Sozialpädagoge im zweiten Bildungsweg, wird wahlweise als "Shootingstar der SPD" (taz) oder "SPD-Urgestein" (MDR) bezeichnet. Der Vater dreier Kinder war früher Juso-Landeschef und DGB-Mitarbeiter und ist seit Oktober 2014 Landesvorsitzender der Thüringer SPD.

Sein jüngster Vorstoß unterstreicht erneut, wo die Ursachen fremdenfeindlicher Aktionen zu suchen sind: Es sind die offiziellen Politiker, die sie schüren und begünstigen. Sie empfangen die erschöpft ankommenden Flüchtlinge mit Schikanen, Repressionsmaßnahmen und Einschüchterung und ermutigen so das Treiben der Neonazis. Sie versuchen, die Bevölkerung zu spalten und die weit verbreitete Sympathie mit den Flüchtlingen im Keim zu ersticken.

An den Flüchtlingen wird heute vorexerziert, was morgen der gesamten arbeitenden Bevölkerung droht: Beispiellose Angriffe auf grundlegende Rechte, wie das Recht auf Bildung. In Griechenland [2] wird dieses Recht von der deutschen Bundesregierung schon heute mit Füßen getreten.

Gleichzeitig bereitet die deutsche Regierung unter dem Vorwand, die Fluchtursachen zu bekämpfen, neue imperialistische Interventionen [3] und Militäreinsätze im Nahen Osten und Afrika vor.

Die Politik der Kriegsvorbereitungen und der Angriffe auf soziale und demokratische Grundrechte wird von allen Parteien unterstützt, von der AfD bis zur Linkspartei. Auch das zeigt sich am Beispiel Thüringen sehr deutlich, wo seit einem Jahr eine Koalition aus SPD, Grünen und Linkspartei unter dem Regierungschef Bodo Ramelow (Die Linke) regiert.

Die Linke und die Thüringer SPD verstehen sich wunderbar. So sagte Bausewein vor einem Jahr der taz, dass "das Verhältnis der SPD zur Linkspartei unverkrampfter geworden ist ... In den Kommunen arbeiten SPD und Linkspartei sowieso gut zusammen." Er betonte, in der Sozialpolitik und bei den Kommunalfinanzen könne sich die SPD mit der Linken schneller einigen als mit der CDU.

Vor wenigen Wochen machte Landeschef Bodo Ramelow (Linke) [4] in einem Interview mit der Rheinischen Post klar, dass seine Partei auch die Rückkehr des deutschen Militarismus unterstützt. Unter dem Titel "Pazifismus ist nichts für Deutschland" zitierte die Zeitung Ramelow mit den Worten, er habe zwar "Hochachtung für jeden, der für sich sagt: ich bin Pazifist. Aber das sehe ich nicht als Handlungskonzept für eine Nation wie Deutschland".


Anmerkungen:
[1] https://www.wsws.org/de/articles/2015/08/25/heid-a25.html
[2] https://www.wsws.org/de/articles/2013/05/15/lehr-m15.html
[3] http://www.wsws.org/de/articles/2015/08/26/afri-a26.html
[4] https://www.wsws.org/de/articles/2015/06/06/link-j06.html

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Quelle:
World Socialist Web Site, 27.08.2015
De Maizière plant neue Angriffe auf Flüchtlinge
http://www.wsws.org/de/articles/2015/08/27/baus-a27.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. August 2015

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