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GLEICHHEIT/5681: Obamas Treffen mit Putin verdeutlicht die Krise der US-Politik in Syrien


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Obamas Treffen mit Putin verdeutlicht die Krise der US-Politik in Syrien

Von Barry Grey
1. Oktober 2015


Das neunzigminütige Treffen des amerikanischen Präsidenten Barack Obama mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am Montag hat aller Welt die akute Krise der US-Politik in Syrien und im ganzen Nahen Osten vor Augen geführt.

Schon allein die Tatsache, dass das Weiße Haus einem Treffen mit dem russischen Staatsoberhaupt zugestimmt hat, um eine politische Lösung in Syrien zu finden, zeigt das Debakel, das Washington in seinem mittlerweile vier-jährigen Krieg in dem verwüsteten Land erlitten hat. Zwei Jahre lang hatte die Obama-Regierung jeden Kontakt mit Russland verweigert.

Dem Treffen ging ein Rededuell vor der 70. Generalversammlung der Vereinten Nationen voraus. Obama versuchte in seiner Rede, die amerikanischen Aggressionskriege und militärischen Interventionen in Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien und anderen Ländern als Washingtons Engagement für internationales Recht und friedliche Diplomatie hinzustellen. Die Putin-Regierung behandelte er dagegen als internationalen Outlaw und Gefahr für den Weltfrieden. Als angebliche Belege führte er Russlands Vorgehen in der Ukraine und seine Unterstützung für das Regime von Baschar al-Assad an.

Putin wiederum wies auf die katastrophalen Folgen von Washingtons Kriegen für Regimewechsel hin, die in einem Land nach dem anderen islamistischen Terrororganisationen wie dem Islamischen Staat (IS) den Boden bereitet hätten. Er verteidigte das Assad-Regime als Bollwerk gegen den IS und schlug für den Kampf gegen den IS eine neue Koalition vor, der neben den Westmächten und ihren nahöstlichen Verbündeten auch der Iran und Syrien angehören sollten.

Die Widersprüche und das allgemeine Chaos der amerikanischen Politik zeigten sich auch darin, dass Obama in seiner Rede erst Russland heftig angriff, um wenig später zu erklären, er sei bereit, mit Russland und dem Iran, Assads beiden wichtigsten Verbündeten, über das Schicksal Syriens zu verhandeln. Obama artikulierte eine taktische Wende in der Politik seiner Regierung. Er deutete an, dass jede Verhandlungslösung Assads Rücktritt beinhalten müsse, aber dass der aktuelle Präsident noch für eine unbestimmt lange Übergangsperiode im Amt bleiben könne. Auch könnten Elemente seines Baath-Regimes später Teil der Nachfolgeregierung sein.

Es ist kein Geheimnis, dass der Grund für diese politische Veränderung in einer allgemeinen Schwächung der amerikanischen Position im Nahen Osten zu suchen ist. Mehrere Ereignisse der jüngsten Zeit zeigen deutlich, dass der mittlerweile einjährige Krieg der USA gegen den IS gescheitert ist. Weder im Irak noch in Syrien konnten die Vereinigten Staaten den IS bisher entscheidend schwächen. Vergangene Woche wurde bekannt, dass der kommandierende Offizier des Anti-IS-Feldzugs, General John Allen, seinen Posten bald räumen werde.

Wie der kommandierende Offizier des Central Command, General Lloyd Austin, vor dem Kongress aussagte, ist das Pentagon-Programm zur Rekrutierung und Ausbildung nicht-islamistischer amerikanischer Stellvertreterkräfte in Syrien trotz des Aufwands von 500 Millionen Dollar grandios gescheitert. Ganze "vier oder fünf" Soldaten seien dadurch bisher gewonnen worden. Ein Teil der Kräfte, welche die USA bisher ausgebildet hätten, sei von der al-Nusra Front ausradiert worden, sobald sie nach Syrien eingedrungen waren, andere seien zu islamistischen Anti-Assad-Milizen übergelaufen, wieder andere hätten gegen freies Geleit ihre Waffen ausgeliefert.

Russland hat durch die Ausweitung seiner Militärhilfe für Assad seine Position in Syrien gestärkt. Offenbar hat es eine neue Luftwaffenbasis im Nordwesten Syriens gebaut, der traditionellen Hochburg von Assads alawitisch-schiitischem Regime. Die Washingtoner Regierung war nicht in der Lage, diese Entwicklung zu unterbinden. Am Vorabend von Obamas Rede vor den UN gab die irakische Regierung, die mit Washington verbündet ist, bekannt, dass sie mit Syrien, dem Iran und Russland ein Abkommen zum Austausch von Geheimdienstinformationen geschlossen habe. Das Weiße Haus war offenbar nicht über diesen Schritt informiert. Ein irakischer Regierungssprecher erklärte am Montag, russische Aufklärungsflüge über dem Land seien willkommen.

In den Gesprächen zwischen Obama und Putin wurde zwar in der Schlüsselfrage von Assads Zukunft keine Übereinstimmung erzielt, und beide Seiten hielten mit konkreten Verhandlungsdetails hinter dem Berg. Aber beide Regierungen bemühten sich, das Treffen als einen positiven Schritt darzustellen. US-Außenminister John Kerry erklärte in der MSNBC-Sendung "Morning Joe" am Dienstag, das Treffen sei "im Allgemeinen produktiv" gewesen.

Kerry bezeichnete es als "kreuzfalsch", wenn in den USA jetzt Kritik an Obamas Syrienpolitik laut werde. Er sagte, die beiden Präsidenten hätten sich "in Grundprinzipien" geeinigt, z.B. was die Notwendigkeit eines einheitlichen, säkularen Syriens, sowie eines "kontrollierten Übergangs" der Regierungsmacht und die Zerschlagung des IS betreffe. Kerry ließ durchblicken, dass die US-Regierung Russland dazu anhalten wolle, auf Assad einzuwirken, damit dieser auf den Einsatz von "Fassbomben" gegen US-freundliche "Rebellen" verzichte. In der Presse hieß es, ein Anreiz dafür könnte der teilweise Abbau der US-Sanktionen gegen Russland sein. Diese einschneidenden Sanktionen waren verhängt worden, weil Russland die pro-russischen Separatisten in der Ostukraine unterstützt hatte.

Die New York Times tat so, als ob es ernsthafte Gespräche für eine politische Lösung gebe, die die Verdrängung Assads von der Macht beinhalteten. Am Dienstag schrieb die Zeitung: "Es gibt intensive Diskussionen darüber, wie lang die Übergangsperiode sein soll, und wie viele Personen aus Assads innerstem Kreis werden gehen müssen. Das haben mehrere Diplomaten im Umfeld des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen berichtet."

Die Drehungen und Wendungen der amerikanischen Nahostpolitik sind Ausdruck extremer Widersprüche im Vorgehen der USA in den verschiedenen Ländern. Gleichzeitig ist das außenpolitische und militärisch-geheimdienstliche Establishment der USA zutiefst gespalten über die Frage, welcher Kurs einzuschlagen sei. Dabei erklärt niemand der Bevölkerung all diese Ungereimtheiten in der amerikanischen Außenpolitik, und niemand übernimmt die Verantwortung für die offensichtliche Katastrophe, die den Völkern der Region zugefügt wird.

Stattdessen hetzt die herrschende Elite das Land von einem Krieg in den nächsten. Jedes Innehalten ist nur ein kurzes Atemholen vor der nächsten militärischen Gewaltorgie. Das gilt auch für jedes Syrien-Abkommen, das möglicherweise zwischen den USA, Russland und dem Iran geschlossen wird.

Der religiös-ethnische Bürgerkrieg in Syrien wurde von den USA angestachelt. Er war von Anfang an Bestandteil eines größeren Plans, den Iran seines einzig verbliebenen arabischen Verbündeten zu berauben. Damit sollte ein möglicher Krieg mit dem Ziel eines Regimewechsels in Teheran vorbereitet werden.

Der Syrien-Krieg hat bisher etwa 300.000 Tote gefordert und fast elf Millionen Menschen, d.h. die Hälfte der Bevölkerung zu Flüchtlingen gemacht. Eine Strom von Flüchtlingen aus Syrien, dem Irak, Libyen, Afghanistan und anderen Ländern stürzt Europa gerade in eine tiefe Krise, verschärft die inneren Spannungen und entlarvt das brutale Gesicht des europäischen Kapitalismus.

Die Flüchtlingskrise hat zu offenen Meinungsverschiedenheiten der deutschen Regierung mit der US-Politik in Syrien geführt und sie veranlasst, Russlands Forderungen nach einer politischen Lösung auf breiter Grundlage zu unterstützen. So regte Kanzlerin Angela Merkel letzte Woche sogar an, Assad selbst an den Gesprächen zu beteiligen.

Was die US-Kriege im Nahen Osten antreibt, ist das nackte Streben der Vereinigten Staaten nach Kontrolle über die Energievorkommen der Region, nach geostrategischen Vorteilen gegenüber den internationalen Rivalen und nach globaler Hegemonie. Diese Entwicklung führt zwangsläufig zum Krieg gegen die beiden Atommächte Russland und China.

Es gibt auch Widersprüche innerhalb der Widersprüche. Der Dämon von gestern, Putin, ist heute plötzlich ein potentieller Partner für den Frieden. Die CIA, Washingtons sunnitische Verbündete am Golf (Saudi-Arabien und Katar) und die Türkei finanzieren und bewaffnen dschihadistische Terrorgruppen wie den IS und nutzen sie als Stellvertretermilizen. Das war schon im Krieg zum Sturz und Mord am säkularen Muammar Gaddafi in Libyen der Fall, und im Kampf gegen das säkulare Regime in Syrien ist es nicht anders. Der Iran, der Todfeind von gestern, ist heute ein potentieller Günstling des US-Imperialismus in der Region. Die USA unterstützen ein schiitisches Regime im Irak, das mit dem Iran verbündet ist, führen mit dem sunnitischen Regime Saudi-Arabien zusammen Krieg gegen den Jemen und wollen das pro-iranische Assad-Regime in Syrien stürzen.

Weder die Regierung noch auch die Medien halten es für nötig, diese Fragen offen in der Bevölkerung zu diskutieren, die in ihrer überwiegenden Mehrheit all diese schmutzigen Kriege ablehnt. Die Konstante der amerikanischen Politik besteht in ihren Mordmethoden gegen die wehrlose Bevölkerung und im räuberischen Charakter ihrer Kriegsziele.

Gleichzeitig befindet sich die Obama-Regierung im scharfen Konflikt mit einem Teil der herrschenden Kreise, der unbeirrbar am Kriegskurs gegen den Iran und gegen Russland festhält. Diese Fraktion ist eindeutig gegen das Atomabkommen und gegen jedes andere Abkommen mit dem Iran und betrachtet die Gespräche mit Russland fast schon als Hochverrat. Auch auf die Regierung üben solche Stimmen einen Druck aus.

Am Montag nannte der Republikanische Senator und ehemalige Präsidentschaftskandidat John McCain Obamas Treffen mit Putin "unnötig und falsch". Er fuhr fort: "Das spielt Putin genau in die Hände, denn es durchbricht seine internationale Isolation, unterhöhlt die amerikanische Politik und legitimiert Putins destabilisierendes Verhalten von der Zerschlagung der Ukraine bis zur Stützung Baschar al-Assads in Syrien."

Das Wall Street Journal schrieb am Dienstag in seinem Leitartikel: "Obwohl Obama das wachsende Chaos in der Welt eingesteht, gibt er nicht zu, dass seine Politik des amerikanischen Rückzugs ein Vakuum geschaffen hat, in das Übeltäter vordringen."

Vergangene Woche verurteilte der ehemalige Kommandeur im Irak und Ex-CIA-Direktor David Petraeus vor dem Kongress die Syrienpolitik der Regierung. Er empfahl die Schaffung von "Sicherheitszonen" in Syrien, kontrolliert durch amerikanische Flugzeuge und Truppen, und drängte das amerikanische Militär, den Abwurf von Fassbomben durch das Assad-Regime durch die Vernichtung seiner Luftwaffe und Flughäfen zu stoppen. Dieser Vorschlag würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu Zusammenstößen mit russischen Kräften in Syrien führen.

Nicht nur Republikaner erheben solche Forderungen. Am Montag schrieb Charles Lister von der Demokratisch orientierten Brookings Institution in einem Artikel mit dem Titel "Der Westen bewegt sich in Syrien auf den Abgrund zu": "Bedauerlicherweise kommt Russlands Intervention zu einem Zeitpunkt, an dem die amerikanische Politik so desolat ist, wie nie [...]. Diese Mission ein katastrophales Scheitern zu nennen, wäre eine großzügige Beschönigung."

Vor kurzem wies der Nato-Kommandeur in Europa, Phillip Breedlove, in einer beängstigenden Rede vor dem German Marshall Fund auf die wachsende Gefahr eines militärischen Zusammenstoßes mit Russland hin. Er warnte, dass Russland im Nordwesten Syriens eine "No-Go-Zone" schaffe und sich "diese hochentwickelten Verteidigungs-Systeme nicht gegen den IS richten". Die Schlussfolgerung des Generals: die Nato müsse in Kräfte investieren, die "diese Zone aufbrechen" könnten.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 01.10.2015
Obamas Treffen mit Putin verdeutlicht die Krise der US-Politik in Syrien
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Oktober 2015

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