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GLEICHHEIT/5827: In Venezuela droht ein Staatsstreich


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

In Venezuela droht ein Staatsstreich

Von Eric London
19. Februar 2016


Angesichts explodierender Inflation, Nahrungsmittelknappheit und Wirtschaftsstagnation in Venezuela bemüht sich die oppositionelle Democratic Unity Roundtable (MUD)-Partei, Präsident Nicholas Maduro abzusetzen.

Bei den Parlamentswahlen im Dezember trug der MUD einen erdrutschartigen Sieg über Maduros Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV) davon. Die Wähler reagierten damit auf das Versagen der "Chavista"-Regierung, sich um die Armut und wirtschaftliche Unsicherheit zu kümmern. Nach den Wahlen gab der MUD provokative Presseerklärungen heraus, in denen er Madura eine Sechs-Monats-Frist gab, um die Krise zu bewältigen.

Am 11. Februar gab der parlamentarische Oppositionsführer Henry Ramos Allup die bisher provokativste Erklärung ab: "Wenn irgendjemand geglaubt hat, dass die sechs Monate, die wir uns gegeben haben, um eine demokratische, verfassungsgemäße, friedliche, wahlkonforme Lösung zu finden... zu überstürzt waren, so zweifelt heute niemand mehr, dass diese sechs Monate zu lang waren."

Diese Erklärung war eine Reaktion auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs Venezuelas vom selben Tag. Der Gerichtshof bestätigte den von Maduro im Januar ausgerufenen "wirtschaftlichen Ausnahmezustand", welcher der Exekutive Sonderbefugnisse einräumt, mit denen die Legislative übergangen wird, um auf die Krise reagieren zu können.

Die Verfassungskrise zwischen der Legislative und der Justiz ist das Ergebnis einer tiefen Spaltung in der herrschenden Klasse Venezuelas, die in den kommenden Wochen droht außer Kontrolle zu geraten. Allup kündigte an, dass "wir in den kommenden Tagen einen Lösungsvorschlag für diese schändliche Regierung anbieten werden."

Die Verfassung Venezuelas ermöglicht das Absetzen gewählter Vertreter durch das Volk, einschließlich des Präsidenten. Ein solches Referendum kann nur stattfinden, wenn der Amtsträger die Hälfte seiner Amtszeit erreicht hat. In Maduros Fall wäre das im April 2016. Die Stimmenzahl, die benötigt würde, um Maduro abzusetzen, liegt bei ungefähr 200.000. Das ist weniger als die Gesamtstimmenzahl, die der MUD im Dezember bei den Parlamentswahlen erzielen konnte. Mit anderen Worten, eine erfolgreiche Abwahl liegt eindeutig im Bereich des Möglichen.

Ramos Allup spielte in seiner Rede jedoch noch auf etwas anderes an. Er erklärte: "Es gibt eine Strömung innerhalb der Regierung, die Maduros Rücktritt als das kleinere Übel fordert." Die Regierung "tut alles, um selbst einen Coup zu organisieren. Ich habe keinen Zweifel daran, denn das ist der einzige Neuanfang, der nach dieser Niederlage und den gewaltigen Fehlern von 17 Jahren möglich ist".

Die Bedeutung dieser Worte ist nur allzu klar in einem Land, das in den letzten 70 Jahren sechs Staatsstreiche erlebt hat.

Maduro hat daraufhin klar gemacht, dass seine Regierung bereit ist, den Kapitalismus in Venezuela um jeden Preis zu verteidigen. In einer Rede während der Neueröffnung einer Fabrik im Staat Carabobo erklärte er: "Wir sorgen für Stabilität im sozialen sowie im Arbeitsumfeld und wir bemühen uns tagtäglich, um die gesamte produktive Kapazität des Landes aufrechtzuerhalten." In den letzten Wochen hat Maduro seine Drohung wahr gemacht und paramilitärische Polizeikräfte losgeschickt, um vereinzelte Streiks zu unterdrücken.

Die politische Krise in Venezuela wurde durch eine zunehmende Wirtschaftskrise entfacht. Das Scheitern der nationalistischen, exportbasierten Wirtschaftsreformen Maduros und seines Vorgängers Hugo Chavez haben zu verbreiterter Armut und sozialem Elend geführt.

Der 75 prozentige Preissturz beim Öl hat einen Wellen-Effekt in der Wirtschaft Venezuelas ausgelöst. Soziale Programme, die so genannten "missiones", sind überwiegend vom Rohölexport des Landes abhängig. Anfang Februar hatte Venezuela Ölreserven von 300 Milliarden Barrel - das Achtfache der Reserven der Vereinigten Staaten. Venezuelas Exporte werden voraussichtlich von 75 Milliarden Dollar im Jahr 2014 auf etwa 27 Milliarden Dollar 2016 abnehmen.

Im dritten Quartal 2015 schrumpfte die Wirtschaft Venezuelas um 7,1 Prozent. Die Inflation lag für das im September 2015 zu Ende gehende Jahr bei 141 Prozent. Viele Experten glauben, dass die Inflation 2016 zweihundert Prozent übersteigen wird. Es besteht die reale Gefahr der Zahlungsunfähigkeit, da die Hälfte der 10 Milliarden Dollar Verbindlichkeiten des Landes im November fällig werden. Edward Glossop, Wirtschaftswissenschaftler des Marktforschungsunternehmens Capital Economics erklärte gegenüber CNN: "Das Land ist mitten in einem Wirtschaftszusammenbruch. Die Zahlen sind vorhersehbar erschreckend."

Es sind Videos von Hungerunruhen vor einem Central Madeirense-Supermarkt in der Stadt Acarigua aufgetaucht. Die Nahrungsmittelknappheit hat für Millionen von Arbeitern in Venezuela zu einer verzweifelten Notlage geführt. Einige Bundesstaaten berichten, dass zwischen 70 und 90 Prozent der Lebensmittelgeschäfte über keine Grundnahrungsmittel wie Reis, Huhn und Maismehl mehr verfügen.

Unter diesen chaotischen Bedingungen schafft die rechte MUD mit Unterstützung des US-Imperialismus die Voraussetzungen für einen Machtwechsel. Die US-Regierung ist im Besonderen daran interessiert, Zugang zum Öl Venezuelas zu bekommen. Gegenwärtig wir das Öl vom staatseigenen Ölkonzern Petroleum of Venezuela (PDVSA) verarbeitet und verkauft.

Dokumente des Whistleblowers Edward Snowden haben im November 2015 enthüllt, dass die Central Intelligence Agency (CIA) aus der US-Botschaft in Caracas heraus eine massive Überwachungsoperation in Gang gesetzt hatte, um sich in das Computernetzwerk der PDVSA zu hacken.

Nachdem das Programm öffentlich gemacht worden war, erklärte der Sprecher des US-Außenministeriums, John Kirby, die US-Regierung "hat kein Interesse und nicht die Absicht, die Regierung Venezuelas zu destabilisieren." Kirby fügte hinzu: "Es ist nicht vorgesehen, elektronische Überwachung einzusetzen, um kommerzielle Vorteile zu erzielen."

Diese Behauptungen sind lächerlich. Die USA haben zahlreiche Diktaturen und Todesschwadrone überall in Lateinamerika finanziert, um eine möglichst effiziente Nutzung von Rohstoffen für amerikanische Konzerne zu ermöglichen.

Im Jahr 2002 hat die CIA einen Putschversuch gegen Chavez angestiftet. In den Monaten vor dem Putschversuch besuchte der Putschistenführer Pedro Carmona regelmäßig das Weiße Haus und traf sich mit Vertretern der Bush-Regierung, die die Putschvorbereitungen ausdrücklich unterstützten. Zwanzig Menschen wurden bei dem Putschversuch getötet, der misslang, als das Militär und Hunderttausende von Menschen vor dem Präsidentenpalast zusammenströmten und Chavez' Wiedereinsetzung verlangten.

Die augenblickliche Krise in Venezuela ist jedoch das Ergebnis des Scheiterns von Chavez' Programm und seiner sogenannten bolivarischen Revolution. Die Chavez- und die Maduro-Regierung haben beide auf Streiks der Arbeiter mit staatlicher Unterdrückung reagiert und ihre Programme waren auf die Verteidigung des Kapitalismus gerichtet. Es gab nur geringfügige soziale Reformen und begrenzte Verstaatlichungen.

Ihr nationalistisches Konzept hat die Bevölkerung den Schwankungen des Welt-Ölmarkts ausgesetzt. Das hat verheerende Folgen für die Arbeiter und Bauern. Nur eine Bewegung der Arbeiterklasse, die unabhängig ist von der bolivarischen PSUV und sich im Kampf mit den Arbeitern in Nord- und Südamerika verbindet, kann die Bestrebungen der MUD und des US-Imperialismus vereiteln, das Land den Interessen der Wall Street zu unterwerfen.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 19.02.2016
In Venezuela droht ein Staatsstreich
http://www.wsws.org/de/articles/2016/02/19/venz-f19.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Februar 2016

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