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GLEICHHEIT/6120: Der sandinistische Präsident Ortega gewinnt die Wahl in Nicaragua


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Der sandinistische Präsident Ortega gewinnt die Wahl in Nicaragua

Von Andrea Lobo
10. November 2016


Der Präsident Nicaraguas und Ex-Guerilla-Führer Daniel Ortega und seine Sandinistische Nationale Befreiungsfront wurden vor dem Hintergrund wachsender Ungleichheit und zunehmend autokratischer Herrschaftsformen für eine dritte fünfjährige Amtszeit in Folge gewählt. Obwohl sie mit dem Slogan "Nicaragua: christlich, sozialistisch, solidarisch" angetreten sind, planen er und seine Frau, die seine Vizepräsidentin wird, ihr unternehmerfreundliches und reaktionäres Programm voranzutreiben.

Der Oberste Wahlrat berichtete am Montag, dass die FSLN von den 2,6 Millionen abgegebenen Stimmen - das entspricht einer Wahlbeteiligung von 68 Prozent - 72,5 Prozent erhalten hat. Auf dem zweiten Platz landete die Liberale Verfassungspartei (PLC) mit 15 Prozent, gefolgt von der Unabhängigen Liberalen Partei mit 4,5 Prozent. Die Sitze im Parlament werden entsprechend aufgeteilt.

Die wichtigste Oppositionspartei, die Nationale Koalition für Demokratie, nahm an der Wahl nicht teil und rief die Wähler auf, sich der Stimme zu enthalten oder leere Stimmzettel abzugeben. Dennoch lag die Wahlbeteiligung nur geringfügig unter der der vorherigen Wahlen und nur 3,5 Prozent der Stimmzettel waren leer. Im Juni hatte der Oberste Gerichtshof den Führer der Koalition, Eduardo Montealegre, von seinem Führungsposten in der Partei abgesetzt. Das hatte dazu geführt, dass die Kandidaten der Koalition nicht zur Wahl antreten konnten. So konnte sich Ortega ohne eine nennenswerte Opposition zur Wahl stellen. Das ist aber dennoch keine ausreichende Erklärung für den hohen Wahlsieg.

Die zweitrangigen rechten Oppositionsparteien bieten den Massen Nicaraguas, die über die Kürzung der Sozialausgaben und die wachsende Kluft zwischen den Reichen und den Armen des Landes beunruhigt sind, keine Alternative. Und was die herrschende Elite angeht, so hat sie keine Mittel, um ein Anschwellen des Klassenkampfs zu unterdrücken.

Das Fehlen einer unabhängigen Partei der Arbeiterklasse und die weit verbreitete Verachtung gegenüber der rechten Opposition sind die Hauptgründe für den hohen Wahlsieg der FSLN.

Im Juni hatte Ortega verkündet, er werde keine internationalen Beobachter akzeptieren. Angesichts der zunehmenden internationalen und nationalen Kritik lud er die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) ein, eine Delegation zu schicken. Die OAS akzeptierte die Einladung, während der Wahlen anwesend zu sein und einen "Dialog" zu beginnen, fungierte aber nicht als "offizieller" Beobachter. Der Botschafter der USA in Nicaragua und das US-Außenministerium "begrüßten" die Entscheidung.

Ortegas wachsende Kontrolle über die nationale Politik hat der internationalen Presse und der US-Regierung Munition geliefert, um die FSLN unter Druck zu setzen. Bezeichnenderweise hat das US-Repräsentantenhaus im September den "Nicaragua Investment Conditionality Act" oder Nica Act verabschiedet, mit dem die Wirtschaftshilfe der Weltbank und anderer Finanzinstitutionen blockiert wird, bis Ortega "Reformen zur Stärkung der Demokratie" verabschiedet.

Am Montag reagierte der Sprecher des Außenministeriums Mark Toner auf die Wahlen und erklärte: "Die Vereinigten Staaten sind zutiefst besorgt über das mangelhafte Verfahren bei den Präsidentschafts- und Parlaments-Wahlen in Nicaragua, das freie und faire Wahlen unmöglich gemacht hat."

Im August hatte das Wall Street Journal Obama in einem Kommentar dazu aufgerufen, dasselbe zu tun wie 2009 bei dem von den USA unterstützten Putsch in Honduras. Das Journal erklärte: "Er [Daniel Ortega] soll einer der reichsten Männer des Landes sein. Viele in der Geschäftswelt haben seine allmähliche Machtergreifung mitgetragen. Jetzt könnte es zu spät sein, eine vollständige Diktatur zu verhindern."

Nachdem er kurz vor Schließung der Wahllokale seine Stimme abgegeben hatte, hielt Ortega so etwas wie eine Siegesrede. Er verwies auf die Besetzung des Landes durch die USA in den 1920er Jahren und erklärte: "Jetzt bestimmen wir Nicaraguaner über den Wahlprozess ... Nicht die amerikanischen Truppen 'zähmen' unser Vaterland, sondern die Nicaraguaner."

Ortega endete mit den Worten: "Gott sei Dank kommen Wahlen hier ohne Hass, Konfrontation und Tod aus. Dies ist eine Abstimmung über den Frieden."

Rosario Murillo wiederholte dann genau Ortegas Worte und fügte hinzu, sie hätten "in Jesus Namen" gewonnen. Er unterstrich, wie wichtig es sei, das "Bündnis" aufrechtzuerhalten, welches das Land regiert. Seit ihrer Machtübernahme hat die FSLN die "Befreiungstheologie", pseudo-marxistische Sprüche und unternehmerfreundliche Politik miteinander kombiniert, ganz speziell nachdem sie 2006 die Präsidentschaftswahl erneut gewonnen hatte. Das läuft auf eine reaktionäre Koalition zwischen der nationalen Wirtschaftselite, der Kirche, dem Staat und den Gewerkschaften hinaus.

Die Familie Ortega hat mit etlichen anderen sandinistischen Führern und prominenten Geschäftsleuten einen mächtigen Großkonzern aufgebaut, zu dem auch Großgrundbesitz und Medien gehören.

Da sie um einen größeren Anteil an den Profiten aus der Ausbeutung der Arbeiter und Bauern Nicaraguas kämpft, gerät Ortegas bürgerlich-nationalistische Clique in einen immer tieferen Konflikt mit dem US-amerikanischen und europäischen Imperialismus, insbesondere seit die weltweite Stagnation die wirtschaftliche Basis untergräbt, mit der sie ihre relative Macht stärken und Klassenspannungen dämpfen konnte.

Seit 2007 ist Ortegas Regierung vom Öl Venezuelas und von 4,8 Milliarden Dollar an Anleihen und Investitionen der Regierung Venezuelas abhängig, um Sozialprogramme zu finanzieren und lokalen Unternehmergruppen großzügige Zugeständnisse zu machen. Ortega versucht verzweifelt, Handels-, Wirtschafts- und Militärhilfe aus verschiedenen anderen Quellen zu bekommen, um seine Abhängigkeit von den USA zu verringern, unter anderem aus Venezuela, Brasilien, der Europäischen Union, China und Russland.

Seine Regierung steckt jedoch immer deutlicher in einer Sackgasse. Die Sozialausgaben Nicaraguas sind mit 214 Dollar pro Kopf schon jetzt die niedrigsten in der Region. Die Verringerung der Hilfe für Nicaragua und die jährlich 250 Millionen Dollar an Unterstützung und Krediten, die jetzt durch den Nica Act bedroht sind (das sind 19 Prozent von Nicaraguas gesamten Sozialausgaben), sorgen dafür, dass Ortegas kurze Hebel noch kürzer werden.

Während der 1980er-Jahre gab die Regierung der Sandinisten zirka 60 Prozent ihres Etats für den Krieg gegen die von den USA unterstützten Contras aus, und das Embargo der USA übte einen enormen Druck auf die Wirtschaft aus. Der mexikanische Wirtschaftshistoriker Mario Trujillo schreibt: "Die sandinistische Regierung hatte sich dafür entschieden, eine Mischwirtschaft zu fördern, den freien Markt aufrechtzuerhalten und Anleihen aufzunehmen (vor allem kleine und begrenzte). Speziell im Februar 1988 griff sie auf das orthodoxe wirtschaftliche Stabilisierungsprogramm zurück, das sich an die Normen anpasste, die der IWF für die lateinamerikanischen Länder verordnete, um in den 1980er-Jahren der wirtschaftlichen Rezession zu begegnen und die Rückzahlung der Auslandsschulden zu ermöglichen." (Nicaragua: Elections and perspectives of a neo-social-democratic government, 1990)

Als die stalinistische Bürokratie keine Wirtschaftshilfe mehr leistete, fiel das Land in eine jahrzehntelange Wirtschaftskrise, weshalb 75 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben. Das führte zur Niederlage der Sandinisten in den Wahlen von 1990 und ihrem weiteren Rechtsruck sowie zu ihrer Rückkehr in den Einflussbereich des US-Imperialismus, wenn auch mit einigem rhetorischem Widerstand. Dieser Prozess hält bis heute an, auch gestützt von der sogenannten Linkswende der lateinamerikanischen bürgerlichen Regierungen, die in den frühen 2000er-Jahren begann.

Die westlichen Medien gewähren Ortega immer noch Anerkennung dafür, dass er eine unternehmerfreundliche Politik beibehalten und im Verlauf seiner zwei Amtszeiten die offizielle Armutsrate um 15 Prozent gesenkt hat. Obwohl viele der Armen Nicaraguas teilweise davon profitiert haben, sind die größten Vorteile an die nationale Bourgeoisie und ihre imperialistischen Partner gegangen. Laut den Daten des National Information Development Institute (INIDE) ist die Ungleichheit, gemessen am Gini-Index, genauso hoch wie 2007, und 62 Prozent der Familien können sich immer noch nicht den bescheidenen Warenkorb an Waren und Dienstleistungen leisten, der die Grundbedürfnisse abdecken soll.

Gleichzeitig berichtet die Hilfsorganisation Oxfam, dass die 254 Multimillionäre Nicaraguas ein durchschnittliches Einkommen haben, das 12.000-mal so hoch liegt wie das des ärmsten Fünftels der Bevölkerung.

Der IWF hat sein Büro in Nicaragua dieses Jahr in Anerkennung des finanzpolitischen Gehorsams Nicaraguas geschlossen. Die fristgerechten Zahlungen der Regierung betragen aber immer noch zirka 35 Prozent seines Staatshaushalts. Das führt unter ungünstigen ökonomischen Bedingungen zu immer schärferen Sparmaßnahmen. Um sich auf dieses Szenario und die Verschärfung des Klassenkampfs vorzubereiten, unterstützen Ortega und der US-Imperialismus autokratische Herrschaftsformen, wie die Stärkung des Militärs und der Polizei, die beide seit 2013 immer weiter ausgebaut und modernisiert wurden.

Washington setzt Ortega unter Druck, unpopuläre wirtschaftliche und politische Maßnahmen voranzutreiben, Obamas "Pivot to Asia" sowie die wachsende Konfrontation mit Russland zu unterstützen.

Als Zeichen ihrer Zusammenarbeit und als Anerkennung des erwarteten Wahlsiegs haben die FSLN-Regierung und die Zentralbank im Oktober ihren Wirtschaftsplan für 2017 bis 2021 mit dem Titel "Lasst uns zusammen wachsen" vorgelegt. Das Dokument unterstützt das Freihandelsabkommen mit den USA (CAFTA) und mit der Europäischen Union und bekundet seinen Wunsch, der US-geführten Transpazifischen Partnerschaft beizutreten. Was die Finanzierung angeht, fordert sie "die Ausgabe von Schuldtiteln des Staats auf den internationalen Märkten" und die Entwicklung von Investitionen "öffentlich-privater Verbände".

Der Vertreter der Weltbank bei der Präsentation des Plans, Luis Constantino, erklärte: "Der Plan sieht in meinen Augen gut aus und wir sind sehr zufrieden damit."

Die meisten Projekte der Regierung für diesen Zeitraum sind im Bereich Transport und Telekommunikation geplant. Gesundheitsprogramme werden gar nicht erwähnt, und nur zwei nicht finanzierte Bildungsprogramme gehören dazu, die sich auf didaktische Technologien beziehen. Der 50 Milliarden Dollar teure interozeanische Kanal, für den die Regierung einer chinesischen Firma die Konzession erteilt hat, wird noch nicht einmal erwähnt. Und obwohl behauptet wird, die benötigte Finanzierung sei vorhanden, wird der Beginn des Bauvorhabens weiter verschoben.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 10.11.2016
Der sandinistische Präsident Ortega gewinnt die Wahl in Nicaragua
http://www.wsws.org/de/articles/2016/11/10/sand-n10.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. November 2016

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