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GLEICHHEIT/6262: Ägypten - Brotrationierung löst Proteste aus


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Ägypten: Brotrationierung löst Proteste aus

Von Niles Niemuth
10. März 2017


Hunderte Ägypter protestierten am Dienstag gegen die jüngste Entscheidung, subventioniertes Brot zu rationieren. In Alexandria, Minja, Desouk und andern Städten und im Arbeiterviertel Imbaba in Kairo kam es zu Demonstrationen.

In den sozialen Medien verbreiteten sich die Bilder aus Alexandria, wo Hunderte Demonstranten skandierten: "Wir wollen essen, wir wollen Brot". Protestierende blockierten zeitweise die Zuggleise in Alexandria und zwischen Kairo und Minja. Die Unruhen wurden in den sozialen Medien als "Intifada" bezeichnet.

Wie der ägyptische Minister Ali Mosehly am Montag bekanntgab, wird die Zahl der subventionierten Brotlaibe, die jeder Brotkartenhalter pro Tag erwerben kann, von fünf auf drei gekürzt. Mosehly hatte sein Amt im letzten Monat bei einer Kabinettsumbildung übernommen, nachdem es zu einer ernsten Zuckerversorgungskrise gekommen war. Mosehly klagte, das Subventionsprogramm für Brot sei mit 28 Millionen Dollar im Monat zu teuer.

Nach der Ankündigung von Montag weigerten sich immer mehr Bäckereien, die Brotkarten aus Papier zu akzeptieren, und bestanden darauf, das Brot nur an Besitzer von Smart-Karten aus Plastik abzugeben. Diese sind aber für die Armen nur schwer erhältlich. Außerdem wurde die Anzahl der subventionierten Laibe, die an jeder Abgabestelle verfügbar sind, von 1500 am Tag auf 500 reduziert.

"Die meisten Familien in armen Gegenden haben nur Papierkarten. Wir versuchen seit Jahren, die elektronischen Karten zu bekommen. Aber dafür musst du das zuständige Personal bestechen", erklärte ein Demonstrant namens Montaser Awad einem Reporter von Middle East Eye.

Saed, ein Angestellter des staatlichen Versorgungsbüros von Monera al-Gharbya, sagte dem Middle East Eye, dass die Bäckereien von der Regierung die Anweisung hätten, den Verkauf von Brot auf ihre so genannten Goldkarten zu reduzieren. "Die Goldkarten erlauben es den Bäckern, Brot an jene zu verkaufen, die nur Papierkarten besitzen, und an die Armen, die gar keine Karten haben. Die Regierung hat verstanden, dass diese Goldkarten sehr viel Brot kosten. Da haben sie beschlossen, die Abgabe zu kürzen."

Saed äußerte Verständnis für die Demonstranten. "Es waren ungefähr hundert Männer und Frauen. Ich kann ihnen keinen Vorwurf machen. Aber wir sind auch nur Staatsdiener. Wir haben die gleichen Probleme."

Das Brotsubventionsprogramm ernährt in Ägypten dutzende Millionen Arme und Arbeiter. Der für das Programm notwendige Weizen hat Ägypten zum größten Weizenimporteur der Welt gemacht.

Nur fünf Tage vor den Protesten war der ehemalige Diktator Hosni Mubarak freigelassen und von jeder Verantwortung für den Tod von hunderten Demonstranten freigesprochen worden. Die Sicherheitskräfte seines Regimes hatten während der Revolution im Jahr 2011 mehr als 800 Menschen getötet, um Mubarak an der Macht zu halten.

Letzte Woche machte die Entscheidung des Obersten Berufungsgerichts den Weg für Mubaraks Entlassung aus dem Militärkrankenhaus in Maadi frei, in dem er die letzten sechs Jahre verbracht hatte.

2012 hatte das Gericht Mubarak für die Tötung der Demonstranten zu lebenslangem Gefängnis verurteilt. Ein Berufungsgericht hatte jedoch das Urteil aufgehoben und einen neuen Prozess angeordnet, in dem Mubarak schließlich freigesprochen wurde. Das Urteil, das 2014 erging, wurde am Dienstag bestätigt.

Dreijährige Gefängnisstrafen für Korruption gegen Mubarak und seine beiden Söhne Gamal und Alaa wurden im Januar 2016 bestätigt. Nach Verbüßung der Strafe verließen Alaa und Gamal schon 2015 das Gefängnis als freie Männer. Mit der Bestätigung von Mubaraks Freispruch befindet sich nun kein Vertreter des brutalen Militärregimes mehr hinter Gittern.

Sechs Jahre nach der Revolution, die das Mubarak-Regime zum Einsturz brachte, und vier Jahre nach dem Militärputsch, der General Abdel Fatah al-Sisi an die Macht brachte, gleicht die ägyptische Gesellschaft einer tickenden Zeitbombe.

Nachdem er den ersten demokratisch gewählten Präsidenten Mohammed Mursi gestürzt hatte, stieg al-Sisi 2013 zum Diktator auf. Sein Militärregime hat alle Proteste brutal unterdrückt und 60.000 der Demonstranten von 2011 hinter Gitter gebracht. Dennoch ist es der al-Sisi-Diktatur nicht gelungen, die grundlegenden sozialen Forderungen der Revolution - "Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit" - zum Schweigen zu bringen.

Die soziale Krise wird durch Ägyptens tiefste Wirtschaftskrise seit mehr als zehn Jahren noch verschärft. Die Inflation erreichte im Januar fast dreißig Prozent, fünf Prozent mehr als Ende 2016.

Der Preis für Grundnahrungsmittel, Medikamente, Fahrtkosten und Mieten schoss in die Höhe. Das ägyptische Pfund verlor die Hälfte seines Werts, als die Regierung im November den Wechselkurs freigab. Der Druck auf die Arbeiterklasse und die arme Ägypter nahm weiter zu, als die Subventionen für Treibstoff und Heizöl gekürzt wurden und eine neue Mehrwertsteuer eingeführt wurde.

Die ägyptische Regierung hat diese jüngste wirtschaftliche Schocktherapie entfesselt, um die Rückzahlung eines Kredits des Internationalen Währungsfonds in Höhe von zwölf Milliarden Dollar sicherzustellen. Eine entsprechende Vereinbarung war im November unterzeichnet worden.

Die heutigen Proteste erinnern an die viel größeren Brotunruhen, die im Januar 1977 ausbrachen. Damals hatte Präsident Anwar al-Sadat die Subventionen für Mehl, Reis und Speiseöl gestrichen, um einen Kredit von der Weltbank und dem IWF zu erhalten. Daraufhin stiegen die Lebensmittelpreise um fünfzig Prozent. Als hunderttausende Arbeiter auf die Straße strömten, schritt die Armee ein und unterdrückte die Proteste. Es gab achtzig Tote, achthundert Verletzte und Tausende Verhaftungen.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 10.03.2017
Ägypten: Brotrationierung löst Proteste aus
http://www.wsws.org/de/articles/2017/03/10/egyp-m10.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2017

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