Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


GLEICHHEIT/6608: Israel - 17 Demonstranten im Gazastreifen getötet


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Israel: 17 Demonstranten im Gazastreifen getötet

Von Jean Shaoul
2. April 2018


Israelische Soldaten haben am 30. März mindestens 17 Palästinenser getötet und über 1.400 weitere verwundet. Mit scharfer Munition gingen sie gegen eine Protestaktion an der Grenze zwischen Gaza und Israel vor. Die Protestierenden waren nur mit Steinen und selbst hergestellten Brandsätzen bewaffnet.

Die israelische Armee setzte Scharfschützen, Drohnen und Waffen zur Aufstandsbekämpfung ein. Auch in den Städten des Westjordanlands gingen etwa 900 Palästinenser auf die Straße, und bei Zusammenstößen in Nablus verletzten israelische Soldaten weitere 27 Palästinenser.

Die Protestaktionen am Grenzzaun des Gazastreifens, genannt "Großer Marsch der Rückkehr", sollen die nächsten sechs Wochen andauern. Das Gaza-Gebiet wird von Israel und Ägypten seit elf Jahren auf kriminelle und unmenschliche Weise von der Welt abgeschnitten.

Die Demonstrationen sollen bis zum 15. Mai andauern, dem 70. Jahrestag der Staatsgründung Israels. Dieser Tag trägt unter Palästinensern den Namen Nakba (Katastrophe). An dem Tag begann der bis heute währende Krieg Israels gegen seine arabischen Nachbarn.

Nach dem Krieg von 1948-1949 blieben von den 1,2 Millionen Palästinensern, die in dem Teil Palästinas gelebt hatten, der zu Israel werden sollte, nur noch etwa 200.000 Palästinenser übrig. Während viele vor dem Krieg flohen, verließen die meisten das Land aus Angst vor dem Schicksal, das ihnen unter dem Regime zionistischer Terroristen drohte. Der neugegründete Staat beschlagnahmte ihre Häuser und ihr Land. Besonders berüchtigt war das Massaker von Deir Yasin, wo Menachem Begins Terrororganisation Irgun jedes Haus durchkämmte, die Palästinenser daraus vertrieb und dabei 250 Männer, Frauen und Kinder kaltblütig ermordete.

Laut den Vereinten Nationen gibt es derzeit etwa 5 Millionen registrierte palästinensische Flüchtlinge. Darunter sind die Vertriebenen des ersten israelisch-arabischen Kriegs von 1948-1949 und des Kriegs vom Juni 1967 und ihre Nachkommen, sowie zahllose weitere Flüchtlinge, die später aus Israel und den von ihm besetzten Territorien vertrieben wurden. Die meisten von ihnen leben bis heute unter den entsetzlichen Bedingungen von Flüchtlingslagern im Gazastreifen, im Westjordanland, in Jordanien, im Libanon oder in Syrien. Viele leben heute über den ganzen Nahen Osten verstreut oder in westlichen Ländern.

Israel weigert sich hartnäckig, palästinensischen Flüchtlingen und ihren Nachkommen das Recht auf Rückkehr zu gewähren, weil das einem Eingeständnis seiner Verantwortung für ihre Vertreibung gleichkommen würde. Außerdem würde dies die jüdische Mehrheit in Israel gefährden, und deshalb behauptet der zionistische Staat immer wieder, es würde sein Überleben gefährden.

Die Demonstrationen begannen an diesem Freitag, weil dies auch der "Tag des Bodens" ist, den Palästinenser in aller Welt jedes Jahr begehen. An diesem Tag vor 42 Jahren erschossen israelische Soldaten sechs palästinensische Bürger Israels. Sie hatten dagegen protestiert, dass palästinensisches Land im Norden Israels enteignet worden war, um jüdische Siedlungen zu errichten. Weitere hundert palästinensische Israelis wurden an diesem Tag, dem 30. März 1976, verletzt, und hunderte weitere verhaftet.

Eine zentrale Forderung des Großen Marschs der Rückkehr ist die volle Durchsetzung der Resolution 194 der UN-Generalversammlung vom Dezember 1948. Darin heißt es, "dass denjenigen Flüchtlingen, die zu ihren Wohnstätten zurückkehren und in Frieden mit ihren Nachbarn leben wollen, dies zum frühestmöglichen Zeitpunkt gestattet werden soll".

Von den 1,9 Millionen Palästinenser, die heute im Gazastreifen leben, sind 1,3 Millionen Flüchtlinge, wie das Palästinensische Zentralbüro für Statistik im Februar 2018 festgestellt hat.

Die Palästinenser haben mehrere Zeltlager im Grenzgebiet zwischen Gaza und Israel aufgestellt, die tausende Demonstranten fassen können. Sie werden nahe dem Grenzzaun einen lang anhaltenden Protest durchführen und bis zum Nakba-Tag am 15. Mai jeden Freitag Demonstrationen durchführen.

Israel hat sich darauf intensiv vorbereitet: Es hat Stacheldrahtzäune errichten lassen und mehr als einhundert Scharfschützen postiert. Die Regierung bestätigte schon vor den gestrigen Protesten, dass sie sich darauf vorbereitet habe, "Proteste mit Tränengas, Schockgranaten und gezielten Schüssen auf Rädelsführer auseinanderzutreiben". Dazu mobilisierte sie die Armee, und nicht nur Polizei und Grenzschützer. Als Grund nannte sie Demonstrationen am Tag des Bodens in Israel und die Furcht vor Angriffen in Jerusalem.

Armeeführer Gadi Eizenkot sagte, dass die israelische Armee (IDF) bei den Protesten keine "massenhafte Infiltrierung" Israels erlauben oder die Beschädigung von Grenzanlagen zwischen Gaza und Israel tolerieren werde.

Er sagte: "Wir haben mehr als einhundert Scharfschützen stationiert, die wir aus allen militärischen Einheiten zusammengezogen haben, hauptsächlich aus Sondereinheiten." Er fügte hinzu: "Wenn das Leben von Israelis bedroht ist, gilt ein Schießbefehl. Wie werden keine massenhafte Infiltration nach Israel und keine Beschädigung des Grenzzauns zulassen, und schon gar nicht, dass israelische Siedlungen beeinträchtigt werden."

Deswegen ist auch die gesamte Grenzregion zu einer geschlossenen militärischen Zone erklärt worden, was man nur als "Shoot-to-kill"-Strategie verstehen kann.

Außerdem hat Israel auch Druck auf Facebook ausgeübt, damit es palästinensische Journalisten zensiert und jedwede kritische Berichterstattung über Israel unterbindet.

Letzte Woche schloss Facebook beflissen die große Nachrichtenseite der palästinensische Presseagentur Safa, die 1,3 Millionen Follower hat, auch ihr Instagram-Account wurde geschlossen. Facebook verteidigte ihr Vorgehen mit der Begründung, dass es ein Schritt gegen "hate speech" und "Aufwiegelung" sei.

Ha'aretz zufolge, hat Facebook seit Anfang des Jahres ungefähr 500 Seiten von palästinensischen Aktivisten und Journalisten geschlossen. Die Zeitung betont, dass Safa der Hamas angeschlossen sei und als Gegengewicht zur offiziellen palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa gelte, die von der palästinensischen Autonomiebehörde und ihrer Fatah-Fraktion von Mahmoud Abbas kontrolliert wird.

Die Facebook Blockade folgt auf den Live Streaming-Bericht über ein palästinensisches Mädchen, Ahed Tamimi, die einem schwerbewaffneten israelischen Soldaten eine Ohrfeige verpasst hatte. Sie wurde dafür festgenommen und zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Auch ihre Mutter, die den Vorfall gefilmt hatte, wurde verhaftet. Das Mädchen ist seither zu einem internationalen Attraktionspunkt für Palästinenser in aller Welt geworden.

Das israelische Außenministerium instruierte seine Botschaften und erklärte schon vor den Ereignissen, dass "Hamas und die anderen Palästinenserorganisationen für alle Zusammenstöße verantwortlich" seien.

Nur Stunden vor Beginn der Demonstrationen tötete ein israelischer Panzer einen Bauern aus Gaza, der auf dem Feld arbeitet, und verwundete einen anderen in einem Dorf im Süden des Gazastreifens.

Der Große Marsch der Rückkehr findet inmitten zunehmender Spannungen statt. Die Wirtschaft des Gazas ist längst ausgeblutet und befindet im Zusammenbruch. Die Blockade und die mörderischen Angriffe auf den Gazastreifen haben den größten Teil seiner Infrastruktur zerstört. So sind in den Angriffen von 2008-2009, 2012 und 2014 jeweils 1.417, 147 und 2.250 Palästinenser getötet und zehntausende Wohnungen zerstört worden.

Stromsperren führten zu Wasserknappheit, und Abwasser blieb ungeklärt, nachdem die auf der Westbank herrschende Palästinensische Autonomiebehörde Israel kein Geld mehr für Treibstoff für das Kraftwerk von Gaza überwies. Die Löhne für tausende Beschäftigte des öffentlichen Dienstes wurden gestrichen oder gekürzt. Diese Maßnahmen zwangen die Hamas zwar, "Versöhnungsgespräche" mit der Fatah aufzunehmen. Die Gespräche scheiterten aber und brachten keine materiellen Erleichterungen.

Im Oktober gab das World Food Programm wegen knapper Haushaltsmittel eine Kürzung seiner Lebensmittellieferungen nach Gaza bekannt. Anfang diesen Jahres hielt die Trump-Regierung Geld für Lebensmittelhilfen und für die United Nations Relief and Work Agency (UNRWA), zurück, die 1,2 Millionen Menschen in Gaza unterstützt. Dadurch wurde die letzte Versorgungsleitung nach Gaza unterbrochen.

Seit Monaten gibt es fast wöchentlich Demonstrationen gegen die Blockade und die humanitäre Krise. Im Dezember erreichten die Spannungen einen neuen Höhepunkt, als US-Präsident Donald Trump Jerusalem als Israels Hauptstadt anerkannte. Anfang dieses Jahres traten die Händler im Gaza aus Protest gegen die sich verschlechternde Situation in den Streik.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres beschrieb den Gaza als eine einzige "ständige humanitäre Katastrophe". Vergangenes Jahr hieß es in einem UN-Bericht, dass die Lebensbedingungen der beinahe zwei Millionen Einwohner des Gazastreifens sich ständig verschlechterten, und zwar schneller, dies noch 2012 erwartet worden war. In dem damaligen Bericht hatte es geheißen, dass es bis 2020 nicht mehr möglich sein werde, dort zu leben.

Die imperialistischen Mächte, die sonst so leichthändig mit den "Menschenrechten" argumentieren, wenn es darum geht, Kriege zu rechtfertigen, die sie für geostrategische Interesse führen, schweigen sich aus und nehmen ihren regionalen Polizisten in Schutz.

*

Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: sgp[at]gleichheit.de

Copyright 2018 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten

*

Quelle:
World Socialist Web Site, 02.04.2018
Israel: 17 Demonstranten im Gazastreifen getötet
http://www.wsws.org/de/articles/2018/04/02/isra-a02.html
Sozialistische Gleichheitspartei
Vierte Internationale (SGP)
Postfach 040 144, 10061 Berlin
Telefon: (030) 30 87 27 86, Telefax: (032) 121 31 85 83
E-Mail: sgp[at]gleichheit.de
Internet: www.wsws.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. April 2018

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang