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GRASWURZELREVOLUTION/1015: Fritz Benner - Anarchist - Teil 2


graswurzelrevolution 339, Mai 2009
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Fritz Benner - Anarchist
Teil 2: Rückkehr nach Deutschland (Fortsetzung aus GWR 338) (*)

Von Dieter Neues


In der GWR 338 wurde über den Kampf Fritz Benners gegen den deutschen und den spanischen Faschismus berichtet. Er hatte sich als militanter Anarchist gegen die SA zur Wehr gesetzt und wurde ins KZ Börgermoor deportiert. Wieder auf freiem Fuß emigrierte er zuerst in die Niederlande, dann nach Spanien und war in der DAS (Deutsche Anarchosyndikalisten im Ausland) aktiv (GWR-Red.).


Nach einer Odyssee durch mehrere europäische Staaten gelangte Fritz Benner nach Schweden, wo er zunächst mehrere Monate inhaftiert wurde. Dass er aber trotz der demoralisierenden Niederlage in Spanien und den elenden Lebensbedingungen noch immer über subversives Potential verfügte, zeigen die Erinnerungen seines Genossen Helmut Kirschey: "Das Zimmer, das ich mir mit Fritz Benner teilte, lag in einem Göteborger Arbeiterviertel und war eine Notunterkunft. In dem Zimmer wohnte noch ein deutscher Matrose, den ich aus Spanien kannte: Jack Vesper.

Für unsere Unterkunft mit Wanzen und Kakerlaken bezahlten wir 20 Kronen pro Monat. Toiletten im Haus gab es nicht, dafür ein Plumpsklo auf dem Hof. Um nicht in der Kälte vor die Tür zu müssen, verrichteten wir unsere Notdurft in Schuhkartons oder auf Zeitungen, die wir später hinaustrugen.

Um uns die Zeit zu vertreiben, spielten wir abends meist Karten, vor allem Skat. Gegen zwei, drei Uhr nachts gingen wir dann gewöhnlich draußen eine Runde spazieren, bevor wir uns zu Bett legten. Eines Nachts mußte Fritz ganz dringend und machte sein Geschäft in einen Schuhkarton, verschloß ihn mit dem Deckel und verschnürte das ganze mit einem Band, bevor wir nach draußen gingen. Kaum waren wir aus der Tür, hatten uns zwei Polizisten erspäht und folgten uns. Wir wußten, daß sie uns beobachteten, und aus reinem Schabernack behielt Fritz seinen Schuhkarton in der Hand. Wir gingen einige hundert Meter, und sie kamen immer näher. Schließlich hatten sie uns eingeholt und sprachen uns an.
'N 'abend.'
'N'abend.'
'Noch so spät unterwegs, die Herren?'
'Ja, wir wollten noch ein bißchen frische Luft schnappen.'
'Ah ja. Darf ich fragen, was Sie dort in dem Karton haben?'
'Das ist Scheiße", sagte Fritz Benner.'
'So so. Dürfte ich die Scheiße mal sehen?'
'Bitte sehr.' Fritz reichte dem Polizisten den Schuhkarton. Der öffnete ihn und stellte fest, daß es sich wirklich um Scheiße handelte. Von da an konnten wir unsere nächtlichen Spaziergänge ohne Polizeieskorte machen."

Nach der Okkupation von Dänemark und Norwegen durch deutsche Truppen wurde Fritz Benner Anfang 1940 als feindlicher Ausländer verhaftet. Im Internierungslager trat er in einen Hungerstreik, weil er sich weigerte, vor dem Frühstück ein Tischgebet zu sprechen. Der Streik sorgte für großes Aufsehen in der Presse und nach einer kurzfristigen Verlegung in ein Gefängnis wurde Benner entlassen.

Während des Krieges arbeitete er in Zusammenarbeit mit der Internationalen Transportarbeiter Föderation (ITF) und dem britischen Geheimdienst illegal gegen Deutschland. Seine große Hoffnung, nach der deutschen Niederlage sofort in seine Heimatstadt zurückkehren zu können, wurde enttäuscht. Die britischen Besatzungsbehörden lehnten seine Anträge bis 1949 ab. Als er die Genehmigung endlich erhielt, teilte ihm das Wuppertaler Wohnungsamt mit, dass keine Wohnungen zur Verfügung ständen und er deshalb keine Zuzugsgenehmigung erhalte. Daraufhin schrieb er an den Leiter der Betreuungsstelle für ehemalige politische Häftlinge in Wuppertal:

"Ich kann Dir verraten, daß ich so empört bin, daß ich die ganze Nacht nicht schlafen konnte. Für mich als Wuppertaler, der in Deutschland und später im Ausland - in Spanien mit der Waffe in der Hand den Nazismus mit allen Mitteln bekämpfte, hat man keinen Platz (Dummheit oder bewußte Gemeinheit). Bei der Lektüre des Schreibens kam mir der Gedanke, es nicht mit der Betreuungsstelle für politisch Verfolgte, sondern mit einer Verteidigungsstelle für faschistische Provokateure, für unfähige Beamte zu tun zu haben.

Wenn Herr Heimann mir inzwischen schreibt und von mir verlangt, daß ich im Interesse der Wohnungslosen auf meine Heimkehr verzichte, so betrachte ich das als schamlose Provokation. Herr Heimann würde es zweifellos als faschistische Provokation betrachten - und das mit vollem Recht - wenn ich ihm den Vorschlag machte, er solle im Interesse der Heimatlosen nach Palästina auswandern.

Herr Heimann teilte mir in seinem Schreiben offiziell mit - nachdem er noch die Schamlosigkeit besessen hatte, mir sein Wohlwollen zu versichern -, daß ich keine Zuzugsgenehmigung bekäme. Das bedeutet - wie ich inzwischen erfuhr - auch Nichtbewilligung von Lebensmittelkarten. Unter meinen zahllosen schwedischen Freunden und auch bei den schwedischen Behörden bin ich als Michael Kohlhaas bekannt ... Wenn mich das 'Vierte Reich', nachdem ich unter dem Dritten soviel ertragen habe, zur Verzweiflung treiben will, mich zum Verbrecher machen will, werde ich wirklich wie Michael Kohlhaas handeln. Das versichere ich Ihnen! Das habe ich mir in den langen Jahren des Exils geschworen!

Da es selbstverständlich ist, daß die Wohnungsnot noch Jahrzehnte bestehen wird, will mir Herr Heimann für immer die Heimat verweigern. Goebbels rief uns seinerzeit im Radio nach: 'Wir werden sie jagen von Land zu Land, von Kontinent zu Kontinent.' Nun kommt Herr Heimann und will in der Realität die vom 'Dritten Reich' über mich verhängte Ausbürgerung definitiv machen. Ich glaube, man muß Teutscher sein, um das überhaupt verstehen zu können. Demokratie ohne Demokraten! Demokraten ist der Eintritt verboten.

Wenn ich nun keine Verwandte oder Bekannte haben sollte, oder nur solche, die entweder 'überbelegte' oder 'unterbelegte' Wohnungen haben, 'darf' ich niemals heimkehren? Man begreift, was solche teutschen Späße bedeuten und wie sie eingreifen. Nach meiner ersten Mitteilung hatte man schon festgestellt, daß den heimkehrenden Kriegsgefangenen und entlassenen Nazisten die Heimkehr nicht verweigert wird. Um meine Heimkehr handelt es sich! Ich benötige keine 'Zuzugsgenehmigung'!!!

Ich möchte Ihnen, da Sie ja sicher ein guter Demokrat sind, nun nicht verhehlen, daß der Glaube an die Autorität nicht Pate stand an meiner Wiege. Herr Heimann, der mich belehren will, wie man mit Behörden verkehren soll, rufe ich die Worte von Erich Mühsam zu: 'Ich hab's mein Lebtag nie gelernt, mich fremdem Zwang zu fügen.'"

Fritz Benner konnte schließlich im Frühjahr 1949 nach Wuppertal zurückkehren. Aber er war, wie er an einen Genossen schrieb, nach 14 Jahren "praktisch in ein fremdes Land" zurückgekehrt und, da er sich "schlecht assimilieren" konnte, krank geworden. Die "Völksgenossen" machten es EmigrantInnen nicht leicht, Fuß zu fassen. Nach langen Querelen mit den Wiedergutmachungsbehörden setzte er seine Ansprüche à la Michael Kohlhaas durch, in dem er die Scheiben der Düsseldorfer Wiedergutmachungsbehörde zertrümmerte.

Es gelang ihm jedoch nicht mehr, in Deutschland Fuß zu fassen. 1952 kehrte er enttäuscht nach Schweden zurück. Einem holländischen Genossen schrieb er 1953:

"Du hast recht, daß ich nicht sonderlich glücklich bin. Aber das Problem ist unlöslich, ich passe nicht ins Ausland. Vor allem schon deshalb nicht, weil ich es so schwer habe, Sprachen zu lernen. In Schweden passe ich aber auf keinen Fall; der schwedische Lebensstil ist mir in tiefster Seele zu wider. Ich habe mich in den langen Jahren der Emigration wie wahnsinnig nach Hause gesehnt. Nicht nur aus persönlichen Gründen, sondern auch in der Hoffnung, meine Erfahrungen für unsere Sache verwerten zu können. Ich habe davon geträumt, daß wir eine ähnliche Situation bekommen würden, als nach 1918. Damals war Leben und Bewegung in den Massen; ich hätte dann manches leisten können. Du weißt, wie es kam, daß ich wieder nach hier verschlagen wurde. Bin ich in Deutschland, sehne ich mich wahnsinnig nach Frau und vor allen den Kindern; bin ich hier, sehne ich mich wahnsinnig nach meiner Heimatstadt. Nach meinem Beruf, nach dem Dialekt, nach der Freiheit, nach den Schenken in den kleinen Wirtschaften. Es ist nicht leicht in meinem Alter wieder als ungelernter Arbeiter zu gehen, der Knecht der anderen zu sein.

In Deutschland hatte ich meinen Beruf, hatte alle Privilegien usw. Früher, als Flüchtling, habe ich alles ohne Murren ertragen, damals war ich Opfer im Kampf. Aber das bin ich heute nicht mehr; ich hätte schon nach all diesen Jahren Gefängnis, KZ und Emigration ein besseres Schicksal verdient.

Mir fällt immer noch ein, lieber Albert, daß ich Dir in Spanien sagte: 'Verlieren wir hier, versackt eine Generation von Revolutionären'. Leider habe sehr weit recht behalten. Gewiß mit Hitler wurde man fertig. Das war gut und nötig; ich würde sonst längst schon tot sein. Aber der Faschismus wurde fast ausschließlich militärisch geschlagen, nicht durch den Kampf der Massen, jetzt die Enttäuschung der ehrlichen Massen, nicht zuletzt in Deutschland, die an Rußland und die Kommunisten glaubten. Deshalb dieser tote Punkt, den wir nicht überwinden können. Wir sterben langsam aus ... Neue Katastrophen nähern sich schon. Es ist zum Weinen. Ich bin müde, müde, lieber Albert. Anarchist werde ich immer bleiben, weil das alleine meinem Charakter entspricht. Ich bin es aber auf meine Weise. Das souveräne Individuum interessiert mich, sonst nichts. Ich bin kein abstrakter Individualist etwa nach dem Muster Stirners, aber das Individuum ist für mich das Wesentliche. Wenn ich das Leben hier ertragen will, ist es für mich eine psychologische Notwendigkeit, daß ich ab und zu mal nach Deutschland fahre. Weniger um dort politische Studien zu betreiben, sondern um mich auszuleben."


(*) Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Teil 1 dieses Artikels siehe unter:
GRASWURZELREVOLUTION/995: Fritz Benner - Anarchist - Teil 1
Link: www.schattenblick.de/infopool/medien/altern/grasw995.html


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Quelle:
graswurzelrevolution, 38. Jahrgang, GWR 339, Mai 2009, S. 16 und 17
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
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Tel.: 0251/482 90-57, Fax: 0251/482 90-32
E-Mail: redaktion@graswurzel.net
Internet: www.graswurzel.net

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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juni 2009