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GRASWURZELREVOLUTION/1254: Anti-Counterfeiting Trade Agreement (Acta)


graswurzelrevolution 368, April 2012
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Anti-Counterfeiting Trade Agreement (Acta)

Von Gerriet Schwen



"Wenn ich Acta höre, habe ich meistens das Gefühl, dass zwar alle Leute davon reden, aber niemand wirklich weiß worum es geht."
(Jonas, Mitbewohner)

Acta, ausgeschrieben Anti-Counterfeiting Trade Agreement, kann als Handelsabkommen gegen Produktpiraterie übersetzt werden.

Angeblich soll das Abkommen das Bekämpfen von Produktpiraterie vereinfachen: Privatpersonen und Firmen sollen ihre Rechte besser durchsetzen können. Es wird behauptet, dass ein internationaler Standard für das Verfolgen und Eindämmen von Urheberrechtsverletzungen geschaffen werden soll.

Der Vertrag wurde seit über vier Jahren von den Regierungen Australiens, Kanadas, der EU, Japans, Koreas, Mexikos, Marokkos, Neuseelands sowie Singapur, der Schweiz und den USA geheim ausgehandelt.


Wieso stemmen sich weltweit Millionen Menschen gegen einen spröden Text zum Kampf gegen die Produktfälschung?

Neben internationalen Protesten und Demonstrationen wurden dem Europäischen Parlament über 2,4 Millionen Unterschriften gegen Acta überreicht. Wieso kritisiert selbst der Präsident des EU-Parlaments Martin Schulz (SPD) Acta in der jetzigen Form als "nicht gut"?

"Das notwendige Verhältnis von beidem - Schutz des Urheberrechts einerseits, individuelle Grundrechte der Nutzer andererseits - ist im Abkommen nur sehr unzureichend verankert." (1)


Geht es allen nur darum weiterhin youtube oder andere Plattformen nutzen zu können?

Nein. Das Problem liegt auf einer viel elementareren Ebene: Deshalb hat selbst der offiziell ernannte Rapporteur (jemand in der Position eines Regierungssprechers) des Europäischen Parlaments bezüglich Acta, Kader Arif, seine Position aus Abscheu aufgegeben.

Abschnitte aus seiner öffentlichen Erklärung:

"Ich möchte in der allerschärfsten Weise den ganzen Prozess verurteilen, der zur Unterzeichnung dieses Abkommens führte: keine zivile Organisation wurde beteiligt... Als Rapporteur dieses Textes habe ich nie da gewesene Manöver vom rechten Flügel dieses Parlamentes erlebt, um eine schnelle Erledigung zu erzwingen, bevor die Öffentlichkeit auf Trab gebracht wurde, wodurch dem Parlament seine Rechte der Rede und seiner vorhandenen Mittel genommen wurden, um die legitimen Forderungen der Bürger zu vermitteln... Ich will an dieser Maskerade nicht teilnehmen." (2)

Vor allem im Internet kann man eine Menge über Acta erfahren. So habe ich z.B. in dem Diskussionsportal argumentia.de die Aussage gelesen, dass im deutschen Gesetz der Urheberrechtsschutz ja sowieso schon existiert, er könne gar nicht verstehen, weshalb sich die Acta-Gegner so aufspielen.

Aber selbst Rechtsanwälte aus dem Internet können ihre einfache Sichtweise plausibel darlegen: "Für Deutschland verändert sich nicht viel... Leider hat das Meiste von dem was man liest nichts mit dem eigentlichen Problem zu tun" dass heißt, es wird nur über Nebensächlichkeiten gesprochen - wie meistens.

Sich ein Bild über Acta zu verschaffen ist nicht leicht. Auf der Seite der GegnerInnen wird meist gleich über die Konsequenzen gesprochen, und auf der Seite der BefürworterInnen spricht man natürlich nicht über Grauzonen und bezieht die Missbrauchsmöglichkeiten nicht mit ein. Allerdings stellt der Missbrauch unter dem Deckmantel der Urheberrechts das größte Problem dar. Geistiges Eigentum wertzuschätzen, indem ErfinderInnen und KünstlerInnen das Leben finanziell ermöglicht wird, ist per se kein falscher Ansatz.

Aber darum geht es in Acta nicht, zumindest nicht primär. Abgesehen davon, dass durch Acta kein geistiges Eigentum, sondern der Schutz von diesem finanziert wird, schießt Acta sowohl am Ziel vorbei als auch weit darüber hinaus.

Mir geht es weder darum, dass Dritte-Welt-Länder im Handel benachteiligt würden, um die Form wie Server unter Druck gesetzt werden sollen, noch dass herauskam, dass selbst dem Europäischen Parlament Informationen bezüglich Acta verschwiegen worden sind. Das wirklich gravierende an Acta ist grundlegender: Acta sieht vor, dass die ausführende Gewalt der Exekutive nicht länger durch Gerichte in Form der Judikative behindert wird. Im Klartext heißt dass: Für einen nach Acta Straftätigen können Konsequenzen in Kraft treten, bevor eine juristische Überprüfung der Anschuldigung stattgefunden hat.

Eine einfache Beschuldigung ohne nachgewiesenen Tatbestand würde also genügen, um jemanden hinter Gitter zu bringen. Acta liefert ein Gesetz, welches ermöglichen würde, von jeder beliebigen Person Computer, Telefon und andere Infrastruktur wie den Internetanschluss zu zerstören. Dass schon die Behauptung reicht, man hätte Raubkopien von CDs erstellt oder Downloads mit für den Nutzer nicht sichtbar illegalen Inhalten getätigt, um eine Person zu isolieren, entbehrt jeder Rechtfertigung. Ab einem gewissen Maße der Anschuldigung ist es möglich, dafür ins Gefängnis zu wandern. Somit kann jede Person ohne juristische Überprüfung in ihren Rechten eingeschränkt werden. Dem Missbrauch ist hierbei Tür und Tor geöffnet.

Findet dieser statt, gehören Grundrechte damit der Vergangenheit an. Im Zusammenwirken mit politischer Einflussnahme wird somit ein unglaublich mächtiges Werkzeug geschaffen.


"Copyright-Schutz kann niemals eine Aufhebung der Meinungs- und Informationsfreiheit rechtfertigen" (3)

Warum wurde Acta seit den Anfängen der Verhandlungen 2007 geheim gehalten? Sogar die verabschiedeten Gesetzesentwürfe waren lange nicht bekannt. Wieso wird ein Gesetz so lange verheimlicht, wenn es doch im Sinne der Gesellschaft formuliert werden soll? Es ist eindeutig, dass Acta nie im Sinne der BürgerInnen verhandelt wurde.

Es ist schwer zu erkennen, in wessen Interesse die Verhandlungen so lange voran getrieben wurden, aber durch die demokratischen Organe dieser Welt auf jeden Fall nicht.

Oft hört man die Meinung, dass Lobbyisten der Musik-, Software- und Filmindustrie hinter Acta stecken. Aber ein noch größeres Interesse dürften die Geheimdienste haben. Die schwammigen Formulierungen würden viele geheimdienstliche Aktivitäten legalisieren.

Für diese würde mehr Handlungsfreiheit entstehen, da sie nach Acta-Recht eigenständig Taten ausführen könnten und keiner Kontrolle mehr unterstellt wären.

Es besteht nicht annähernd ein Bezug vom Schutz des geistigen Eigentums zur Wahrung von menschenwürdigen Gesetzen. Selbst juristisch ist Acta nicht zu rechtfertigen, da weder überhaupt eine Überprüfung der Tatsachen stattfinden muss, noch das Verhältnis von einem Vergehen zu den möglichen Folgen gewahrt bleibt. Zuletzt wurde Acta dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg zur Überprüfung vorgelegt.

Dafür, dass Acta in Europa wirkt, müssten alle europäischen Länder dem Vertrag zustimmen. Bisher haben neben Deutschland auch Polen, Lettland, Tschechien und die Slowakei ihre Unterschrift verweigert. Das Auswärtige Amt behauptet, der Vertrag sei aus formalen Gründen von Deutschland noch nicht unterzeichnet, die fehlende Unterschrift werde "in Kürze" nachgeholt. (4)

Vieles wird nicht nur vom Urteil des Europäischen Gerichtshofes, sondern auch vom Volk abhängen. Es wurden zwar bereits Klauseln aus Acta entfernt, allerdings werden viele davon wieder durch andere Gesetze aktiviert.

Wen all das noch nicht überzeugt hat, der kann sich ja mal an einer kleine Hausaufgabe versuchen: Finde das original Handelsübereinkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie. Ich kann nicht behaupten, es besonders schnell gefunden zu haben. (5)


Anmerkungen:
(1)‍ ‍Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments, zit. n. www.diepresse.com
(2)‍ ‍http://einarschlereth.blogspot.com/2012/01/der-offizielle-verantwortliche-des.html
(3)‍ ‍Vivianne Reding, EU-Justizkommissarin, zit. n. www.zeit.de
(4)‍ ‍www.auswaertiges-amt.de/UE/Aussenpolitik
(5)‍ ‍http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/11/st12/st12196.de11.pdf

Auf der Seite www.campact.de/acta werden Unterschriften gegen Acta gesammelt.

Anm.: Gerriet Schwen ist Schüler.

*

Quelle:
graswurzelrevolution, 41. Jahrgang, Nr. 368, April 2012, S. 7
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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Tel.: 0251/482 90-57, Fax: 0251/482 90-32
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. April 2012