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GRASWURZELREVOLUTION/1477: Willkommen in "Blockadia" - globaler Widerstand gegen Rostoff-Konzerne wächst


graswurzelrevolution Nr. 398, April 2015
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Willkommen in "Blockadia"
Der globale Widerstand gegen die Rostoff-Konzerne und Klima-Killer wächst und vernetzt sich

von Emilio Weinberg


"Blockadia" - dabei handelt es sich nach Naomi Klein nicht um einen bestimmten Ort auf der Landkarte, sondern vielmehr um eine wandernde transnationale Konfliktzone, die überall dort zunehmend entsteht, wo die Rohstoffindustrie zu graben und zu bohren versucht, ob für den Tagebau, für Gas-Fracking oder für die Gewinnung von Öl aus Teersand. (1) Auf der Aktionskonferenz "Kampf ums Klima: Köln - Rheinland - Paris" (2) wurde dies im April in Köln durch die Aktivist*innen aus vier Erdteilen und elf Ländern, u.a. aus Bangladesh, Mali, Bolivien, Griechenland, Frankreich, unmittelbar erfahrbar.


Streiflichter

Badrul Alam von La Via Campesina aus Bangladesh berichtete, wie die Klimakatastrophe dort u.a. aufgrund des steigenden Meeresspiegels schon begonnen hat.

Er zeigte auf, wie z.B. Kleinbäuer*innen, deren Land durch Salzwasser überschwemmt wurde, Widerstand kreieren. Sie besetzen "Khas-Land" (ungenutztes Staatsland) und nicht genutzte Eisenbahn-Grundstücke, um Nahrungsmittel anzubauen. 2011 und 2014 organisierten Aktivist*innen eine zweiwöchige Karawane: "Climate Justice, Gender and Food Sovereignty Caravan". Dabei wurden ca. 20 Dörfer in Bangladesh besucht.

Die Karawane initiierte dort z.B. "Skill-Sharing-Trainings" und "Farmer to Farmer Trainings" zu Widerstandsmöglichkeiten und zu ökologischer Landwirtschaft und Gender-Fragen.

Bakary Traoré aus Mali von Afrique-Europe-Interact beleuchtete eindrucksvoll die Auswirkungen der Klimaerwärmung und Wetterextreme auch im Kontext des "Landgrabbings". Er selbst war in Mali am 8. April als Präsident der offiziell als Vereinigung registrierten Bauerngewerkschaft COPON (Coordination des Paysans à Office du Niger) verhaftet worden. Er habe u.a. die Bevölkerung gegen die Behörden des Office du Niger aufgewiegelt.

Bakary Traoré hat in jüngerer Zeit zahlreiche Fälle von Korruption und irregulärer Landenteignung durch korrupte MitarbeiterInnen des Office du Niger an die Öffentlichkeit gebracht - u.a. durch seine Radiosendungen. Außerdem war er Mitorganisator einer Bauernversammlung, die am 4. April mit mehreren hundert Bauern und Bäuerinnen stattgefunden hat - insbesondere zur Unterstützung der Dörfer Sanamadougou und Sahou, die seit 2010 nahezu sämtliche ihrer landwirtschaftlichen Nutzflächen durch Landgrabbing für Rohstoffgewinnung und durch Trockenheit verloren haben.

Nicky Scordellis aus Bolivien vom "Democracy Center" zeigte auf, wie in Bolivien u.a. die Trinkwasserversorgung durch das Abschmelzen von Gletschern aufgrund der Klimaerwärmung beeinträchtigt wird. Interessant waren ihre Berichte über die Realität des "Vivir bien - Guten Lebens" von Gemeinden in den Anden. Auch sie konnte von Blockaden durch lokale indigene Initiativen - berichten.

Marina Karastergiou vom Koordinationskreis der Trägervereine gegen den Goldabbau in Lerissos berichtete, dass seit 2012 auf der griechischen Halbinsel Chalkidiki nahe Thessaloniki eine riesige Goldmine entsteht - nicht unter Tage, sondern als gigantischer Tagebau. Die Firma Hellas Gold, ein Tochterunternehmen des kanadischen Minenunternehmens Eldorado Gold, hat im Jahr 2011 für 11 Millionen Euro die Schürfrechte für die Kassandra-Minen im Südosten der Halbinsel erworben. Die Bevölkerung vermutet hinter dem Deal zwischen Hellas Gold, dem griechischen Baumogul Georgios Bobolas und dem heutigen Oberbürgermeister der Gemeinde Aristoteles, Christos Pachtas (PASOK), einen Korruptionsskandal. Das Projekt erzeugt Gegenwehr (die GWR berichtete). Zahlreiche Organisationen wenden sich sowohl gegen die weiträumige, irreversible Zerstörung der Landschaft, als auch gegen die Gefahren für die Menschen durch zyanidverseuchtes Wasser. Der gewaltfreie Widerstand vor Ort wird mit Repression überzogen: Hunderte sind wegen Terrorismus angeklagt, mehrere Aktivist*innen waren über Monate in Haft. Zur Sprache kam auch die aktuelle Situation nach dem Regierungswechsel in Griechenland.

Nicholas Bell vom Collectif SOS Foret du Sud in Frankreich berichtete vom Widerstand gegen das gigantische Biomasse-Kraftwerk in Gardanne. Das vom deutschen Energie-Riesen E.ON betriebene, umgebaute Kohlekraftwerk verbraucht ca. 900.000 Tonnen Holz pro Jahr. Die Hälfte an Holz soll aus Kanada und Südamerika importiert werden, die zweite Hälfte soll aus der Nähe stammen, u.a. aus den Cevennen. "Der Wald soll verbrannt werden." Unzählige Bäume sollen gerodet werden für eine Stromgewinnung mit einer Energieausbeutung von knapp 30 Prozent. Insgesamt gesehen ist die Verbrennung von Biomasse auch noch verschmutzender als die von Kohle. Dagegen weitet sich der Protest und Widerstand bis in das Gebiet der Haute Provence aus.

Eine Gesamteinschätzung:

Es wurde eine Vielfalt von 39 Workshops angeboten, gegliedert nach den vier Themensträngen: Klimagerechtigkeit, Energiedemokratie, (Anti-)Extraktivismus und Bewegung. (3) Von den 350 Teilnehmer*innen gab es viel Lob. Es sei gelungen die verschiedenen Kämpfe miteinander zu verbinden und die Lust auf eine Beteiligung an den Protesten und direkten Aktionen im Rheinland und in Paris sei definitiv gesteigert worden.

Am besten besucht mit weit über 100 Teilnehmer*innen war der Workshop "Klimagerechtigkeit, Degrowth und Ökosozialismus", geleitet von Christopher Laumanns (Konzeptwerk Neue Ökonomie), Joanna Cabello (Carbontradewatch) und Daniel Tanuro (Ecosocialist International Network). Auch das Aktions-Training wurde gut angenommen.

Die Workshops zum Rheinischen Braunkohlerevier informierten über diese Katastrophen-Region und den wachsenden Widerstand.

Herbert Sauerwein (Solidarische Vielfalt) zeigte seine Diashow über die Zerstörung der Erdoberfläche durch Tagebaue, die Vernichtung von Lebensraum, soziale Entwurzelung der Menschen, Gesundheitsgefährdungen und Folgen, die Behinderung der Energiewende, Darstellung der Tagebaue und Kraftwerke, weitere Reduzierung der Formaldemokratie.

Der von mir moderierte Workshop "Coal kills! Braunkohle und Gesundheitsgefährdungen" mit Wolfgang Schäfer vom Netzwerk Bergbaugeschädigter des Rheinischen Braunkohlereviers, dem Kinderarzt Christian Döring und Daniel Moser war aufrüttelnd: "Feinstaub, der feine Feind." Feinstaub und Radioaktivität werden in großen Mengen sowohl aus den Tagebauen als aus den Kraftwerken emittiert. Der unsichtbare Feinstaub ist extrem gesundheitsgefährdend, genauso wie das Nervengift Quecksilber. Die großen Braunkohlekraftwerke stoßen jährlich 500 Kilogramm aus.

Der von Tina Keller (AusgeCO2hlt) moderierte Workshop zum "System RWE" mit Willi Hoffmann, Peter Singer und mir zeigte plastisch auf, mit welchen Strategien RWE im Rheinischen Braunkohle-Revier vorgeht, um z.B. die (Zwangs-)Umsiedlungen für die Erweiterung der Tagebaue durchzusetzen; die Bundes-, Landes- und Lokal-Politik hörig zu machen und den Widerstand zu brechen oder einzubinden.

Die Vielfalt des Widerstands gegen Braunkohle-Tagebaue und -Kraftwerke im Rheinland wurde im gleichlautenden Workshop deutlich: Ein Waldbesetzer referierte gemeinsam mit Vertreter*innen der Bürgerinitiative "Leben ohne Braunkohle" aus Pulheim-Stommeln und der BI "Buirer für Buir", ebenfalls mit Aktivisten der Kölner Gruppe gegen Braunkohle - SoVie, Solidarische Vielfalt und Vertreter*innen der Anti-Kohle-Kette 2015.

Die drei Plena mit den Titeln: "1. FC Blockadia: Köln - Rheinland - Paris", "COP 21: Klimaschutz oder Klimatheater?", "Umzingeln, blockieren, besetzen, verändern?" waren von einer sich steigernden positiven Aufbruchstimmung geprägt.

Vermisst wurde von manchen die übergreifende Auseinandersetzung und Verständigung zu unterschiedlichen Strategie-Ansätzen oder zu einer zentralen Frage, an der sich "die Menschen reiben", oder eine zentrale Aussage zu einer Zukunftsvision.

Das Abschluß-Podium mit Timo Luthmann vom Bündnis "Ende Gelände", das die Massenaktionen am 15. und 16. August im Rheinland organisiert, Antje Grothus für die "Anti-Kohle-Kette", Tony von der "Waldbesetzung Hambacher Forst", Gerd Büntzly von "Lebenslaute" (Andante an der Kante - Musikalische Baggerblockade am rheinischen Braunkohletagebau, 19. - 24.8.), Pascoe Sabido von CEO, Paris-Mobilisierung und Michael Aggelidis, moderiert von Mona Bricke zeigte die vielen Mitmachmöglichkeiten in diesem Jahr auf. Mehrfach brandete heftiger Beifall auf.


Anmerkungen:

1) vgl. Naomi Klein: Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima, Frankfurt/M. 2015, 5. 357

2) vgl. GWR 398

3) Siehe: http://kampfumsklima.org/programm

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Quelle:
graswurzelrevolution, 44. Jahrgang, Nr. 398, April 2015, S.
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
Breul 43, D-48143 Münster
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Internet: www.graswurzel.net
 
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Der Preis für eine GWR-Einzelausgabe beträgt 3,80 Euro.
Ein GWR-Jahresabo kostet 38 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juni 2015

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