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GRASWURZELREVOLUTION/1528: MINGA - Kollektive Arbeit, gemeinsamer Widerstand


graswurzelrevolution 405, Januar 2016
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

MINGA: Kollektive Arbeit - gemeinsamer Widerstand
Die Selbstorganisation der indigenen Bewegung im Süden Kolumbiens

Von Jochen Schüller


Sie sind eine der Speerspitzen der zivilen Opposition in Kolumbien, von ihnen gingen etliche der landesweiten Proteste und Widerstandsaktionen in den letzten Jahren aus. Ihr Kampf richtet sich gegen Freihandel und Krieg, für Land und Autonomie: die indigene Bewegung im Department Cauca im Süden Kolumbiens und ihre Selbstorganisation CRIC (Consejo Regional Indígena del Cauca / Regionaler Rat der Indigenen im Cauca).


MINGA nennen sie die gemeinschaftliche Arbeit, das kollektive Handeln. Dabei kann es sich um das gemeinsame Einbringen der Ernte oder den Bau einer Schule handeln. Eine MINGA wird von der gesamten Gemeinschaft beschlossen und alle bringen sich mit ihrer Zeit und Energie dabei ein.

Als MINGA bezeichnen die Indigenen aber auch seit mehreren Jahren ihre großen Demonstrationen und Mobilisierungen, die oft das gesamte Department Cauca lahmlegen und manchmal ihren Weg bis nach Bogotá nehmen.

In den Jahren 2004 bis 2008 wurde aus der MINGA-Bewegung der Indigenen des Cauca eine breite landesweite Protest-Bewegung, die im Herbst 2008 mit 30.000 Menschen bis in die Hauptstadt Bogotá zog und den ultra-rechten Präsidenten Uribe herausforderte. Dieser Aufstand richtete sich gegen die neoliberale Politik, insbesondere das geplante Freihandelsabkommen mit den USA, gegen die Militarisierung der Gesellschaft und die allgemeine Repression der rechtsextremen Regierung, Armee, Polizei und Paramilitärs.

Zu Beginn der MINGA legten mehrere Tausend Indigene im Norden des Cauca mit Straßenblockaden der Panamericana tagelang große Teile der Provinz lahm. Bei den Auseinandersetzungen mit Polizei und Militär starben drei Indigene, mindestens 100 wurden verletzt.

Der indigenen Bewegung gelang jedoch der Schulterschluss mit kleinbäuerlichen und afrokolumbianischen Gemeinschaften, mit den streikenden Zuckerrohr-Arbeiter_innen im benachbarten Department und sie bezog schließlich auch weitere Teile der zivilen Opposition und sozialer Bewegungen ein. Der im Cauca beginnende Aufstand zog dann als Massen-Demonstration weiter Richtung Norden bis zur Hauptstadt Bogotá. Überall fanden entlang der Route große Versammlungen und öffentliche Veranstaltungen statt. Auch aus anderen Landesteilen und Himmelsrichtungen machten sich Menschen auf den Weg ins Zentrum der Macht, um sich an der knapp sechs Wochen dauernden MINGA zu beteiligen. Bei der Abschlussdemonstration in Bogotá erfolgte auch der Schulterschluss mit den Gewerkschaften und ihrem Dachverband CUT.

Der ultra-rechte Präsident Uribe ließ sich am Ende zwar zum "Dialog", aber nicht zu Zugeständnissen bewegen. Er setzte seine Politik der "harten Hand" bis zum Ende seiner zweiten Amtszeit 2010 fort.

Von der MINGA zum "Congreso de los Pueblos"

Obwohl die MINGA wenige konkrete Veränderungen in Wirtschaft und Politik erreichen konnte, war sie ein wesentliche Schritt in der Stärkung und Formierung der zivilen Opposition in Kolumbien. Sie ist maßgeblich an der Gründung des "Congreso de los Pueblos" "im Oktober 2010 beteiligt. ("Kongress der Völker" - als Gegenentwurf zum "Congreso de la Republica" - dem kolumbianischen Parlament)

Der Congreso versteht sich als Movimiento Social Colombiano - also als Soziale Bewegung Kolumbiens. Er vereint Menschen, Gruppen und Organisationen aus allen gesellschaftlichen Teilbereichen: Frauen, Student_innen, Gewerkschafter_innen, Kleinbäuer_innen, indigene und afrokolumbianische Gemeinschaften und ihre Organisationen, Umwelt-Aktivist_innen/Gruppen, Kulturschaffende und Menschenrechtsaktivist_innen.

Innerhalb dieser Bewegung spielen die Indigenen des Cauca weiterhin eine wesentliche Rolle. Ihre radikale Ablehnung neoliberaler Politik und Wirtschaft, ihre klaren und oft recht radikalen Forderungen, ihr konsequentes Handeln (z.B. Landbesetzungen) und insbesondere ihre starke Organisation und Gemeinschaft verleihen ihnen eine große Ausstrahlung. Sie bestehen absolut auf ihre Autonomie und grenzen sich zu allen bewaffneten Akteuren ab.

Der dritte Weg - Autonomie und eigener Widerstand

Besonders im Norden des Cauca sitzen die Indigenen daher zwischen den Stühlen: Die FARC-Guerilla und das Militär kämpfen um die territoriale Kontrolle und nehmen keinerlei Rücksicht auf die indigene Zivilbevölkerung.

Diese Streitkräfte haben sich vielerorts mitten in den Dorfgemeinschaften und Städtchen installiert und missbrauchen die Zivilbevölkerung als Schutzschild für ihre militärischen Einrichtungen. Dennoch bombardiert die FARC-Guerilla diese Stellungen mit ihren ungenauen Gaszylinder-Raketen.

Besonders schockierend war der Angriff der FARC auf den Polizei-Stützpunkt im Städtchen Toribio mit einem mit Sprengstoff gefüllten LKW im Juli 2011.

Dabei kamen drei Menschen ums Leben, 100 wurden verletzt. Rund 460 Häuser wurden so stark beschädigt, dass die Bewohner_innen vorübergehend in Nachbardörfern Unterschlupf suchen mussten.

Zugleich unterdrücken Polizei und Armee den zivilen Widerstand der Indigenen, räumen Landbesetzungen und zerschlagen Demonstrationen mit Brachialgewalt. Paramilitärs bedrohen und ermorden die Köpfe der Bewegung.

Auch während der seit 2012 laufenden Friedensgespräche der FARC mit der kolumbianischen Regierung setzten sich die bewaffneten Auseinandersetzungen fast unvermindert fort. Ein einseitig von der FARC ausgerufener Waffenstillstand verminderte die kriegerischen Handlungen nur wenig.

Erst im April 2015 erklärte die Regierung von Präsident Santos, zumindest auf Bombardierungen von Guerilla-Stellungen verzichten zu wollen. Nach zwischenzeitlichen Eskalationen und De-Eskalationen lebt die Zivilbevölkerung weiterhin in dieser brüchigen Waffenpause. Im Juli 2015 erklärte die Regierungsdelegation in Havanna, ein beidseitiger Waffenstillstand sei greifbar.

Frieden ... mit Würde und Gerechtigkeit!

Für viele Teile der sozialen Bewegungen in Kolumbien sind die Verhandlungen der FARC-Guerilla mit der Regierung Kolumbiens ohnehin nur einer von etlichen Schritten auf dem Weg zum Frieden. Zum einen fehlt ein Dialogprozess der Regierung mit der zweitgrößten Guerilla - dem ELN (Ejercito de Liberación Nacional).

Zum anderen sehen sich die zivile Opposition und die sozialen Bewegungen keineswegs durch die Guerillas vertreten und stellen ihre eigene Agenda für einen Friedensprozess auf.

Daher hat sich im November 2015 ein breites Bündnis aus vielen Teilen der sozialen Bewegungen in Kolumbien zu einer "Mesa Social para la Paz" zusammengeschlossen - einem sozialen Verhandlungstisch für den Frieden.

Neben dem Congreso del los Pueblos und der Bewegung der Afrokolumbianer_innen PCN (Proceso de Comunidades Negras) sind auch kleinbäuerliche, studentische, kirchliche und politische Organisationen dabei. Die indigenen Gemeinschaften sind mit ihrer Nationalen Organisation ONIC prominent vertreten. Sie wollen neben den Verhandlungstischen der beiden Guerillas mit der Regierung einen dritten eröffnen, bei dem die Belange der Zivilgesellschaft vonseiten der sozialen Bewegungen eingebracht und verhandelt werden. Zentrale Vorstellung und Forderung des breiten Bündnisses ist ein Frieden mit sozialer und Umwelt-Gerechtigkeit. Es sollen die Gründe des bewaffneten Konflikts verhandelt werden, die in der massiven Ungleichheit und Ungerechtigkeit, der Exklusion und Marginalisierung der Mehrheit der Bevölkerung liegen.

Zu den besonders Marginalisierten gehören die indigenen Gemeinschaften in Kolumbien. Ihre Bewegung im Cauca mit der Selbstorganisation CRIC wird auch weiterhin eine besondere Bedeutung bei der Überwindung dieser Ausgrenzung und Ungleichheit spielen.

MINGA-Kaffee

Eine besonders charmante Art, die Autonomie und den Widerstand der Indigenen Bewegung im Süden Kolumbiens zu unterstützen bietet nun das Kaffeekollektiv Aroma Zapatista mit dem solidarisch gehandelten Kaffee des CRIC (Regionaler Rat der Indigenen im Cauca). Durch den Verkauf von gleich drei hochwertigen Kaffee- bzw. Espresso-Sorten wird die Ökonomie und Autonomie der Indigenen gestärkt.

Neu im Sortiment sind der (Filter-)Kaffee MINGA und der Espresso KINTÍN aus dem Cauca und der Espresso Estrella Fusión, ein Mix von Arabica-Bohnen aus Chiapas und dem Cauca - quasi die Begegnung der beiden aufständischen Bewegungen. Den Kaffee aus dem Cauca kauft das Hamburger Kaffee-Kollektiv zu einem solidarischen Preis direkt bei der Genossenschaft des CRIC - der Central Cooperativa Indígena del Cauca CENCOIC.

Der Regionale Rat der Indígenen im Cauca (CRIC)

Seit seiner Gründung im Jahr 1971 wird der regionale Rat der Indigenen im Cauca (CRIC) verfolgt und kriminalisiert. Damals wollten Großgrundbesitzer, regionale Politiker und ihre bewaffneten Schergen eine indigene Bewegung und Organisierung im Keim ersticken.

Doch die Selbstorganisierung der Indigenen im Cauca konnten sie nicht verhindern. Der Widerstand gegen Kolonisierung und Unterdrückung hat eine lange Geschichte und führte 1971 zur Gründung des regionalen Rates der indigenen Gemeinden im Cauca, dem Consejo Regional Indígena del Cauca.

Damals standen besonders der Kampf gegen die "terraje" - eine Art Frondienst - sowie die Frage nach eigenem Land im Vordergrund des Kampfes der indigenen Bevölkerung, die hauptsächlich als KleinbäuerInnen ihr Überleben bestritten.

Diese Selbstorganisierung der Indigenen im CRIC begann im kleinen Ort Jambaló im Norden des Cauca. Diese Region ist seither als widerständig bekannt und auch heute der Ausgangspunkt vieler Proteste und Mobilisierung.

Der CRIC vertritt heute einen Großteil der indigenen Bevölkerung im Cauca. Dazu zählen verschiedene indigene Völker ("pueblos indígenas"): die Nasa (Paez), Totoró, Yanaconda, Guambiano, Guanaco, Kokonuko, Inga, Eperaras. Alle haben ihre eigene Kultur und Identität und - mit Ausnahme der Yanaconda - auch ihre eigene Sprache behalten.

Die Nasa sind mit einer Bevölkerung von rund 120.000 Mitgliedern die größte Gruppe.


Jochen Schüller ist freier Journalist in Hamburg und hat Kolumbien und die indigenen im Cauca mehrfach besucht. Von 2003-2013 war er Beauftragter von Brot für die Welt für Öffentlichkeitsarbeit zu Kolumbien und leitete ein Menschenrechtsprojekt.


Quellen und weitere Informationen:

CRIC - Consejo Regional Indígena: www.cric-colombia.org/portal/

ACIN: www.nasaacin.org/

Congreso de los Pueblos:
http://congresodelospueblos.org/

Mesa Social para la Paz:
https://mesasocialpaz.wordpress.com/2015/10/28/llamamiento/

"Kolumbien: Bewaffneter Konflikt und indigene Autonomie" - Raul Zelik
www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Standpunkte/Standpunkte_international/Standpunkte_int_06-2012.pdf

The 2008 Indigenous and Popular Minga in Colombia: Civil Resistance and Alternative Communication Practices -
http://sdonline.org/51/the-2008-indigenous-and-popular-minga-in-colombia-civil-resistance-and-alternative-communication-practices/

Dokumentar-Film Casa OCCIO (spanisch):
www.youtube.com/watch?v=·Ai2wRvFjrl

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Quelle:
graswurzelrevolution, 45. Jahrgang, Nr. 405, Januar 2016, S. 12
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Januar 2016

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