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GRASWURZELREVOLUTION/1555: Ende Gelände - Kohle stoppen, Klima schützen


graswurzelrevolution Nr. 409, Mai 2016
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Ende Gelände - Kohle stoppen - Klima schützen

von Hannes Lindenberg


2015 könnte rückblickend als das Jahr betrachtet werden, in dem die Klimagerechtigkeitsbewegung in der Mitte der deutschen Gesellschaft ankam. Basierend auf einem breiten Bündnis, das sich von Waldbesetzer*innen über die Interventionstische Linke und klimaaktivistische Gruppen bis zu Nichtregierungsorganisationen und Bürgerinitiativen erstreckte, blockierten mehr als 1000 Menschen den Braunkohletagebau Garzweiler (die GWR berichtete). Diese Blockadeaktion erhielt in deutschen und internationalen Medien ein positives Echo; die Süddeutsche Zeitung sprach gar davon, dass das Rheinland das neue Wendland werden könnte.


Der Braunkohlewiderstand reicht in seinen verschiedenen Formen schon Jahrzehnte zurück. Vor allem Bürgerinitiativen stemmten sich immer wieder verzweifelt, jedoch leider meist erfolglos, gegen Umsiedlung und Abgrabung von Dörfern, Städten und Kulturflächen. Der Aspekt der Klimagerechtigkeit erreichte die deutsche Braunkohledebatte erst Ende der 2000er Jahre und etablierte sich durch Klimacamps in Deutschlands größten Braunkohlerevieren: im Rheinland (2010) und in der Lausitz (2011).

Trotz allem blieb der Braunkohlediskurs ein Randthema in der deutschen Politik. Um diesen Zustand zu ändern, fanden sich 2014 diverse Akteur*innen zusammen und beschlossen, den Widerstand gegen Braunkohleabbau und -verbrennung um das Element "massenhaften Zivilen Ungehorsams" zu erweitern. Basierend auf drei Kernanliegen, wollten viele Menschen ein klares Zeichen gegen die Braunkohle setzen.

Erstens wurden im Energiewendeland Deutschland selbst im Jahr 2015 noch fast 25 Prozent der Energie aus dem dreckigsten fossilen Brennstoff, der Braunkohle, generiert. Während sich die Bundesregierung also gerne mit den Erfolgen der Energiewende brüstet, verschweigt sie die meiste Zeit, dass Deutschland gleichzeitig Braunkohleweltmeister ist: Kein Land der Erde fördert und verbrennt mehr Braunkohle! Das ist einer der Hauptgründe dafür, dass die Treibhausgasemissionen in Deutschland über Jahre hinweg nicht sanken (Ausnahme: Wirtschaftskrise 2007-2009).

Die Braunkohleverbrennung mit ihren enorm hohen CO2-Emissionen ist die Klimasünde Deutschlands. Während jedoch Deutschland vom Klimawandel sogar profitieren könnte, sind es vor allem Länder im globalen Süden, die unter den negativen Auswirkungen des Klimawandels leiden bei gleichzeitig geringer "Klimaschuld".

Zweitens ist eine bloße Umstellung von fossilen auf erneuerbare Energieträger nicht ausreichend. Die Stromversorgung muss den mächtigen Großkonzernen, die scheinbar "too big to fail" geworden sind, wieder aus der Hand genommen werden. Neben der Dezentralisierung und Demolkratisierung der Stromversorgung gilt es auch, drittens, unser derzeitiges gesellschaftliches Modell zu hinterfragen und zu transformieren. Ein Wirtschaftsmodell, das über alle sozialen und ökologischen Fragen erhaben ist und gleichzeitig darauf beruht, dass die Menschen sich ihre Lebensgrundlagen unter den Füßen weggraben, um immer mehr Güter mit Hilfe der Energie fossiler Brennstoffe zu erzeugen, muss über kurz oder lang selbstzerstörerisch wirken.

Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass sich weder in der deutschen Politik- noch in der Gewerkschaftslandschaft eine entschlossene Allianz zu ganzheitlichem Klimaschutz findet, erscheint es erforderlich, die großen Ungerechtigkeiten, die der Braunkohleabbau mit sich bringt, mit entsprechenden Mitteln aufzuhalten. Sitzblockaden mit Symbolcharakter stellen einen bewussten Rechtsübertritt dar, sind aber - wie die mehr als 1000 Aktivist*innen 2015 zeigten - durchaus eine gesellschaftlich akzeptierte Aktionsform.

Elementar für die Anschlussfähigkeit der Aktion war hierbei ein Aktionskonsens. Der Erfolg aus dem Jahr 2015 führte zu dem Beschluss, mit Ende Gelände auch in den Jahren 2016 und 2017 klimapolitische Ausrufezeichen Zivilen Ungehorsams zu setzen.

Nach Beschluss der schwedischen Regierung wird der schwedische Staatskonzern Vattenfall in diesem Jahr seine Lausitzer Braunkohletagebau und -kraftwerke an den tschechischen Konzern EPH veräußern.

Dass sich der Konzern nach mehr als 20 Jahren intensiver Nutzung und hohen Gewinnen nun ohne einen sozial verträglichen Plan zum Rückbau der Kohleindustrie verabschieden möchte, ist unverantwortlich. Der Verkauf an EPH soll den Weiterbetrieb auf Jahrzehnte sichern - klimapolitisch untragbar! Deshalb wird Ende Gelände dieses Jahr in der Lausitz vom 13. bis 16. Mai Kohleinfrastruktur blockieren. Die Aktivist*innen setzen eine klare Botschaft: "Wer in Kohle investiert, kauft den Widerstand gleich mit!"

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Quelle:
graswurzelrevolution, 45. Jahrgang, Nr. 409, Mai 2016, S. 5
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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Ein GWR-Jahresabo kostet 38 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2016

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