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GRASWURZELREVOLUTION/1679: Atomwaffen ächten!


graswurzelrevolution Nr. 421, September 2017
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Atomwaffen ächten!

von Felix Werdermann


Die Vereinten Nationen haben einen Vertrag beschlossen, der Nuklearwaffen ächtet. Die Atommächte sowie die meisten NATO-Staaten haben schon die Verhandlungen boykottiert. Einige Friedensorganisationen sehen in dem Abkommen dennoch einen Meilenstein auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt.


Endlich wird eine Lücke im Völkerrecht geschlossen. Biowaffen sind verboten, Chemiewaffen sind verboten, doch ausgerechnet die zerstörerischsten Massenvernichtungswaffen waren bislang erlaubt. Das ändert sich nun: Im Juli 2017 haben sich 122 Staaten nach jahrelangen Verhandlungen auf ein Abkommen geeinigt, das Atomwaffen verbietet. Am 20. September wird es zur Unterzeichnung ausgelegt, wenn es von 50 Ländern ratifiziert ist, tritt es 90 Tage später in Kraft. Zustande gekommen ist der Vertrag maßgeblich durch den Druck und das Mitwirken der Zivilgesellschaft.

Die Ächtung der Nuklearwaffen hat einerseits eine wichtige symbolische Bedeutung: Atomwaffen können Leid unvorstellbaren Ausmaßes verursachen und sind illegitim, der Einsatz unter keinen Umständen akzeptabel. Andererseits enthält der Vertrag ganz praktische Vorgaben: Verboten sind neben der Herstellung, dem Einsatz und Besitz auch die Drohung mit einem Nuklearschlag sowie die Stationierung von Atomwaffen in anderen Staaten.

Auch die Unterstützung dieser Aktivitäten wird untersagt, leider wird aber auf die zivile Atomkraftnutzung ausdrücklich positiv Bezug genommen. Dennoch: Das Regelwerk ist ein deutlicher Fortschritt und eine klare Absage an die atomaren Abschreckungsdoktrinen, die bis heute die internationale Politik der mächtigen Staaten prägen.

Für Deutschland bedeuten die Vorschriften im Abkommen, dass die nukleare Teilhabe innerhalb der NATO beendet und die US-Atombomben aus Büchel abgezogen werden müssen. Wenn die Bundesrepublik an der aktuellen Praxis festhält, verstößt sie (sobald der Vertrag in Kraft ist) gegen Völkerrecht und kann dem Abkommen nicht beitreten.

Dass das Verbot beschlossen wurde, ist eine kleine Sensation: Nach jahrelangem Stillstand in der nuklearen Abrüstung trauten sich viele Länder des globalen Südens und stimmten gegen den erklärten Willen der mächtigen Atomstaaten für ein Abkommen. Sie haben allen Grund dazu, denn sie sind permanent bedroht: Ein Atomkrieg kann sie dem Erdboden gleichmachen.

Das Verbot und die vorausgegangenen Verhandlungen werfen auch einen anderen Blick auf Atomwaffen: Nicht militärisches Denken und geopolitische Interessen stehen im Mittelpunkt, sondern der Mensch. Zu Grunde liegt dem die Einsicht, dass ein Angriff mit Atomwaffen katastrophale Folgen hat. Angemessene medizinische Hilfe ist unmöglich. Nicht ohne Grund war zu Beginn der Gespräche von einer "Humanitären Initiative" die Rede.

Deutschland war lange Zeit bei den Gesprächen dabei, doch den finalen Verhandlungen blieb die Regierung fern, obwohl das Auswärtige Amt zuvor noch erklärt hatte, man werde keine Gespräche boykottieren. Die Entscheidung zur Nicht-Teilnahme traf der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), sein Amtsnachfolger und Parteifreund Sigmar Gabriel übernahm die Position.

Die Blockierer bringen im Wesentlichen zwei Argumente gegen das Verbot vor. Zum einen schwäche es angeblich den Nichtverbreitungsvertrag (NVV, auch Atomwaffensperrvertrag genannt). Dieses Abkommen soll verhindern, dass Nicht-Atomwaffenstaaten in den Besitz dieser Massenvernichtungswaffen kommen, gleichzeitig werden die offiziellen Atommächte verpflichtet, ernsthaft über Abrüstung zu verhandeln (de facto werden die Arsenale jedoch derzeit modernisiert).

Regelungen zur Nichtverbreitung sind auch im Verbotsvertrag enthalten. Insofern wird der NVV nicht geschwächt, sondern ergänzt. Einen möglichen Widerspruch gibt es nur in der Frage, ob die Atomstaaten ein Recht auf Nuklearwaffen haben, das Verbot verneint dies eindeutig.

Das zweite Argument der Bundesregierung: Das Abkommen bringe nichts, weil die Atomwaffenstaaten nicht dabei sind. In der Tat ist auf absehbare Zeit nicht davon auszugehen, dass diese beitreten. Allerdings wäre es wohl auch eher merkwürdig, wären die Atommächte die treibende Kraft hinter einem Verbotsvertrag. Andere Abkommen zeigen, wie es laufen kann: Die Ächtung von Landminen wurde ebenso zunächst gegen den Willen der besitzenden Staaten beschlossen, inzwischen sind 162 Staaten der Konvention beigetreten. Selbst wenn es bei Atomwaffen wegen ihrer aktuellen militärischen Bedeutung anders ist: Das Verbot ist die Grundlage für eine spätere Abschaffung und kann schon jetzt als Argument verwendet werden, es wird den Druck auf Abrüstung erhöhen.

Der wahre Grund für Deutschlands ablehnende Haltung dürfte eher in der Bündnisräson zu suchen sein. Die USA haben relativ früh vor den Folgen eines Verbots "gewarnt" und ein mehrseitiges Papier an ihre NATO-Partner gegeben. Während der Abschlussverhandlungen stellte sich die Botschafterin der Vereinigten Staaten sogar vor den Saal und gab ein Pressestatement ab. Offenbar wollte die Bundesregierung die Beziehungen zu den USA nicht durch eine Teilnahme an den UN-Gesprächen belasten.

Auch alle Atomwaffenstaaten sowie fast alle NATO-Länder boykottierten die Verhandlungen. Eine Ausnahme stellen die Niederlande dar, dort hatte das Parlament für eine Teilnahme votiert. Die Regierung ging hin, stimmte am Ende aber gegen den Vertrag, es war die einzige Gegenstimme.

Während einige Regierungen fehlten, konnten NGOs wie die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) anwesend sein. Die Zusammenarbeit zwischen verhandlungswilligen Staaten und Zivilgesellschaft wurde als konstruktiv gelobt.

In Deutschland ist das Verhältnis eher angespannt. Mehrere NGOs, nicht nur Friedensorganisationen, sondern zum Beispiel auch Oxfam und Urgewald, haben den Verhandlungsboykott der Regierung kritisiert. Von Friedensforscher*innen kam ebenfalls Kritik, genauso wie von Grünen und Linken im Bundestag.

Die Bevölkerung ist für ein Atomwaffenverbot - und zwar mit einer überwältigenden Mehrheit von 93 Prozent, wie eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Ärzteorganisation IPPNW ergeben hat. Die Regierung handelt also im Gegensatz zum Willen der Bürger*innen.

Zur Bundestagswahl hat ICAN Deutschland nun eine Mailaktion gestartet. Unter www. nuclearban.de kann man mit wenigen Klicks, eine Mail an die Kandidat*innen im eigenen Wahlkreis schicken und fragen, wie sie zum Atomwaffenverbot und zum Abzug der US-Bomben stehen. Das macht auch das Thema bekannter. Derzeit spielt es in der öffentlichen Diskussion kaum eine Rolle - dabei geht es um die Zukunft der Menschheit.


Felix Werdermann engagiert sich bei ICAN Deutschland. Von 2007 bis 2009 war er Redakteur der graswurzelrevolutionären Jugendzeitschrift "utopia" (www.graswurzel.net/utopia/) und später der Wochenzeitung "Freitag".

Weitere Infos: www.nuclearban.de

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Quelle:
graswurzelrevolution, 46. Jahrgang, Nr. 421, September 2017, S. 24
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. September 2017

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