Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GRASWURZELREVOLUTION/991: Anti-Atom-Widerstand grenzenlos


graswurzelrevolution 337, März 2009
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Ökologie

Anti-Atom-Widerstand grenzenlos

Internationale Projekte, Kampagnen und Vernetzungsinitiativen


Radioaktivität macht keinen Halt an den Grenzen

Die Atomlobby betreibt eine globalisierte Atompolitik: Uranerz kommt z.B. aus Kanada oder Niger, abgereichertes Uran aus der Anreicherung oder aus der Wiederaufbereitung wird nach Russland verschifft, französische AKWs werden mit Brennstäben aus Lingen (Emsland) beliefert, der französische Hersteller Areva baut mit Beteiligung von Siemens neue AKWs in Finnland und Frankreich,wo Sarkozy inzwischen den 3. EPR angekündigt hat.

Deutschland hat den "Atomausstieg" verkündet, beteiligt sich aber an Atomgeschäften mit anderen Ländern. Gekämpft werden soll also nicht nur für die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen in Deutschland, sondern weltweit. Der Widerstand muss international sein. Dieser Artikel bietet Infos über Projekte, Kampagnen und Initiativen zur internationalen Vernetzung des Widerstands.


Europas Atomerbe

"Europas Atomerbe" ist ein 2006 auf Initiative von Greenkids e.V. gestartetes (Forschungs)-Projekt. Es beschäftigt sich mit der Atomenergienutzung und den Endlagerdebatten in Europa. Hierzu wird eine transnationale Vernetzung anstrebt. Im Rahmen dieser Kampagne fanden viele Aktivitäten statt: Herstellung von Infomaterialen über deutsche Atommüllstandorte in verschiedenen Sprachen, Ausstellung über Morsleben, Begegnungen in Finnland oder Frankreich, usw.


Aktuelle Aktivitäten: Begegnung in Bure

Bure ist ein Dorf im französischen Lothringen. Dort wollen die Regierenden hoch radioaktiven Müll in ca. 500 Meter Tiefe in den Tonschichten endlagern. Derzeit ist ein "Forschungslabor" der ANDRA (Staatliche Agentur zur Entsorgung radioaktiven Mülls) in Betrieb. Noch wurde kein Atommüll gelagert. Stattdessen wird gerade "erkundet", das heißt, ein Areal von etwa 250 Quadratkilometer wurde bestimmt, der genaue Standort für das Endlager steht noch nicht fest. Bevor 2016 eine Entscheidung fällt, wird "erforscht" und zahlreiche Probebohrungen finden statt. Gearbeitet wird an der Entwicklung von Robotern, die den Müll zu den unterirdischen Stellen bringen sollen. Es wird über die Endlagerung entschieden, bevor klar ist, wie und ob diese überhaupt erfolgen kann. Dabei ist eine sichere Endlagerung für den zigtausend Jahre strahlenden Atommüll nicht möglich.

Frankreich hat sich für Tonstein entschieden und die (Atom-)ExpertInnen erzählen den BesucherInnen, man habe alles im Griff, Tonstein sei ideal.

Dabei verschweigen sie, dass kein Standortvergleich, wie ursprünglich vom Gesetz vorgesehen, stattgefunden hat. Die Kritik weisen die Betreiber der ANDRA zurück, indem sie Forschungsarbeiten in Kooperation mit ausländischen Einrichtungen in Erwägung ziehen. Dabei wurden die "Forschungsarbeiten" im verstrahlten Schacht Asse genannt.

Wie Gorleben wurde der Standort Bure nicht aus geologischen, sondern aus politischen Gründen ausgewählt. Die Region um Bure ist dünn besiedelt und gilt als konservativ. Ein erheblicher Teil der Geldeinnahmen dort kommt aus der Ansiedlung von Truppenübungsplätzen. Die PolitikerInnen sind käuflich: Atommüll gegen Geld. Nichtsdestotrotz gibt es Widerstand. Die internationale Delegation der Kampagne "Europas Atomerbe" wurde im Haus des Widerstands BZL in Bure untergebracht und hatte die Gelegenheit, das unterirdische Labor zu besichtigen und mit lokalen Anti-Atom-AktivistInnen zu reden.

Das Widerstandshaus wurde 2004 gekauft. Es dient als unhabhängiges Informationszentrum und als Anlaufpunkt für den Widerstand. Über 50.000 Menschen aus der Gegend um Bure verlangen ein Referendum zur Frage der Entsorgung von Atommüll und haben eine Petition hierzu unterschrieben. Aber Paris entscheidet über das Schicksal der Menschen.

Erläutert wurden auch weitere Aspekte der französischen Atommüllpolitik: Standorte für schwach- und mittelradioaktiven Müll und Verseuchungsprobleme dabei. Die beteiligten AktivistInnen stellen die Situation in ihrem jeweiligen Land vor: Österreich, Tschechien, Australien, Deutschland.


Treffen in Finnland

Im Sommer 2008 fand am Standort Olkiluoto ein Camp von AtomkraftgegnerInnen mit internationaler Beteiligung statt, 2007 fand bereits eine Besichtigung des dortigen AKW statt. Im Oktober 08 traf man sich nahe Loviisa zum Nuclear week-END. Am 19. Oktober gab es eine Demo zum Kraftwerk. Vor allem dienten die Veranstaltungen (mit Beteiligung aus Israel, Deutschland, Russland, England, Schottland, Dänemark, Schweden und Frankreich) dazu, internationale Kontakte zu knüpfen.

In Finnland wurde der Bau eines EPR-Reaktors mit 1600 Megawatt der Betreiberfirma Teollisuuden Voima Oyj (TVO) [1] auf der Insel Olkiluoto beschlossen. Ursprünglich sollte der Reaktor Olkiluoto 3 im Jahr 2009 in Betrieb gehen. Dieser Zeitplan wurde aufgegeben, die Baufirma Avera NP gibt inzwischen 2012 als mögliches Startdatum an [2]. Die Kosten, die ursprünglich auf maximal 2,5 Milliarden Euro festgesetzt waren, steigen: Inzwischen geht der Betreiber von über 5 Milliarden Euro aus. Areva NP ist ein Kartell, das bis Januar aus Areva und Siemens (1/3) bestand. Siemens hat den Konzern verlassen, sich aber nicht aus Atomgeschäften verabschiedet. Das Unternehmen will weiterhin Bauteile für AKWs, vor allem in Osteuropa, liefern. Ebenfalls in Olkiluoto soll ein Endlager für hochradioaktiven Atommüll entstehen.

An den finnischen AKW-Standorten Olkiluoto und Loviisa existieren bereits Lager für schwach- und mittelradioaktiven Abfall. Trotz der Probleme am Standort Olkiluoto wird in Finnland über den Bau von weiteren AKWs diskutiert - ein vierter Block in Olkiluoto, ein dritter in Loviisa, eventuell ein weiterer, für welchen die Standorte Ruotsinpyhtää, Simo und Pyhäjoki im Gespräch sind.

Hierfür soll ein Reaktor vom Typ AES-91 der russischen Firma Atomenergoprojekt zum Einsatz kommen. In Finnland befinden sich alle AKWs direkt am Meer und entnehmen hier ihr Kühlwasser. Schon heute ist die Ostsee das am stärksten mit Radioaktivität belastete Meer der Welt [3], in erster Linie verursacht durch die Kraftwerke in Schweden und Finnland.

Neben dem erklärten Willen der finnischen Politik und der Energiekonzerne, neue AKW zu bauen, sind seit 2005 mehrere Projekte für neue Uranminen in Finnland (und auch im Nachbarland Schweden) bekannt geworden.

Uranabbau gilt als der gefährlichste und schmutzigste Teil der Produktion von Atomstrom - weswegen auch kritisiert wird, dass in europäischen Ländern zwar Atomkraftwerke betrieben werden, die Folgen des Uranabbaus jedoch andere zu tragen haben. In Deutschland existierte eine Uranmine in der ehemaligen DDR am Standort Wismut - die Strahlenbelastung ist bis heute so groß, dass die deutsche Strahlenschutzverordnung die Wismut von vielen Regelungen ausnimmt [4].

Größere Bekanntheit erlangte die Auseinandersetzung um die Mine Jabiluka im australischen Kakadu-Nationalpark. Die Abbauarbeiten wurden 2002 nach jahrelangen Protesten gestoppt. Ähnlich ist die Situation in Finnland: Während viele der geplanten Uranminen inzwischen wieder aufgegeben wurden [5], befinden sich die übrigen. Standorte meist im dünn besiedelten Lappland auf dem Gebiet der Sami.


Netzwerktreffen in Frankfurt zum Jahreswechsel 2008/09

Zum Jahreswechsel fand anlässlich des Jugendumweltkongresses in Frankfurt ein internationales Vernetzungstreffen statt. Die KongressteilnehmerInnen konnten sich einen Überblick über die Situation in verschiedenen Ländern verschaffen und über Perspektiven der Vernetzungsinitiativen reden. Auf dem Programm stand ein Ausflug nach Hanau, wo örtliche AktivistInnen zu Wort kamen, sowie eine Demo am 2. Januar vor der Frankfurter Börse. Dort wurde einem Mitarbeiter der Börse eine symbolische Zeitbombe aus Pappkarton überbracht.


Weitere Initiativen im Rahmen der Kampagne

Es wurden Gelder für ein neues Projekt beantragt und von der EU Youth for Europe bewilligt. Initiator ist die Lüneburger Initiative gegen Atomanlagen. Ziel des Projektes ist die Herstellung von Infomaterialien über Atomstandorte in den jeweiligen Ländern. Diesmal geht es um französische Atommüllstandorte, um den Atomkomplex La Hague und um die Situation in der Schweiz.

Ein weiteres Projekt ist ein internationales Anti-Atom-Büro. Es könnte eine koordinierende Funktion in der internationalen Vernetzung übernehmen und Ansprechpartner für Anti-Atom-Gruppen aus aller Welt sein, die Infos über eine Gruppe oder ein Land suchen.


Nirgendwo, Kampagne gegen AKW-Neubau (EPR)

Ziel der Kampagne ist es, den Neubau von Atomkraftwerken, wie z.B. den EPR-Reaktor im französischen Flamanville und zwei weitere von Sarkozy angekündigte Reaktorneubauten, zu verhindern. Lieferungen von angereichertem Uran durch die Urenco ins Ausland sollen gestoppt werden. Siemens hat sich in Januar 2009 von alleine aus dem Areva-Kartell verabschiedet, das Unternehmen liefert jedoch wichtige Teile für den EPR in Flamanville.


Hintergründe

2001 wurde die große Mogelpackung "Konsens zum Atomausstieg" durch die damalige rot-grüne Regierung verabschiedet. Viele engagierte AtomkraftgegnerInnen haben damals vor diesem vermeintlichen "Konsens" gewarnt: "Atomausstieg? Alles Lüge!" Nicht ohne Grund.

Der "Konsens" wurde zwischen Regierung und Atomlobby verabschiedet, um einen ungestörten Betrieb der 17 in Deutschland heute noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke zu sichern. Eine Hoffnung der Atomlobby war, eine Besänftigung der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung um Atomkraft hervorzurufen, um dann eine Renaissance der Atomenergie vorantreiben zu können.

Nicht ohne Grund wurde z.B. die Urananreicherungsanlage (UAA) von der Firma Urenco im "Konsens" außer Acht gelassen. In Gronau wird Uran für zahlreiche Atomkraftwerke weltweit angereichert. Aus der Genehmigungstabelle des BfS für Atomtransporte geht z.B. hervor, dass alle französischen AKW mit Uran aus Gronau irgendwann mal beliefert werden. 2004 wurde unter Rot-Grün eine Erweiterung der Anlage genehmigt.

Dies macht deutlich, dass nicht aus der Atomenergie ausgestiegen wird: "Konsens ist Nonsens". Hinzu kommt, dass neue Atomkraftwerke mit Beteiligung deutscher Unternehmen gebaut werden. Derzeit sind zwei solcher AKW in Bau: EPR (European pressurised water reactor, also Druckwasserreaktor) in Olkiluoto (Finnland) und in Fiamanville (Frankreich). Siemens baut neue AKW! Mehrere Länder kündigten an, neue Reaktoren bauen zu wollen. Sollte der Prototyp in Frankreich und Finnland erfolgreich sein, könnten andere Länder nachziehen.

Trotz seiner Bedeutung ist "EPR" für viele Menschen noch immer kein Begriff Das soll die Kampagne ändern. Es ist Zeit, Bewusstsein zu schaffen, Menschen zum Handeln zu animieren und Druck auf die Konzerne Areva (Deutschland), Siemens (beide mit Hauptsitz in Erlangen) und Urenco auszuüben. Was bringt ein "Atomausstieg" in Deutschland, wenn das Nachbarland weitermacht?

Als Wackersdorf am Widerstand scheiterte, hat die Atomindustrie Verträge mit der WAA La Hague geschlossen und der Müll fuhr dahin.


Mitmachen

Die Beteiligten freuen sich auf Unterstützung und neue Ideen. Du kannst dich auf dem E-Mail-Verteiler der Kampagne(n) deiner Wahl aufnehmen lassen, sie z.B. mit Infos versorgen, Recherchearbeiten übernehmen, Übersetzungen erledigen, Artikel schreiben, Fundraising betreiben,...

Misch Dich ein! Gemeinsam sind wir stark.


Eichhörnchen


Kontakte:
für Europas Atomerbe: europas-atomerbe@greenkids.de
für Nirgendwo: eichhoernchen@ouvaton.org oder hanna@nirgendwo.info
Für die Kampagne Europas Atomerbe: Die Ergebnisse und Protokolle
zu den Treffen sind online zu finden, sowie diverse Informationsmaterialien:
www.nuclear-heritage.net
Die Nirgendwo-Homepage www.nirgendwo.info wird peu à peu mit Inhalten gefüllt.
Dort kann auch ein "deutsch-französischer Newsletter" abonniert werden.


Anmerkungen:
[1] http:/de.wikipedia.org/wiki/Kernkraftwerk_Olkiluoto
[2] www.tvo.fi/www/page/2959/
[3] www.anti-atom-aktuell.de/archiv/186/186ostsee.html
[4] www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,481431,00.html


*


Quelle:
graswurzelrevolution, 38. Jahrgang, GWR 337, März 2009, S. 6
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
Breul 43, D-48143 Münster
Tel.: 0251/482 90-57, Fax: 0251/482 90-32
E-Mail: redaktion@graswurzel.net
Internet: www.graswurzel.net

Die "graswurzelrevolution" erscheint 10 Mal im Jahr.
Der Preis für eine GWR-Einzelausgabe beträgt 3 Euro.
Ein GWR-Jahresabo kostet 30 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. März 2009