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IMI/225: Geilenkirchen - Mit AWACS gegen das Grundgesetz


IMI - Informationsstelle Militarisierung e.V.
Broschüre "Kein Frieden mit der NATO - Die NATO als Waffe des Westens"

Geilenkirchen: Mit AWACS gegen das Grundgesetz

Von Tobias Pflüger


Wenige Kilometer nördlich von Aachen, nahe einem Walgebiet an der niederländischen Grenze gelegen, befindet sich der NATO-Militärflughafen Geilenkirchen, der sowohl bei den weltweiten Kriegen der NATO als auch bei der Militarisierung der Inneren Sicherheit und der Aushöhlung des Grundgesetzes eine wichtige Rolle spielt.

Auf der Airbase sind knapp über 3.000 Soldaten aus 14 NATO-Staaten stationiert. Deren Hauptaufgabe ist Wartung und Betrieb von 17 ganz speziellen Aufklärungsflugzeugen der NATO sowie drei Trainingsmaschinen desselben Typs. Das Spezielle an den AWACS (Airborne Early Warning and Control System), bei denen es sich um eine mit Aufklärungstechnologie ausgestattete Version der Boeing E-3A handelt, ist zunächst, dass die Flugzeuge unmittelbar der NATO gehören - also nicht von einem Mitgliedsstaat zur Verfügung gestellt werden - und ihre Besatzung multinational zusammengesetzt ist. Darüber hinaus überschneiden sich offensive und defensive Fähigkeiten der AWACS in einem sehr großen und für die NATO auch nützlichen Maße. Dies liegt v.a. an der enormen Reichweite der Flugzeuge und ihrer aufmontierten Radaranlagen. Die AWACS können bis zu elf Stunden - im Notfall sogar über 17 Stunden - in der Luft bleiben und von ihrem jeweiligen Standpunkt aus in einem Radius von bis zu 400 km Fahrzeuge, Schiffe etc. aufklären. Zudem verfügen sie über eine ausgefeilte und von vornherein auf Interoperabilität ausgerichtete Kommunikationstechnologie. Deshalb können sie sowohl in Katastrophenfällen als auch bei multinationalen Besatzungen oder am Rande von Kriegsgebieten, wo sich das Flugaufkommen durch Kampfflugzeuge drastisch erhöht, die zivile und militärische Flugsicherung übernehmen. Sie sind auch äußerst geeignet, den Luftraum und Flugverbotszonen beispielsweise aufgrund von UN-Sanktionen zu überwachen, können aber auch in diesem Rahmen gegnerische Ziele ausspähen und bei (den eventuell folgenden) handfesten Angriffskriegen als Feuerleitstand dienen.

Die in Geilenkirchen seit 1982 stationierten Flugzeuge kamen schon entsprechend oft zum Einsatz. Der erste Kriegseinsatz erfolgte 1990/1991, als die AWACS in die Türkei verlegt wurden, um zunächst den US-geführten Aufmarsch der Truppen im Mittelmeer und der Türkei zu überwachen und später während des Krieges als Frühwarnung gegen irakische Truppenbewegungen und Luftangriffe insbesondere gegen die Türkei dienen. Offiziell hatte dieser Einsatz ebenso wenig mit der NATO zu tun, wie der 1992 folgende im Mittelmeer, bei dem AWACS das aufgrund des Lockerbie-Anschlages verhängte Embargo gegen Libyen überwachen sollten. Der Übergang von solch eher defensiven zu offensiven Militärmaßnahmen zeigte sich jedoch wieder sehr deutlich bei den Einsätzen der AWACS auf dem Balkan. Auch hier ging es zunächst nur darum, ein von der UN verhängtes Embargo zu überwachen, doch mit der Eskalationsstrategie der NATO übernahmen die AWACS schnell andere Aufgaben: Sie spähten serbische Stellungen und Radarstationen aus und koordinierten tausende von Luftangriffen in Bosnien und Herzegowina, Serbien und Kosovo. Der Einsatz auf dem Balkan dauerte bis ins Jahr 2004 und beinhaltete auch die Unterstützung des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen Jugoslawien.

Seit den Anschlägen vom 11.9.2001 sind die in Geilenkirchen stationierten AWACS im Dauereinsatz auch mitten in Europa. Für einige Monate leisteten sie zudem Unterstützung bei der Luftraumüberwachung in den USA. Diese hatten in einer ersten Reaktion auf die Anschläge innerhalb einer Stunde ihre gesamte eigene Flotte von 28 AWACS mobilisiert, um Ausschau nach verdächtigen Flugzeugen zu halten, die auf Städte zusteuern. Vom 8.10.2001 bis zum 15.5.2002 wurden die USA dabei von fünf der in Geilenkirchen stationierten NATO-AWACS unterstützt.

In Europa kommen die AWACS im Rahmen des "Krieges gegen den Terror" immer wieder bei "besonderen Ereignissen", insbesondere bei Besuchen des US-Präsidenten oder des Papstes, Gipfeltreffen oder großen Sportereignissen zum Einsatz. Einer der größten dieser Einsätze fand im Rahmen des NATO-Gipfels 2006 in Riga mit sechs AWACS und insgesamt 13 Flügen statt. Den bisher längsten Einsatz stellte die FIFA-WM im selben Jahr in Deutschland dar. Bei der Investitur des Papstes waren fünf, bei den G8-Gipfeln in Gleaneagles 2005 und Heiligendamm 2007 je drei AWACS im Einsatz. An dieser Stelle sei noch einmal darauf verwiesen, dass es sich bei jedem dieser Einsätze aufgrund der multinationalen Zusammensetzung der Flugzeugbesatzungen, von der jeweils etwa ein Drittel aus deutschen Soldaten besteht, stets auch um Einsätze der Bundeswehr handelt.

Die Frage, ob deshalb der Bundestag über die AWACS-Einsätze abstimmen muss, spielte insbesondere im Kontext des Irak- Krieges 2003 eine Rolle. Auch hier wurden die in Geilenkirchen stationierten Flugzeuge Flugzeuge mitsamt ihrer deutschen Besatzungsmitglieder in die Türkei verlegt, offiziell um Vergeltungsschläge der irakischen Armee gegen die Türkei zu verhindern. Der Bundestag hatte sich aber damals explizit gegen eine deutsche Unterstützung des US-geführten Krieges gegen den Irak ausgesprochen. Die FDP sah deshalb die Rechte des Bundestags, über Kriegseinsätze der Bundeswehr zu entscheiden, verletzt und legte einen Eilantrag gegen die deutsche Beteiligung ein. Das Bundesverfassungsgericht wies den Eilantrag seinerzeit ab, stellte dann aber fünf Jahre später - im Mai 2008 - fest, dass der Einsatz ohne Bundestagsmandat verfassungswidrig war, da "greifbare tatsächliche Anhaltspunkte für eine drohende Verstrickung in bewaffnete Auseinandersetzungen" bestanden.

Ebenfalls im Mai 2008 wurden von der NATO erste Forderungen laut, wonach AWACS aus Geilenkirchen nach Katar verlegt werden sollten, offiziell, um die Luftraumüberwachung in Afghanistan zu übernehmen. Den zivilen Luftverkehr aber kann die seit Juli 2008 funktionsfähige zivile afghanische Flugsicherung selbst übernehmen, weshalb es offensichtlich nur um die Koordination des militärischen Luftverkehrs gehen kann. Darüber hinaus waren US-amerikanische AWACS schon zwei Mal in Afghanistan im Einsatz, zunächst zu Beginn des Krieges - und damit in dem Zeitraum, wo die USA für die "Heimatverteidigung" Unterstützung durch die NATO-AWACS erhielt (s.o.) - und erneut seit März 2007. Diese dienen aber ganz klar der Koordination von Luftangriffen. Sogar der versehentliche Bombenangriff auf kanadische Soldaten am 17.4.2002 erfolgte mittels Aufklärungsdaten der AWACS.[1] Diese Luftangriffe sind diejenige Komponente der Eskalationsstrategie der NATO, welche auch von Seiten der Bundesregierung öffentlich immer wieder kritisiert, tatsächlich aber - beispielsweise mit der gewünschten Entsendung der AWACS und den deutschen Aufklärungstornados - unterstützt wird. Aufgrund der großen Reichweite könnten die NATO-AWACS auch Ziele in Pakistan und Iran ausspähen. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts und aufgrund der eindeutigen "Anhaltspunkte für eine drohende Verstrickung in bewaffnete Auseinandersetzungen" wird es über den AWACS-Einsatz diesmal eine Abstimmung im Bundestag geben.


Anmerkung

[1] Paul Schäfer: AWACS-Einsatz in Afghanistan, in: Friedensforum 6/2008


Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Die Broschüre "Kein Frieden mit der NATO - Die NATO als Waffe des Westens" wurde von der Informationsstelle Militarisierung e.V. und der DFG-VK herausgegeben. Sie kann direkt heruntergeladen werden unter:
http://imi-online.de/download/webversion-imi-nato.pdf

Der hier veröffentlichte Beitrag kann als Einzeltext heruntergeladen werden:
http://imi-online.de/2009.php3?id=1908


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Quelle:
IMI-Standpunkt 2009/013 - 14.02.2009
Broschüre "Kein Frieden mit der NATO - Die NATO als Waffe des Westens", S. 65
Februar 2009
Herausgeber: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. März 2009