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IMI/362: Solidarität ist keine Einbahnstraße


IMI - Informationsstelle Militarisierung e.V.
IMI-Standpunkt 2011/023 - Texte zum IMI-Kongress 2010 vom 02.05.2011

Solidarität ist keine Einbahnstraße

Von Andrés Schimdt


In Honduras putschte Ende Juni 2009 das Militär gegen den 2005 gewählten Präsidenten Manuel Zelaya und brachte ihn außer Landes. Kurze Zeit später ernannte der Kongress Roberto Micheletti als Übergangspräsidenten, der die Geschäfte bis zur Präsidentschafts- und Parlamentswahl einige Monate später leiten sollte. In den darauf folgenden Wochen protestierten hunderttausende Menschen in Honduras gegen den Putsch und die Übergangsregierung. Das Militär und die Polizei versuchten diese Proteste gewaltsam niederzuschlagen, die Übergangsregierung erklärte den Ausnahmezustand, zahlreiche Personen wurden festgenommen, von denen einige nie wieder auftauchten.

Die internationalen Reaktionen auf den Putsch waren zunächst eindeutig: die meisten lateinamerikanischen Staaten zogen ihre Botschafter ab, die UN-Generalversammlung verurteilte den Putsch einstimmig und forderte die Wiedereinsetzung des legitimen Präsidenten Zelaya und die Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) schickte ein Team, das Verhandlungen führen sollte - mit der klaren Forderung, den geputschten Präsidenten wieder einzusetzen. Als sich abzeichnete, dass die Putschisten diese Forderungen nicht erfüllen würden, setzte die OAS die Mitgliedschaft Honduras' aus.

Auch die meisten Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zogen ihre Botschafter vorübergehend ab, auf einem Treffen der EU-Außenminister einige Tage nach dem Putsch wurde dieser einhellig verurteilt.

Trotz der anhaltenden Proteste in Honduras fanden Ende November 2009 unter der Regie Michelettis allgemeine Wahlen statt, die die Widerstandsbewegung als Legitimationsversuch der Putschisten einstufte und boykottierte. Während des Wahlkampfs wurden kritische Medien geschlossen und friedliche Demonstrationen der Opposition gewaltsam aufgelöst. Porfirio Lobo Sosa, ein rechtskonservativer Politiker ging als Sieger aus den Wahlen hervor. Während die USA, die EU und die meisten anderen Länder diese Regierung anerkennen, erhalten die meisten lateinamerikanischen Länder ihre Nicht-Anerkennung nach wie vor aufrecht. Honduras ist bleibt daher weiterhin aus der OAS ausgeschlossen.


Legitim ist der Präsident, der EUropäischen Interessen nützt

Zum Zeitpunkt des Putsches war die EU mit ihren Bemühungen um einen Abschluss eines Assoziierungsabkommens mit den Staaten Zentralamerikas (Costa Rica, Honduras, Guatemala, Panamá, El Salvador und Nicaragua) trotz massiver Proteste von zentralamerikanischen Gewerkschaften und Bewegungen sehr weit gekommen, die Unterzeichnung stand kurz bevor. Nach dem Putsch konnte die EU zunächst nicht anders, als die Verhandlungen mit Honduras auszusetzen, ein Freihandelsabkommen ohne Honduras war allerdings aufgrund der Tatsache, dass das Land mit Puerto Cortés den wichtigsten Atlantikhafen der Region besitzt, wertlos. Nach den Wahlen Ende 2009 sah man die Möglichkeit, mit der Regierung Lobo das Abkommen abzuschließen, wozu dieser als "demokratischer" Präsidenten aufgebaut werden musste: der Rat der Europäischen Kommission verkündete nach der Bekanntgabe der Wahlergebnisse, man erwarte von Lobo nun Anstrengungen, die Putschisten mit der Widerstandsbewegung auszusöhnen, ein Anzweifeln der Rechtmäßigkeit der Wahlen und damit der Regierung war allerdings nicht zu hören.

Im Mai 2010 wurde das Freihandelsabkommen dann schließlich auf dem EU-Lateinamerika-Gipfel in Madrid unterzeichnet, wofür die EU kaum vorstellbare Verrenkungen und Tricks in Kauf nahm. Im Vorfeld des Gipfels drohten die meisten südamerikanischen Staaten, ihre Teilnahme am Gipfel für den Fall, dass Lobo eingeladen werde, abzusagen. Daraufhin sagte Lobo seine offizielle Teilnahme am Gipfel ab und flog "inoffiziell" nach Madrid. An allen offiziellen Treffen im Rahmen des Gipfels nahm er nicht teil, jedoch wurde er zur Unterzeichnung des Abkommens zwischen der EU und Zentralamerika zugelassen. Damit wurde die Regierung Lobos von der EU kurzerhand als legitimer Vertreter der honduranischen Bevölkerung erklärt. Doch damit nicht genug: mit dem Amtsantritt Lobos trat auch das "Programm zur Stärkung des Sicherheitssektors" ("PASS") in Kraft, bei dem die EU die honduranische Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte mit 47 Mio. Euro Entwicklungshilfegeldern auf 8 Jahre unterstützt. Tibor Sztaricskai, seinerzeit in der "Generaldirektion Außenbeziehungen" der EU für Honduras zuständig, begründete dies im Mai 2010 mit der Notwendigkeit, Stabilität im Lande wieder herzustellen und "die Polizei in Menschenrechtsfragen zu schulen". Angesichts all dessen verwundert es kaum, dass die Oppositionsbewegung seit dem Putsch praktisch keine Unterstützung durch die EU erhalten hat.


Die Widerstandsbewegung in Honduras...

Mit dem Putsch ist in Honduras in rasanter Geschwindigkeit eine sehr große, breit verankerte und gewaltfreie Widerstandsbewegung entstanden. Sie forderte die Rückkehr des legitimen Präsidenten Zelaya, soziale Reformen und eine neue Verfassung, die in einem gesellschaftlichen Dialog erarbeitet werden sollte. Naheliegend, dass dabei auch alte Bastionen des Neoliberalismus infrage gestellt wurden: Arbeitsgesetzgebung, Privatisierungen, Landreform. Die Bewegung, heute "Frente Nacional de Resistencia Popular" (FNRP), brachte Mobilisierungen von bis zu einer Million Menschen (im Land leben 5,5 Mio.) zustande. Sie lehnt den de facto-Präsident Lobo als Nachfolger des Putsches ab, unter anderem, weil die Wahlen unter Zensur der oppositionellen Medien stattfanden.

Die zunächst spontane Widerstandsbewegung gegen den Putsch hat sich zu einer kontinuierlichen demokratischen Struktur entwickelt, die weiterhin die Zusammenarbeit mit dem Regime ablehnt. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht weiter die Forderung nach einer neuen Verfassung. Die FNRP setzt sich heute aus einem breiten Bündnis aus Kleinbauern-, Frauen-, Indigena-, Künstler- und LGBT-Organisationen, Gewerkschaften und anderen Gruppierungen zusammen. Ihr Ehrenpräsident ist der im Exil lebende Ex-Präsident Zelaya.

Die Bewegung hat neben unzähligen Verletzten und Opfern polizeilicher Folter über 100 dokumentierte politische Mordopfer zu beklagen. Die Menschenrechtsverletzungen dauern unter der Regierung Lobo weiter an. Allein 50 Morde fallen in die Amtszeit Lobos. Keiner der Morde wurde bisher aufgeklärt, für die meisten gibt es nicht einmal Verfahren. Dass im Jahr 2010 allein zehn kritische JournalistInnen umgebracht wurden, hat darüber hinaus den Effekt einer Fortsetzung der Pressezensur mit anderen Mitteln.

Indes ist die Regierung Lobo bemüht, die unter dem liberalen Präsidenten Zelaya durchgeführten sozialen Reformen wieder zurückzunehmen. Unter dem Putschisten Micheletti eingeführte Gesetze wie das Terrorismusgesetz oder das Verbot der "Pille danach" und die Konzessionierung von 300 Flüssen an internationale Investoren bleiben indes unangetastet. Lobos Rückhalt ist dabei gering: einer Umfrage vom Herbst 2010 zufolge halten nur 17% der HonduranerInnen das derzeitige System für glaubwürdig. 77% befürworten eine verfassungsgebende Versammlung.


... und die Möglichkeiten der Internationalen Solidaritätsarbeit

Über diese Oppositionsbewegung in Honduras ist in den deutschen Medien allerdings kaum etwas zu erfahren, vor allem die Tatsache, dass der Widerstand nun schon seit Jahren anhält. Die Solidaritätsarbeit von Gruppen in Europa besteht darin, das Thema und die Anliegen der Bewegung hier bekannt zu machen, denn Widerstandsbewegungen weltweit brauchen in Europa Möglichkeiten, ihre Stimme in der EU hörbar zu machen. Ihre Bedeutung und ihre Sicherheit in ihren Ländern hängen auch davon ab, wie sie international vernetzt sind. Die Präsenz von internationalen MenschenrechtsbeobachterInnen in Honduras wiederum kann ein wirksamer Schutz für lokale AktivistInnen sein, die mit ihrer Arbeit täglich riskieren, Opfer politischer Gewalt zu werden.

Zum Abschluss einer Delegationsreise deutscher und österreichischer JournalistInnen und Aktivistinnen im Dezember 2010, bat Betty Matamoros, Leiterin der Internationalen Kommission der FNRP, um die regelmäßige Entsendung von JournalistInnen und MenschenrechtsbeobachterInnen nach Honduras. Was sie (wohl höflichkeitshalber) nicht erwähnte: Die Bewegung braucht auch Geld.

Aber auch für eine Bewegung gegen die EU ist die gemeinsame Arbeit sinnvoll: Indem wir Bewegungen wie der honduranischen Resistencia hier eine Stimme geben, zeigen wir die Unglaubwürdigkeit des Menschenrechtsdiskurseder EU auf und entlarven ihre imperialen Interessen.

Weitere Infos:
http://hondurasdelegation.blogspot.com
http://amerika21.de/geo/honduras

Als PDF-Datei ist der Artikel abrufbar unter:
http://imi-online.de/download/AS_InterSol.pdf


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Quelle:
IMI-Standpunkt 2011/023 - Texte zum IMI-Kongress 2010 vom 02.05.2011
http://www.imi-online.de/2011.php?id=2295
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Mai 2011