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IZ3W/170: Rezension - "Deplatziert! Interventionen postkolonialer Kritik"


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe 311 - März/April 2009

Interventionen postkolonialer Kritik

Von Kevin Stützel


Die Postkoloniale Theorie fristet im akademischen Betrieb in Deutschland nach wie vor ein Nischendasein. Die deutsche Wissenschaftslandschaft ist wie kaum ein anderer Bereich strukturell und diskursiv weiß geprägt und kaum für die Kontinuität von kolonialrassistischen Politiken sensibilisiert.

Die HerausgeberInnen des Sammelbandes Deplatziert! wollen demgegenüber marginalisiertes subalternes Wissen im universitären Alltag sichtbar machen und einen Beitrag zur kritischen postkolonialen Debatte in Deutschland leisten. Das Buch basiert auf Vorträgen zu postkolonialer Kritik, Rassismuskritik und Konstruktion von Weißsein, die seit 2003 an der Universität Oldenburg stattfanden. Es eignet sich gut als Einführung in den Diskussionsstand.

Die AutorInnen thematisieren postkoloniale Nord-Süd-Verhältnisse, die Verweigerung von Subjekt-Platzierungen, die Repräsentation und Kontinuität des Kolonialen im Film sowie (Post-)Kolonialismus und Alltagskultur. Hervorzuheben ist der Artikel von Kien Nghi Ha, dem es gelingt, die kolonialrassistischen Muster der Arbeitsmigrationspolitik und koloniale Bilder im aktuellen Migrationsdiskurs in Deutschland aufzuzeigen. Er übersetzt dazu US-amerikanische und britische postkoloniale Theorieansätze in den deutschen Kontext. Positiv hervor sticht auch der Beitrag von Martina Backes über die Traumwelten und Trugbilder des touristischen Afrikabildes. Sie stellt dar, wie wenig die Warenförmigkeit der Beziehung zwischen (Weißen) Reisenden und (Schwarzen) DienstleisterInnen durch die Brille des Öko- und Ethnotourismus wahrgenommen wird.

Wie notwendig postkoloniale Kritik im deutschen Kontext ist, wird im Sammelband schließlich anhand der Artikel von Nicola Lauré al Samarai und Fatima El-Tayeb deutlich. Lauré al Samarai lokalisiert vor dem Hintergrund der postkolonialen Situation in Deutschland die angebliche Nicht-Beziehung zwischen der rassistischen Fremdwahrnehmung von Schwarzen Deutschen und Sinti und Roma und kennzeichnet die fortlaufenden Praxen ihrer soziokulturellen Deplatzierung. El-Tayeb analysiert den rassistischen Gehalt der Debatte um die eingetragene Lebenspartnerschaft in Deutschland an Hand ihrer Ein- und Ausschlüsse und zeigt die ausgrenzenden Folgen für Queers of Color auf.

Beiträge zur Repräsentation und Kontinuität des Kolonialen im Film sowie zu Postkolonialität und Alltagskultur runden den Sammelband ab. Hoch spannend ist der Artikel von Stephan Cohrs zur ARD-Krimireihe Tatort, in dem er eine - wie er es nennt - »Evaluation des Gutgemeinten« versucht. Cohrs untersucht dazu an Hand einer Folge en detail die postkoloniale Repräsentation von Weiß- und Schwarzsein sowie die Fragmente von Rassismuskritik im Tatort. Kurz: »Deplatziert!« führt die Auseinandersetzung um Postkolonialismus in Deutschland auf lohnenswerte Weise fort.


Stephan Cohrs / Nadine Golly (Hg.):
Deplatziert! Interventionen postkolonialer Kritik
Wissenschaftlicher Verlag Berlin, Berlin 2008. 307 Seiten, 36 Euro.


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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 311 - März/April 2009


Wenn die Nacht am tiefsten... - Macht und Alltag im Iran

Iran steht derzeit wegen seines Atomprogramms im Mittelpunkt außenpolitischer Debatten. Unser Themenschwerpunkt fragt nach den Herrschaftsverhältnissen im Inneren. Wie mobilisiert das Regime der Mullahs Unterstützung in der Bevölkerung? Was unterscheidet den iranischen Islamismus von anderen Islamismen? Wie verfährt das Regime mit Minderheiten? Und wo gibt es welche Ansätze für Widerstand?

Trotz des verbreiteten Unmuts gibt es im Iran keine starke organisierte Oppositionskraft. Wie auch? Oppositionelle Parteien haben im politisch-religiösen System der Mullah-Republik keine Chance. Politische Bewegungen und Minderheiten sind jedoch trotz aller Repression aktiv. Sie kämpfen vor allem auf der Alltagsebene für Bewusstseinsveränderungen, weil sie noch nicht in der Lage sind, die Machtfrage zu stellen. Ihnen gilt unsere Empathie und Solidarität, und ihnen widmet sich dieser Themenschwerpunkt.


Heft - Editorial: Der Anfang vom Ende

Politik und Ökonomie

Israel - Palästina: Gelegenheit für die US-Regierung
von Ghassan Khatib

Wird Palästina gespalten bleiben?
von Yossir Alpher

Simbabwe: Eine akademische Sünde
Verheerende Zustände an den Universitäten
von Christopher Phiri

Entwicklungspolitik: Alte Freunde
Das Scheitern politischer Konditionalität in Togo
von Björn Gutheil

Nationalsozialismus: »Wir waren nicht mehr als Nummern«
Biografische Notizen von schwarzen Häftlingen im KZ Neuengamme von Rosa Fava


Schwerpunkt: Macht und Alltag im Iran

Editorial zum Themenschwerpunkt

Die Andersdenkenden
Zwischen Hoffnung und Resignation
ein Brief von Soussan Sarkhosh

Bastion der Freiheit
Die Studentenbewegung im Iran
von Ali Schirasi

Die andere Hälfte
Iranische Frauen und ihre Bewegung für Freiheit und Emanzipation
von Chahla Chafiq

Zwangsweise loyal
Iranische Jüdinnen und Juden als Spielball der Politik
von Thomas Schmidinger

Utopie versus Apokalypse
Selbstverständnis und Verfolgung der Bahai im Iran
von Wahied Wahdat-Hagh

Die Republik der Ayatollahs
Vom Auf- und Abstieg der politischen Theologie Khomeinis
von Jörn Schulz

»Die Revolutionsgarden sind das Machtzentrum«
Interview mit Ali Alfoneh über das System der Islamischen Republik Iran


Kultur und Debatte

Debatte: Fersengeld statt »satanische Verse«
Die Fatwa gegen Salman Rushdie hat bis heute Folgen
von Udo Wolter

Kunst: Jeder Blick verrät seinen Standort
Perspektiven auf Kunst aus Afrika
von Sebastian Stein

Rezensionen, Tagungen & Kurz belichtet


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Quelle:
iz3w Nr. 311, März/April 2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2009