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IZ3W/179: Editorial von Ausgabe 314 - Wüste Pläne


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe Nr. 313 - September/Oktober 2009

Editorial
Wüste Pläne


In nur sechs Stunden soll allein auf die Wüstengebiete unserer Erde so viel Energie fallen, wie die Menschheit in einem Jahr verbraucht. Was läge da näher, als dieses brachliegende Potenzial zu erschließen, zu verstromen und an die Orte des Verbrauchs zu transportieren. So macht man das mit Uran und Kohle, warum also nicht mit Sonnenenergie. Die schlauen Köpfe großer Konzerne und politischer Think Tanks in Europa schlossen aus der Erkenntnis: die in Anbetracht einer drohenden Klimakatastrophe unumgängliche Energierevolution liegt quasi vor der Haustüre, direkt hinter der europäischen Grenze. In der Sahara.

Um den heutigen globalen Strombedarf zu decken, würde es reichen, drei Tausendstel der weltweit zirka 40 Millionen Quadratkilometer Wüstenfläche mit Spiegeln oder Kollektoren solarthermischer Kraftwerke auszustatten. Pro Mensch, so die Desertec Foundation, genügten etwa 20 Quadratmeter Wüste, um den Strombedarf Tag und Nacht klimaneutral zu decken. Desertec steht für ein Konsortium aus Industrie, Politik und Technikvordenkern, das mit Unterstützung seiner Königlichen Hoheit Prinz Hassan bin Talal von Jordanien sowie der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome gegründet wurde. Der Plan zeigt über 100 Kraftwerke und Hochspannungsleitungen, die sich rund um Europa spinnen. Stiftungssitz ist Berlin.

Die Nutzung von Sonnenenergie hat ihr verstaubtes Ökoimage schon lange abgeworfen und sich zum lukrativen Geschäftsfeld für »grüne« Investoren gemausert. Das hat diejenigen verärgert und enttäuscht, die glaubten, die alternative Sonne-Wind-und-Wasser-Energie könne dem rußenden Kapitalismus die Schornsteine dicht machen.

Grün umrüsten ohne am Massenkonsum zu rütteln, so war das nicht gedacht. Doch damit nicht genug. Das industrielle Muster großtechnologischer Energiewirtschaft wird von den Umweltministerien der Länder nun in kolonialer Manier beworben: »Diese Energiequellen sollen verbunden werden mit anderen regenerativen Energieerzeugern von Island bis Arabien«. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome, Max Schön, meint, »Schleswig Holstein und Marokko haben mit als erste früh erkannt, dass aus der Zusammenarbeit zwischen dem Sonnen- und dem Technologie-Gürtel der Welt der voraussichtlich größte Beitrag zur Abwendung der Klimakatastrophe resultieren kann.«

Während das weltweite Bevölkerungswachstum in vielen Szenarien als zusätzliche Bedrohung des Klimas und der Menschheit dramatisiert wird, will Desertec-EUMENA bis in 40 Jahren problemlos 10 Milliarden Menschen mit sauberer Energie versorgen können. Ein visionäres Rettungsprojekt, das unerschöpfliches Licht auf die Eine-Welt bringt, überall und für immer. »Desertec ist ein Beitrag für eine bessere Welt, für uns und unsere Nachkommen«. Der Name des Projektes verrät, wer gemeint ist: EUMENA steht für Europe, The Middle East, North Africa. Nicht zum ersten Mal ist die Region Gegenstand geografischer Großprojekte.

Bereits in den 1920er Jahren plante der Münchner Baumeister Herman Sörgel eine bessere Welt in Form eines infrastrukturell zusammenhängenden Großkontinentes namens Atlantropa. Hier sollte Europa und Afrika durch ein teilweise es namens Atlantropa. Hier sollte Europa und Afrika durch ein teilweise trocken gelegtes Mittelmeer sowie zahlreiche Wasserkraft-Stationen miteinander verbunden und die Sahara dabei begrünt werden.

Übrigens wirbt Desertec damit, dank der künftig gewonnenen Sonnenenergie Meerwasser entsalzen und damit den chronischen Wassermangel in Afrika gleich mit der Klimakatastrophe zusammen abschaffen zu können. Ein Vorposten wurde gerade in Südspanien eingeweiht, das Solarkraftwerk Andasol 1 mit 512.000 Quadratmetern (Andasol 2 und 3 sollen folgen). Die Weltbank finanziert den Bau von weiteren Solarkraftwerken in Marokko und Ägypten. Am Ende sollen ein paar hundert Kraftwerke den Eigenbedarf Nordafrikas decken und den Rest exportieren.

Ohne Netzanschluss von Oasen und Großstadtslums (über deren Finanzierung niemand redet) an die grünen Kraftwerke ist dieser Rest voraussichtlich die größere Menge. Für den Stromexport sollen afrikanische Staaten Einspeiserechte in europäische Netze erwerben dürfen - zumindest sind die weniger umstritten als Aufenthaltsrechte derjenigen, die den Folgen des Klimas zu entfliehen versuchen. Desertec hin, Wüstenstrom her. Hin mit Hilfe von 350 Milliarden Euro Investitionskosten (Merkel weiß: es profitieren hiesige Betriebe und Deutschland ist und bleibt Technologieexportweltmeister). Her dank 50 Milliarden für noch nicht existente Gleichstromhochleitungen (die beteiligten Energiekonzerne E.on und RWE wissen das als Beitrag zur Sicherung ihres Absatzmarktes zu schätzen).

Wer das finanzieren soll? Nun, verteilt auf 40 Jahre ist das gegenüber den Bankenrettungspaketen doch ein Klacks. Und schließlich gibt es ja die Erneuerbaren Energiengesetze, die über den Solarstromcent die Kosten am Ende an die Konsumenten weitergeben.

Ein Grund mehr für die iz3w-Redaktion, sich nicht an den Hamsterkäufen des Auslaufmodells Glühbirne zu beteiligen. Ob es sich lohnt, die letzen Schreibtischfunzeln auf Sparlampen umzustellen, ist allerdings noch strittig. Denn die Wolframfäden der Glühbirne verbrauchen auch nur ein Viertel der Energie der alten Kohlenstofffäden. Und während die Effizienz der Straßenlaternen seit 1920 um das Zwanzigfache stieg, nahm die Beleuchtungsdichte um das Vierhundertfache zu. Die beliebteste Sparlampen-Gegenthese: wenn es dunkel wird Feierabend machen.

die redaktion


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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 314 - September/Oktober 2009


THEMENSCHWERPUNKT: Alte Zeiten, neue Zeiten - Zentralasien postsowjetisch

Die historische Wende von 1989 ff. und der Siegeszug des kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells haben nirgendwo größere Auswirkungen gehabt als in den Staaten und staatsähnlichen Gebilden, die aus der Sowjetunion hervorgingen. Über Russland und die osteuropäischen Länder ist hierzulande inzwischen einiges Wissen verbreitet. Die zentralasiatischen Länder Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan sind hingegen auf unserer Mental Map weitgehend eine terra incognita geblieben.

Ein Zufall ist das wohl kaum. Zentralasien war nicht nur die Peripherie des zaristischen Russlands, sondern auch der (Ex-)Sowjetunion. Hier herrschte jahrzehntelang der russische Kolonialismus und nach der Oktoberrevolution wurde der dort lebenden Bevölkerung erneut Gesellschafts- und Politikmodelle oktroyiert, die in Russland entstanden waren. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und die staatliche Unabhängigkeit stellten die fünf zentralasiatischen Staaten vor enorme Herausforderungen. Nach dem Systemwechsel von 1991 waren es dann westliche Vorstellungen von Demokratisierung und Wirtschaftsliberalismus, die eine glorreiche Zukunft versprachen - und weitgehend fehlschlugen. Unser Themenschwerpunkt fragt nach den vielfältigen Problemen, die die diversen Systemwechsel in Zentralasien hervorbrachten, und die massiv die Gegenwart bestimmen.


INHALTSÜBERSICHT

Schwerpunkt: Alte Zeiten, neue Zeiten
Zentralasien postsowjetisch

Hefteditorial: Wüste Pläne


Politik und Ökonomie

Sri Lanka: "Kriegsende ohne Frieden"
In Sri Lanka wird militärisch aufgerüstet
von Fabian Kröger

Peru: Der Hund des Gärtners beißt zurück
In Peru erstarkt eine politische Indígena-Bewegung
von Hildegard Willer

China: Der gute Mensch von Sezuan
Eine kleine Farce über Nothilfe in China
von Wolf Kantelhardt

Mexiko: Femizid: Ein Verbrechen aus Hass
Wenn Morde an Frauen straffrei bleiben
von Mariana Berlanga

Geopolitik: Raum, Macht und Ideologie
Die anhaltende Bedeutung von Geopolitik und Politischer Geographie
von Sören Scholvin


Themenschwerpunkt: Zentralasien

Editorial

Unabhängigkeit von oben
Eine vorläufige Bilanz der postsowjetischen Systemtransformation in Zentralasien
von Tobias Kraudzun, Ellen Nötzel, Yulia und Michael Schulte

Weiße Elefanten sterben nicht aus
Die ökologische Frage in Zentralasien bleibt ungelöst
von Jenniver Sehring

Unser gemeinsames Haus
Kirgistan auf der Suche nach einer Nation
von Alexander Wolters

Peripherie mit starkem Staat
Zentralasien oszilliert zwischen Rohstoffreichtum und nackter Armut
von Tomasz Konicz

Mit der Bahn nach Kasachstan
Die deutsche Außenpolitik nimmt Zentralasien ins Visier    
von Jörg Kronauer

Ungeliebte Nachbarn
In Russland sieht man von oben auf Zentralasien herab
von Ute Weinmann

»Schaut euch unsere Gebäude an«
Die Umbrüche in Zentralasien verändern auch die Gestalt der Städte
von Wladimir Sgibnev

Bauboom für Moscheen
Die Re-Islamisierung in Zentralasien ist nicht mit Islamismus gleichzusetzen
von Sören Scholvin


Kultur und Debatte

Rassismus: 25 Jahre »Marche des Beurs«
Ein Rückblick auf Kämpfe der Migration in Frankreich
von Kolja Lindner

Film: »Das Sektiererische aufbrechen...«
Interview mit der Filmproduzentin Irit Neidhardt über »The One Man Village«

Musical: »Die Geschichte hat mich eingeholt«
Interview mit dem Hiphop-Musiker Yan Gilg über sein Stück »A nos morts«

Debatte: Auf der Suche nach Relativierungen
Eine Antwort auf Réne Wildangels Replik zum Themenschwerpunkt »Nazi-Kollaborateure«
von Karl Rössel

Rezensionen, Tagungen & Kurz belichtet


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Quelle:
iz3w Nr. 314 - September/Oktober 2009, Seite 3
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. September 2009