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IZ3W/257: Interview mit der Direktorin K. Thorne über den Offenen Fernsehsender Cape Town TV in Afrika


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe Nr. 326 - September/Oktober 2011

Freie Medien
»Wir müssen für jeden Schritt kämpfen«

Interview von Rolf Hutter mit der Direktorin Karen Thorne über den Offenen Fernsehsender Cape Town TV


Cape Town TV (CTV) ist ein Offener Fernsehkanal in Kapstadt, Südafrika. Seit 2008 wird dort Community TV (etwa: Gemeinschaftsfernsehen) gemacht. Der nicht kommerzielle Sender vertritt einen partizipatorischen Ansatz der Massenmedien. In Dokumentationen, Nachrichten, Talkshows und anderen Sendungen sollen marginalisierte Gruppen eine Stimme erhalten. Gesendet wird entsprechend der Zusammensetzung der Community zu 50 Prozent in Englisch sowie in Afrikaans und IsiXhosa.
(www.capetowntv.org)


RALF HUTTER: Sie arbeiten bei einem Fernsehsender, der zu den Community Media gehört. Diesen Begriff gibt es auf Deutsch nicht. Wofür steht er?

KAREN THORNE: Grundsätzlich steht er für lokale Medien. In Nordamerika geht es dabei eher um Zugangsoffenheit: Alle sollen senden können und erhalten die nötige Ausbildung und Hilfestellung - wie beim Offenen Kanal Berlin. In Lateinamerika waren die Gemeinschaftsmedien mit progressiven Bewegungen verbunden, mit dem Kampf gegen Unterdrückung. Sie dienten der Mobilisierung innerhalb der Gemeinschaften und setzten sich für sozialen Wandel ein. Bei uns in Südafrika handelt es sich um eine Kombination von all dem.
Hinzu kommt, dass Community Media als der Gemeinschaft gehörend und von ihr kontrolliert angesehen werden. Sie sind gemeinnützig und der Aufsichtsrat wird demokratisch gewählt. Es gibt keine Trennung zwischen dem Sender und der Gemeinschaft. Wir senden nicht einfach nur für sie, sondern versuchen, ihre aktive Teilnahme zu erreichen. Allerdings nicht auf der Grundlage der Zugangsoffenheit, wie in den USA. In Afrika wäre das nicht nachhaltig, denn wir würden überrannt werden. Bei uns hat die Zivilgesellschaft einen sehr hohen Organisationsgrad. Wir versuchen, gezielt verschiedene Sektoren der Gemeinschaft in die Produktion einzubeziehen.

RALF HUTTER: Wer formt denn diese Gemeinschaft?

KAREN THORNE: Im Prinzip alle, die dort leben. Wir beziehen uns auf eine geografische Gemeinschaft. Darin gibt es Interessensgemeinschaften, beispielsweise den Sportsektor, Nichtregierungsorganisationen, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen, religiöse Organisationen, Bildungseinrichtungen. Wir ermuntern sogar Regierungsstellen, die als solche eigentlich nicht mitmachen dürfen, den Kanal für Bildungskampagnen zu nutzen, etwa bezüglich der Straßenverkehrssicherheit oder des Gebrauchs von Kondomen.
Dann gibt es noch Produktionsfirmen. Wir betrachten sie als Teil der Gemeinschaft. Sie produzieren 30 Prozent unseres Programms. Wir haben ein Mischmodell, bei dem nicht nur AmateurInnen senden. Wir finden, dass Gemeinschaftsmedien auch Arbeitsplätze schaffen sollen. Gerade die öffentlich-rechtlichen Sender tun das nämlich nicht, sie arbeiten nur mit einigen sehr großen Produktionsfirmen zusammen. Dabei gibt es eine lebhafte Szene kleinerer Firmen. Die können bei uns Exposés einreichen. Wenn es zu unserer Programmpolitik passt, schicken wir ihnen eine Auftragsbestätigung. Mit diesem Brief suchen sie Geldquellen, zum Beispiel Werbeeinnahmen. Dafür behalten sie die Rechte an ihrem Beitrag. Ich kenne kein anderes Gemeinschaftsmedium, das einerseits seine ursprüngliche Rolle ausfüllt, andererseits Sendezeit für professionelle Beiträge reserviert. Dieser hochwertige Inhalt - etwa Magazine, Sport- oder Modesendungen - macht den Sender attraktiver. Wir wollen nicht nur ein Sender für arme Schwarze sein.

RALF HUTTER: Wie kam es zu diesem einzigartigen Mischmodell?

KAREN THORNE: Wir haben nicht einfach ein Modell übernommen, sondern uns dem lokalen Bedarf angepasst. Dass sich Sender nicht auch in anderen Städten so entwickelt haben, ist eine traurige Geschichte. Gemeinschaftsmedien werden nicht ernst genommen. Lizenzen wurden ohne Ausschreibung und Regelwerk erteilt. Auch wir bewarben uns nur, weil wir zufällig gehört hatten, dass die zuständige Behörde andernorts eine Lizenz erteilt hatte. Viele, die Lizenzen erhielten, gingen nie auf Sendung, oder wurden wieder abgesetzt, weil sie Rechnungen nicht zahlen konnten oder andere Probleme hatten. Jetzt sind nur noch zwei solcher Fernsehstationen auf Sendung - und in die andere, Soweto TV, hat sich eine große Produktionsfirma eingekauft. Eine weitere Lizenz wurde jetzt in der Provinz Eastern Cape vergeben. Ich habe große Hoffnungen in das Projekt, wenn auch derzeit der Einfluss der Regierung darauf groß ist.

RALF HUTTER: Kann das journalistische CTV-Personal von seiner Arbeit leben?

KAREN THORNE: Ja. Die Produktionen, die nicht von zivilgesellschaftlichen Organisationen selbst gemacht werden, sondern bei uns, werden von gemischten Teams erstellt: Profis, die auch ausbilden, zusammen mit Freiwilligen. Die Freiwilligen lernen dabei viel, was wichtig ist, denn eine höhere Bildung können sich die meisten nicht leisten. Für eine journalistische Laufbahn kann man bei uns in der Praxis lernen. Wir haben 13 Festangestellte und 30 Freiwillige.

RALF HUTTER: Wie kamen Sie zu CTV?

KAREN THORNE: Gemeinschaftsmedien sind seit meinem Journalismus-Studium in den 1980er Jahren meine Leidenschaft. Ich hatte einen sehr radikalen linken Professor, der mich in Medientheorien einführte. Dann arbeitete ich für eine Anti-Apartheid-Organisation, die den Kampf für das Gemeinschafts-TV begann. Ich war dann unter den Leuten in Kapstadt, die bemerkten, dass die Regulierungsbehörde Lizenzen ausstellte, nachdem wir 14 Jahre lang Lobbyarbeit dafür gemacht hatten. Ich bin auf progressive Medienorganisationen zugegangen und habe gesagt: Lasst es uns zusammen machen! Gemeinsam haben wir die Zivilgesellschaft mobilisiert. Als wir den Antrag stellten, hatten wir die Unterschriften von über 100 gemeinnützigen Organisationen als Gründungsmitglieder.

RALF HUTTER: Wie ist der Fernsehmarkt in Kapstadt? Welche Position hat CTV?

KAREN THORNE: Der Fernsehmarkt ist schlecht strukturiert. Es gibt in Südafrika landesweit drei öffentlich-rechtliche Sender, einen privaten sowie Bezahlfernsehen per Satellit. Aber es gibt keine regionalen Stationen - und auf lokaler Ebene nur Gemeinschaftsfernsehen. Nicht einmal in meinen wildesten Vorstellungen hätte ich angenommen, dass in einem demokratischen Südafrika das Gemeinschaftsfernsehen eine Stadt alleine bespielen würde.
Das hat Vor- und Nachteile. Zum einen haben wir keine Konkurrenz. Die Leute sind dankbar, dass es einen Kanal für Kapstadt gibt. Die Öffentlich-Rechtlichen senden aus Johannesburg. Wir werden trotz unserer Mängel überall eingeschaltet. Zum anderen gibt es aber riesige Erwartungen - wir sollen allen alles bieten. Dabei fühlen wir uns unserer traditionellen Rolle verpflichtet. Aber die Leute verstehen nicht wirklich das Konzept der Gemeinschaftsmedien. Wir mussten lange erklären, dass wir keine kleine Kopie der Öffentlich-Rechtlichen oder Kommerziellen sein wollen. All das hat dennoch unsere Ausrichtung beeinflusst. Daher das Mischmodell. Wir bringen auch kommerzielle Sendungen und Unterhaltung, denn das wollen die Leute.

RALF HUTTER: Wie sieht die Programmstruktur von CTV aus?

KAREN THORNE: Weil wir nicht viele Ressourcen haben und nicht viel selbst produzieren oder in Auftrag geben können, ist der Zeitplan etwas vage. Wir bringen viele gute Dokumentarfilme, was auch der beliebteste Programmteil ist. Al-Jazeera oder Deutsche Welle liefern internationale Nachrichtensendungen. Lokale Nachrichten haben wir täglich fünf Minuten, zukünftig soll das eine halbe Stunde sein. Abends gibt es Talkshows zu lokalen Themen. Wir bringen auch viele studentische Filme. Fiktionale Inhalte gibt es nicht. Wir planen aber mit einer Produktionsfirma eine Seifenoper, in der es um Jugendthemen gehen soll.

RALF HUTTER: Wie finanziert sich CTV?

KAREN THORNE: Unser Jahresbudget beträgt umgerechnet 500.000 Euro für ein 24-Stunden-Programm. Diese Summe würden unsere Öffentlich-Rechtlichen vielleicht schon für eine Party ausgeben. 40 Prozent davon sind Spenden von großen Stiftungen. Weitere 40 Prozent sind Gelder, die wir für die Ausstrahlung von staatlichen, kommerziellen und religiösen Sendungen nehmen. Fünf Prozent kommen durch Werbung. Der Rest sind Mitgliedsbeiträge und kleinere Spenden.

RALF HUTTER: Wie weit können Sie senden und wie viele Menschen erreichen Sie?

KAREN THORNE: Wir haben einen Radius von 110 Kilometern. In unserem Sendegebiet leben 2,5 Millionen Menschen. Monatlich schalten 1,2 Millionen Menschen mindestens einmal ein, im besten Fall sind es 150.000 gleichzeitig.

RALF HUTTER: Wann entstand die Initiative für CTV?

KAREN THORNE: Die Lobbyarbeit für Gemeinschaftsmedien begann schon 1991. Wir wollten den Community-Gedanken im neuen Rundfunkgesetz festgeschrieben sehen, das dann 1993 kam. In den folgenden 15 Jahren wurde vor allem auf die Lizenzierung von Gemeinschaftsradios geachtet. Dabei ist Fernsehen gar nicht viel teurer. Die ANC-Regierung war skeptisch gegenüber Gemeinschaftsfernsehen. Sie sollte auch Angst haben, denn es ist ein mächtiges Medium. Es ist nicht unbedingt im Interesse von Regierungen, der Zivilgesellschaft ein solches Sprachrohr zu geben. Der ANC hat durchaus eine Geschichte der Einmischungen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die dessen Unabhängigkeit bedrohten.
Aber letztendlich zwangen wir sie dazu, Lizenzen herauszugeben. Die Gründung von CTV datiert auf September 2006, auf Sendung gingen wir im September 2008. Seitdem mussten und müssen wir für jeden einzelnen Schritt kämpfen: Um Frequenzen, gegen die hohen Sendekosten, auch für die Übernahme ins digitale Fernsehen - die wollten uns da einfach außen vor lassen! Einmal wurden wir abgeschaltet, weil wir einen Monat lang nicht den Netzbetreiber bezahlen konnten. Ohnehin haben wir erst seit September 2010 eine Lizenz für sieben Jahre. Vorher war die immer auf ein Jahr befristet.
All diese Kämpfe kosten sehr viel Energie. Wir müssen ständig gegen die Regierung den Raum für Gemeinschaftsmedien erhalten. Es ist traurig, dass die Vision für fortschrittliches Gemeinschaftsfernsehen in Südafrika nur zu einer einzigen Fernsehstation geführt hat, die dieser Vision weiterhin folgt. Zwei solcher Sender wurden sogar von der Regierung übernommen!

RALF HUTTER: Besteht das Risiko, dass sich der Sender von seinem ursprünglichen Hintergrund entfernt?

KAREN THORNE: CTV wird sich eher nicht von seinen Prinzipien entfernen. Wobei es schon wichtig ist, wer nach mir die Leitung übernehmen wird. Die meisten Medienleute sind konservativ. Es ist schwer, welche zu finden, die Grenzen erweitern wollen. Es gibt nicht so viele, die von einem radikalen Medienaktivismus her kommen. Viele Progressive sind im Zuge der Demokratisierung Südafrikas in Regierungsstellen oder große Medienorganisationen gegangen. Es gibt nicht mehr viele, die im gemeinnützigen Bereich arbeiten wollen. Es ist eine Herausforderung, eine neue Generation heranzuziehen, die den Stab weiter trägt.


Karen Thorne ist Direktorin von Cape Town TV.

Interview und Übersetzung aus dem Englischen: Ralf Hutter


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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 326 - September/Oktober 2011


LGBTI gegen Homophobie

Schluss mit der Angst

Die Welt besteht nicht nur aus jenen zwei Sorten Mensch, die sich, als männlich und weiblich sauber klassifiziert wie Nord- und Südpol, vom

diametral entgegen gesetzten Geschlecht angezogen fühlen.

Sexuelle Identitäten jenseits der heterosexuellen Norm sind weltweit mit gesellschaftlichem Ausschluss, rechtlicher Diskriminierung und der Gefahr gewalttätiger Übergriffe verbunden - mancherorts bis hin zur Todesstrafe.

Wie fungiert Homophobie als Strategie des Machterhaltes, zur Absicherung von Privilegien und Vorrechten, zum Erhalt patriarchaler und nationalistischer Strukturen? Im Themenschwerpunkt fragen wir, welche AkteurInnen, Diskurse und Ideologien hinter den homophoben Einstellungen stehen - und welche nord-südpolitischen Spannungen hier hervortreten.


INHALTSÜBERSICHT


Editorial: Das Böse externalisieren


POLITIK UND ÖKONOMIE

Mexiko: Vogelfrei per Gesetz
MigrantInnen zwischen der Süd- und Nordgrenze Mexikos
von Sebastian Muy

Freie Medien: »Wir müssen für jeden Schritt kämpfen«
Interview mit Karen Thorne über den Offenen Fernsehsender Cape Town TV

Namibia: Wie ein Land
Namibia ist von der ehemaligen Mandatsmacht Südafrika abhängig
von Sören Scholvin

Kambodscha: Sieg im Volkskrieg
Die mörderische Ideologie und Praxis der Roten Khmer
von Junge Linke gegen Kapital und Nation

Tadschikistan: No way
Nachbarn, Gebirge und Geldgier blockieren den Verkehr
von Wladimir Sgibnev


SCHWERPUNKT: HOMOPHOBIE


Editorial zum Themenschwerpunkt - Schluss mit der Angst

»Die wahre Revolution steht uns noch bevor«
O-Töne zum arabischen Frühling aus schwuler Sicht
von Klaus Jetz

Unsichtbar, belächelt, verleugnet
Lesbische Identitäten im arabischen Raum
von Mona Hanafi El Siofi

»Sie schämen sich für dich«
Ostafrika: Gesetze garantieren kein freies Leben
von Carla Schraml

Korrektive Vergewaltigung
Unsichtbares gewaltsam sichtbar machen
von Claudia Körner

Rechte statt Romantik
Indien und Pakistan erkennen ein Drittes Geschlecht an
von Madeleine Eisfeld

Entwicklungsziel Gleichstellung
Sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität in der Menschenrechts- und Entwicklungszusammenarbeit (Langfassung)
von Arn Sauer

Mehr Rechte und mehr Gewalt
Homo-Les-Trans-Bi-phobie in Lateinamerika und der Karibik
von Ina Riaskov

»Für einen Feminismus ohne Frauen!«
Interview über den Genderterrorismus in Chile


KULTUR UND DEBATTE

Bedrohtes Radio Victoria
Kritischer Journalismus ist in El Salvador lebensgefährlich
von Knut Hildebrandt

Debatte: Rote Zahlen auf dem Karmakonto
Die Anthroprosophie ist von rassistischem Gedankengut durchdrungen von Peter Bierl

Film: Blinde Flecken auf der Leinwand
Die Ausgrenzung der Dritten Welt in Filmen über den Zweiten Weltkrieg
von Karl Rössel

Rezensionen

Szene/Tagungen

Impressum


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Quelle:
iz3w Nr. 326 - September/Oktober 2011, S. 7-8
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. September 2011