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IZ3W/311: Hefteditorial von Ausgabe 338 - Thank you, Comrade!


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe 338 - September/Oktober 2013

Hefteditorial
Thank you, Comrade!



»Große Männer machen große Geschichte«. Dies ist eine jener gängigen Devisen bürgerlich-patriarchaler Geschichtsschreibung, denen aus herrschaftskritischer Sicht mit größter Skepsis begegnet werden muss. Normalerweise halten wir uns daran - etwa im vorletzten Hefteditorial, in dem wir einen ziemlich bösen Abgesang auf die jüngst verstorbene linke Ikone Hugo Chávez formulierten (in iz3w 336).

Doch keine Regel ohne Ausnahme, und deshalb sei uns hier eine gestattet. Es geht um Nelson Mandela. Wie lange er noch lebt, wenn diese Ausgabe erscheint, ist angesichts seines hohen Alters und seiner schweren Erkrankung ungewiss. Gewiss ist nur eines: Selten hat eine einzelne Person eine so herausragende Rolle bei der Überwindung eines Herrschaftssystems gespielt wie Mandela. Und das kann auch zu Lebzeiten schon gewürdigt werden.

Sicher, Mandela war kein Einzelkämpfer im Kampf gegen die Apartheid in Südafrika. Er hatte viele (schwarze und auch weiße) MitstreiterInnen, darunter so prominente wie Steve Biko, Ruth First, Denis Goldberg, Miriam Makeba, Alexander Neville oder Desmond Tutu. Der politische und bewaffnete Kampf gegen den institutionalisierten Rassismus des Burenstaates wurde zudem von zigtausenden 'einfachen' Mitgliedern des ANC und der südafrikanischen Kommunistischen Partei geführt. Oft gingen sie dasselbe persönliche Risiko ein wie der wohl berühmteste politische Gefangene aller Zeiten und mussten wie Mandela lange Jahre im Gefängnis verbringen. Viele waren gar der Folter ausgesetzt oder wurden ermordet.

Das Herausragende an Mandela war, dass er die ihm angetragene Rolle als personifiziertes Symbol gegen die Apartheid überzeugend ausfüllte. Wenn es angebracht war, gab er sich offensiv und verteidigte beispielsweise die Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes. Als es darauf ankam, versöhnliche Worte zu finden und der weißen Minderheit die Angst vor der Zeit nach dem Ende des Apartheidsystems zu nehmen, fand er diese Worte. Seine ebenso sanfte wie beharrliche Weise beeindruckte nicht nur seine AnhängerInnen, sondern zunehmend auch viele (einstige) GegnerInnen.

Bis heute gehören die großen Reden von Mandela nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis im Januar 1990 zu den bewegendsten Momenten der jüngeren Geschichte. Mandela war nicht nur politisch weitsichtig, er hatte auch mehr Appeal als so mancher Popstar. Man sehe sich beispielsweise auf YouTube den Mitschnitt seines Auftrittes im britischen Wembley-Stadion an, als zigtausende Apartheid-GegnerInnen ihn minutenlang mit Ovationen bejubelten. »Thank you that you chose to care«, sagt er da in unprätentiösen Worten. Er wusste, wem er seine Freilassung zu verdanken hat: Nicht den westlichen PolitikerInnen, die sich erst mit ihm schmückten, als er auf der Gewinnerseite angelangt war. Sondern der Unterstützung durch die antirassistische Bewegung der 1980er Jahre, die vor allem in Großbritannien stark war. »Free Nelson Mandela« war einer ihrer wichtigsten Slogans gewesen und zugleich der Titel eines Songs von The Special A.K.A., der seinerzeit auf jeder guten Party gespielt wurde.

Mandela konnte ganz schön gewitzt sein. So entgegnete er beispielsweise in seiner Biographie »The long walk to freedom« jenen KritikerInnen, die bemängelten, der ANC habe sich im Ost-West-Konflikt von den Kommunisten instrumentalisieren lassen: »Wer sagt denn, dass nicht wir sie benutzt haben?«

Wie alle, die sich in die Niederungen der Politik begeben, war auch Mandela nicht gefeit vor Irrtümern. Als er die palästinensischen Autonomiegebiete mit »Bantustans« verglich und vom »israelischen Apartheidsystem« sprach, mag das aufrichtiger Empörung über die schlechte Lage der PalästinenserInnen geschuldet sein. Von einer differenzierten Analyse des Nahostkonflikts und seinen vielschichtigen Ursachen zeugen derartige Schuldzuweisungen nicht. Es wäre jedoch falsch, Mandela in die Reihe fanatischer IsraelhasserInnen zu stellen. Bei einem Besuch in Israel 1999 stellte er unmissverständlich fest, Israel habe ein Recht auf Anerkennung durch die arabischen Länder und auf gesicherte Grenzen. Damit unterscheidet er sich deutlich von jenen, die sich auf ihn berufen, wenn sie heute mit dem Apartheidvorwurf herumfuchteln, um Israel die Existenzberechtigung abzusprechen.

Es gibt vieles, was schief läuft im Neuen Südafrika. Der neoliberale Kurs des ANC zählt ebenso dazu wie die xenophoben Ausschreitungen gegen ArbeitsmigrantInnen oder das unwürdige Verhalten einiger Verwandter von Mandela. Aber all das ist nicht ihm persönlich anzulasten. Sein Verdienst, maßgeblich zur friedlichen Überwindung der Apartheid beigetragen zu haben, strahlt umso mehr, je kleinkarierter sich seine (politischen) Nachfahren gerieren.

Das politische Erbe von Mandela ist uns jedenfalls ein Ansporn, seinen Kampf gegen den Rassismus in der Gegenwart weiter zu führen. Thank you that you chose to care, comrade!

die redaktion

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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 338 - September/Oktober 2013


Fairer Handel
Kaufend schreiten wir voran

Bei der Debatte über schlechte Arbeitsbedingungen im globalen Süden taucht er immer auf: der Faire Handel. Akteure des Fair Trade beanspruchen für sich, erfolgreich zu fairen Handelsbeziehungen zwischen ProduzentInnen im Süden und KonsumentInnen im Norden beizutragen. Inzwischen stehen immer mehr entsprechende Produkte in den Supermarktregalen. Städte werden zu Fairtrade-Towns und in großen Kantinen gibt es immer häufiger fairen Kaffee. Wie weit reicht das Konzept in Theorie und Praxis?

Die grundlegende Kritik an der mangelnden Reichweite des Fair Trade begleitet ihn seit seiner Entstehung. Kann Handel in der Konkurrenzgesellschaft überhaupt fair sein? - so die Gretchenfragen. Der Fokus auf kleinbäuerliche Produktion und Freiwilligkeit des Preisaufschlages sorgen dafür, dass nur eine kleine Nische der Arbeitswelt berücksichtigt wird. Bei aller Kritik am Fairen Handel muss aber eingeräumt werden, dass ihm einiges zu verdanken ist. Viele ProduzentInnen im globalen Süden leben in besseren Verhältnissen. Auch die Kritik an der Ausbeutungsstruktur des Welthandels hat gerade durch den Fairen Handel einige Verbreitung erfahren.

Übrigens hat sich die iz3w schon vor 15 Jahren mit dem Für und Wider des Fairen Handels beschäftigt. Hier findet sich die Kontroverse aus dem längst vergriffenen Sonderheft "Nachhaltig zukunftsfähig?" von 1998.


SCHWERPUNKT: FAIRER HANDEL

Editorial zum Themenschwerpunkt

Gekauft
Der Faire Handel erobert die Mitte der Gesellschaft
von Wolfgang Johann und Roland Röder

Inszenierte Verteilungsgerechtigkeit
Zur politischen Ökonomie des Fairen Handels (Langfassung)
von Hanns Wienold

Beglaubigung versetzt Berge
Was bringen Siegel und Zertifikate?
von Sandra Dusch Silva

Die Macht der Darstellung
Die Fair Labor Association entpolitisiert die Handelsbeziehungen der Textilbranche
von Patricia Reineck

Was soll ich nur anziehen?
Ethische Mode zwischen Idealismus und Marktprinzip
von Sascha Klemz

Die Schokoladenseite
Eine Kakaogenossenschaft veredelt ihren Rohstoff
von Knut Henkel

»Come to Mary & Martha!«
Ein Porträt des bislang einzigen Fair Trade-Unternehmens in der Mongolei
von Friederike Enssle

»Landwirtschaft 2013 heißt auch Melkroboter«
Die faire Milch zum fairen Kaffee
Interview mit Gertrud Selzer

Kapitalismuskritik hinterm Ladentisch
Die Leute vom Weltladen Losheim am See erklären, warum sie weitermachen
(nur auf der Website, nicht im Heft)


POLITIK UND ÖKONOMIE

Hefteditorial: Thank you comrade!

Ägypten: Vorwärts in die Vergangenheit
Das Militär hat die Macht nun wieder offen übernommen
von Juliane Schumacher

Grenzregime: Kontinuierlich gegen Flüchtlinge
Die EU lanciert in Libyen eine Mission für Migrationsabwehr
von Stefan Brocza

Politischer Islam: »Es gibt viel zu viel Naivität«
Interview mit Geneive Abdo über die Wahlen im Iran und den Coup in Ägypten

Türkei I: Der Spirit von Gezi
Was bleibt von der Protestbewegung
von Udo Wolter

Türkei II: Jenseits der säkular-islamistischen Spaltung
Genderpolitik in der Türkei
von Selin Çagatay

Umwelt: »Inkagold« in Zeiten des Klimawandels
Peru verbraucht seine Wasserreserven für den Spargelexport
Interview mit Laureano del Castillo

Guatemala: Völkermörder oder nicht?
Das Urteil gegen Ex-Präsidenten Montt ist ein Politikum
von Valentin Franck

Erster Weltkrieg: Ohne Rücksicht auf Verluste
Der Erste Weltkrieg in den Kolonien war ein Stellvertreterkrieg der Großmächte
von Uwe Schulte-Varendorff


KULTUR UND DEBATTE

Critical Whiteness I: Falsche Polarisierung
Die Critical Whiteness-Kritik am Globalen Lernen wird ihrem Gegenstand nicht gerecht
von Bernd Overwien

Critical Whiteness II: Finger on the Trigger
Eine ethnologisch-autobiographische Zwischenbilanz
von Ruben Eberlein

Film: Post-revolutionär
In Köln werden neue Filme aus Nord- und Südafrika gezeigt
von Karl Rössel

Rezensionen

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Quelle:
iz3w Nr. 338 - September/Oktober 2013
Copyright: bei der Redaktion und den AutorInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. August 2013