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KAZ/292: Bemerkungen von Eike Kopf zu "Klassen und Klassenkampf in der VR China - Teil 2"


KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 365, Dezember 2018
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt euch!

Bemerkungen von Eike Kopf zu
"Klassen und Klassenkampf in der VR China (Teil 2)"


Die Ausarbeitung zeichnet sich durch Fleiß und Gründlichkeit aus und bietet dadurch Anregungen für konstruktive Diskussionen zu historischen, aktuellen und zukünftig möglichen Entwicklungen außerhalb und innerhalb Chinas.

Grundsätzlich ist die Bezugnahme auf Lenin methodologisch zu loben; im Unterschied zu Marx und Engels stand er als marxistischer Führer als erster vor der real gewordenen Situation, revolutionäre Veränderungen in einem industriell unterentwickelten, rückständigen Land theoretisch analysieren und praktisch führen zu müssen. So hat Lenin in Fortsetzung der besten Traditionen der internationalen Arbeiterbewegung - wie man an seinen fleißigen internationalen Studien (z.B. in Berlin) und Publikationen etwa von 1893-1916 ersehen kann - den Marxismus, die Weltanschauung von Marx und Engels mit ihren philosophischen, politökonomischen und politischen (strategischen und taktischen) Hauptkomponenten nicht nur theoretisch, sondern auch begonnen praktisch zu entwickeln. So konnte das Räte(Sowjet)-Russland als Kern der Sowjetunion bis 1945 den größten Beitrag zum welthistorischen Sieg über den Faschismus als einer Form der kapitalistischen Gesellschaftsordnung leisten. Obwohl dies schließlich ein militärischer Sieg war, war es zugleich und vor allem der größte Beitrag zur zivilisatorischen Entwicklung des Menschengeschlechts im 20. Jahrhundert.

Der bewusste theoretische Rückgriff auf Marx, Engels und Lenin war eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass unter Führung der am 1. Juli 1921 in Shanghai gegründeten Kommunistischen Partei Chinas und mit theoretischer und praktischer Hilfe der Sowjetunion die Befreiung Chinas von ausländischen und einheimischen Unterdrückern erkämpft und am 1. Oktober 1949 die Volksrepublik, das Neue China ausgerufen werden konnte. Es handelt sich dabei um das größte Entwicklungsland der Erde! Mit großer Unterstützung der UdSSR, vor allem bei der Erfüllung des ersten Fünfjahresplans der Entwicklung der Volkswirtschaft ab 1951, begann die KPCh das chinesische Volk - suchend und stets "Neuland" beschreitend - mehr und mehr schöpferisch unter den konkreten historischen Bedingungen praktisch das von Deng Xiaoping, der als Student Westeuropa kennen gelernt hatte, auf 100 Jahre veranschlagte Anfangsstadium des Sozialismus in einem großen Entwicklungsland langfristig bewusst und planmäßig zum Wohle der werktätigen Massen zu gestalten. Das war und ist anregend für Völker des südlichen Erdballs, die sich inzwischen von kolonialer oder halbkolonialer Unterdrückung und Abhängigkeit befreit haben.

Nun möchte ich einige spezielle Bemerkungen machen bzw. Denkanstöße geben:

Es ist von "staatlichen Unternehmen" die Rede. Im "Manifest der Kommunistischen Partei" von 1848 heißt es dazu: "Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionstrumente in den Händen des Staats, d.h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats zu zentralisiren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren.

Es kann dies natürlich zunächst nur geschehen vermittelst despotischer Eingriffe in das Eigenthumsrecht und in die bürgerlichen Produktions-Verhältnisse, durch Maßregeln also, die ökonomisch unzureichend und unhaltbar erscheinen, die aber im Lauf der Bewegung über sich selbst hinaus treiben und als Mittel zur Umwälzung der ganzen Produktionsweise unvermeidlich sind." (Vgl. MEW 4, S. 481)

Die Sprache entwickelt sich mit den gesellschaftlichen Sachverhalten. Auf deutschem Boden stimmten im Land Sachsen der Sowjetischen Besatzungszone bei einem Volksentscheid im Juni 1946 über 64% der Stimmberechtigten für die Übergabe von Betrieben der Nazi- und Kriegsverbrecher in das Eigentum des Volkes, was in Gesetzen der Landes- bzw. Provinzialverwaltungen von Thüringen am 24.7., Sachsen am 30.7., Brandenburg am 5.8. und Mecklenburg-Vorpommern am 16.8.1946 angenommen wurde.

Zur erneuerten, d.h. sozialistischen Verfassung der am 7.10.1949 gegründeten Deutschen Demokratischen Republik gab es nach monatelanger Diskussion des veröffentlichten Entwurfs am 6. April 1968 einen Volksentscheid mit einer Stimmbeteiligung von 98,05%. Davon stimmten 94,49%, d. h. rund 11 Millionen Bürger mit Ja. Am 27.9.1974 beschloss die Volkskammer, also das Parlament der DDR das Gesetz zur Ergänzung und Änderung der Verfassung der DDR, die am 7.10., dem Tag der Gründung Republik, in Kraft trat. Darin hieß es u.a.:

"Artikel 10
1. Das sozialistische Eigentum besteht
- als gesamtgesellschaftliches Volkseigentum,
- als genossenschaftliches Gemeineigentum werktätiger Kollektive sowie
- als Eigentum gesellschaftlicher Organisationen der Bürger.

2. Das sozialistische Eigentum zu schützen und zu mehren ist Pflicht des sozialistischen Staates und seiner Bürger.

Artikel 11
1. Das persönliche Eigentum der Bürger und das Erbrecht sind gewährleistet. Das persönliche Eigentum dient der Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Bürger.

2. Die Rechte von Urhebern und Erfindern genießen den Schutz des sozialistischen Staates.

3. Der Gebrauch des Eigentums sowie von Urheber- und Erfinderrechten darf den Interessen der Gesellschaft nicht zuwiderlaufen.

Artikel 12
1. Die Bodenschätze, die Bergwerke, Kraftwerke, Talsperren und großen Gewässer, die Naturreichtümer des Festlandsockels, Industriebetriebe, Banken und Versicherungseinrichtungen, die volkseigenen Güter [auf dem Lande - E. K.], die Verkehrswege, die Transportmittel der Eisenbahn, der Seeschifffahrt sowie der Luftfahrt, die Post- und Fernmeldeanlagen sind Volkseigentum. Privateigentum daran ist unzulässig.

2. Der sozialistische Staat gewährleistet die Nutzung des Volkseigentums mit dem Ziel des höchsten Ergebnisses für die Gesellschaft. Dem dienen die sozialistische Planwirtschaft und das sozialistische Wirtschaftsrecht. Die Nutzung und Bewirtschaftung des Volkseigentums erfolgt grundsätzlich durch die volkseigenen Betriebe und staatlichen Einrichtungen. Seine Nutzung und Bewirtschaftung kann der Staat durch Verträge genossenschaftlichen oder gesellschaftlichen Organisationen und Vereinigungen übertragen. Eine solche Übertragung hat den Interessen der Allgemeinheit und der Mehrung des gesellschaftlichen Reichtums zu dienen.

Artikel 13
Die Geräte, Maschinen, Anlagen, Bauten der landwirtschaftlichen, handwerklichen und sonstigen sozialistischen Genossenschaften sowie die Tierbestände der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und das aus genossenschaftlicher Nutzung des Bodens sowie genossenschaftlicher Produktionsmittel erzielte Ergebnis sind genossenschaftliches Eigentum.

Artikel 14
1. Privatwirtschaftliche Vereinigungen zur Begründung wirtschaftlicher Macht sind nicht gestattet.

2. Die auf überwiegend persönlicher Arbeit beruhenden kleinen Handwerks- und anderen Gewerbebetriebe sind auf gesetzlicher Grundlage tätig. In der Wahrnehmung ihrer Verantwortung für die sozialistische Gesellschaft werden sie vom Staat gefördert.

Artikel 15
1. Der Boden der Deutschen Demokratischen Republik gehört zu ihren kostbarsten Naturreichtümern. Er muss geschützt und rationell genutzt werden. Land- und forstwirtschaftlich genutzter Boden darf nur mit Zustimmung der verantwortlichen staatlichen Organe seiner Zweckbestimmung entzogen werden.

2. Im Interesse des Wohlergehens der Bürger sorgen Staat und Gesellschaft für den Schutz der Natur. Die Reinhaltung der Gewässer und der Luft sowie der Schutz der Pflanzen- und Tierwelt und der landschaftlichen Schönheiten der Heimat sind durch die zuständigen Organe zu gewährleisten und sind darüber hinaus auch Sache jedes Bürgers.

Artikel 16
Enteignungen sind nur für gemeinnützige Zwecke auf gesetzlicher Grundlage und gegen angemessene Entschädigung zulässig. Sie dürfen nur erfolgen, wenn auf andere Weise der angestrebte gemeinnützige Zweck nicht erreicht werden kann."

(Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik. Staatsverlag der DDR. Berlin 1974, S. 15-18)


Diese reale gesellschaftliche Entwicklung hat sich dann auch in den Nachschlagewerken niedergeschlagen. So heißt es im "Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache", 6. Band, Akademie-Verlag Berlin 1982, Seite 4167: "Volkseigentum, das Neupräg. DDR gesamtgesellschaftliches Eigentum an den Produktionsmitteln, das dem hohen Grad der Vergesellschaftung der Produktion im Soz[ialismus] entspricht ..."

Im englischen Sprachraum gibt es bis jetzt keine sozialistischen Gesellschaftszustände mit Volkseigentum an Produktionsmitteln als Basis. Übersetzer chinesischer Regierungsdokumente ins Englische behelfen sich daher mit "state owned property", "nationally owned property".

Weltgeschichtlich zum ersten Mal kam nach dem Ausbleiben bzw. der Niederwerfung von Arbeiterregierungen in Westeuropa 1918/1919 die Sowjetregierung unter Lenin in die Situation, im kriegszerstörten Russland der Hakenpflüge und kleinen Warenproduktion westeuropäischen Konzernen zu gestatten, auf russischem Boden mit einheimischen Rohstoffen und auszubildenden Bauern als Industriearbeiter technisch fortschrittliche Werke zu bauen und Produkte mit Profit zu produzieren. Im vorliegenden Beitrag ist daher völlig zu Recht auf Lenins diesbezüglicher Erkenntnisfortschritt für die internationale Arbeiterbewegung in seiner Schrift über die Naturalsteuer von 1919 verwiesen worden.

Aus der chinesischen Zentralbank (Volksbank) wurden Ende des 20. Jahrhunderts, um die gewachsene Menge an Zahlungen bewältigen zu können, die auf S. 9 der vorliegenden Publikation genannten vier Banken ausgegründet. Es handelt sich auch um volkseigene Banken, die inzwischen auch international führende Positionen hinsichtlich der zu behandelnden Geldmengen einnehmen. Das ist eine in der Geschichte des real existierenden und sich entwickelnden Sozialismus noch nie da gewesene Position!

Der "geordnete Rückzug" in China in den 1970er Jahren gleicht meines Erachtens einem Bergsteiger, der einen kurzen, aber abenteuerlichen Pfad zum Gipfel aufgibt, um seitwärts einen zwar längeren, aber Erfolg versprechenderen Weg zu gehen und die Mühen der Ebenen (Brecht) zu meistern.

Wir mussten auch bis 1989 in der DDR lernen: Sozialismus ist ohne gekonntes Markten (national wie international) nicht möglich. Marktteilnehmer sind Vertragspartner. Vertragsbeziehungen müssen auch in sozialistischen Ländern entwickelt werden. Das geht nicht ohne Messen und Märkte.

Überall, wo bisher objektiv reale sozialistische Gesellschaftszustände entwickelt wurden (auf deutschem Boden, in der Geschichte des deutschen Volkes also auf dem Gebiet der DDR 1949-1989), waren immer denkbar ungünstige, schlechte Bedingungen hinsichtlich der Menge an Bedürfnissen nach Nahrung, Kleidung, Wohnung, Gesunderhaltung, Bildung und Künsten kennzeichnend für die Ausgangslage - von westdeutschen und internationalen Beschränkungen, Blockaden und Störungen und einer seit 1948 international nicht konvertiblen Währung ganz zu schweigen. Wenn dann noch nach des Tages Mühen im volkseigenen Betrieb abends über mehrere Rundfunk- und Fernsehsender in der Muttersprache die mit Marshallplan begünstigten blühenden Landschaften in kapitalistischen westeuropäischen Ländern (deren Darstellungen ja "beweiskräftig" erscheinen, weil man dabei selbst hören und sehen kann) konsumiert werden konnten, wurde mit jedem Geburtsjahrgang die Achtung vor den Anstrengungen der Großeltern und Eltern während der Nachkriegsjahre geringer. Dennoch hatten wir in der DDR international vorzeigbare Errungenschaften der Lebensbedingungen der werktätigen Bevölkerung und waren auch international ein geschätzter und zuverlässiger Handelspartner.

Deshalb kann ich die Errungenschaften in der Volksrepublik China, die ich seit 1997 auch selbst kennen lernen kann, nur bewundern. Alle Führungen der 1921 gegründeten KPCh haben unter konkreten Bedingungen nach bestem Wissen und Gewissen festgehalten an der Hauptorientierung: Alles, was innen- und außenpolitisch getan wird, muss vor allem dem Volke dienen! Das ist Sozialismus der Tat - und zwar täglich für 1350 Millionen Menschen - und in wachsendem Maße ein studierenswertes Vorbild für viele Länder der Erde.

Eike Kopf, Erfurt, den 29.8.2018


Prof. Dr. Eike Kopf ist hervorragender Kenner des Marxismus-Leninismus, langjähriger Mitarbeiter an der Marx-Engels-Gesamtausgabe, Mitarbeiter an der chinesischen Ausgabe der Marx-Engels-Werke. Er unterstützt seit vielen Jahren den Nationalen Volkskongress der VR China bei der Herausgabe der Kongressdokumente in deutscher Sprache.

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Quelle:
KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 365, Dezember 2018, S.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2019

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