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LICHTBLICK/179: Parteien im Interview - FDP


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 348 - 3/2011

Parteien im Interview:
Die FDP, vertreten durch den Abgeordneten und Jurist Dr. Sebastian Kluckert

Subjektiver Bericht eines Redaktionsmitglieds


Auch die FDP wurde von der Redaktionsgemeinschaft zu einem Interview eingeladen. Wir bekamen von Dr. Sebastian Kluckert, Jurist und Sprecher für Rechts- und Verfassungsangelegenheiten der FDP-Fraktion in Berlin auch prompt eine Zusage. Ich freute mich auf den Termin und sie kamen pünktlich. Tatsächlich sahen Dr. Kluckert und sein Referent Dennis Dietel, ebenfalls Jurist, aus wie typische FDP-ler. Obschon die FDP auf Bundesebene in der letzten Zeit enorm abgebaut hat, saßen mir zwei motivierte und engagierte Politiker gegenüber.

Schnell war klar, dass die Haltung, wie sie für die Linken, aber auch die Grünen typisch waren, anders als die Liberalität im Wortlaut der Partei vermuten lässt, nicht zwingend auf alle Bereiche des Strafvollzugs zu übernehmen sind. Meine erste Frage war, ob sie, so sie denn nach der nächsten Wahl in der Landesregierung mitbestimmen können, etwas am Strafvollzug zu Gunsten der Insassen verändern oder verbessern würden?

Dr. Kluckert sagt dazu: "Der Strafvollzug muss auch einen Strafcharakter besitzen. Wir sind daher nicht für eine zu lockere Haltung im Strafvollzug. Strafvollzug bedeutet aber auch Resozialisierung und da sagen wir ganz deutlich, dass die Bemühungen verstärkt werden müssen. Hier sollten z.B. freie Träger stärker eingebunden, die Betreuung der Inhaftierten verbessert und besser auf die Entlassung vorbereitet werden."

Entlassung - ein gutes Stichwort, werfe ich ein. Können Sie sich vorstellen, warum Berlin bei den 2/3-Entlassungen das Schlusslicht bildet? In allen anderen Bundesländern wird häufiger vorzeitig entlassen, als in Berlin - selbst in einem Bundesland wie Bayern, das für eine restaurative Strafvollzugspolitik bekannt ist. Woran liegt das?

"Wir haben uns vor einiger Zeit mit dem Thema umfangreich beschäftigt. Auch uns ist das Missverhältnis aufgefallen. Deshalb hatten wir eine sogenannte "Kleine Anfrage" an den Senat gerichtet und gebeten, diesbezügliche Fragen zu beantworten. Dabei kamen interessante Erkenntnisse zu Tage. Zum einen werden nicht so viele Anträge auf vorzeitige Entlassung gestellt und zum anderen ist bei den meisten Fällen die Beurteilung, also die prognostische Einschätzung von der Anstalt, eher ungünstig. Die Strafvollstreckungskammer richtet sich in diesen Fällen offensichtlich nach den Beurteilungen der Vollzugsanstalten, weil diese "näher" am Insassen dran sind als das Gericht. Zusammenfassend kam heraus, dass es im Zeitraum vom 01.01.2009 bis zum 31.12.2009 in allen Berliner Vollzugsanstalten nur 401 Aussetzungen des Strafrestes gemäß § 57 Abs. 1 StGB zur Bewährung gab, 1523 Inhaftierte haben auf eine Prüfung verzichtet und 902 Inhaftierte haben ihren Antrag bei der Anhörung zurückgezogen. Das verwundert und wir werden den Gründen weiter nachgehen.", sagt Dr. Kluckert.

Tatsächlich, sage ich, sind es zumeist die Anstalten die die Inhaftierten drängen, keine Anträge auf vorzeitige Entlassung zu stellen. Sie nötigen den Inhaftierten, den Antrag zurückzuziehen, in dem sie sagen, dass der Antrag womöglich keine Aussicht auf Erfolg habe, da die Anstalt den Antrag nicht unterstützen würde. Werden keine Anträge gestellt - oder aufgrund einer "Nötigung" zurückgezogen -, kann das Gericht nicht entscheiden.

"Das wäre eine mögliche Interpretation der Zahlen. Ich sehe auch ein Problem in der unzureichenden rechtzeitigen Lockerung der Inhaftierten. Wenn die Anstalt ihre Gefangenen nicht frühzeitig lockert, ist auch keine behutsame und kontrollierte Rückführung der Straftäter in das normale Leben möglich, und die Anstalt kann mangels Erfahrungen aus den Lockerungen auch keine positive Stellungnahme abgeben. Natürlich kann nicht jeder sofort Lockerungen erhalten. Die Einweisungabteilung kann nicht jeden erst einmal in den Offenen Vollzug schicken, nur um dann zu sehen, ob es klappt. Aber die Einschätzung des Inhaftierten durch die Einweisungsabteilung kann auch nur den Staus quo zum Einweisungszeitpunkt darstellen. Eine zunächst negative Einschätzung der EWA darf nicht endgültig und abschließend sein. Eine negative Einschätzung zu Anfang darf nicht zwingend Endstrafe und keine Lockerungen bedeuten. Hier muss, auch mit freien Trägern, möglichst frühzeitig auf eine bedingte Entlassung hingearbeitet und die Vollzugspläne müssen rechtzeitig erstellt und regelmäßig aktualisiert werden. Letztendlich wird durch jede erfolgreiche vorzeitige Haftentlassung auch der Landeshaushalt entlastet. Aber nur ein resozialisierter Straftäter führt letztlich auch zu mehr innerer Sicherheit. Der Schutz der Bürgerinnen und Bürger ist unser Anliegen. Natürlich wird es auch künftig immer zu einem Interessenkonflikt zwischen Anstalt und Insasse kommen. Wir fordern daher seit langem einen von der Anstalt unabhängigen Ombudsmann für den Strafvollzug, der in Streitfragen vermittelt und Empfehlungen abgibt. Diese können dann auch eine Orientierung für das Gericht sein.", so Dr. Kluckert.

Sollten vielleicht andere oder besserer Gesetze Einzug in den Strafvollzug finden, frage ich. Dr. Kluckert antwortet: "Bessere Gesetze sind immer zu begrüßen. Gerade im Strafvollzug gab es in den letzten Jahren diverse neue Gesetze und das eine oder andere Gesetz wird uns auch in der nächsten Legislaturperiode beschäftigen. Ich glaube, es kommt aber weniger darauf an, dass wir immer neue Regelungen schaffen, sondern dass wir bestehendes Recht auch umsetzen. In Berlin schaffen wir es oftmals nicht einmal, den geltenden Standard einzuhalten. Für viel wichtiger als neue Gesetze halte ich daher eine Verstärkung der Angebote zur Aus- und Fortbildung. Eine Ausbildung erhöht nicht nur die Chancen auf dem Arbeitsmarkt, sondern reduziert nachweislich auch die Rückfallgefahr. Auch hier kann ich nur sagen, dass die freien Träger eine wichtige Rolle spielen; sie können auf Grund ihrer Erfahrungen häufig wichtige Impulse geben und in der Gesamtschau meist kostengünstiger arbeiten."

Apropos Wirtschaft und Vollzug: "Was halten Sie von dem Projekt Burg, oder generell von sogenannten PPP-Modellen (Public Privat Partnership-Modellen), bei dem private Investoren neue Vollzugsanstalten bauen und diese dann auch für das Land betreiben?"

Dr. Kluckert antwortet: "Bei den PPP-Modellen im Strafvollzug muss unterschieden werden zwischen dem Bau und dem Betrieb. Der echte Strafvollzug mit seinem allgemeinen Vollzugsdienst ist eine hoheitliche Aufgabe und soll auch nicht auf Private übertragen werden. Der Bau einer Anstalt und die Bereitstellung von Ausbildungsangeboten können durchaus durch Dritte erfolgen."

"Was ist mit den Kleinkriminellen, den Ersatzfreiheitsstrafen, und halten Sie die aktuellen Strafrahmen insbesondere bei Jugendlichen für ausreichend, Herr Dr. Kluckert?", frage ich.

"Für das Absitzen von Geldstrafen, den sog. Ersatzfreiheitsstrafen, ist der Strafvollzug eigentlich zu teuer, so dass wir uns grundsätzlich für Alternativen wie z.B. das Projekt "Schwitzen statt Sitzen" einsetzen, bei dem die Geldstrafe abgearbeitet werden kann. Der Staat muss aber am Ende ein Druckmittel haben, um seine Rechtsordnung durchzusetzen. Einen Verzicht auf die Ersatzfreiheitsstrafe lehne ich daher ab. Dies gilt auch für die Frage, ob dem Schwarzfahren allein mit zivilrechtlichen Sanktionen begegnet werden soll. Bezüglich der Frage nach dem Strafrahmen halte ich die im StGB geregelten Strafen grundsätzlich für ausreichend. Bedenken haben wir allerdings bei der zu häufigen Anwendung des Jugendstrafrechts bei Heranwachsenden, also bei den Tätern zwischen 18 und 21 Jahren. Hier wünschen wir uns eine konsequente Umsetzung der gesetzlichen Regelung, nach der grundsätzlich das Erwachsenenstrafrecht zur Anwendung kommt. Nur in Ausnahmefällen, nämlich wenn der Täter tatsächlich und nachweisbar in seiner Entwicklung zurückgeblieben ist, soll Jugendstrafrecht auch bei Heranwachsenden angewendet werden.", trägt Dr. Kluckert vor.

Geplant ist die Gestaltung eines neuen Berliner Justizvollzugsdatenschutzgesetzes. Der Entwurf wird im Parlament aktuell beraten, auch wir vom lichtblick haben eine Stellungnahme dazu geschrieben: "Was halten Sie von dem geplanten Datenschutzgesetz und wie stehen Sie zur Vorratsdatenspeicherung?"

"Die Vorratsdatenspeicherung ist mit uns nicht zu machen.", sagt bestimmt Herr Dr. Kluckert und weiter: "Der Datenschutz nimmt bei uns Liberalen eine besondere Bedeutung ein. Wir sind gegen eine engmaschige Kontrolle im Internet und erst recht gegen eine Zensur verschiedener Datenvorkommen im Netz. Die Informationsfreiheit ist ein hohes Gut der Demokratie, das wir mit aller Kraft verteidigen. Das schließt nicht aus, dass es im Einzelfall nachvollziehbare Gründe für Beschränkungen geben kann. Was das Berliner Justizvollzugsdatenschutzgesetz angeht, so ist sicherlich zu Anfang anzumerken, dass es gut ist, dass der Datenschutz überhaupt in einem gesonderten Gesetz für den Justizvollzug geregelt wird. Wir sehen es aber kritisch, dass das Gesetz die unterschiedlichen Vollzugsarten nicht unterscheidet, in der Formulierung zum Teil sehr schwammig ist und zum Teil Befugnisse überhaupt erst schafft. Wer solche Befugnisse möchte, soll diese im jeweiligen Vollzugsgesetz regeln. In einem Datenschutzgesetz haben Eingriffsbefugnisse, wie z.B. für Videoüberwachungen und für die Abnahme biometrischer Merkmale, nichts zu suchen."

Thema Strafvollzugsentscheidungen. Will sich ein Insasse gegen eine Entscheidung der Justizvollzugsanstalt wehren und gibt ihm die Strafvollstreckungskammer Recht, hat er keine Möglichkeit sein Recht durch Zwangsmaßnahmen umsetzen zu lassen. Er kann, sollte sich die Anstalt nicht an die Entscheidung des Gerichtes halten, weder die Polizei zur Umsetzung seines Rechts zur Hilfe holen, noch einen Gerichtsvollzieher beauftragen oder den Anstaltsleiter in Erzwingungshaft nehmen lassen. All diese rechtsstaatlichen Instrumente fehlen dem Inhaftierten. Im Zweifel hat die Anstalt zwar verloren, umsetzen wird sie den Beschluss der Kammer aber nicht. "Was sagen Sie hierzu?", konfrontiere ich Dr. Kluckert, der antwortet: "Der Gefangene hat in einem solchen Fall die Möglichkeit, sich an einen Abgeordneten oder den Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses zu wenden. Hier wäre auch der von uns geforderte Ombudsmann für den Strafvollzug hilfreich, der aber von der rot-roten Koalition abgelehnt wurde. Es ist jedenfalls nicht hinnehmbar, wenn der Staat, der mit Hilfe des Strafvollzuges die Insassen auf ein rechtstreues Leben vorbereiten möchte, sich selbst nicht rechtstreu verhält."

Auch bei diesem Gespräch verflog die Zeit. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die FDP sicherlich keine Partei ist, die für einen "verweichlichten" Strafvollzug steht, keineswegs aber Bayerische Verhältnisse für richtig hält.

Zwar sollten die Resozialisierungsbemühungen laut FDP verstärkt werden, ich hatte aber das Gefühl, dass Sühne und Schutz der Bevölkerung bei der FDP Priorität besitzen. Die Teilübertragung nicht hoheitlicher Aufgaben des Strafvollzuges auf Dritte halten sie für genauso wichtig, wie die restriktivere Anwendung des Erwachsenenstrafrechts bei Heranwachsenden.

Am Ende fühle ich mich als betroffener Inhaftierter bei den Grünen oder den Linken wohler, muss aber anerkennen, dass die vorgebrachten Argumente der FDP für mich nicht unsinnig, vielmehr nachvollziehbar sind - wenn man sich denn einer bestimmten, konservativen politischen Grundhaltung verpflichtet fühlt. Außerhalb des Strafvollzuges würde ich FDP wählen!


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Quelle:
der lichtblick, 43. Jahrgang, Heft Nr. 348, 3/2011, Seite 10 - 11
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. August 2011