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LICHTBLICK/182: "Don Quichote" in der JVA Berlin-Tegel


der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 348 - 3/2011

Don Quichote

Persönliche Eindrücke eines Redaktionsmitglieds


Insassen der JVA Tegel führten dieses Jahr in einem Hof der TA II das Stück Don Quichote auf. Nachdem die Premiere des Freilufttheaters buchstäblich ins Wasser gefallen war, konnten wir vom lichtblick eine zweite Aufführung des von Peter Atanassow und seinem aufBruch-Team aufgeführten Stückes erleben. In der gut eineinhalb-stündigen Aufführung gaben die Laiendarsteller ihr Bestes. Mit Engagement und Eifer führten sie auch die 7. Vorstellung des Stückes auf. Es war keinerlei Müdigkeit, im Vergleich zur Uraufführung festzustellen.

Wochen vorher wurde geprobt und die Texte auswendig gelernt. Manchen in der TA II, die ihre Zelle zum Hof der Aufführung haben, wird dieses Proben die Nerven geraubt haben und vielleicht kann der eine oder andere das Stück schon genau so gut mitsprechen, wie die Laiendarsteller selbst.

20 Insassen der JVA Tegel, die zuvor und freiwillig eine Art Casting hinter sich gebracht hatten, spielten das Stück. Der Inhalt selbst ist schnell erzählt. Es handelt sich um eine Collage nach dem Roman von Miguel de Cervantes. Die Darsteller schlüpften abwechselnd in die verschiedenen Rollen und der Zuschauer konnte die Abenteuer vom selbst ernannten Ritter Don Quichote, seinem Begleiter und anderen Protagonisten miterleben. Dieser tragisch-komische Held wurde von den einzelnen Darstellern unterschiedlich interpretiert. Don Quichote - als literarisch begeisterter Möchtegern-Edelmann - verlässt mit Sancho Panza - einem von Don Quichote kurzerhand zum Knappen gemachten Bauern - sein Dorf, um allerlei vermeintliche Kämpfe und Heldentaten zu begehen. Scheinbar von dieser Welt entrückt und durch das literarische Studium beflügelt, sucht er als fahrender Ritter seine Ehre und leistet den von ihm gewollten Dienst an seinem Land. Am Ende ersetzt er durch seinen, bis zum Herzog vorgedrungenen Ruf, den Hofnarr, keiner nimmt ihn ernst, kämpft gegen Windmühlen und verliert. Dies zur schnell erzählten Geschichte.

Wichtiger als die Frage, ob das, was Atanassow da inszeniert hat, künstlerisch wertvoll ist oder nicht, scheint indes die Tatsache, dass hier Öffentlichkeitsarbeit geleistet wird. Wichtiger scheint auch, dass sich Menschen um Inhaftierte kümmern und das durch aufBruch tatsächlich ein Aufbruch der Mauern, ein Öffnen des Gefängnisses für die Öffentlichkeit stattfindet.

Meisterhaftes Schauspiel, ein fehlerfreies Auftreten der Darsteller, perfekt inszenierte Szenen und eine grandiose Kulisse, ist sicher nicht die Maxime der Bemühungen des auf-Bruch-Teams. Hier und da wird der Text vergessen und auch die notdürftigen Requisiten machen das Gesamtbild nicht besser. Das ist aber nicht schlimm. Hier versuchen Laiendarsteller, möglichst unterhaltend und professionell dem interessiertem Publikum einen Einblick in die Gefängniswelt zu gewähren - die Öffentlichkeit hinter die sonst verschlossenen Mauern zu bringen.

"Das sind ja ganz normale Menschen. Weswegen sind die denn hier?" fragt mich eine ältere Dame, die ich nach der Vorstellung über ihre Meinung zum Stück befrage. Sie konnte so gar nicht verstehen, dass es gar nicht darauf ankommt, was diese Menschen getan haben und dass der, der sie gerade befragt, auch Insasse der JVA Tegel ist. Ihr kam gar nicht in den Sinn, dass es viel wichtiger ist festzustellen, dass hier Menschen versucht haben, etwas auf die Beine zu stellen. Nach einer kurzen Pause sagte die Dame: "Ganz fantastisch. Die haben sich echt Mühe gegeben." An dieser Reaktion ist schon zu merken, dass es zwar auch - aber nicht nur - das Theaterstück ist, was das interessierte Publikum in den Knast bringt. Sicherlich ist es eben auch ein wenig der Flair einer Realityshow á la Aktenzeichen XY-ungelöst Light-Version, mit der Sicherheit, dass "die" ja schon alle gefasst sind und nun Theaterspielen. Der Gedanke, dass die Motivation darin liegt, mal eben für ein paar Euro Eintrittsgeld in den Knast gehen und die Verbrecher live und in Farbe sehen zu können, ist mit Sicherheit auch nicht von der Hand zu weisen.

Trotzdem! Egal aus welcher Motivation heraus sich die Menschen das Stück ansehen und in den Knast kommen, das aufBruch-Team ermöglicht es erst, dass verwunderte Gedanken älterer Damen in dieser Richtung entstehen können und diese so ein Bewusstsein für die Gefängniswelt entwickeln. Das ist es, was das Projekt so wertvoll macht. Hervorgerufen durch die Bemühungen der Schauspieler und die ehrenhafte Einstellung dieser, ihr Bestes zu geben. Seit nunmehr über 15 Jahren versucht aufBruch, die Gefängniswelt nach draußen zu tragen, aufmerksam zu machen und die Öffentlichkeit hinter die Mauern zu bringen. Der Kampf gegen die Windmühlen im Tegeler Gefängnishof ist auch ein Stück der symbolische Kampf gegen die Vorurteile der Gesellschaft. Sicherlich siegen, im Gegensatz zu Don Quichote, wenigstens im Kleinen die Bemühungen des aufBruch-Teams und erobern durch die Arbeit manche Herzen. Das Berliner Künstlerteam aufBruch KUNST GEFÄNGNIS STADT hat auch deshalb erst im Mai den George-Tabori-Förderpreis verliehen bekommen, der an herausragende Ensembles freier professioneller Theater- und Tanzschaffender geht.

Das Publikum war begeistert, die Vorführungen waren ausverkauft. Auch für die Insassen gab es eine Vorstellung. Mittels Vormelder konnten sich interessierte Inhaftierte für die Vorstellung eintragen lassen. Scheinbar war aber das Interesse der Insassen selbst leider nicht so hoch. Lediglich ca. 80 Inhaftierte gingen zur Vorstellung und ließen sich von Don Quichote und seinen Mannen unterhalten.

Fakt ist, dass durch das Theaterprojekt über Insassen und die Menschen hinter den Mauern nachgedacht wird. Großen Verdienst daran haben ehrenamtliche Helfer, das aufBruch-Team und insbesondere die Laiendarsteller, die durch ihren Mut vor einem Publikum stehen und das aufführen, was sie wochenlang zuvor probten, ohne wirklich einen persönlichen Vorteil davon zu haben. Dank an alle Schauspieler, die - im Rahmen ihrer Möglichkeiten - eine wirklich gute Leistung brachten.

"Toll war's!", schwärmt Martha, die das erste Mal im Knast ist und empathisch und interessiert all die Eindrücke aufnimmt - mit hinaus nimmt; wie Don Quichote in die Welt trägt - und vielleicht ein kleines bisschen dazu beträgt, die Öffentlichkeit zu interessieren. Weiter so!


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Quelle:
der lichtblick, 43. Jahrgang, Heft Nr. 348, 3/2011, Seite 16-17
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Insassen der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. August 2011