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LICHTBLICK/210: Sie wissen nicht wie sie studieren sollen!



der lichtblick - Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 367 - 2/2016

Sie wissen nicht wie sie studieren sollen!

Die Digitalisierung im Strafvollzug ist nicht ausreichend.
Es scheint Verbesserungsbedarf vorhanden zu sein.
Angemahnte Lösungen werden nicht umgesetzt.

Von Norbert Kieper

Am 08.12.2015 stellte Dr. Klaus Lederer (LINKE) eine Nachfrage beim Abgeordnetenhaus von Berlin bezüglich dem Studium im Strafvollzug. Was geht, was geht nicht? Es wurde mitgeteilt, dass momentan zwölf Inhaftierte studieren und dass Bildung die Grundvoraussetzung zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist. Ziel ist es Fähigkeiten für eine Erwerbstätigkeit nach der Entlassung zu vermitteln. Doch kann dieses Ziel erreicht werden, wenn hierfür die nötigen Voraussetzungen fehlen?

An einigen Haftanstalten ist es möglich über die Lernplattform elis an der Fernuniversität Hagen zu studieren, aber nicht jeder Studiengang wird an jeder Haftanstalt angeboten. Wenn der angestrebte Studiengang in der JVA möglich ist, muss einer Nutzerordnung zugestimmt werden, um das Studium an der Fernuniversität Hagen aufnehmen zu dürfen. In der Nutzerordnung wird darauf hingewiesen, dass die Kommunikation kontrolliert wird. Ferner wird geregelt, was erlaubt ist, was verboten ist und welche Konsequenzen Verstöße gegen die Nutzerordnung mit sich bringen. Eine wichtige Aufgabe einer web-basierten Lernumgebung ist die Kommunikation zwischen Dozenten und Studierenden zu ermöglichen. Man spricht hier von Interaktivität. In Bezug auf Computersysteme bezeichnet Interaktivität die Eigenschaft von Software, dem Benutzer Eingriffs- und Steuerungsmöglichkeiten anzubieten und ihm damit die Kontrolle über den Ablauf zu geben. Benutzer und Software gehen eine Wechslbeziehung ein. Der Vorteil liegt somit in der Entlastung des Lernbetriebes und bei der Vereinfachung des Lernens. Momentan ist es nicht möglich die Anforderungen eines Studiums zu erfüllen, da die elis-Lernplattform (eLearning für Strafgefangene) genau diese Interaktivität nicht erlaubt.

Im Klartext heißt das, dass E-Mails von und an Dozenten überhaupt nicht möglich sind oder von den prüfenden und weiterleitenden Stellen ignoriert werden. Darüber hinaus sind zusätzliches Lernmaterial wie E-Books und Datenbanken in der Biliothek nicht abrufbar. Momentan bemüht sich die FernUni Hagen um einen neuen Auftritt der Universitätsbücherei. Seit Einführung der elis-Plattform waren bei dem Abruf größerer Datenmengen und gleichzeitiger Nutzung der Lerninhalte durch die Studierenden die Kapazitäten der Leitungen an ihren Grenzen und haben zu Problemen geführt. Das Thema der Datenübertragungsrate wurde im laufe von ca. sechs Monaten behoben. Daraufhin verfasste der Abgeordnete Dr. Lederer die nächste Anfrage und wollte wissen, wie die fachliche Betreuung der Studierenden im Justizvollzug funktioniert. Die Beratung, die durch eine Mitarbeiterin der Fernuniversität mit regelmäßigen Betreuungen (10-12 Termine im Jahr) stattfindet, bezieht sich lediglich auf die Organisation des Studiums. Eine Beratung in fachlicher Hinsicht ist das nicht. Die Mitarbeiterin hat auch keinerlei Einfluss auf die elis-Plattform. Die Studienberatung erfolgt durch den Studienkoordinator der Anstalt, der zum Beispiel einfache Internetadressen, die fürs Studium notwendig sind, freischalten kann. Dabei muss er aber die Weiterleitung der E-Mails immer auf einem elis-Rechner anmelden und jede einzelne Mail in das Postfach des jeweiligen Studierenden schieben. Ein Fernstudium in einer JVA wird durch hohe Sicherheitsanforderungen beeinflusst und wenn keine Freischaltung von Verbindungen zur E-book-Biliothek oder zu den Dozenten erfolgt, dann muss hinterfragt werden, wie die nötige Interaktivität hergestellt werden kann. Nach Auskunft der Studierenden wird das jedoch nicht praktiziert. Der Studienkoordinator hat keinen Vertreter und ist wegen anderweitiger Verpflichtungen in seiner Position als Lehrer an der Schule der JVA kaum greifbar.

Von einem zuverlässigen Ablauf kann zur Zeit nicht ausgegangen werden. Außerdem wird an den Regularien des bisherigen sehr eingeschränkten Freischaltverfahrens von Webseiten festgehalten. Ein lesender Zugriff auf Foren ist gestattet aber eine Interaktion ist grundsätzlich nicht möglich. Es gibt Vorgaben des Senats, inwieweit das Internet nutzbar gemacht werden kann. Noch ist jedenfalls jeglicher E-Mail Verkehr, z.B. zu den Kursbetreuern nicht praktikabel. Das sieht natürlich wie eine Zwischenlösung aus und es fehlt deutlich der Wille zur Abhilfe. Das Institut für Bildung in der Informationsgesellschaft (IBI) ist für die elis-Plattform zuständig. Damit die Lernplattform für die Studierenden attraktiv wird, sollte sie über moderne webbasierte Kommunikationswege verfügen, außerdem sollte man ohne großen Aufwand Medien integrieren können.

Es hatten bereits Besprechungen mit Fachleuten von der ZIT und vom Institut für Bildung in der Informationsgesellschaft (IBI) stattgefunden, aber die Kommunikation zwischen Dozenten, die die elis-Plattform betreuen und den Studierenden ist nicht sehr fruchtbar. Es sind ganz einfach zu viele Entscheidungsträger mit eingebunden und es findet somit eine Verantwortungsverschiebung statt. Die Studierenden haben jetzt den Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit eingeschaltet und hoffen, dass dies zur Klärung führt. Ob qualifizierte Bildung für die Resozialisierung weiterhin einen hohen Stellenwert haben wird, muss sich zeigen. Wir können jedenfalls den Frust der Studierenden verstehen und wünschen eine Verbesserung der Bedingungen in diesem Bereich, damit das Studieren in der Haft nicht nur Makulatur darstellt. Derzeit scheint das Studium nur eine Alibi-Maßnahme der Anstalt zu sein. Ein effektiver Studienbetrieb sieht anders aus.

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Quelle:
der lichtblick, 48. Jahrgang, Heft Nr. 367, 2/2016, Seite 24
Unzensiertes Gefangenenmagazin der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Redaktionsgemeinschaft der lichtblick
(Insassen der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel)
Seidelstraße 39, 13507 Berlin
Telefon/Fax: 030/90 147-23 29
E-Mail: gefangenenzeitung-lichtblick@jva-tegel.de
Internet: www.lichtblick-zeitung.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2016

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