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LICHTBLICK/226: Inhaftierte dürfen auch wählen


der lichtblick - Gefangenenzeitung der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 373 - 4/2017

Inhaftierte dürfen auch wählen! Können Wahlämter und Gerichte vorsätzlich Grundrechte von Gefangenen beschneiden?

Eine Nachbetrachtung, ob ein Inhaftierter von den Bundestagswahlen ausgeschlossen werden kann.


Zu den schwersten Einschränkungen zählen für die Gefangenen der Verlust von Autonomie und Rechtssicherheit. Am 24.09.2017 waren Bundestagswahlen. Wahllokale gibt es in den Haftanstalten nicht, aber per Briefwahl geht es selbstverständlich auch. Die entsprechenden Unterlagen werden zugesandt und erreichen die Gefangenen in ihren Hafträumen.

Danach werden die Stimmzettel dann beantragt, damit man sein Wahlrecht sichert. Plakate und Infostände sind in den Knästen natürlich nicht vorhanden, dennoch haben Gefangene ein aktives Wahlrecht und können somit ihr hohes demokratisches Gut ausüben. § 73 VollzG verpflichtet die Justizbehörden sogar dazu. Hilfe während des Vollzuges: "Der Gefangene wird in dem Bemühen unterstützt, seine Rechte und Pflichten wahrzunehmen, namentlich sein Wahlrecht auszuüben ...". Manch Inhaftierter meint vielleicht, dass der Ausgang der Wahl für ihn keine Relevanz habe, da er ja schließlich im Knast säße, mit Politik nicht viel am Hut habe und sie auf ihn keinen Einfluss habe.

Das scheint sehr kurzsichtig, denn die Politik gestaltet maßgeblich auch den Vollzugsalltag. Sie bestimmt darüber welches Verhalten überhaupt strafbar ist und welche Sanktionen die dem Gesetzesbruch angemessen sind. Aber nicht für jeden Inhaftierten waren die Wahlunterlagen vorhanden. Das die planerische Kopflosigkeit sich nicht nur auf die Verteilung von Wahlunterlagen beschränkt, ist vielen schon länger bekannt, aber als die Redaktion erstmals von einem Wahlausschluss eines Insassen gehört hat, dachten wir sofort es wäre einer dieser Witze der überlasteten Justiz. Dem war nicht so und es konnte schriftlich belegt werden, dass der Insasse nicht zur Wahl zugelassen wurde. Der Inhaftierte suchte sich Hilfe und wurde aktiv. Sämtliche Helfenden waren verwundert und meinten, dass sie von so einem Fall noch nie gehört hatten.

Vorweg ist zu klären, wie sich das Stimmrecht aufbaut. Das Wahlrecht ist dabei eine tragende Säule der Demokratie und soll sicherstellen, dass die Volkssouveränität gewahrt bleibt. Es gehört zu den politischen Grundrechten und bildet einen Teil eines Beschlussprozesses. Die Mindestvoraussetzungen für das aktive Wahlrecht sind klar fixiert: Wohnsitz in der betreffenden Verwaltungseinheit, Mindestalter 18 Jahre sowie der Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte.

Ausschlussgründe: Geistige Behinderung oder eine psychiatrische Unterbringung. Einschränkungen: Nur bei schweren Straftaten als Teil eines Gerichtsurteil kann das Wahlrecht entzogen werden. Der Ausschuss kann nur durch Richterspruch auf Lebenszeit durch das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Verwirkung von Grundrechten nach Art. 18 Grundgesetz angeordnet werden.

Dies ist in der bundesdeutschen Geschichte bisher noch nie erfolgt!

Zurück zu unserem Mitgefangenen, der auf den letzten Drücker doch noch an der Wahl teilnehmen konnte. Seine Nachforschungen sind damit aber nicht beendet. Unser Nachbarbundesland hat sich dabei nicht mit Ruhm bekleckert und er möchte der Sache weiterhin auf den Grund gehen und die Schlamperei aufdecken. Auch andere Inhaftierte hatten ihre Unterlagen nicht rechtzeitig erhalten, wurden aber durch die Initiative eines Bediensteten gerettet, der einen Tag vor der Wahl die Briefe persönlich im Wahlamt abgab. Also funktioniert unser so oft gepriesener Rechtsstaat doch noch und man braucht die Hoffnung darauf nicht aufgeben.

Fazit: Im Knast zu wählen ist oft gar nicht so einfach, wie man uns glauben lässt. Der Inhaftierte ist gut beraten, auch in diesem Fall, nicht locker zu lassen und beharrlich sein Ziel zu verfolgen.

N. K.

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Quelle:
der lichtblick, 49. Jahrgang, Heft Nr. 373 - 4/2017, Seite 22
Unzensierte Gefangenenzeitung der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Redaktionsgemeinschaft der lichtblick
(Insassen der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Februar 2018

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