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LICHTBLICK/229: Sind Gruppenaktivitäten in den einzelnen Teilanstalten unerwünscht?


der lichtblick - Gefangenenzeitung der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 374 - 1/2018

Sind Gruppenaktivitäten in den einzelnen Teilanstalten unerwünscht?

Die Freizeitaktivitäten in den Gefängnissen sind dünn gesät. Welche Möglichkeiten hat der Inhaftierte, seine Freizeit sinnvoll zu gestalten?


"Nehmen Sie doch an der Gruppe "Soziale Kompetenzen" teil " schlug der(die) Gruppenleiter(in) dem Neuankömmling in der JVA Tegel vor. Außerdem sind in dem prallgefüllten Vollzugsportfolio noch diverse andere Gruppenangebote, die die Gefangenen zielführend strukturieren möchten. Manchmal entsteht dabei der Eindruck, als ob die Gruppenleiter eine Kopfprämie für den Einzelnen erhalten. Motto: Hauptsache der Inhaftierte ist weg vom Flur und macht keinen Blödsinn.

Jede Gruppe macht ersteinmal den Bediensteten Arbeit. Ganz vertrackt sind hierbei die "teilanstaltsübergreifenden Gruppen" (was für ein Wort!). Das heißt, Insassen aus verschiedenen Teilanstalten müssen dem jeweiligen Gruppenraum zugeführt werden. Dazu müssen die Inhaftierten erst ausgerufen und danach eingesammelt werden. Womit die eigentliche Arbeit auch schon erklärt ist. Für Außenstehende ist das schwer nachzuvollziehen. Es hört sich zunächst relativ simpel an, aber der Teufel steckt ja bekanntlich im Detail.

Es soll Gefangene geben, die sich nicht ausgelastet fühlen und wirklich jede Gruppe besuchen, die irgendwo ausgeschrieben ist. Ältere Gefangene oder Langstrafer erzählen auch gerne, was es früher so für Gruppen gab. Die Kreativgruppe, die Aquariumgruppe oder eine Anstaltsband gibt es nicht mehr. Bei den sportlichen Aktivitäten können wir uns nicht beschweren. Das Angebot ist wirklich ausreichend. Erwähnenswert sind noch die Literaturgruppe und das Gefängnistheater "aufBruch" (schon 20 Jahre am Start!). Aber mal ehrlich, wir könnten uns schon noch die eine oder andere Gruppe in der Anstalt vorstellen. Die sogenannten pflichterfüllenden Gruppen wollen wir dabei außeracht lassen.

Wie wäre es denn mit einer Kochgruppe, einer Bastelgruppe, einer Fremdsprachengruppe, einer Dartgruppe, einer Yoga-Gruppe, einer Poetry-Slam-Gruppe etc.? Na klar, benötigen wir dafür die entsprechenden Gruppentrainer, aber ohne den dringenden Anschub von Außen werden wir es sehr schwer haben. Wo sind die engagierten Ehrenamtlichen, die uns unterstützen? Wir könnten uns auch vorstellen, eine Gruppe (Fremdsprachen?) mit geringem Kostenbeitrag aufzubauen. Es kann doch nicht so schwer sein Insassen für ein Thema zu begeistern. Viele Inhaftierte motzen über einen monotonen Vollzugsalltag, der keine Perspektiven bietet. Lasst uns gemeinsam etwas erschaffen, dass Spass macht und auch für Abwechselung sorgt. Neulich lasen wir am Info-Brett von neuen Aktivitäten. Die Fachhochschule Potsdam bietet Aktivitäten in den Bereichen: Kunst, Ernährung, Musik, Sport, etc. Mal sehen, was daraus wird. Es ist zumindest ein Anfang, der sehr löblich ist und hoffen lässt, dass sich die Freizeitaktivitäten wieder besser und vielfältiger gestalten lassen. Obwohl die gewaltigen Kräfte der Ablenkung am Inhaftierten zerren und der Körper eher auf eine Art Couch-Modus schaltet.

Genauso wie der Körper die Herausforderungen benötigt, um seine Gesundheit zu stärken, braucht auch die Psyche die diskursive Auseinandersetzung, um sich weiterzuentwickeln. Gerade im Knast sollten wir auf unseren mentalen Zustand achten und unser Verhalten entsprechend ausrichten. Der Zeitvertreib in einer Haftanstalt gehört sicherlich zu den größeren Problemen bei der Alltagsbewältigung, und ist für freie Bürger nur schwer zu verstehen. Die angebotenen Gruppenaktivitäten nehmen aber auch Zeit von der Uhr und helfen bei der Zerstreuung und der Abwechselung. Tatsache ist, dass wir extrem in unserer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind und uns nur mit den "Klassikern": Lesen, Briefe schreiben, Musik hören und Fernsehen über Wasser halten.

Der Mensch neigt von Natur aus zur Bequemlichkeit und verhält sich am liebsten inaktiv. Das Medium Fernsehen ist natürlich wie geschaffen für den Haftalltag. Vor der Glotze sitzen und sich berieseln lassen, scheint dabei die favorisierte Tätigkeit zu sein. Das führt dazu, dass man sich "jeden Mist reinzieht". Der Aspekt, dass ein fernsehkonsumierender Gefangener einfacher "zu halten" ist, spielt bestimmt keine unwesentliche Rolle. Die freie Zeit sinnvoll zu nutzen, sie gar zu genießen, will gekonnt sein. Wer träge ist, läuft Gefahr zu grübeln, schwermütig zu werden und auf Abwege zu geraten. Die alten Griechen wussten damit umzugehen. In der Antike galt die Muße als gesellschaftliches Ideal. Davon sind wir in unserer heutigen Zeit weit entfernt und stürzen uns auf Computerspiele. Bemerkenswerterweise gibt es auch viele Gerichtsentscheidungen zu Computerspielen. Die technische Entwicklung ist auch hier nicht spurlos an den Gefängnissen vorbei gezogen, das heißt die virtuelle Freizeitgestaltung nimmt immer mehr Raum ein. Trotzdem haben Skat und Schach nach wie vor eine nicht geringe Aufmerksamkeit in der Anstalt, die weiterhin gefördert werden sollte. (Skat- und Schachturniere?)

Wichtig ist aber für die Inhaftierten, dass sie ihre kommunikativen Fähigkeiten nicht verlernen, dass sie noch auf ihre Umwelt reagieren können und kein Eremitendasein in völliger Abgeschiedenheit leben. Wer das begreift, kommt besser klar und kann durchaus andere Ansichten neben den eigenen akzeptieren. Vom Wissen anderer zu profitieren, Gewohnheiten abzulegen, Verbitterungen ablegen und die Ziele für die Zukunft neu definieren, ist sicherlich besser als aus der vollzuglichen Petrischale zu leben. Diese Einsicht ist schon eine Bereicherung für jeden von uns.

Die entsprechenden neuen Gruppenaktivitäten gaben Anregungen, um die Zeit hier möglichst gut zu überstehen und sich auch wieder den Anforderungen in Freiheit zu stellen. Wir würden es begrüßen, zusammen mit der Gesamtinsassenvertretung, neue Freizeitgruppen ins Leben zu rufen. Reformbemühungen oder auch nur kleinste Neuerungen sind im Vollzug immer ein langer Prozess. Es erfordert Akzeptanz und langfristiges Denken. Wir hoffen einen Anstoß dazu beizutragen.

N. K.

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Quelle:
der lichtblick, 50. Jahrgang, Heft Nr. 374 - 1/2018, Seite 36-37
Unzensierte Gefangenenzeitung der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Redaktionsgemeinschaft der lichtblick
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Mai 2018

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