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MARXISTISCHE BLÄTTER/469: Anmerkungen zu Domenico Losurdos Reisebericht aus China


Marxistische Blätter Heft 6-10

Potemkinsche Dörfer
Anmerkungen zu Domenico Losurdos Reisebericht aus China (*)

Von Simon Zeise


Domenico Losurdos reiste Auf Einladung der chinesischen kommunistischen Partei durch die Volksrepublik. Er wurde durch die modernsten Gegenden des Landes geführt und verteidigt das dort Gesehene gegen die Kritik "mancher Westlinker".

Losurdo hat bestimmt eine angenehme Reise hinter sich, denn, wie er schreibt, hat er auf seiner Reise die dritte Welt nie zu Gesicht bekommen. Zu sehen gab es elegante Bauten, darunter glitzernde Flughäfen und das hochmoderne Olympiastadion in Peking. Renaturierungsmaßnahmen verschönerten ihm den Ausblick über das sich glänzend entwickelnde Land. In den Schulen und Betrieben vernahm Losurdo eine "geradezu leidenschaftliche Selbstkritik", denn schließlich habe der chinesische Staat noch Großes vor. Wolle man doch Mitte des Jahrhunderts das "erste Stadium des Sozialismus vollendet" haben, das man gerade dabei sei in Angriff zu nehmen.

Losurdo bedient sich der Metapher zweier Züge, die mit unterschiedlicher Geschwindigkeit in Richtung "Entwicklung" fahren. Während der eine superschnell fahre, hinke der andere eben etwas hinterher. Hierzu bemerkt er zwar, dass die Ungleichheit in China zunimmt, seine Schlussfolgerungen fallen dabei aber derart unkritisch aus, sodass einem Zweifel kommen, ob man es bei dem Autor mit einem Philosophen zu tun hat, der sich der marxistischen Methode zu bedienen rühmt.

An keiner Stelle wirft er die Frage auf, welche Auseinandersetzungen es sind, die innerhalb der Kommunistischen Partei um die Entwicklung des Landes ringen. Losurdo sieht, dass die Chinesen stolz dem Fahnenappell frönen und es lieben, sich mit westlichen Besuchern ablichten zu lassen, "als ob sie die übrige Welt einladen wollten, mit ihnen die Rückkehr einer uralten Kultur zu feiern, die so lange vom Imperialismus unterdrückt und gedemütigt wurde". Losurdo greift derlei gewonnene Eindrücke auf und leitet eine chinesische Politik des nationalen Interesses ab. Er spricht - im Einklang mit der KPCh - von Generationen von "Revolutionären", die sich von Mao Zedong bis Hu Jintao gleichermaßen um das Wohl der Volksmassen bemüht hätten. Besonders hervorheben mag er dabei Deng Xiaoping, der "Nüchternheit und Weitsicht beim Aufbau der Partei und des Staates bewiesen" habe. Jener Deng Xiaoping, der in den 80er Jahren die Marktöffnung Chinas einleitete und über den Mao Zedong während der Kulturrevolution gesagt haben soll, er sei lediglich ein "kapitalistischer Straßenarbeiter". Was man auch immer davon halten mag, ist doch offensichtlich, dass es in der politischen Führung des Landes enorme Auseinandersetzungen gab. Auch die Gewerkschaften des Landes hätten sich, meint Losurdo, einem nationalen Interesse zu beugen und nicht allein die Forderungen nach höheren Löhnen zu postulieren.

Losurdo hat sich von offizieller Seite China zeigen lassen. Er sieht sich nur die schönen Flecken des Landes an. Kein Blick auf und kein Wort über den täglichen Kampf, den viele der Arbeitenden dort fristen. Genossen, die auf nichtoffiziellem Wege durch China gereist sind, haben mir von Wanderarbeitern erzählt, die unter provisorischen Planen oder in U-Bahnschächten hausen, von horrenden Studiengebühren, von Bauern, die sie besucht haben, die in bitterer Armut leben. Man kann hierzulande über hohe Suizidraten lesen, die auf die Arbeitsbedingungen in chinesischen Fabriken zurückzuführen sind. Wenngleich Losurdo also festhält, dass die KP kritisch bei Reformen zu Werke geht, so geht er selbst den zentralen Fragen aus dem Weg. Wie sieht er genau aus, der "Marktsozialismus mit chinesischem Antlitz"? Wann wird die Angleichung zwischen den funkelnden Metropolen und der Landbevölkerung angestrebt?

Von zentraler Bedeutung scheint mir dabei zu sein, inwieweit es der KP gelingen wird - und es darf daran gezweifelt werden, dass sie überhaupt ein Interesse daran hat - den Einfluss des Kapitals zu beschneiden und den Wohlstand der breiten Bevölkerung zugute kommen zu lassen. Losurdo berichtet beispielsweise davon, dass auch Unternehmer zu den Sitzungen der Partei zugelassen sind. Die Gefahr, dass Interessen von Unternehmern den politischen Zielen der Bevölkerung übergeordnet werden, liegt doch auf der Hand.

Mich ärgert es, dass Losurdo sich vor den Konflikten drückt, die sich Marxisten stellen müssen. Entweder er veröffentlicht einen derartigen Reisebericht in einem Magazin, dass es sich zur Aufgabe nimmt, Reiseziele blumig zu umschreiben, oder besser, er unternimmt den Versuch, den Lesern einer marxistischen Zeitschrift die Klassenkonflikte eines Landes zu erläutern. Gegen den Chauvinismus, gegen den er sich wendet, der chinesischen Arbeitern keine Entwicklung ihrer Produktivkräfte zugesteht, wende ich mich auch. Allerdings finde ich es unverschämt, Kritik der chinesischen Regierung mit den genannten "Beobachtungen" auszuweichen.

Schließlich, auch wenn sich die chinesische Regierung immer noch als integrierender Bestandteil der dritten Welt erklärt, muss man sie darauf festnageln. Allzu schnell liegt zwischen dem integrierenden und dem intrigierenden Teil der Welt sonst nur noch eine bloße Lautverschiebung.


Simon Zeise, Leipzig, Philosophiestudent


(*) Anmerkung der Schattenblick-Redaktion:
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Alternativ-Presse: MARXISTISCHE BLÄTTER/459: Eine aufschlußreiche Reise nach China - Bemerkungen eines Philosophen


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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 6-10, 48. Jahrgang, S. 86-87
Redaktion: Marxistische Blätter
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Februar 2011