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MARXISTISCHE BLÄTTER/533: Allianz der revolutionären Kräfte


Marxistische Blätter Heft 5-12

Allianz der revolutionären Kräfte
Interview mit Carolus Wimmer, internationaler Sekretär der Kommunistischen Partei Venezuelas

Die Fragen stellte Rainer Schulze



Rainer Schulze: Wie schätzt du die Situation der Kommunistischen Partei Venezuelas (KPV) ein, insbesondere das Verhältnis zur PSUV?

Carolus Wimmer: Zunächst einmal, und das ist auch für uns klar, ist die PSUV die Regierungspartei. Sie hat die generelle Aufgabe, die ganze Regierungsarbeit zu leiten und zu unterstützen. Unsere Partei, die KPV, hat - und das ist international bekannt - vom ersten Moment am Aufbau der Bolivarischen Revolution teilgenommen, und zwar schon vor 1992, vor der Militärrebellion von Chávez. Wir waren dabei, haben das als eine Möglichkeit unterstützt - und in den 90er Jahren war das nur eine Möglichkeit, jetzt ist es schon eine Realität - die neoliberale Politik, die in Venezuela praktisch durchgeführt wurde, speziell von sozialdemokratischen Regierungen, zu bekämpfen. Es wurde versucht, Venezuela in Lateinamerika als ein Modell zu installieren. Die ersten neoliberalen politischen Schritte wurden hier in Venezuela gemacht, das war in den 1980er Jahren. In Venezuela gab es auch den ersten Volksaufstand Lateinamerikas gegen diese Politik. Das war im Februar 1989, im bekannten Caracazo, wo das Volk - leider ohne politische Organisationen, die alle sehr geschwächt waren - auf die Straße ging und durch die sozialdemokratische Regierung blutig unterdrückt wurde. Davon hörte man von Seiten der Menschenrechtsorganisationen nichts.

Mit der Militärrebellion wurde praktisch ein neuer Anfang des Kampfes gemacht.

Unsere Partei versteht sich als marxistisch-leninistische Partei. Es ist bekannt, dass es durch Chávez (vor einigen Jahren, die Red.) einen Aufruf zur Bildung einer Einheitspartei gab. Wir haben das diskutiert. Wir haben generell, also konzeptbezogen nichts dagegen. Aber für uns ist diese Zeit noch nicht gekommen, ist noch nicht reif. Wenn es diese Einheitspartei irgendwann geben sollte, müsste das eine marxistisch-leninistische Partei sein, sie müsste eine klare revolutionäre Linie haben, müsste klar auf den wissenschaftlichen Sozialismus ausgerichtet sein. Diese Arbeit steht noch bevor. Diese Arbeit ist auch eine große Aufgabe der Kommunistischen Partei. Wir konzentrieren uns jedoch zunächst mehr auf uns selbst, bevor wir andere kritisieren, warum sie es nicht besser machen. Mit dieser Erkenntnis, dass im Klassenkampf in Venezuela eine marxistisch-leninistische Partei gebraucht wird, geht es uns zunächst darum, unsere Partei zu entwickeln, zu stärken.

Rainer Schulze: Was bedeutet das gegenwärtig konkret für euch?

Carolus Wimmer: Wir sind eine relativ kleine Partei. Mit diesem Aufbau verbinden wir zwei Bündnisrichtungen.

Erstens: Wir sehen uns in Venezuela hauptsächlich in einem antiimperialistischen Kampf. Und für einen solchen antiimperialistischen Kampf benötigt man eine antiimperialistische Koalition. Das ist keine neue These der Partei. Diese Politik gibt es, solange es einen Kampf gegen den Imperialismus gibt. Diese Allianz muss breite Teile der Bevölkerung einschließen, nicht nur die Linke, nicht nur die Revolutionäre, sondern auch Sektoren, von denen wir wissen, dass sie momentan nicht den Sozialismus im Kopf haben. Aber sie leiden unter der aggressiven Politik des Imperialismus, bewusst oder unbewusst. Das ist eine schwierige Politik, die die Partei umsetzen muss. Beim Aufbau dieser Allianz muss darauf geachtet werden, dass unsere Fahnen dabei nicht untergehen, dass unsere Prinzipien nicht verloren gehen. Andererseits darf uns das nicht hindern, zu anderen Kontakt aufzunehmen, diese zu integrieren. Das betrifft die Mittelschicht, die kleinen Betriebe, die unter der neoliberalen Politik an Boden verlieren.

Aber neben dieser Allianz, der breiten antiimperialistischen Allianz, arbeiten wir zweitens an einer Allianz der revolutionären Kräfte. Das ist eigentlich unsere Hauptaufgabe. Die erstgenannte Aufgabe ist eher taktisch bedingt, aber für uns unbedingt nötig. Weil wir keine Sicherheit haben, dass diese imperialistische Aggressionspolitik eingestellt wird, deren Existenz vor ein paar Jahren noch von bestimmten Kreisen belächelt wurde, indem sie behaupteten, dass es diese nicht mehr gebe. Jetzt speziell im Mittleren Orient, mit Irak, Afghanistan, Libyen oder Syrien sieht man eine ganz andere Wirklichkeit.

Dieser Kampf wird vom Imperialismus nicht nur ökonomisch geführt oder finanziell oder politisch, sondern mit dem ganzen destruktiven Potenzial, das er hat. Wir in Lateinamerika sind am nächsten und vielleicht am "appetitlichsten". Dieses Problem entsteht nicht nur durch die linken und fortschrittlichen Regierungen, die existieren und die dem Imperialismus irgendwie lästig sind. Wir sehen die reale Gefahr hauptsächlich darin, dass hier in Lateinamerika, in nächster Nähe des Imperiums, die ganzen Energie- und Wasserquellen sind, die die USA so dringend brauchen. Warum einen Frachter mit Öl weit entfernt aus Saudi-Arabien holen, wenn er hier das Öl nur einige Meilen entfernt aus Venezuela holen kann. Das Bewusstsein darüber ist nicht nur innerhalb der Partei oder in den revolutionären Kreisen vorhanden, sondern ist in diesem revolutionären Prozess auf das ganze Volk übergegangen. Es gibt ein antiimperialistisches Bewusstsein. Der andere Block, über den wir sprechen, wir nennen das "el bloque popular revolucionario", den revolutionären Volksblock, das ist unsere strategische Allianz. Diese ist im Moment schwieriger aufzubauen als die taktische. Man könnte sagen, das ist irgendwie widersprüchlich. Man glaubt, unter den Revolutionären hat man dieselben Ziele, daher sei das leichter, aber in der Praxis ist das im Moment schwerer.

Rainer Schulze: Hängt das mit der Bewahrung von Eigenständigkeit im Bündnis bzw. in der Allianz mit der PSUV zusammen?

Carolus Wimmer: International soll man wissen, dass wir an der Eigenständigkeit der Partei festhalten, wir müssen sie stärken. Wir müssen die Vorhut der Arbeiterklasse werden, aber wir verstehen, dass wir nicht die einzige Vorhut in der breiten antiimperialistischen Allianz, die wir im Moment mit aufbauen, sein werden, sein dürfen. Letztere ist taktisch bedingt, für eine gewisse Etappe des Klassenkampfes. Aber wir arbeiten schon - mit Hochs und Tiefs, und es gibt bereits Erfolge - an der strategischen Allianz, der Allianz für den Kampf für den Sozialismus.

Nochmal kurz zu den Beziehungen zu der Sozialistischen Einheitspartei (PSUV): generell sehen wir sie als Alliierte, wir respektieren diese Partei. Sie ist die Regierungspartei. Momentan gilt dort noch nicht die Parteiauffassung, wie wir sie haben, aber da mischen wir uns nicht ein. Nach anfänglichen zwischenparteilichen Schwierigkeiten gibt es im Moment eine gute Zusammenarbeit, z. B. in der internationalen Politik. Wir haben viel Gemeinsames, aber auch Unterschiede. Jede Partei behält ihre Unabhängigkeit. Im Moment ist das die einzige wirkliche Parteienallianz von uns, die hauptsächlich hinsichtlich der lateinamerikanischen Politik betrieben wird, so z. B. durch unsere Präsenz auf dem Foro São Paulo, wo wir beide praktisch zusammen gearbeitet haben. Im Moment wird auch in einem Forum der linken Parteien des ALBA-Bereichs zusammen gearbeitet, wo wir vor drei Wochen in Ecuador das zweite Treffen hatten. In dieser Hinsicht wird wirklich versucht, uns als Alliierte zu sehen, man respektiert uns. Also es wird dort zusammengearbeitet, wo wir Gemeinsames haben. Beide Parteien behalten ihre Unabhängigkeit, politisch, organisatorisch, ideologisch.

Rainer Schulze: In diesem Jahr finden am 7. Oktober die nächsten Präsidentschaftswahlen in Venezuela statt. Wer das Foro São Paulo verfolgt hat, hat gemerkt, dass diese Wahlen eine sehr zentrale Rolle spielen, nicht nur für Venezuela, sondern für ganz Lateinamerika. Wie ist die KP in den Wahlkampf integriert, welche konkreten Aktionen macht sie, auch als Alliierter der PSUV?

Carolus Wimmer: Für uns sind das nicht einfach Wahlen. Man muss verstehen, dass in den letzten 13 Jahren praktisch jeder Wahlkampf eine Entscheidung war, ob dieser revolutionäre Prozess weitergeht oder ob er durch die USA komplett gestoppt wird. Der Wahlkampf der Opposition, und man konnte das beweisen, wird komplett durch die USA gemacht. Im Internet, in Youtube kann man Videos sehen, Wahlkampfvideos, die wurden in den USA gedreht. Da sieht man Straßen von Miami, da sieht man Hausnummern, die es eben nicht in Venezuela, aber in den USA gibt. So merkt man schon symbolisch, wie es wirklich läuft. Das ist Ausdruck eines Klassenkampfes, eines polarisierten Klassenkampfes. Chávez wird immer beschuldigt, dass er die Gesellschaft polarisiert. Nein, Chávez polarisiert nicht die Gesellschaft, sondern die Gesellschaft hier in Venezuela ist durch den Klassenkampf polarisiert. Ein Großteil der Bevölkerung ist bewusst im Klassenkampf dabei. Wie ich schon vorher gesagt habe: eine Phase des Klassenkampfes ist der antiimperialistische Kampf. Das ist in den Wahlen wichtig, wo wir natürlich Elemente des antikapitalistischen Kampfes reinbringen, auch Forderungen und Vorschläge. Und als kommunistische Partei natürlich immer den Sozialismus vor Augen haben. Aber nicht als etwas, was hier schon existiert, wie manche glauben. Er ist auch nicht gleich um die Straßenecke anzutreffen. Aber es ist wichtig für uns im Wahlkampf.

Die Hauptidee, die programmatische Idee - das ist das Wichtigste im Wahlkampf - ist weiter an der Stärkung der sozialen Politik zu arbeiten. Da wurden riesige Fortschritte gemacht, aber es fehlt noch sehr viel. In dieser Hinsicht müssen wir selbst und gerade angesichts einer international schwierigen ökonomischen und finanziellen Situation, der Krise des Kapitalismus, die selbstverständlich auch uns irgendwie einfängt, natürlich hauptsächlich schauen, dass die Sozialpolitik weiter gemacht wird. Das darf nicht gestoppt werden. Wenn irgendwie gespart werden muss, muss woanders gespart werden, aber nicht hier. Das ist der Punkt.

Es ist natürlich auch für die kommunistische Partei wichtig, dass dieser revolutionäre Prozess immer mehr von der Arbeiterklasse getragen wird. Es ist wichtig, dass die Arbeiterklasse zur leitenden Kraft wird. Es ist wichtig, in diesem Wahlkampf einen klaren Unterschied zur ganzen weltweiten Medienpropaganda gegen unseren Prozess zu machen, der viele Fehler haben kann und hat, aber natürlich nicht durch Lügen verfälscht werden kann. Und in diesem Wahlkampf ist es wichtig einen klaren Unterschied zur Opposition zu haben. Im Moment ist es wichtig, dass man in Europa, in Deutschland weiß, dass jetzt die Propaganda schon anfängt. Monate vor den Wahlen wird erklärt, dass praktisch ein Unentschieden zwischen den Kandidaten besteht. Wie kann man voraussehen, dass ein Unentschieden besteht? Es ist diese Politik des Imperialismus, einfach jetzt schon vorbereitend zu sagen, wir erkennen diese Wahlen nicht an. Ist egal, was da passiert. Für uns ist es ein Unentschieden. Und das Unentschieden bedeutet, dass die Opposition etwas mehr hat als der Chávez. Und wenn das nicht anerkannt wird, kommt der übliche internationale Druck, Sanktionen etc.

Das kennen wir alles schon. Das wird aufgebaut und das müssen wir hier mit in den Wahlen berücksichtigen, damit erst einmal unserer Bevölkerung die Gefahr bewusst wird, und international soll das auch bekannt sein. Die KP arbeitet in der Wahlkampfleitung gemeinsam mit der PSUV. In der Wahlkampagne sind alle Parteien und sozialen Bewegungen eingeschlossen, aber in der Wahlkampfleitung gibt es nur zwei Parteien. Weil das die einzigen Parteien sind, die landesweit vertreten sind. Was kann man noch sagen zu den Wahlen?

Rainer Schulze: ... vielleicht etwas zu konkreten Aktionen die Ihr macht?

Carolus Wimmer: Wir erwarten im Moment eigentlich einen klaren Sieg des Kandidaten Chávez. Der muss natürlich erkämpft werden. Wir machen einen gemeinsamen Wahlkampf, aber mit unseren Mitteln, mit unseren Zielen. Er ist gerichtet auf die Arbeiterklasse. Darum der Wahlslogan, "Mit Chávez und den Arbeiterinnen und Arbeitern". Der Wahlkampf muss für uns diesen Hintergrund haben. Das Ziel ist der "poder obrero", die Arbeiter an die Macht, Arbeiterkontrolle etc. Dabei erkennen wir natürlich die gegenwärtig gegebene Führung von Chávez sowie die Unterstützung der breiten Arbeiterschicht und anderer Teile der Bevölkerung für ihn an. Das erkennen wir an, aber wir konzentrieren den Wahlkampf nicht nur auf eine Persönlichkeit, sondern auf eine Klasse. Und diese muss den Kampf für den Sozialismus führen.

Konkret: Bei uns in Venezuela - vielleicht etwas anders als in anderen europäischen Ländern - ist der Wahlkampf mit Festen, mit Kampf, aber mit fröhlichem Kampf verbunden. Wir machen also teilweise Haus-zu-Haus-Besuche, auch gemeinsam mit unseren Alliierten. Das sind im Moment sieben Parteien, die direkt teilnehmen. Wir nehmen als Partei - was nicht alle machen - alle Zirkel wichtig, die es im Land gibt. Plötzlich gibt es kleine Parteien oder Zirkel in einer Region, also in einem Bundesland, die vielleicht national keine große Wichtigkeit haben. Aber für die kommunistische Partei ist eben jeder Widerstand im antiimperialistischen Kampf wichtig. Wir behandeln alle gleich, auf derselben Linie. Das fordern wir von anderen Parteien und das machen wir selbst mit kleinen Gruppen. Die sitzen bei uns bei Besprechungen mit gleichem Recht am Tisch.

Rainer Schulze: Dann vielleicht noch eine Frage vor dem Hintergrund dessen, wo wir uns gerade heute befinden, nämlich dem 18. Treffen des Foro São Paulo. Wie ist die Kommunistische Partei in den Prozess, der seit 22 Jahren besteht, integriert? War die PCV einer der Mitgründer des Foro São Paulo oder ist sie später hinzugekommen? Welche Bedeutung hat das Foro aktuell für die politische Arbeit der Kommunistischen Partei hier in Venezuela?

Carolus Wimmer: Das Foro ist zum ersten Mal in Venezuela. Wir sind als Partei 1993 dazu gekommen und haben praktisch den ganzen Weg miterlebt. Am Anfang waren wir sehr aktiv. Dann hatten wir eine Diskussion. Wir hatten gesehen, dass es in den 90er Jahren für die kommunistischen Parteien schwierig war, daran teilzunehmen. Obwohl es ein Forum der Parteien war, war es irgendwie gegen die Parteien. Ich kann mich erinnern, dass uns vorgeschlagen wurde: Kommt besser nicht als kommunistische Partei, sondern sucht irgendwelche Stiftungen, dann ist das leichter. Das hat sich geändert. Was wichtig ist: Bis zum heutigen Zeitpunkt hat sich das Foro quantitativ und qualitativ verbessert. Die starke Abhängigkeit, die es in den 90er Jahren zur europäischen Sozialdemokratie gab, ist schwächer geworden. Das ist gut so, denn es bedeutet, dass es jetzt offener und weiter ist. Was eigentlich oft gegen uns gesagt wird war, wir wären Sektierer. Man sieht, dass sich das Foro verstärkt, durch neue soziale Bewegungen in Lateinamerika, die es praktisch in den 1990er Jahren so organisiert nicht gab - wie z. B. die indigenen Völker - und irgendwie bunter wird. Das wird jetzt bunter und damit reicher für Lateinamerika. Und deshalb sind wir sicher, dass es sich verstärken wird. Je mehr Leute an diesen Gesprächen, an diesen Mobilisierungen teilnehmen, umso besser.

Wir als Kommunistinnen und Kommunisten sehen natürlich immer die Aufgabe nach diesen Treffen und was danach kommt. Und das ist im Moment noch eine Schwäche von vielen Treffen des Foros, dass wir, obwohl viele Dokumente gut sind und kollektiv ausgearbeitet werden, im praktischen Klassenkampf noch keine klare Linien haben, keine klaren Aktionen haben. Das bedeutet eben in unserem Fall hier, dass in Lateinamerika etwas passiert wie in Honduras und das Foro São Paulo ist fast abwesend. Das einzige - und das kann natürlich sehr gut sein - sind Deklarationen und Erklärungen vom Exekutivsekretär. Jetzt wieder in Paraguay sehen wir, da gibt es die Proteste etc., aber der Imperialismus setzt einfach seine Pläne durch. Und wir haben noch keine Form gefunden - weder im Widerstand noch in der Offensive - das zu bekämpfen. Das ist eine Aufgabe, die wir sicherlich mehr und mehr lösen werden, wo wir an Stärke gewinnen werden. Auf jeden Fall ist die Bewegung da, wir sehen hier einen Riesenfortschritt.

In einer historisch relativ kurzen Zeit - uns geht es natürlich viel zu langsam, aber historisch gesehen in einer kurzen Zeit - ist hier eine starke Bewegung entstanden, sowohl im Foro São Paulo als auch im Foro Social Mundial (Weltsozialforum), als auch in vielen anderen Treffen, die wichtig sind. Man sieht es, die Bewegung wird stärker, die Bewegung wird bunter, das bedeutet, sie wird reicher, und auch von unserer Partei wird das positiv gesehen, weil wir uns im ideologischen Wettstreit stärken müssen. Das ist schwieriger für uns, wenn es bunter wird, aber es ist auch besser. Weil wir doch als Marxisten-Leninisten sehen, dass wir gute Argumente haben, in diesen breiten Allianzen teilzunehmen.

Rainer Schulze: Welche Bedeutung kommt denn neben dem Anwachsen der Bewegungen den Veränderungen vieler Regierungen in Lateinamerika zu?

Carolus Wimmer: Es ist wichtig, dass in diesem Moment - was nicht auf allen Kontinenten passiert - die Stärkung der politischen und der sozialen Kräfte von progressiven Regierungen begleitet wird, die man im Gesamtzusammenhang sehen muss, weil es natürlich in jeder Regierung, auch in Venezuela, große Schwächen gibt. Aber wir versuchen, die Totalität zu sehen. Erst einmal hinsichtlich dessen, was in Lateinamerika erreicht wurde, was es vorher eben nicht im "Hinterhof der USA" gab. Wir sagen, die Sektoren wurden sichtbar gemacht. Die indigenen Stämme hier in Venezuela, die hatten keine Rechte, die existierten nicht. Jetzt sind sie in der Verfassung drin. Es gibt konkrete Gesetze, die sie stärken, und auch politisch sind sie präsent, haben historische Rechte. Und auch andere Schichten, neue Bereiche haben hier Rechte, die es vorher nicht gab oder in anderen Ländern nicht gibt. Das ist ein riesiger Fortschritt, dass eben diese politischen Besprechungen wie im Foro São Paulo von einer Praxis in den Regierungen in gewissem Umfang begleitet werden.

Wobei wir natürlich alle über diese Regierungen wissen, und das sei als Erstes angemerkt: die Linke gewinnt eine Regierung, hat aber noch nicht die Macht. Da muss man unterscheiden. Wir haben hier nicht die Macht, wir haben hier die Regierung. Um die Macht muss man kämpfen. Uns ist klar, und wir müssen das stets klar machen, dass wir - mit Lenins Worten kann man das sagen - eine Regierung bekommen, wenn die Rechte, die Konservativen nicht mehr regieren können. Wir kriegen aber dabei praktisch als Wahlgeschenk ein Land im Chaos. Und das entsteht generell durch die konservativen, durch die sozialdemokratischen Regierungen und durch deren Wechsel im Rahmen der Bourgeois-Demokratie. Sie finden praktisch immer Auswege. OK, wir wählen die andere Partei. Das ist einer der Auswege in der Demokratie der Bourgeoisie. Also man muss sich klar sein, dass die progressiven Regierungen in Lateinamerika Produkt des totalen Chaos der Bourgeoisie und der Oligarchie sind. Und im Chaos anfangen, eine Regierungsarbeit zu machen, das ist erst einmal schwierig.

Zweitens: unter den Ausgeschlossenen war auch immer die Linke. Das ist kein Übergang wie in der Bourgeoisie-Demokratie von erfahrenen Sozialdemokraten zu erprobten Christdemokraten. Wir hatten z. B. zur Regierungsarbeit, zur diplomatischen Arbeit oder zu den Staatsunternehmen etc. nie Zugang. Darum ist es schwierig für uns. Aber das sind eben Herausforderungen. Wenn man um die Macht kämpft, muss man das lösen.

Das ist klar und bisher wurde das generell sehr gut gelöst, intelligent gelöst, unterschiedlich gelöst in Lateinamerika. Es gibt aber kein Modell. Es ist zudem wichtig für Deutschland zu wissen, dass es nicht nur schwierig ist, weil wir keine Erfahrungen haben und eben ein ganz neues System aufbauen wollen. Wir können nicht die Unterlagen von der vorherigen Regierung übernehmen, um das vielleicht zu verbessern, sondern wir kämpfen für einen Bruch des Systems und müssen etwas neu schaffen.

Rainer Schulze: Und gleichzeitig wird dieses Vorhaben "etwas neu schaffen" ständig von außen torpediert. War das nicht gerade für Venezuela extrem bedrohlich?

Carolus Wimmer: Es muss klar sein, dass das Schwierigste ist, dass wir unter ständigem internationalen Druck und imperialistischen Drohungen stehen. Chávez konnte seine Regierungsarbeit nicht ruhig fortsetzen, denn es gab eben einen faschistischen Putsch, der die drei Jahre Arbeit total kaputt gemacht hat. Es wird oft gesagt, hier gab es eine Schwierigkeit, schaut die Statistik an, die geht von 2000 bis 2002 hoch, dann kommt ein riesiger Bruch. Es gab sechs Monate, während derer kein Erdöl verkauft wurde. Welches Volk hält das aus? Das ist ja nicht nur die Regierung, sondern betrifft speziell das Leben und den Kampf des ganzen Volkes. Es gibt natürlich Völker, wie das Vietnams oder Kubas, aber nicht viele. Welches Volk hält das aus, praktisch ohne Energie, ohne Lebensmittel, ohne irgendwelche sicheren Aussichten und doch zu sagen, wir unterstützen weiter diese bolivarische Revolution. So wird eben dieser Kampf gemacht, theoretisch, praktisch, mit der Regierung. Die KP ist nicht in der Regierung. Aber wir unterstützen die guten Dinge der Regierung. Das ist auch wichtig für das Foro São Paulo.

Rainer Schulze: Dazu nochmal die Frage nach dem konkreten Vorgehen und den damit verbundenen Problemen und Herausforderungen der Bündnisarbeit im Foro São Paulo?

Carolus Wimmer: Was das Foro São Paulo betrifft, so ist es generell gut, dass die KP in allen internationalen Bereichen teilnimmt. Wir unterscheiden und haben auch keine Schwierigkeit, diese Unterschiede zu machen, dass natürlich die verschiedenen Treffen verschiedene Ziele haben, verschiedene Teilnehmer haben. Es gibt rein qualitativ zudem die Treffen der kommunistischen und Arbeiterparteien, das ist für uns das Wichtigste. Das bedeutet nicht, dass wir nicht auch an Treffen teilnehmen, wo die Kommunisten in der Minderheit sind. All das ist in Ordnung, solange wir sehen, dass für die Zukunft eine gute Arbeit geleistet werden kann oder dass wir auf jeden Fall in unserer Parteipolitik der "frente antiimperialista" weiterkommen. Die antiimperialistische Front ist hier im Foro São Paulo versammelt. Darum ist die KP bestens drin im Foro São Paulo. Wir sind nicht lediglich irgendwie Beobachter, sondern das geschieht in Verbindung mit unserem Programm. Darum sind wir dabei. Und wir sind bei anderen Treffen in Lateinamerika dabei, z. B. dem Seminar der Partei der Arbeit in Mexiko. Das ist ebenfalls sehr bunt, aber das ist auch ein antiimperialistisches Treffen. Das bedeutet nicht, dass alle Antiimperialisten sind. Wir sind da durchaus vorsichtig. Aber das ist im Moment ein Fortschritt und hat in den letzten Jahren in Lateinamerika gute Resultate gebracht. Diese dialektische Verbindung von Taktik und Strategie, mit taktischen Alliierten und strategischen Alliierten. Die taktischen Alliierten sind oft nicht zusammen, sondern in verschiedenen Bereichen. Das sehen wir in unserem Fall, ohne ein Modell zu wollen, als das Richtige und im Moment als das Erfolgreiche an. Mit der großen Warnung - und damit schließe ich - der Tiger ist nicht aus Papier.

Uns muss bewusst sein, dass das Irrationale, Barbarische, wie Luxemburg sagt, die barbarische Aggression weiter gehen wird. Und dafür müssen wir uns einfach verständigen. Erst einmal muss sich die Linke verständigen. Alle Unterschiede müssen an zweiter Stelle sein. An erster Stelle muss das Interesse für die Arbeiterinnen und Arbeiter stehen. Das ist unsere Hauptaufgabe, nicht unsere Partei, sondern die Revolution und die Klassen, die diese Revolution leiten sollen. Wir als Partei sagen, dass diese Unterschiede, die es gibt - auch bei uns in Venezuela und in Lateinamerika - an zweiter Stelle stehen. Die müssen natürlich durchgefochten werden, die kommen nicht vom Tisch oder unter den Tisch. Aber die müssen an zweiter Stelle kommen. An erster Stelle steht der Klassenkampf, also die Verteidigung der Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter und anderer Volksschichten.

Für den ideologischen Kampf, wie wir ihn nennen, "la batalla ideologica del pensamiento", ist es gut, dass es möglichst viel Raum gibt, wo wir das machen können. Das ist eine andere wichtige Sache, die wir dazugelernt haben: die beste Form ist Kommunikation. Die schlechteste Form ist, dass jeder mit seiner Wahrheit allein bleibt. In Venezuela haben wir es im bekannten Streit, dem ideologischen, politischen und Existenzstreit mit Chávez bewiesen, in dem er gesagt hat, ich persönlich kümmere mich darum, dass die Partei vom Erdboden verschwindet. Aber wir haben dennoch immer gesagt, wir unterstützen Chávez. Das scheint ein Fall für den Psychiater zu sein. Aber wir sind sicher und sehr selbstbewusst - nicht übertrieben selbstbewusst, aber selbstbewusst - dass unsere Politik die richtige ist. Warum sollten wir Angst vor diesem Streit haben, selbst mit diesem mächtigen Volksführer, warum Angst haben, diesen Streit durchzuhalten?

Man kann sagen, dass wir erfolgreich waren. Unsere Politik war erfolgreich, unser Programm ist erfolgreich. Obwohl das auch bedeutet hat, dass das einige Mitglieder nicht so gesehen und die Partei verlassen haben. Das war alles nicht so einfach. Generell versuchen wir, uns mit allen Leuten zusammenzusetzen. Das bedeutet nicht, Verträge zu unterschreiben oder so etwas. Das bedeutet, einen starken Trennstrich gegenüber dem Klassenfeind zu machen. Das ist für uns wichtig. Dass wir Einfluss in der Bevölkerung haben, dass die Menschen sehen, dass die Partei offen und gesprächsbereit gegenüber allen ist, die irgendwie fortschrittlich sind, aber natürlich wird ein harter Kampf gegen den Reformismus, gegen das kapitalistische System geführt. Das ist wichtig, da darf es keinen Zweifel geben in der Arbeiterklasse. Wo ist die Partei? Wir sind immer klar auf einer Seite. Aber was die taktischen Etappen betrifft, die wir zu erklären versuchen, das ist eine andere Aufgabe. Erst einmal müssen wir das in der Partei selbst verstehen und dann ist es natürlich schwierig, es allen zu erklären. Plötzlich heißt es, warum sprecht ihr mit diesen Leuten? Die sind natürlich keine Sozialisten, sind keine Kommunisten, aber unserer Meinung nach - das wird in der Partei andauernd und ernst diskutiert - sind das Leute, z. B. die ganze Mittelschicht, selbst wenn diese überhaupt schwierig zu definieren ist, und andere Schichten, die wir für die eine oder für die andere Etappe, für die antiimperialistische oder vielleicht später dann, das erhoffen viele, für die sozialistische Etappe gewinnen können.

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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 5-12, 50. Jahrgang, S. 36-42
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Dezember 2012