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MARXISTISCHE BLÄTTER/543: Krise und Faschismus


Marxistische Blätter Heft 1-13

Krise und Faschismus
Autoritäre Krisenbewältigung und das faschismusfördernde bürgerliche Parteienwesen am Ende der Weimarer Republik

von Manfred Weißbecker



Wir leben in neuen Krisenzeiten - wer könnte das bestreiten! Dennoch preisen hierzulande Medien, Politiker und auch so mancher Vertreter des offiziell geförderten Wissenschaftsbetriebes die bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsverhältnisse als grundsätzlich alternativlos. Mitunter wird sogar erklärt, sie seien auf Ewigkeit angelegt, nachdem die Geschichte 1989/90 zu einem glücklichen Ende gelangt sei. Vergangenes wie auch Gegenwärtiges lassen völlig Gegenteiliges erkennen. Sie bieten Beispiele im Übermaß für den folgenreichen Widersinn eines rein profitorientierten Produzierens, brutalen Konkurrierens und imperialen Großmachtstrebens. Hinreichend sind auch die gesamtgesellschaftlichen Folgen der daraus resultierenden Krisen zu erkennen. In diesen sahen Marx und Engels eine "gesellschaftliche Epidemie"(1), letztlich ein Ergebnis von Enge und Fortschrittshemmung bürgerlicher Eigentumsverhältnisse.

Doch hier sei weniger zu den Krisen gesagt, mehr zu politischen Krisenbewältigungsstrategien, die - und das nicht nur von Leuten meines Schlages - oftmals als "Klassenkampf von oben" bezeichnet werden. Zu fragen wäre, ob die auch bei Marx zu lesende Charakterisierung von Krisen als einer "gewaltsame(n) Ausgleichung aller Widersprüche der bürgerlichen Ökonomie"(2) sich direkt auf das Thema der heutigen Veranstaltung beziehen lässt, in engerem Sinne zumindest auf mein Anliegen. Bis heute ist ja oftmals eine "gewaltsame Ausgleichung" von Krisen gelungen - doch wie ging dies konkret vor sich? Welchen Preis harte wer zu zahlen, wem nützte sie, welche Nachwehen wurden in besonderem Maße geschichtswirksam? Und: Welche Rolle spielen dabei die bürgerlichen Parteien sowie das auf dem Boden kapitalistischer Verhältnisse gewachsene Parteienwesen?

Solche Fragen darf; nein: muss auch stellen, wer das Verhältnis von Kapitalismus und Krise einerseits und Faschismus andererseits untersucht, denn die große Weltwirtschaftskrise beförderte den Weg der Nazis an die Macht. Beförderte - so sage ich -, denn nicht sie verursachte die von den deutschen Faschisten schließlich vollendete Zerstörung der Weimarer Republik. Fakten aus der Geschichte der bürgerlichen Parteien jener Jahre, die dem 30. Januar 1933 unmittelbar vorausgingen, mögen dies hier belegen, sowie - hoffentlich - zu produktiver Diskussion über Ähnliches und Unterschiedliches in heutigen Zeiten anregen.


Nährboden: Kapitalismus

Jede kritische und komplexe Sicht auf das reale Geschehen in den Jahren am Ende der Weimarer Republik ließ bereits damals hinreichende Schlussfolgerungen auf den Nährboden "Kapitalismus" zu. Bei Kommunisten führte sie - allerdings mit dem speziellen Blick auf den Faschismus an der Macht, nicht mit dem auf seine Ideologie und Bewegung zur so genannten Dimitroff-Definition (so genannt, weil sie nicht von diesem bulgarischen Politiker stammt und allzu oft völlig sinnentstellt marxistischer Faschismustheorie entgegengestellt wird.)(3) Andere kamen zu dem Ergebnis, das da mit den Worten Max Horkheimers lautete: Wer vom Kapitalismus nicht reden wolle, müsse zum Faschismus schweigen.(4) Noch heute führt kein Weg daran vorbei, trotz aller Versuche, wahrheitswidrig Um- und Irrwege zu Entlastung und Beschönigung des Ersteren zu konstruieren. Hinsichtlich der direkten, unmittelbaren Beziehungsgeflechte, die wesentlich mehr als die immer wieder ins Feld geführten Finanzierungsfragen beinhalten und ein vielgestaltiges komplexes Bild des Wollens und Wirkens der Gesamtheit deutscher Eliten bieten, sei hier auf die Arbeiten zum Ende der Weimarer Republik von Reinhard Kühnl, Reinhard Opitz, Kurt Gossweiler, Joachim Petzold, Wolfgang Schumann, Wolfgang Ruge, Werner Röhr, Dirk Stegmann und von vielen anderen mehr verwiesen.(5) Frei nach dem Motto, dass jeder Krämer seine eigene Ware lobt, erlaube ich mir, in diesem Zusammenhang auch die von Kurt Pätzold und mir verfasste "Geschichte der NSDAP 1920-1945" zu nennen.(6)

Darin gingen wir von der Tatsache aus, dass der Faschismus - zunächst als Ideologie und als Bewegung - nach dem Ersten Weltkrieg auf dem Boden kapitalistischer Wirtschafts- und Gesellschaftsverhältnisse entstand und auf diesem Boden wirksam wurde.(7) Niemals verfolgte er das Ziel, erst recht nicht, als er an die Macht gelangt war, diese anzutasten oder auch nur in Frage zu stellen. Im Gegenteil: Er tauchte auf in einer von mächtigen sozialen und nationalen Bewegungen erschütterten Zeit und war seinem tiefsten Wesen nach gegenrevolutionär; letzteres nicht allein im Blick auf die Jahre 1917/18/19, sondern auch auf das Jahr 1789. Insofern handelte es sich bei den faschistischen Bewegungen und Parteien in allen Ländern Europas

- um einen der Versuche, immanente ökonomische oder/und politische Krisen mit allen Mitteln dauerhaft durch eine extrem "gewaltsame Ausgleichung" vorhandener Widersprüche bewältigen zu wollen,

- um eine der möglichen Folgen des generell vorhandenen Dranges ökonomisch und politisch Mächtiger nach Maximalprofit und Expansion,

- um eine der damaligen Zeit zuzuordnende Ausgeburt der bürgerlichen Gesellschaft.

Dies bedeutete letztlich, für eine verbrecherische und völkerrechtswidrige Politik auch Kriege betreiben zu wollen. Es bedeutete auch, die ursprünglich aufklärerisch-humanistischen Anliegen des Bürgertums und alle im Laufe der Zeit insbesondere von der Arbeiterbewegung durchgesetzten Beschränkungen der Macht des Kapitals aufzuheben. Dass sich die Nazis selbst als "revolutionär" bezeichneten und als "sozialistisch" ausgaben oder dass dies vielfach so dargestellt wird, ändert nichts an den getroffenen Feststellungen. Erscheinungen charakterisieren selten ihr Wesen in Selbstbezeichnungen. Faschismus ergab sich aus den Widersprüchen dieser Gesellschaft, er stellt keinen Bruch einer von dieser Gesellschaft losgelösten "Zivilisation" dar. Ebenso wenig lassen sich die Jahre der hitlerfaschistischen Diktatur als "Ausnahme-Loch" der deutschen Geschichte oder gar als Ausfluss eines puren Hitlerismus erkennen.

Im Deutungsstreit um die Ursachen des Faschismus wird in der hierzulande gängigen Literatur gern von den an ihm schuldlosen, in ihn lediglich "verstrickten" Unternehmern, von deren unbedeutenden finanziellen Leistungen für die NSDAP(8) oder von "überforderten Demokraten" gesprochen.(9) Zahlreich entäußerten sich jedoch gerade in der Zeit der Weltwirtschaftskrise die vorhandenen kausalen Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen Kapitalismus und deutschem Faschismus, und dies vor allem in mehreren sehr konkret zu benennenden Erscheinungsformen kapitalistischer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik.(10) Da kamen sowohl generelle Macht-Orientierungen der Herrschenden zum Vorschein als auch jeweilige, zumeist konkurrierende Teilinteressen. So oder so - immer ging es um das Abwälzen der Krisenlasten auf die Schultern der so genannten kleinen Leute. Zur Erinnerung: Brünings extensiver Sparkurs(11) ließ mehrere Millionen Arbeiter und Angestellte ihre existenziell erforderlichen Arbeitsplätze verlieren. Unternehmen des Handwerks, der Dienstleistungen und der Agrarbetriebe wurden massenweise in den Bankrott gedrängt. Darüber hinaus gab es in Gestalt unsäglicher Notverordnungen einen Abstrich nach dem anderen an den erst wenige Jahre zuvor gesetzlich fixierten Leistungen aller sozialen Versicherungsinstrumentarien. Die Streichliste gegenüber den in der Novemberrevolution und im Kampf linker Parteien erreichten sozialpolitischen Fortschritte geriet zu erheblicher Länge.(12)

Dabei bemühten sich Politiker bürgerlicher Parteien sorgsam umzusetzen, was die Verfasser der Denkschrift des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (RDI) vom 2. Dezember 1929 gefordert hatten. Diese trug den Entscheidung heischenden Titel "Aufstieg oder Niedergang?"(13). Der Titel, eine suggestiv Alternativlosigkeit vortäuschende Floskel, wurde erst jüngst wieder verwendet, und zwar von Arnulf Baring in einem seiner zumeist unsäglichen Auftritte vor einem Verein mit dem schönen Namen "Vorwärtsdenker".(14) Allein ein kurzer Blick in das Dokument aus dem Jahre 1929 genügt, um die außerordentliche Aktualität der damals formulierten großindustriellen Forderungen zu erfassen.


Orientierende Nötigung

Die Arbeit an dieser Denkschrift war von den führenden Herren des RDI schon lange vor dem die Weltwirtschaftskrise auslösenden "Schwarzen Freitag" veranlasst worden. Ihr Konzept zur Bewältigung der Krise stellte insofern lediglich eine Fortsetzung generell existierender Machtkonzepte unter veränderten Bedingungen bzw. zur Vorbereitung auf erwarteten Wandel der Verhältnisse dar. Es richtete sich wie stets in erster Linie nach innen, doch ging es - ebenfalls wie immer - Hand in Hand mit Versuchen, die im nationalstaatlichen Rahmen bestehenden Probleme durch wirtschaftliche und politische Expansion nach außen, also in einer verschärften Konkurrenz zu anderen Ländern lösen zu wollen, einschließlich militärischer Mittel. Zunächst aber war im damaligen Deutschland eine Revision des in den Pariser Friedensverträgen fixierten internationalen Kräfteverhältnisses vorgesehen, um wenigstens wieder die frühere Großmachtstellung zu erreichen.

Bis zum Beginn der Weltwirtschaftskrise hatte dieses Revisionsbestreben bereits einige Ergebnisse erzielen können. Doch die entsprachen bei weitem nicht jenen Interessen, die Großindustriellen, Großagrariern und Reichswehrgenerälen seit 1918 als strategisch vorrangig und ausschlaggebend galten. Deren Hauptziel lautete: Völlige Revision der Ergebnisse des Ersten Weltkrieges und, soweit dafür erforderlich, auch die der Novemberrevolution. Dem ordneten sie auch ihre Krisenbewältigungsstrategie unter, dabei behauptend, Versailles sei die entscheidende Ursache der Krise. Gerade das widerlegt die Forschung seit Langem.(15) Der Vorsitzende des RDI, Carl Duisberg, hatte schon 1926 gefordert: "Es darf nicht halbe, es muss ganze Arbeit sein, die gemacht wird. Kompromisse helfen nicht mehr. Es geht ums Prinzip, ums ganze System."(16) Erinnern wir uns: Bei den Nazis hieß es konform: "Alles oder nichts"! Und wenn bei ihnen "Großdeutschland" bzw. "Lebensraum" im Programm stand, dann kann parallel dazu gelesen werden, dass der RDI in seinen Veröffentlichungen vom Oktober 1929, also vor dem New Yorker "Schwarzen Freitag", die Politik aufforderte, ein "Großraum-Wirtschaftsgebiet" zu schaffen, denn nur so sei - ich zitiere - "etwaigen Wirtschaftskrisen und sozialen Erschütterungen wirksam zu begegnen".(17)

Für den Übergang von einer Revisions- zur Expansionspolitik fehlte es in dieser Situation allerdings noch an notwendigen Voraussetzungen: Die im Versailler Vertrag gesetzten engen Grenzen für eine deutsche Militärmacht haften sich lediglich in einigen Fällen umgehen lassen (paramilitärische Formationen, Panzerkreuzerbau, militärische Zusammenarbeit mit der UdSSR), doch nach wie vor stand einer Wiederaufrüstung des Reiches das internationale Kräfteverhältnis entgegen. Zudem gab es unter den Deutschen, vor allem in der Arbeiterklasse und im demokratisch-liberalen Bürgertum, trotz des allgemeinen Hasses auf die "Ketten von Versailles" eine relativ große Bereitschaft zur Verteidigung der Republik.

Also verlangte auch die expansionistische, selbstverständlich neue Kriegsgefahren heraufbeschwörende Politik nach rigorosem Demokratie- und Parlamentarismus-Abbau.(18) Nicht erst mit dem Bruch der Großen Koalition und mit dem Übergang zur Präsidialherrschaft Hindenburgs und Brünings im März 1930 begann eine intensive Suche nach anderen, von parlamentarischen Mehrheiten unabhängigen Regierungsmöglichkeiten. Artikel 48 der Weimarer Verfassung bot dafür zwar manche Möglichkeiten autoritären Regierens, doch wurden diese mehr und mehr als unzureichend angesehen. Schon 1928 gab es Kampagnen der DNVP und des "Stahlhelms - Bund deutscher Frontsoldaten", dem Reichspräsidenten mehr Befugnisse zuzubilligen und den Verfassungsartikel 54 zu streichen, der besagte, dass Reichskanzler und Reichsminister des Vertrauens einer parlamentarischen Mehrheit bedürfen.

Für ihren Rechtskurs hieß es bei den meisten bürgerlichen Parteien nicht etwa, die Verfassung sei abzuschaffen. Deren schrittweise Beschränkung und faktische Aushöhlung wurde, die Realität verschleiernd, "Verfassungsreform" benannt. Die radikalsten Pläne trug übrigens Papens Innenministers Freiherr von Gayl ausgerechnet am Verfassungstag des Jahres 1932 vor.(19) Parallel dazu wurde auch eine Reichsreform angestrebt, die zu mehr Zentralismus geführt haben würde, wäre dies nicht - wie auch der 1928 ins Leben gerufene und nach einem "Dritten Reich" strebende "Bund zur Erneuerung des Reiches"(20) - kläglich an den Länder-Egoismen gescheitert. Ständig wurden neue, autoritäre Herrschaftsmechanismen gesucht, auf Teilgebieten gefunden und erprobt, mitunter verworfen oder variiert. Man könnte sogar vom Testen der Kompatibilität eigener zu den weiter reichenden Vorstellungen der NSDAP sprechen, die sowohl in der Praxis stattfanden siehe u. a. die von Konservativen zielorientiert herbeigeführte Beteiligung von Nazis an einigen Landesregierungen(21) - als auch theoretische Fundierung erfuhren - u. a. ein Betätigungsfeld solcher Vereine wie der "Gesellschaft zum Studium des Faschismus"(22) oder konservativer Rechtsgelehrter wie Carl Schmitt, von dem zu sagen bleibt, dass ihm heute sicher nicht zufällig so etwas wie eine Renaissance widerfährt.

Halten wir fest: Die Weltwirtschaftskrise hatte noch nicht eingesetzt, die NSDAP dümpelte noch bei ihrem Wahlergebnis von 2,8 Prozent dahin, da wurden bereits wesentliche Weichen zum "Abmarsch nach rechts"(23) gestellt. Es war nicht so sehr die Weltwirtschaftskrise selbst, die der Weimarer Republik den Todesstoß versetzte. Sie bewirkte spezifische Erscheinungsformen der Krisenbewältigung, zu denen die Ermöglichung eines rasanten Aufstiegs der Nazis gehörte.(24)


Parteienwandel in der Krise

Das ganze Hin und Her um innen- und außenpolitische Zielsetzungen schlug sich während der Krisenjahre deutlich im Wirken der Parteien nieder. Mehrere Tendenzen lassen sich erkennen. Einige seien hier in einer kleinen Auswahl vorgestellt:

Da wäre zunächst eine allgemeine Rechtsentwicklung nahezu aller bürgerlichen Parteien zu benennen, oder - um es mit dem Zeitgenossen Sigmund Neumann zu formulieren - eine "politische Generalradikalisierung".(25) Dazu gehörten ein sozialreaktionärer Kurs, der Abbau demokratischer Rechte, aber ebenso eine verstärkte Betonung nationaler Aspekte. Mit Letzteren argumentierten die Konservativen, als sie im Ausschuss für ein Volksbegehren gegen den Young-Plan ein erstes offizielles Bündnis mit der NSDAP schlossen, ganz im Sinne einer ausschließlich nationalistischen Interpretation von "Deutschland, Deutschland über alles ...". Parteipolitischer Rechtsruck äußerte sich auch in der Beseitigung bislang geltender, Demokratie vorgaukelnder innerparteilicher Spielregeln. Zunehmend wurden Parteivorsitzende als "Führer" herausgehoben.(26) Zu erinnern wäre da an Alfred Hugenberg in der "Deutschnationalen Volkspartei" (DNVP), an den rechtsorientierten Prälaten Ludwig Kaas im großbürgerlich-katholischen "Zentrum", an die Nachfolger Gustav Stresemanns (Ernst Scholz und Eduard Dingeldey) in der "Deutschen Volkspartei" (DVP). Aus der "Bayerischen Volkspartei" war gar zu hören, alle Welt rufe nach Führung und für die Parteien sei "das Führerproblem zum zentralen Problem geworden".(27) Ein Führerkult à la Hitler kam in Mode, ein durchaus symbolträchtiger Gegenpol zu Parlamentarismus und beschworenem Prinzip der Volkssouveränität, dienend zugleich der Verbreitung unverbindlicher, aber publikumswirksamer Heilsversprechen.(28)

Es sind solche und andere Tatsachen, die mich bewegen, für die Zeit der Weltwirtschaftskrise von einer allgemeinen Rechtsentwicklung der bürgerlichen Parteien zu sprechen. Und diese These vertrete ich bewusst als Gegenstück zu den zahlreich verbreiteten, aber irreführenden Behauptungen vom angeblichen Zerstören Weimars durch die beiden Extreme an den Rändern der Gesellschaft. Nein, die so genannte Mitte der Gesellschaft hatte sich dankbar des rechten Randes angenommen, ihn gepäppelt und gehätschelt, sich ihm angedient und schrittweise mit ihm verbündet. Bei großen Teilen der bürgerlichen Eliten liegt die historische Schuld einer Wegbereitung des kommenden Unheils. Historiker handeln absolut unredlich, wenn sie - gemäß einer Redewendung - die Splitter im Auge der KPD zu Balken erheben und jenen Parteien, die zu direkten Koalitionen mit den Nazis bereit waren, auch noch die Absolution der Demokratie-Verteidigung erteilen. Natürlich gab es viele Demokraten in den bürgerlichen Parteien, doch spricht für meine These gewiss auch die Tatsache, dass nur wenige sich aus deren Reihen lösten: so gingen z. B. Anton Erkelenz und Ludwig Bergsträsser zur SPD, andere - so Ludwig Quidde und Hellmuth von Gerlach - schufen mit der "Radikaldemokratischen Partei" eine eigene Organisation, die ohne größere Wirksamkeit blieb. Ein einziger protestantischer Pfarrer bekannte sich zur KPD.(29) Groß, nein riesengroß hingegen geriet bekanntlich die Zahl der als "Märzgefallene" verspotteten bürgerlichen Parteipolitiker, welche im März 1933 sogar dem Hitlerschen Ermächtigungsgesetz zustimmten.(30)

Zu sprechen wäre zweitens über ein sich ausweitendes direktes Eingreifen von Großindustriellen, Junkern, Militärs usw. in das parteipolitische Geschehen sowie in die Regierungsgeschäfte durch Übernahme von Ministerposten usw., was nicht nur die Namen Hugenberg, Warmbold, Schiele, Groener, Schleicher und anderer sogenannter "Fachleute" bezeugen.(31) Bezeichnend ist z. B. Carl Duisbergs Äußerung auf der Gründungsversammlung der "Staatspolitischen Vereinigung" 1926 in Berlin: "Mit Vernunft auf die Parteien einzuwirken habe ich aufgegeben! Alle Schwierigkeiten lassen sich überwinden durch planmäßige Beeinflussung."(32) Damit war nicht nur Lobbyismus gemeint, eine Erscheinung, die nach 1945 so mächtig ausuferte, da sie offensichtlich auch besser funktioniert als es eine eigene Klientel-Partei nach dem gescheiterten Modell der schon 1920 entstandenen sogenannten Wirtschaftspartei vermag.(33)

Darzustellen wäre ferner - drittens - wie sich die finanzielle Förderung der bürgerlicher Parteien durch Unternehmen und Unternehmer-Verbände in Gestalt von Kuratorien institutionalisierte, ausweitete und geschäftsmäßig betrieben wurde.(34) Gewiss stand da die NSDAP auf den entsprechenden Listen lange Zeit nicht ganz oben, doch die Bedeutung der Zuwendungen an sie lässt sich weder minimieren und relativieren noch leugnen,(35) wie dies ganze Heerscharen von Historikern getan haben und tun, indem sie nur von gewissen "Kontakten" oder von "Flirts" unbedeutender Industrieherren sprechen. Einer von ihnen, der US-Amerikaner Henry Ashby Turner brachte das Problem übrigens sehr deutlich auf den Punkt: Sollte die Verantwortung des Kapitalismus für den Faschismus erwiesen sein, wäre er nicht mehr zu rechtfertigen.(36) Turner war es auch, für den sich die NSDAP ganz und gar erwiesen habe "als erster Vorläufer der komplexen, sich finanziell selbst tragenden Organisationen, die seitdem zu einem vertrauten Bestandteil demokratischer Gesellschaften geworden sind."(37) Diese Worte darf man sich ruhig auf der Zunge zergehen lassen; die "Bimbes"-Hinundherschieber der Bundesrepublik, die Spendenfreudigen und die neuerdings Sponsoring-Geschäfte Betreibenden sowie jene, die ein Ehrenwort gegenüber ihren Geldgebern über die Normen des Grundgesetzes stellen, können sich darüber freuen - jedenfalls noch, denn was alles über das auch als Käuflichkeit zu bezeichnende Finanzgebaren von Politikern und Parteien ans Tageslicht kommen kann, bewies u. a. die jüngste Artikelserie Otto Köhlers in der "jungen Welt"(38) über Helmut Kohl und lässt sich dank aktueller Wahlkampf-Debatten über die "Nebenverdienste" deutscher Parlamentarier auch nicht mehr unter den Teppich kehren.

Zu sprechen wäre weiter - viertens - über die sich verstärkende Polarisierung zwischen den bürgerlichen Parteien einerseits und den proletarischen Parteien andererseits, über eine Lagerbildung, die mitunter als Trend hin zu einem Zweiparteiensystem gedeutet wird. Das schloss innere Differenzen nicht aus. Vor allem bei den Linken gab es ein weiteres Auseinanderdriften, da ernsthafte konzeptionelle Differenzen, aber auch parteipolitische Egoismen KPD und SPD trennten. Hingegen tobten im anderen Lager eher nur Führungsstreitereien zwischen den Verfechtern einer "Harzburger Front" oder einer schwarz-braunen Koalition. Begleitet sah sich Polarisierendes hier wie da von Neugründungen - Stichwort: SAP und KPD(O) - und mehreren Versuchen, bürgerliche Sammlungsbewegungen zu initiieren. Letztere gab es vor allem im Rahmen kleinerer Parteien, u. a. durch die Umwandlung der "Deutschen Demokratischen Partei" (DDP) dank ihrer Vereinigung mit dem "Jungdeutschen Orden" des Arthur Mahraun und der "Volksnationalen Reichsvereinigung" zur "Deutschen Staatspartei". Neu zu sammeln suchten sich konservative Kreise, die sich dem radikalisierenden Kurs Hugenbergs entgegenstellten. Allein drei, zum Teil regional begrenzte Abspaltungen gab es von der DNVP: "Christlich-Sozialer Volksdienst", die "Konservative Volkspartei" und die "Volkskonservative Vereinigung". Ein Zitat möge den Geist Letzterer enthüllen: In ihrem Gründungsaufruf vom 28. Januar 1930 hieß es, "das System regelloser Massenherrschaft" müsse "durch einen der Geschichte unseres Volkes entsprechenden Staatsautbau" überwunden werden. Nahezu allen ging es um den "starken Staat", um den "starken Mann", um eine "starke Partei", die man sich zeitweilig als einen alles übergreifenden "Hindenburg-Bund" vorstellte.

Zu sprechen wäre ebenso über die Tatsache, dass sich innerhalb des Parteienwesens - teils erdrutschartig bei Wahlen, teils in schleichenden Prozessen - alle Proportionen verschoben. Die traditionell zwischen den Parteien bestehenden Beziehungsgeflechte unterlagen tiefer Zerrüttung und fortschreitender Destabilisierung. Die Parteien der so genannten Mitte erlebten einen gewaltigen Rückgang, nur das "Zentrum" und die "Bayerische Volkspartei" vermochten relativ stabil zu bleiben. Schon aus den Reichstagswahlen vom 14. September 1930 gingen die Nazis als wählerstärkste bürgerliche Partei hervor.

Was hier ebenfalls erwähnt werden muss: Sozialdemokratische und kommunistische Organisationen brachten keine gemeinsame Gegenbewegung zustande, obgleich alle konservativen, völkischen und faschistischen Bemühungen sich vorrangig unter dem Schlagwort "Ausrottung des Marxismus" sowohl gegen die KPD als auch gegen die SPD richteten. Zwischen den Arbeiterparteien entstand lediglich zeitweilig ein relatives Gleichgewicht, das deren Vorstände jedoch zu euphorischer Überschätzung der jeweils eigenen Kraft führte und sich mit einer folgenreichen Unterschätzung des Potenzials der NSDAP verknüpfte.(39)

Wie sehr sich pazifistisch, antifaschistisch Gesinnte vom Gegeneinander der Arbeiterparteien abgestoßen fühlten, zeigte sich beispielsweise sehr deutlich, als Carl von Ossietzkys mahnender Ruf "Ein runder Tisch wartet"(40) unbeantwortet blieb. Den Gedanken an ein sinnvolles, d. h. beide stärkendes Zusammengehen wiesen sie bekanntlich wegen unterschiedlicher Zukunftsvorstellungen weit von sich.

Was mich übrigens, durchaus nicht nur nebenbei zu der Frage veranlasst, ob eine linke Partei in ihrer Suche nach Auswegen aus den bestehenden Verhältnissen ihren Blick nicht auch auf ein alternatives Selbstverständnis sowie auf Veränderungen des gesamten Parteien- und Organisationswesen richten müsste.(41)


Zeitgeist im Alltagsbewusstsein der Wähler

Nun aber, nachdem bisher eigentlich nur vom Agieren der jeweiligen Partei-Oberen die Rede war, muss hier ein weiteres Problemfeld benannt werden. Es offenbart sich der Zusammenhang von bürgerlicher Gesellschaft, Krisenbewältigung und Faschismus auch in den Denk- und Verhaltensweisen von Mitgliedern, Anhängern und Wählern. Das alte Wort vom "Unverstand der Massen" oder das Gerede von den allerdümmsten Kälbern, die selber ihren Metzger wählen, lassen linken Frust erkennen, erklären jedoch wenig. Eher sollte nach dem so genannten Zeitgeist gefragt werden, nach der Herren eigenem Geist, wie Goethe dichtete, in dem die Zeiten sich bespiegeln und in dem zugleich das Alltagsbewusstsein derer erkennbar wird, die hauptsächlich zwar das Objekt von Politik abgeben, aber dennoch auch als duldendes, untätiges oder mit-handelndes Subjekt geschichtswirksam werden. Die Massen sollten jedenfalls weder eindimensional in ihrer "Opfer"-Rolle noch als angebliche Verursacher des Faschismus und des 30. Januar 1933 gesehen werden, was in jüngster Zeit leider auch in linken Kreisen gern betont wird.(42) Dennoch wäre es irreal, in den Massen - mit der Begründung, das 20. Jahrhundert sei als ein Zeitalter der Massen zu werten - gar "aktive Teilhaber" und "Protagonisten", also Hauptdarsteller sowie Vorkämpfer sehen zu wollen.(43)

Nicht Schuld, dennoch Verantwortung trugen auch die Mitglieder und Wähler der NSDAP. Dies festzustellen ist richtig und notwendig, gerade wenn es unter Linken um die Suche nach einer angemessenen Strategie ihres antifaschistischen Ringens geht. Doch eine bloße Feststellung von Tatsachen reicht nicht aus: Es gilt, Ursachen des Verhaltens derjenigen aufzuspüren, die der NSDAP ihre Stimme gaben und Hitler zujubelten.

Eine der Ursachen lag sicher darin, dass zum damaligen "Zeitgeist" beispielsweise eine weit verbreitete Akzeptanz von Gewaltanwendung und -verherrlichung in der Gesellschaft gehörte. Die Terroraktionen NSDAP übertrafen an Umfang und Brutalität alles bisher Dagewesene, doch sie konnten wirksam sein, weil viele Deutsche militärische Gewalt als notwendiges Mittel zur Lösung von innen- und außenpolitischen Konfliktsituationen billigten. Unkritisches Wissen über die an Kriegen so reiche Geschichte der Menschheit nährte die Auffassung, diese seien unabwendbar und entsprächen der Natur des Menschen. Kriege wurden hingenommen, bestärkt auch durch manipulative Parolen wie die vom "süßen Tode auf dem Feld der Ehre", von wiederherzustellender nationaler Ehre u. a. m. Hingenommen wurde auch, dass Menschen generell in Kriegen verrohen; gerade im ersten weltweit mit riesigen Armeen geführten Krieg gerieten Entmenschlichung und barbarische Handlungsbereitschaft zur Alltäglichkeit. Dies bot einen tauglichen Boden für den Faschismus, zumal seine Führer stets bemüht waren, die eigene Aggressivität zu tarnen und sich selbst als Opfer derer darzustellen, die künftige Kriege verhindern und eine andere, eine menschlichere Gesellschaft erstrebten. Die nach außen sehr diszipliniert auftretenden paramilitärischen Verbände der NSDAP ließen sich so als ein verlässlicher, teils sogar faszinierender Ordnungsfaktor ansehen. Als zweckmäßig, als herrschaftsdienlich erwiesen sich sowohl dessen abschreckender Charakter als auch seine Mobilisierungsfunktion.

Der faschistische Terror stieß zwar auf Widerstand, doch mehr noch rief er unter vielen Deutschen lähmende Furcht und existenzielle Ängste hervor. Schon vor 1933 bewirkten diese eine wachsende Anpassungsbereitschaft, ferner nahezu demütige Duldung und schicksalsergebene Resignation, nicht zuletzt auch ehrfurchtsvolle Anerkennung. Die schreckliche soziale Not ließ in Teilen der Bevölkerung ein mehr und mehr zerstörerisches, am Ende auch selbstzerstörerisches Potenzial an Aggressivität entstehen.

Doch auch in dieser Hinsicht lässt sich belegen, in welchem Maße die NSDAP in die Geschichte des gesamten bürgerlichen Parteienwesens einzuordnen ist. Ihre gewaltverherrlichende Ideologie konnte auf Denk- und Verhaltensweisen aufbauen, die über viele Jahrhunderte hinweg nationalistisch, rassistisch, antidemokratisch und antisozialistisch geprägt worden waren. In der Weimarer Republik richteten sie sich konkret gegen das als ungerecht und bedrückend empfundene Friedensdiktat von Versailles. Dieses zu revidieren, sahen Deutsche aus allen Klassen und Schichten als unbedingt erforderlich an. Wo die real vorhandenen Kräfte dazu nicht ausreichten, schienen sie durch fanatisches und blindwütiges Kämpfertum ersetzbar zu sein. Mit der Ablehnung des "Systems" von Weimar war zugleich die Verdammung aller Erfolge der Arbeiterbewegung verbunden, ebenso der als undeutsch und jüdisch verunglimpfte Parlamentarismus, tatsächliche wie vermeintliche Schwächen des gesamten Parteienwesens, die als "Kulturbolschewismus" verdammte Moderne u. a. m.

So erklärt sich die nationale Aufbruchstimmung unmittelbar nach dem 30. Januar 1933, die leichtfertige Zustimmung zur Wiederaufrüstung. Gefühle und Stimmungen wie Enttäuschung, Unzufriedenheit und Ratlosigkeit verbanden sich mit Hoffnungen auf eine bessere Zukunft, in der man in Wohlstand und Ordnung leben könne, sobald "Lebensraum" erobert und "fremdrassische" Völker unterworfen und verjagt seien. Dem entsprachen nahezu religiös gefärbte Heilserwartungen, gerichtet auf die alle Klassenschranken angeblich überwindende "Volksgemeinschaft" sowie auf den neuen "Führer", den Hitler geschickt darzustellen wusste.


Aversionen gegen das Parteienwesen

Zum "Zeitgeist" gehörten nicht zuletzt auch - um nun wieder direkt auf mein Thema "Parteien" zu kommen - die bei großen Teilen der Deutschen vorhandenen allgemeinen Aversionen gegen das Parteienwesen.(44) Solche gab es im Grunde, seit die politischen Parteien in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Bühne des Geschehens betreten hatten. Davon zeugen umgangssprachliche Wendungen wie "Parteiengezänk" und "Parteibonzen" oder das bekannte Wort Wilhelms II. aus dem Jahre 1914: "Ich kenne keine Parteien mehr, nur noch Deutsche". Hindenburg formulierte 1925: "Für das Vaterland beide Hände, aber nichts für die Parteien". Schließlich sollten zwischen 1933 und 11945 die "deutsche Volksgemeinschaft" und die Parole: "Ein Reich, ein Volk, ein Führer" das Parteienwesen ersetzen. Gerade in der Zeit der Weltwirtschaftskrise trug die Kritik am Parteienwesen wesentlich dazu bei, den Weg zu antidemokratischen, ja geradezu barbarisch-terroristischen Herrschaftsformen zu erleichtern.(45)

Obgleich die NSDAP selbst als Partei auftrat, traf sie mit ihrer Parteienaversion(46) einen empfindlichen Nerv vieler Menschen. In dieser Hinsicht - und ganz im Unterschied zu ihren sozialpolitischen Verlautbarungen - bedurfte die nationalsozialistische Propaganda nur in geringem Maße demagogischer oder gar manipulativer Nachdrücklichkeit. Das Thema besaß Alltagsattraktivität. Es wirkte gleich einem Selbstläufer ebenso zugunsten der NSDAP wie die dieser Partei zur Verfügung stehenden politisch-rechtlichen und organisatorischen Möglichkeiten, welche der Weimarer Staat bekanntlich den rechten Gegnern der Republik reichlich angedeihen ließ. Erfolgreich konnte die nationalsozialistische Delegitimierung des Parteienwesens auch sein, weil in der nationalistischen Ideenwelt der Völkischen und vieler Konservativer das Thema stets einen festen Platz eingenommen hatte.

Im Ringen um die Gewinnung eines größeren Massenanhangs(47) dienten der NSDAP nicht nur die völkischen, sondern auch alle konservativ-nationalen, monarchischen und antidemokratischen Denktraditionen. Die Parteien seien überholt, modrig wie faulendes Aas, würden sie doch lediglich jeweils spezielle Interessen vertreten so hatte es bereits geheißen, als an die Nazis noch nicht zu denken war. Lange vor ihrem Erscheinen auf der politischen Bühne war auch die Idee einer neuartigen "überparteilichen" Organisation verbreitet worden.(48) Stark und umfassend drang alles in die nationalsozialistische Gedankenwelt ein, was in dieser Hinsicht konservative Kreise bereits zuvor verlautbart hatten. Wenn also von "Vordenkern", "Schrittmachern" und "Wegbereitern" zu sprechen ist, lässt sich das eindeutig belegen, mitunter sehr detailliert bis in einzelne Formulierungen hinein. Und bekanntlich blieb es nicht bei den ideologischen Anleihen. Die später betriebene Bündnispolitik, bekannt unter den Schlagworten "Harzburger Front" und "Kabinett der nationalen Konzentration", beruhte ebenfalls auf konservativ-antidemokratischen Theorien und Schlagworten.

Mit den Parteien-Aversionen und antiparlamentarischen Bannflüchen deutscher Konservativer, die Kurt Sontheimer in seiner Analyse des antidemokratischen Denkens in der Weimarer Republik so trefflich dargestellt hat,(49) sah sich die NS-Propaganda mit einem über bloße Parteitaktik hinaus wirksamen Fundament versehen. Zu erwähnen sind hier beispielsweise Ernst Jünger, der die Parteien generell als "Mauselöcher der Verantwortungslosigkeit" abwertete,(50) Oswald Spengler, der den Cäsarismus der Parteimaschinen beklagte und von Ernst Bloch recht drastisch als "verhinderter Täter" charakterisiert worden ist,(51) Möller van den Bruck, der rasch Abstand nahm von seiner ursprünglichen Idee einer "dritten Partei" und an die Stelle so genannter Parteibevormundung die Forderung setzte, ein "drittes Reich" zu schaffen, Carl Schmitt, der die Parteien als Gefahr ihr die öffentliche Sicherheit und Ordnung diskreditierte, Edgar Julius Jung, der von einem "frommen Werk" sprach, würden die Parteien "mit Feuer und Schwert" ausgelöscht, Hans Zehrer, der nicht den Parteien, sondern den Bünden Zukunft verhieß, u. a. m.

Die strikte Ablehnung des Parteienwesens(52) durch Verfechter der "konservativen Revolution" erlaubte der NSDAP zu Beginn der dreißiger Jahre, d. h. parallel zum eigenen "Aufstieg", eine erhebliche Verschärfung ihrer radikalen und zugleich terroristisch untermalten Parteien-Aversionen. In den Vordergrund trat eine pausenlos und nachdrücklich betriebene Selbstdarstellung als erfolgreich aufstrebende, sich ständig vergrößernde und wählerstärkste Partei. Immer stärker kam Selbstüberhebung zum Vorschein, auch in ihrer Koppelung von Parteienkritik und dem Anspruch, über das Parteienwesen hinausweisen und eine angeblich reale Alternative bieten zu können. Die NSDAP formuliert dies in ihren durchaus wohlklingenden, aber dennoch irreführenden Parolen: "Volksgemeinschaft statt Klassenspaltung", "Gemeinnutz statt Eigennutz", "Brechung der Zinsknechtschaft", "Du bist nichts, dein Volk ist alles" u. a. m. Es sei, wie Hitler einmal verkündete, anzustreben, dass "alle Stände, Gruppen und Parteien, so verschieden sie sein mögen, doch zur politischen Einheit zusammengefasst" werden müssten. Entscheidend sei das Gefühl aller, dass alle "in erster Linie Deutsche sein müssen".(53) Menschen fremder Art und Herkunft, anderer körperlicher Beschaffenheit und auch anderer Gesinnung sprach dies jedes Existenzrecht ab.

Das Ergebnis der hier ihr die Zeit vor 1933 benannten Phänomene ist bekannt: Die an Radikalität und vermeintlicher Kompromisslosigkeit unübertroffene NSDAP vermochte Schritt ihr Schritt alle anderen Parteien zu überwältigen und eine das Parteienwesen konterkarierende Einparteienherrschaft zu errichten. Als das berüchtigte Gesetz vom 14. Juli 1933 erging - es war übrigens das erste Parteiengesetz in der deutschen Geschichte -, hieß es zur Begründung, die Neubildung von Parteien wäre ein "Verbrechen an Staat und Volk".(54) Der faktischen Liquidierung des Parteienwesens folgte die Diktatur einer Partei sowie eine außerordentlich straff strukturierte "Organisationen"-Gesellschaft, die alle Bürger gleichsam von der Wiege bis zur Bahre erfasste und in hohem Maße dazu beitrug, das Regime bis zur Niederlage im Zweiten Weltkrieg stabil zu halten. Man könnte von einer gewissen Ironie der Geschichte sprechen, dass die Partei der "Überwinder" des Parteienwesens in der letzten beiden Jahren ihrer Herrschaft selbst in eine Krise geriet und schließlich mit dem 8. Mai 1945 unterging.(55)


Kontinuität der Strukturen und neue Gefahren

Abschließend sei noch darauf verwiesen, dass die hierzulande geförderte Geschichtsschreibung all die genannten Fakten und die materialistischdialektische Deutung des Faschismus oftmals mit der schlichten These konfrontiert, es habe sich bei diesem um eine Ausnahmesituation in der deutschen Geschichte, um eine Abweichung von der Regel, um einen einzigartigen Fall gehandelt. Zu prüfen wäre daher, ob sich das, was ich hier für die letzten Jahre der Weimarer Republik als faschismusfördernd unter den Stichworten

- sozialpolitische Abwälzung von Krisenlasten,
- expansionistische und kriegsfördernde Krisenbewältigungsversuche,
- Alternativlosigkeit propagierende Niedergangs-Szenarien,
- Abbau und Abwertung von Demokratie und Parlamentarismus
- Veränderungen im Parteienwesen und
- Zunahme an Gewalt-Akzeptanz und Tenor-Rechtfertigung
- Anwachsen eines zeitgeistkonformen Alltagsverhaltens
- u.a.m.

darlegen durfte - nein, eigentlich nur andeuten konnte -, ob sich das auch in anderen krisengeschüttelten Phasen der deutschen Geschichte nachweisen lässt.

Ich denke, da kann man fündig werden: Sei es in Untersuchungen zu Erscheinungen und Folgen der sogenannten Gründerkrise in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts, die vor allem den eher traditionellen Judenhass in den völkisch-rassistischen Antisemitismus überführten, aber auch in den krisenhaften Situationen unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg und in der Novemberrevolution. Unter solchen Aspekten wäre die unmittelbare Nachkriegszeit in der Mitte des 20. Jahrhunderts darstellbar. Eine gründliche Analyse der Folgen der sogenannten Erdölkrise in den 70er Jahren steht noch aus, auch die der gegenwärtigen, in ihren kumulierenden Merkmalen weit über frühere Rezessionen hinaus reichenden Finanz-, Staatsschulden- und Wirtschaftskrise. Fündig werden kann man gewiss vor allem beim Blick auf die strukturellen Übereinstimmungen wesentlicher Merkmale aller Krisenbewältigungsversuche, fündig auch für die Erkenntnis, dass in diesen stets der Keim neuer Krisen lag und zu neuen Auseinandersetzungen führte.

Zu alledem gilt es zu forschen und zu diskutieren. Ganz sicher ist dabei wieder von den Grundlagen und Konturen einer kapitalistisch geprägten, Krisen aller Art in sich einschließenden Gesellschaft und vom Wirken der sie tragenden Parteien auszugehen, wenn die gegenwärtigen Erscheinungen von Neonazismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antidemokratismus und Antiparlamentarismus untersucht werden. Deren Erscheinungsformen variieren, auch nimmt sich das erneut in eine Krise geratene Parteienwesen(56) etwas anders aus als damals - doch für die Linken, zumal sie sich in einer historischen Defensivposition befinden, besteht zu irgendeiner Sorglosigkeit überhaupt kein Grund. Ganz im Gegenteil: Auch heutige Krisenbewältigungsversuche befördern wiederum einen Kurs nach rechts, weisen in künftige, wiederum schreckliche Verhältnisse und bewirken möglicherweise nicht allein weitere Krisen, sondern noch größere Katastrophen als sie der frühere Faschismus heraufzubeschwören vermocht hat. Auch wer Horrorszenarien verabscheut - Tag für Tag gibt es Nachrichten, die solche bewirken und die erschaudern lassen.

Deutlich spricht von zu erwartender "Finsternis" Eric Hobsbawm, den hier vorzustellen gewiss überflüssig ist. Am Ende seiner "Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts", dem "Zeitalter der Extreme", warnt im Blick auf die Gegenwart, die Welt sei "am Punkt einer historischen Krise" angelangt. Und er mahnt, Finsternis - im wahrsten Sinne des Wortes - könnte tatsächlich entstehen, sollten Vergangenheit und Gegenwart lediglich fortgeschrieben werden.(57)

Neu also muss die Zukunft gestaltet werden.


Manfred Weißbecker, Prof. Dr., Jena, Historiker


Anmerkungen

(1) MEW, Bd. 4, Berlin 1972, S. 459-493.

(2) Ebenda

(3) Siehe meinen Beitrag "'Kritik' und Kritik der 'Dimitroff-Formel'" in: Manfred Weißbecker: Das Firmenschild Nationaler Sozialismus. Der deutsche Faschismus und seine Partei, Köln 2011, S. 188-194. Siebe auch Kurt Pätzold: Die Gegenrevolution. Thesen zur Analyse des historischen Faschismus. In: junge Welt, 17.05.2010, S. 10 f.

(4) Max Horkheimer: Die Juden und Europa. In: Gesammelte Werke, Band 4, Frankfurt am Main 1988, S. 308 f. (Erstveröffentlichung in: Zeitschrift für Sozialforschung, Jg. VIII/1939).

(5) Eine ausführliche Übersicht zu den Ergebnissen der in der DDR betriebenen Faschismusforschung bietet Werner Röhr: Abwicklung. Das Ende der Geschichtswissenschaft der DDR. Bd. 2: Analyse ausgewählter Forschungen. Übersichten. Register, Edition Organon Berlin 2012, S. 505-571.

(6) Kurt Pätzold / Manfred Weißbecker: Hakenkreuz und Totenkopf (1981); dieselben: Geschichte der NSDAP 1920-1945, Köln 1998; dieselben: Adolf Hitler. Eine politische Biographie, Leipzig 199 .

(7) "Kleine Geschichte der deutschen Parteien" (Stuttgart u. a. 2/1994, S. 93) von Peter Lösche, einem der SPD nahestehenden Göttinger Historiker, heißt es: "Der Nationalsozialismus ist ohne Kapitalismus nicht denkbar, er bot sich nämlich in einer bestimmten politisch-ökonomischen Situation, der der Weltwirtschaftskrise, als Lösungsstrategie für bestimmte Kapitalfraktionen (insbesondere die Schwerindustrie) an, die allerdings meinten, die NSDAP für ihre Zwecke instrumentalisieren zu können."

(8) Bei Eberhard Kolb ("Die Weimarer Republik", München 2002 heißt es auf S. 230 abwiegelnd: "Sofern nicht bisher unbekannte Quellenbestände auftauchen und zu neuen Schlussfolgerungen zwingen, darf als erwiesen gelten, dass die Großindustrie keinen letztlich entscheidenden materiellen Beitrag zum Aufstieg des Nationalsozialismus und zu den nationalsozialistischen Wahlerfolgen geleistet hat."

(9) Siehe Ursula Büttner: Weimar. Die überforderte Republik 1918-1933. Leistung und Versagen in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, Stuttgart 2008.

(10) Deren Zusammenhang brachte Fritz Thyssen 1929 bei einem Treffen mit Hjalmar Schacht in der Kruppschen Villa Hügel auf die knappe Formel: "Diese Krise brauche ich jetzt! Nur dann sind Lohnfragen und Reparationsfragen auf einmal zu beseitigen." Zit. nach Macht und Ohnmacht der Weimarer Republik. Hrsg. von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Manfred Weißbecker, Berlin 1990, S. 134 f.

(11) Am 18.10.2012 verglich ein kritischer Wirtschaftswissenschaftler den rigiden Sparkurs der Bundesregierung mit dem Aderlass, der in mittelalterlichen Zeiten Patienten Heilung bringen sollte, diese Jedoch weiter schwächte und noch kränker werden ließ, was die Ärzte nur veranlasste, noch mehr Aderlass zu praktizieren bis hin zum Exitus.

(12) Siehe meinen Beitrag "Auf dem rechten Auge blind - das deutsche Entscheidungsjahr 1932". In: Marxistische Blätter, H. 3/2012, S. 58-69.

(13) "Aufstieg oder Niedergang?" Denkschrift des Reichsverbandes der Deutschen Industrie vom 2. August 1929. Ein Auszug findet sich in: Ursachen und Folgen. Vom deutschen Zusammenbruch 1918 und 1945 bis zur staatlichen Neuordnung Deutschlands in der Gegenwart. Eine Urkunden- und Dokumentensammlung, Bd. 7, Berlin 1962, S. 649-652. Siehe auch Jürgen John: Reichsverband der Deutschen Industrie (RDI) 1919-1933. In: Lexikon zur Parteiengeschichte 1789-1945. In vier Bänden. Hrsg. von Dieter Fricke (Leiter des Herausgeberkollektivs), Werner Fritsch, Herbert Gottwald, Siegfried Schmidt und Manfred Weißbecker, Bd. 4, Leipzig 1986, S. 9-57, hier vor allem S. 36 ff.

(14) Siehe den Bericht unter www.vorwärtsdenker.de: "Das Treffen der Vorwärtsdenker am Mittwoch den 03.03.2010 in Düsseldorf behandelte die aktuelle Situation und Zukunft Deutschlands. Als Referent konnte Herr Prof. Dr. Arnulf Baring, Jurist, Historiker und Publizist, gewonnen werden. Er hielt einen Vortrag zum Thema 'Deutschland im 21. Jahrhundert - Aufstieg oder Niedergang?' An sich sollte man annehmen, dass Deutschland seit der Wiedervereinigung besser dran ist als je zuvor in den letzten 150 Jahren. Lange bedrängten uns politische Gegner und Konkurrenten aus Ost und West, während wir heute in einem befriedeten, ja freundschaftlichen Umfeld leben. Deutschland ist weltweit geachtet und als Exportnation haben wir eine starke Position. Aber bei näherem Hinsehen bahnen sich seit Jahrzehnten Krisen an, die zum Teil völlig neuartig sind und das Land vor unerwartete, schwierige Herausforderungen stellen. Es ist völlig offen, ob wir die Kraft haben, uns ihnen gewachsen zu zeigen. Der Vortrag benannte als größte Herausforderungen die Demographie und die Verschuldung Deutschlands. Prof. Baring ordnete sie in den historischen Kontext ein und erörterte die Ursachen für deren Entwicklung. In der anschließenden Diskussionsrunde wurden verschiedene Lösungswege skizziert und kritisch diskutiert."

(15) Reinhard Neebe: Großindustrie, Staat und NSDAP. Paul Silverberg und der Reichsverband der Deutschen Industrie in der Krise der Weimarer Republik, Göttingen 1981, S. 50 f.: "Die Auswirkungen der Großen Depression 1929-1933 in Deutschland, so gravierend sie im einzelnen sein mochten, stellten im internationalen Vergleich gesehen keine Besonderheit dar. Der Rückgang der industriellen Produktion betrug wohl 40% gegenüber 'nur' 26% in Frankreich, er blieb damit aber zugleich deutlich unter dem Wert von 48% für die USA. Der häufige Verweis auf die übergroße Belastung des Deutschen Reiches durch Versailler Vertrag und Reparationen ist rein ökonomisch gesehen unzutreffend. Nicht das Ausmaß der Betroffenheit an sich war für die deutsche Sonderentwicklung bestimmend, sondern die hier zum Tragen kommende spezifische Krisenstrategie, die vorrangig nicht an der Überwindung der wirtschaftlichen Probleme orientiert war, sondern die Revision der inneren und äußeren Folgen des verlorenen Krieges, insbesondere der Revolution von 1918, zum leitenden Ziel der Politik erhob."

(16) Veröffentlichungen des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, Nr. 50, Januar 1930, S. 6.

(17) Veröffentlichungen des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, Nr. 48, Oktober 1929, S. 36 f.

(18) Am 12.09.1932 erklärte Papen in einer Rundfunkrede: "Die Reichsregierung ist der Ansicht, dass das System der formalen Demokratie im Urteil der Geschichte und in den Augen der deutschen Nation abgewirtschaftet hat und dass es nicht zu neuem Leben erweckt werden kann." Zit. nach Akten der Reichskanzlei. Das Kabinett von Papen. Bd. 2, bearb. von Karl-Heinz Minuth, Boppard am Rhein 1989, S. 546-561, hier S. 557.

(19) Den Text dieser Rede verbreitet die Reichszentrale für Heimatdienst (einer der Vorläufer der heutigen Bundeszentrale für politische Bildung) als Flugschrift.

(20) Siehe Kurt Gossweiler: Bund zur Erneuerung des Reiches (1928-1933). In: Lexikon zur Parteiengeschichte, Bd. 1, Leipzig 1983, S. 374-382.

(21) Als die Nazis im Januar 1930 erstmals in eine Landesregierung eintraten, schrieb die von einem Konsortium aus Schwerindustriellen, Großreedern und Bankiers herausgegebene "Deutsche Allgemeine Zeitung" am 29.01.1930: "In praktischer Hinsicht hat das thüringische Beispiel bewiesen, dass die Nationalsozialisten den Unterschied zwischen Opposition und Verantwortung durchaus begreifen. Sie haben dort zugestimmt einer Kopfsteuer ohne Staffelung, der Erhöhung des Schulgeldes, erheblichen Ersparnissen im Wohlfahrtswesen und im Schuletat. In der Frage der Unterstützung der Erwerbslosen, Kleinrentner und Sozialrentner haben sie ihre von der Sozialdemokratie wörtlich aufgenommenen früheren Oppositionsanträge mit den übrigen Rechtsparteien zusammen niedergestimmt [...] Bei der Lektüre des 'Völkischen Beobachters' und des Wirtschaftsprogramms des Herrn Abgeordneten Feder sträuben sich einem die Haare. In der praktischen Zusammenarbeit würden sich die Probleme des Tages wohl anders darstellen." Zit. nach Wolfgang Ruge: Weimar. Republik auf Zeit, Berlin 1969, S. 257 f.

(22) Siehe den entsprechenden Beitrag von Reinhard Giersch und Walter Schmittke in: Lexikon zur Parteiengeschichte, Bd. 3, S. 51-54; Klaus-Peter Hoepke: Die deutsche Rechte und der italienische Faschismus. Ein Beitrag zu Selbstverständnis und zu Politik von Gruppen der deutschen Rechten, Düsseldorf 1968.

(23) Detlef Lehnert: Die Weimarer Republik. Parteienstaat und Massengesellschaft, Stuttgart 1999,S. 180 f.

(24) So urteilt Ruge, Weimar. Republik auf Zeit, a.a.O., S. 250 f.

(25) Sigmund Neumann: Die Parteien der Weimarer Republik. Mit einer Einführung von Karl Dietrich Bracher, Stuttgart 1965, S. 66 und 72. Die Originalausgabe erschien 1932.

(26) Der kürzlich verstorbene marxistische Historiker Eric Hobsbawm macht darauf aufmerksam, dass in der Wirtschaft die meisten Chefs und Arbeitgeber schon längst das "Führerprinzip" angewandt hatten und ihnen der Faschismus dafür nun eine "autoritative Rechtfertigung" dafür bot. Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München und Wien 1995, S. 168.

(27) Zit. nach Manfred Weißbecker und Herbert Gottwald: Zur Rolle der Führer bürgerlicher Parteien. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, H. 4/1979 S. 305.

(28) Siehe ebenda.

(29) Siehe dazu u.a. Friedrich-Martin Balzer (Hrsg.): Protestantismus und Antifaschismus vor 1933. Der Fall des Pfarrers Eckert in Quellen und Dokumenten. Mit Originalbeiträgen von Wolfgang Abendroth, Karl Barth, Rudolf Bultmann, Eduard Dietz, Erwin Eckert, Hans Francke, Emil Fuchs, Aurel von Jüchen, Heinz Kappes, Walter Kreck, Julius Kühlewein, Ernst Lehmann, Paul Piechowski, Arthur Rackwitz, Martin Rade, Leonhard Ragaz, Georg Reinhold, Luise Rudolph, Ernst Schneller, Theodor von Waechter, Georg Wünsch und Klaus Wurth. Mit einem Geleitwort des badischen Landesbischofs und des Mannheimer Oberbürgermeisters, Bonn 2011.

(30) Siehe dazu Ludwig Elm: Legal in den Verbrecherstaat? Zum Anteil aller bürgerlichen Parteien an der Zerstörung der Weimarer Republik und der Errichtung der nazistischen Diktatur (= Texte und Argumente, hrsg. von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen e.V.), Jena 2008.

(31) Fritz Klein wies in seinern Artikel "Zur Vorbereitung der faschistischen Diktatur durch die deutsche Großbourgeoisie (1929-1932)" (In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, H. 6/1953, S. 872-904) nach, wie detailliert z. B. Wilhelm Cuno, Direktor der Hapag und mit maßgebenden Führern der westdeutschen Schwerindustrie Hindenburg Vorschläge unterbreitete, wie die umzubildende Brüning-Regierung personell zu besetzen sei und welches Wirtschaftsprogramm sie zu verfolgen habe. Cuno erklärte: "In der jetzigen Lage, in der nur durch eine Gesundung der Wirtschaft auch eine Gesundung der innerpolitischen Verhältnisse herbeigeführt werden kann, ist eine verantwortungsbewusste Regierung auf die Unterstützung durch die führenden Kräfte der Wirtschaft angewiesen." Viele der von ihm für einen "Wirtschaftsbeirat" vorgeschlagenen Unternehmer gehörten später zum "Generalrat der Wirtschaft", den Hitler am 15.07.1933 schuf.

(32) Zit. nach Arthur Schneckenburger: Die Geschichte des I.G.-Farben-Konzerns; Bedeutung und Rolle eines Großunternehmens, Köln 1988, S.46.

(33) Siehe Werner Fritsch: Reichspartei des deutschen Mittelstandes (Wirtschaftspartei): Lexikon zur Parteiengeschichte, a.a.O., Bd. 3, S. 722-738.

(34) Es fällt auf, dass die Parteienfinanzierung in der Literatur kaum als ein eigenständiges Thema behandelt wird. Auch in den Arbeiten, die sich mit dem System der Parteienfinanzierung in der Bundesrepublik befassen, wird dieses nicht in die allgemeine Geschichte der politischen Parteien eingeordnet.

(35) Mitunter wurden auch begriffliche Tricks angewendet. So schrieb Iring Fetscher: "Ganz sicher war es [...] nicht - oder jedenfalls nicht in erster Linie - die deutsche Unternehmerschaft, die Hitler einst den Weg zur Macht freilegte, sondern eine Schicht von einflussreichen Personen in Armee und Verwaltung, die in ihrer ganzen Dank- und Empfindungsweise nach vorkapitalistisch genannt werden kann." Iring Fetscher: Zur Kritik des sowjetmarxistischen Faschismusbegriffs. In: Gotthard Jasper (Hrsg.): Von Weimar zu Hitler, Köln und Berlin 1968, S. 168.

(36) Im Wortlaut: "Entspricht die weit verbreitete Ansicht, dass der Faschismus ein Produkt des modernen Kapitalismus ist, den Tatsachen, dann ist dieses System kaum noch zu verteidigen." Turner ergänzte, dass die Beurteilung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung zu jenen Fragen gehöre, "über die eine Einigung geboten ist, wenn die Menschheit zu einem friedlicheren Neben- und Miteinanderleben kommen soll. Henry Ashby Turner jr.: Faschismus und Kapitalismus in Deutschland. Studien zum Verhältnis zwischen Nationalsozialismus und Wirtschaft, Göttingen 1972, S. 7 f.

(37) Henry Ashby jr. Turner: Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, Berlin 1985, S. 412.

(38) Otto Köhler: Sein Name ist Ries / Geschmierter Weg ins Kanzleramt / Helmut, nimm uns! In: junge Welt, 29.09., 01.10. und 02.10.2012.

(39) So schrieb Rudolf Breitscheid in "Die Gesellschaft" 1931: "Wir dürfen hoffen, dass auch die kommunistische Welle wieder abebbt, die zur Zeit bedrohlicher ist als die nationalsozialistische." Zit. nach Ruge: Weimar Republik auf Zeit, a.a.O., S. 270. Andererseits befasste sich der 12. Parteitag der KPD im Juni 1929 ebenfalls eingehender mit der Sozialdemokratie und dem Thema "Sozialfaschismus" als mit dem NS.

(40) Die Weltbühne, 03.05.1932.

(41) Die Tatsache, dass in Deutschland alle politischen Parteien auf dem Boden kapitalistischer Wirtschafts- und Gesellschaftsverhältnisse agieren sowie in bestehende gesetzliche Regelungen eingebunden sind, machen sie zumindest in organisationsstruktureller Hinsicht einander ähnlicher, als dies die Gegensätzlichkeiten ihrer Interessen und Programme vermuten lassen.

(42) Siehe z.B. die Debatten um den Beitrag von Mathias Wörsching "Faschismus als Ideologie - Neue Theorien befassen sich mit dessen Bewegungsdynamik" (In: Antifa. Magazin der VVN-BdA für antifaschistische Politik und Kultur, H. 5-6/2012, S. 11: siehe auch Michael Sommer und Susann Witt-Stahl: Hayek oder Holzhacken. Die Einsicht, dass Antifaschismus und Antikapitalismus zusammengehören, droht verlorenzugehen. Teil 1: Die Umdeutung des Faschismus zur Massenbewegung der Subalternen. In: junge Welt, 23.10.2012, S. 10 f., Teil II: Verschwinden in der Nebelregion. In: junge Welt, 24.10.2012, S. 10 f.

(43) Sigmund Neumann: Zum Studium des modernen Parteiwesens. In: Parteien in der Bundesrepublik. Studien zur Entwicklung der deutschen Parteien bis zur Bundestagswahl 1953. Mit einer Einleitung von Sigmund Neumann, Stuttgart und Düsseldorf 1955, S. XVII.

(44) Manfred Weißbecker: Aversionen gegen das Parteienwesen in Deutschland vor 1933: Quellen und Folgen. (= Texte & Argumente, hrsg. von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen e.V.), Jena 2010.

(45) Auch heute begegnen sie uns, und das nicht nur in Deutschland. Heinrich Wefing konstatiert z.B. für die USA einen allgemeinen "Überdruss an den traditionellen Machenschaften der Parteiendemokratie" sowie eine Sehnsucht nach einer "unpolitischen Politik". In: Die Zeit, Nr. 41 vom 04.10.2012, S. 51. Siehe auch die Aussage des Autors und Regisseurs Tariq Ali über Obamas gebrochene Wahlversprechen: "Das Recht auf Profit ist auch unter Obama sakrosankt. In Krisenzeiten wird nicht der Kapitalismus gebändigt, sondern die Demokratie." Zit. nach neues deutschland, 22.10.2012, S. 3.

(46) Es war vor allem die NSDAP, deren Führung einen enorm großen Aufwand betrieb, um die eigene Organisation als "Bewegung", als "Partei über den Parteien" sowie als "Überwinderin" des Parteienwesens darzustellen. Um sich von den anderen Parteien abzuheben, diskreditierte sie diese mit allen Mitteln - doch darüber hinaus zielte sie auch auf das Existenzrecht des gesamten Parteienwesens. Dessen negative Erscheinungsformen (Parteiegoismus, Selbsterhaltungstrieb, Beharrungsvermögen, Korruption und Futterkrippenwirtschaft usw.) erschienen in nationalsozialistischer Darstellung zudem stets als "undeutsche" Übernahme westlicher Demokratiemodelle sowie als Ergebnis jüdischer Aktivitäten. Ihre Antiparteien-Propaganda trug vor allem zur Mobilisierung von Jugendlichen und bisheriger Nichtwählerscharen.

(47) Der Massenanhang bot den Nazis eine Voraussetzung für ihren Erfolg und geriet zugleich zu einem wichtigen Kennzeichen des deutschen Faschismus. Allerdings bestimmte er zu keiner Zeit das Programm, den Kurs und das Ziel der Partei - das tat ihre Führungsgruppe, in deren Kalkül jene Millionen Mitglieder und Wähler bereits vor 1933 ein unentbehrliches Instrument und Faustpfand im Kampf um die Staatsmacht dargestellt hatten. Dennoch: Das braune Regime hätte ohne ihn nicht funktionieren können. Ohne die "willigen" Helfer wären kein totaler Krieg, keine barbarische Okkupationspolitik und erst recht kein Völkermord zu realisieren gewesen, ohne sie hätte während des Zweiten Weltkrieges das System der rund 20.000 Zwangsarbeiterlager nicht geschaffen werden können, ohne sie wäre der Krieg nicht so sinnlos und opferreich bis fünf Minuten nach zwölf unterstützt worden. Zunächst nur ein Teil, nach 1933 die überwiegende Mehrheit der Deutschen verhielt sich begeistert, ja regelrecht enthusiastisch und fasziniert.

(48) Siehe u.a. Peter-Christian Witt: Konservatismus als "Überparteilichkeit". Die Beamten der Reichskanzlei zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik 1900-1933. In: Dirk Stegmann, Bernd-Jürgen Wendt, Peter-Christian Witt (Hrsg.): Deutscher Konservatismus im 19. und 20. Jahrhundert. Festschrift für Fritz Fischer zum 75. Geburtstag und 50. Doktorjubiläum. Bonn 1983, S. 231-280.

(49) Siehe Kurt Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933. München 1962.

(50) Zit. nach Ludwig Elm (Hrsg.): Falsche Propheten. Studien zum konservativ-demokratischen Denken im 19. und 20. Jahrhundert. Berlin 2./1990, S. 283.

(51) Diese Feststellung traf Ernst Bloch 1936 anlässlich des Todes von Oswald Spengler. Zugleich fragte er: "Wollte er Hitler werden, hat er ihn beneidet?" Ernst Bloch: Spengler und Russland. In: Literarische Aufsätze (Gesamtausgabe, Bd. 9) Frankfurt a.M. 1965, S. 61.

(52) Eines der Grundprobleme politischer Parteien besteht im Verhältnis von Führung und Mitgliedsbasis. Seit Robert Michels (1876-1936) wird in diesem Zusammenhang von oligarchischen Tendenzen in den Parteien gesprochen. In seinen Untersuchungen der SPD stellte Michels zu Beginn des 20. Jahrhunderts fest, dass gerade diese Partei, die doch eigentlich die Entwicklung der Demokratie auf ihre Fahnen geschrieben harte, die innerparteiliche Entdemokratisierung nicht zu bekämpfen vermochte und ihre Führungen dies auch nicht wollte. Michels formulierte ein "ehernes Gesetz der Oligarchie", das seine Ursachen in der Parteiorganisation, im bürokratischen Apparat habe. Seine Thesen lauteten: "Wer Organisation sagt, sagt Tendenz zur Oligarchie ... Mit zunehmender Organisation ist die Demokratie im Schwinden begriffen"; "Die Macht der Führer wächst im gleichen Maßstab wie die Organisation"; "Die Organisation ist die Mutter der Herrschaft der Gewählten über die Wähler, der Beauftragten über die Arbeitgeber, der Delegierten über die Delegierenden." Im heutigen Parteienstaat kamen noch viele Möglichkeiten hinzu, die Stellung der Führungsstäbe der Parteien zu stärken, u.a. durch ihren Informationsvorsprung, die Verfügung über die Parteipresse, die Beziehungen zu den Massenmedien ("Interview-Demokratie"), die Verfügung über die Parteifinanzen, die Verschränkung von Parteiführung und Fraktionen, Parlamentsausschüssen und Regierungen, mangelnde Partizipations- und Kontrollmöglichkeiten der Parteibasis u.ä.m.

(53) Hitler In Lipperode am 12.01.1933. Zit. nach Hitler. Reden, Schriften. Anordnungen, Bd. IV, Teil 3, München 1997, S. 58.

(54) Das Kabinett erhielt am 12.07.1933 den Entwurf des Reichsinnenministers, der eine einzige Bestimmung enthielt: "Wer es unternimmt, politische Parteien neu zu bilden oder den organisatorischen Zusammenhalt einer aufgelösten politischen Partei aufrecht zu erhalten, wird als Hoch- und Landesverräter bestraft." Dazu äußerte allein der Reichsjustizminister in der Ministerbesprechung vom 14.07. Bedenken. Sie betrafen jedoch nur den Zeitpunkt, durch den möglicherweise die "innere Überzeugungskraft" der Selbstauflösung der Parteien getrübt werde. Hitler wollte sich diesem Gedanken nicht verschließen und schlug vor, das Gesetz zu beschließen und es erst zu einem späteren Zeitpunkt zu veröffentlichen. Frick wies Gürtners Argument als "nicht durchschlagend" zurück. Noch am selben Tag erfolgte die Ausfertigung des Gesetzes. Neben konkretisierten Strafbestimmungen enthielt sie noch folgende Bestimmung: "In Deutschland besteht als einzige politische Partei die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei". Akten der Reichskanzlei. Die Regierung Hitler, Teil 1: 1933/34, Bd. 1, bearb. Von Karl-Heinz Minuth. Boppard am Rhein 1983, S. 661 f.

(55) Siehe dazu Pätzold/Weißbecker, Geschichte der NSDAP 1920-1945, a.a.O. S. 486ff.

(56) Aus der Fülle vorliegender Einschätzungen sei hier nur verwiesen auf Ernst-Wolfgang Böckenförde: Die Krise unserer Demokratie verlangt eine Rückbildung des Parteienstaates. In: Günther Nonnenmacher (Hrsg.): Die gespendete Macht - Parteiendemokratie in der Krise, Berlin 2000, S. 55 - 62; Ein Göttinger Parteienforscher spricht von fundamentalen Veränderungen der Parteien sowie vom "Ende der Volksparteien" und erwartet die Entstehung eines völlig neuen "Parteitypus". Peter Lösche: Ende der Volksparteien. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 51/2009, S. 6-12.

(57) Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme, a.a.O., S. 720.

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Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 1-13, 51. Jahrgang, S. 19-30
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2013