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OFFENSIV/077: Ausgabe Januar-Februar 2009 1/09


offen-siv 1/2009
Zeitschrift für Sozialismus und Frieden

Ausgabe Januar-Februar 2009


INHALT

Redaktionsnotiz

Palästina
PFLP: Unsere Position zum Waffenstillstand, zur Beruhigungpolitik und zu den Waffen des Widerstandes
Chaled Meschaal: Israels Krieg wird den palästinensischen Freiheitswillen nicht besiegen - Wir werden nicht schweigend sterben
Redaktion offen-siv: Die Palästinenser brauchen konsequente und bedingungslose Hilfe!

Beirut International Forum 16.-18.1.09
Andreas Wand: Internationale antiimperialistische Konferenz in Beirut
Robert Medernach: Vom Willen zum Entschluss

Kommunistische Initiative
Aufruf der Kommunistischen Initiative Deutschland: Solidarität mit Palästina!
Kommunistische Initiative Deutschland: Bedingungslose Solidarität mit den Palästinensern JETZT!

Republican Sinn Féin an der Seite Palästinas
Des Dalton: Irlands Rolle im Kampf gegen den Imperialismus

Rifondazione Comunista
Gerhard Feldbauer: Zur Lage in der Kommunistischen Neugründungspartei (Partito della Rifondazione Comunista - PRC) Italiens

Österreich heute
Kommunistische Initiative Österreich: Die nächste Regierung des Kapitals und der Brüsseler EU-Bürokratie

Nordkorea
Torsten Reichelt: Vertrautes fremdes Nordkorea

Cuba
Ulli Fausten: Cuba, die nicht erzählte Geschichte

China
Kurt Gossweiler: Meine Sicht auf die Entwicklungen in der Volksrepublik China
Wu Xiaobo: Chinas Entwicklungsmodell hat Probleme

Kaukasuskrieg
Eva Niemeyer: Vom "Ende des Endes der Geschichte": Der Kaukasus-Krieg hat die Karten neu gemischt

Aus der Friedensbewegung
Irene Eckert: Friedensgrüße aus Frankreich
Aufruf: 10 Jahre NATO-Aggressionskrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien - 24. März 2009: Solidarität in Belgrad
Irene Eckert: Kein Frieden mit der Nato!

Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse
Kurt Gossweiler: Kapitalismus keine Fessel der Produktivkraft?!

Novemberrevolution und Gründung der KPD
Hans Stahl: 90. Geburtstag der KPD-Gründung

Internationale Konferenz in Prag: Einheit der Kommunisten
Michael Kubi: Teilnahme der Kommunistischen Initiative an der internationalen Konferenz marxistisch-leninistischer Parteien und Organisationen in Prag
Kommunistische Initiative: Grußbotschaft an die internationale Konferenz in Prag
Michael Opperskalski: Probleme und Perspektiven der kommunistischen Einheit

Antwort an Klaus Steiniger
Redaktion offen-siv: Vorbemerkung
Klaus Steiniger (unter dem Kürzel "R.F."): Ein fragwürdiges Unterfangen - RotFuchs, Ausgabe Dezember 2008
RotFuchs: Zitiert - RotFuchs, Ausgabe Januar 2009
Thomas Waldeck: Bannfluch trifft ins Leere

Wie man in Italien über Kurt Gossweiler denkt
Aldo Bernardini: Rezension von: "Wider den Revisionismus", "Die Taubenfußchronik" und "Niederlagenanalyse"
Nachwort der Redaktion

Raute

REDAKTIONSNOTIZ

Eine gute Genossin schrieb Ende Januar in einem persönlichen Brief:

"Solange wir die Äquidistanz zwischen Tätern und Opfern nicht radikal überwinden, kommen wir keinen Millimeter weiter in unserem Bemühen um Frieden oder gar bei der gebotenen Wiederherstellung sozialerer Zustände."

Ein ganz wunderbarer Satz, dessen Geltung wir schon beobachten konnten beim imperialistischen Überfall auf Jugoslawien, bei den Invasionen in den Irak und in Afghanistan, bei der Aggression gegen den Libanon, bei den Drohungen gegen den Iran und jetzt aktuell beim Krieg des israelischen Staates gegen die Palästinenser im Gaza-Streifen.

Im Zeitalter des Imperialismus kann es für uns keine Äquidistanz geben zwischen imperialistischen Aggressoren und den von ihnen unterdrückten bzw. angegriffenen Staaten (oder unliebsamen Staatsführungen) bzw. Völkern. Da gibt es in der bitteren Realität keine Gleichberechtigung und keine Balance, und so sollte es sie in unseren Köpfen auch nicht geben - sie wäre sowieso nur Illusion. Schlimmer noch: wer sich in Äquidistanz begibt, hilft in den genannten Situationen völlig unabhängig von seinen persönlichen Absichten immer dem Stärkeren, also dem imperialistischen Aggressor. Statt Äquidistanz ist Parteinahme gefragt. Eigentlich ist es bitter, dass man so etwas aufschreiben muss, aber so sind die Verhältnisse heutzutage. Das war nicht immer so, oder was meint Ihr, wie es zur Zeit des Vietnamkrieges reflektiert worden wäre, wenn sich zur damaligen Zeit linke Kräfte auf den Standpunkt der Äquidistanz zwischen Vietcong und US-Armee begeben hätten?!

Wir dokumentieren zum Thema Palästina zwei Erklärungen aus der Region, eine der PFLP und eine der Hamas und drucken danach - und das legen wir Euch besonders ans Herz - einen Aufruf zur konkreten und direkten Hilfe für die Palästinenser im Gaza-Streifen. Weiter berichten wir vom "Beirut International Forum for Resistance, Anti-Imperialism, Peoples' Solidarity, and Alternatives", das vom 16.-18. Januar 2009 in Beirut stattfand und wo es selbstverständlich auch um Palästina ging, und dokumentieren dann zwei Erklärungen der Kommunistischen Initiative Deutschland. Den Themenschwerpunkt Palästina beenden wir mit einer interessanten Positionierung aus Irland.

Auch die Mehrzahl der weiteren Themen dieses Heftes ist sehr international:

Die Lage in der italienischen PRC, der "Rifondazione", beschäftigt uns sowohl wegen ihrer Aktualität, aber auch wegen der aus den dortigen dramatischen Ereignissen zu ziehenden Schlüsse im Kampf gegen Opportunismus und Revisionismus.

Selbstverständlich muss der Kaukasuskrieg im Zusammenhang mit den sich verändernden imperialistischen Kräfteverhältnissen analysiert werden, und darüber hinaus sind Österreich, Nordkorea, Cuba und die komplizierte Situation in China Thema.

Der Genosse Kurt Gossweiler kommt in diesem Heft gleich dreimal vor: Mit einem kritischen Artikel zur Frage der Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, mit seiner Einschätzung der Situation in China und in Aldo Bernardinis Rezension seiner Schriften in einer italienischen Zeitschrift.

Ein Artikel zum 90. Jahrestag der KPD-Gründung, Nachrichten aus der Friedensbewegung und der Aufruf zur Demonstration gegen die NATO am 24. März in Belgrad sowie Berichte von der internationalen Konferenz in Prag runden das Heft ab.

Dies Heft hat Überlänge, d.h. es überschreitet unsere "normalen" 60 Seiten ganz erheblich. Dadurch ist es sowohl im Druck als auch im Vertrieb wesentlich teurer. Mit dem Buch "Unter Feuer", Gesamtkosten rund 3.500,00 €, sind wir noch mit etwas über 1.500,00 € in den roten Zahlen[1].

Gleichzeitig steigen unsere nationalen und vor allem internationalen Kontakte, das Ansehen und dadurch die Verpflichtungen. Ende letzten Jahres waren wir in Prag, jetzt gerade in Beirut, wir werden mit einer kleinen Delegation in diesem Jahr zur KKE nach Griechenland reisen, um dort "Unter Feuer" vorzustellen. Es ist möglich, dass wir Delegationen junger Leute aus unserem Fernstudium in den Libanon, nach Venezuela und/oder nach Griechenland schicken können. Im Herbst wollen wir eine inhaltsreiche wissenschaftliche Tagung zum 60. Jahrestag der Gründung der DDR durchführen (mit internationaler Beteiligung). Und die Post hat gerade die Jahresteilnahmegebühr für das "Postvertriebsstück" in Höhe von 800,00 € abgebucht. Ihr merkt also: wir brauchen Spenden! Wir brauchen vor allem mehr Spenden!

Wenn der sehr erfreuliche Erfolg unserer Zeitschrift und unseres Wirkens anhalten bzw. weiter ausgebaut werden soll, dann dürfen die oben genannten Möglichkeiten nicht an finanziellen Engpässen scheitern!

- Wir bitten diejenigen von Euch, die im Jahr 2008 nicht gespendet haben, dies in diesem Jahr nachzuholen.

- Wir bitten diejenigen, die uns unterstützt haben, zu prüfen, ob eventuell noch fünf oder zehn Euro mehr möglich sind.

- Wir bitten Euch zu prüfen, ob Ihr eventuell einen Spenden-Dauerauftrag für die offen-siv einrichten könnt.

- Wir bitten Euch zu prüfen, ob Ihr eventuell eine Patenschaft für die Auslandsreisen kleiner Delegationen unserer Fernstudenten übernehmen könnt, indem Ihr Euch verpflichtet, bis Juni des Jahres dreimal nacheinander einen Betrag von mindestens 10,- € zu spenden. Wir werden die Paten Mitte des Jahres in der "offen-siv" in einer Danksagung namentlich nennen - außer, jemand lehnt das ausdrücklich ab. Kt.: Frank Flegel, Nr. 21827 249, Sparkasse Hannover, BLZ 250 501 80; Kennwort: "Patenschaft Fernstudenten" - Kennwort nicht vergessen!

- Wir bitten Euch, eine Mitgliedschaft im Freundeskreis der Zeitschrift offen-siv zu prüfen. Kontakt: A. Vogt, Tel: 0351-41 79 87 91, Mail: freundeskreis@offen-siv.com

Die Rechenschaftsberichte für das Jahr 2008 legen wir Euch im nächsten Heft vor, denn sie müssen erst in unserem Herausgebergremium diskutiert und bestätigt werden.

Nun zu einem Thema, zu dem Ihr in diesem Heft nichts findet: Bei der DKP gab es Anfang Januar eine interessante Entscheidung: Das Programm der DKP zu den Europawahlen! Im Vorfeld hatte es einen alternativen Antrag für ein Wahlprogramm zu den Europawahlen von der Berliner Parteiorganisation gegeben - gegen den Antrag der Parteiführung. Wir können Euch leider nicht mit einem Bericht über die Diskussionen und die Atmosphäre des Europaparteitags der DKP, der am Abend des 10. Januar 2009 in Berlin stattfand, dienen, da uns die DKP zur Berichterstattung nicht zugelassen hat. Wir bekamen nach unserer Anmeldung und Bitte um Akkreditierung am 8.1.09 ein Fax mit folgender Antwort:

"DKP, Deutsche Kommunistische Partei, Parteivorstand (Adresse).

An die Redaktion offen-siv (Adresse).
Wir werden Euren Redakteur Frank Flegel - zur 2. Tagung des 18. Parteitages der DKP - nicht akkreditieren.
Eine Teilnahme Eurer Zeitung ist nicht vorgesehen.

Mit kommunistischem Gruß, Klaus Weißmann, Geschäftsführer"

Wir haben uns aus diesem Grund und auch wegen der Tatsache, dass das am 10.1.09 beschlossene Wahlprogramm der DKP zu den EU-Wahlen bis zum Termin unserer Drucklegung nirgends zu bekommen war, dazu entschlossen, in diesem Heft noch nicht genauer auf die erfolgte Weichenstellung einzugehen, sondern damit bis zur nächsten offen-siv-Ausgabe zu warten. Nur soviel sei angemerkt: der alternative Antrag für ein Wahlprogramm, eingebracht von der DKP-Berlin, erhielt 28% der Delegiertenstimmen, mehr als zwei Drittel der Delegierten folgten also der Linie der Parteiführung. Wer den alternativen Wahlaufruf der DKP Berlin und das dazu gehaltene Referat des Genossen Rainer Perschewski lesen möchte, schaue unter www.kommunistische-initiative.de im Internet nach.

Für die Redaktion: Frank Flegel

Anmerkung

[1] Das ist ein unglaublicher Erfolg! Ihr, unsere Abonennten, habt uns mit Euren Spenden für das Buch geholfen, und es gab eine in dieser Größe von uns nicht erwartete Welle von Nachbestellungen, Neubestellungen, Gruppenbestellungen, und auch über den Buchhandel gibt es eine spürbare Nachfrage. Trotzdem aber sind wir noch mit rund 1.500,- EUR im Minus.


*


Spendenkonto Offensiv:
Inland: Konto Frank Flegel, Kt.Nr.: 30 90 180 146 bei der Sparkasse Hannover, BLZ 250 501 80, Kennwort: Offensiv
Ausland: Konto Frank Flegel, Internat. Kontonummer(IBAN): DE 10 2505 0180 0021 8272 49, Bankidentifikation (BIC): SPKHDE2HXXX; Kennwort: "Offensiv".

Raute

PALÄSTINA

PFLP: Unsere Position zum Waffenstillstand, zur Beruhigungpolitik und zu den Waffen des Widerstandes

Die Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) bekräftigte am 18. Januar 2009 ihre Position zum so genannten Waffenstillstand, indem wir unseren Brüdern und Schwestern im Widerstand unseren uneingeschränkten Respekt dafür zollten, eine einwöchige Feuerpause mit dem Feind zu vereinbaren. So sehr wir den Jubel und die Siegeserklärungen unseres Volkes teilen, so wollen wir doch unserer grundsätzlichen Ablehnung jeder Art von Waffenstillstand oder einer Politik der Beruhigung Ausdruck geben.

Wir haben die Politik der Beruhigung und Befriedung immer abgelehnt, weil sie Israel die Möglichkeit bietet, unser Volk mittels falscher Anschuldigungen (die nur vorgeschobene Rechtfertigungen sind) anzugreifen und den Druck auf den Widerstand zu erhöhen, und zwar von allen Seiten des feindlichen Lagers, also nicht nur durch die israelische Militärmaschinerie, sondern auch durch politischen Druck und Attacken von arabischen Regimes, der EU, den USA und dem so genannten "Quartett".

Die Beruhigungs- und Befriedungspolitik ist eine Falle für den Widerstand, die wir stets versuchen sollten zu umgehen. Okkupation ist ein Akt der Aggression. Unser Volk hat als ein unterdrücktes Volk das Recht auf Widerstand. Während der Widerstand selbstverständlich taktische Entscheidungen drüber treffen muss, wie der Kampf zu führen ist, müssen wir dafür sorgen, dass solche Entscheidungen niemals zu einer Waffe in der Hand des Gegners werden können.

Teile der Bodentruppen des Feindes sind noch immer in Gaza, die Belagerung ist nicht beendet, die Grenzübergänge wurden nicht geöffnet, vor allem nicht der Grenzübergang bei Rafah. Der Feind behält die Seeblockade bei und seine Luftwaffe dringt weiterhin in unseren Luftraum ein, um unserem Volk Angst und Schrecken einzujagen.

In den letzten drei Wochen sind mehr als 1.300 Palästinenser den Märtyrertod gestorben, mehr als 5.000 wurden verwundet. Über 4.000 Wohnungen und Häuser sind zerstört, ganze Wohnblocks dem Erdboden gleichgemacht - und viel der zivilen Infrastruktur liegt in Trümmern. Die Grenzen bleiben geschlossen, und an allen Grenzübergängen, vor allem dem bei Rafah, warten Hilfsgüter für unser Volk auf eine sichere Passage.

Der Feind will mit politischen Mitteln erreichen, was er nicht mit militärischen Mitteln erreichen konnte. Es gelang ihm trotz seiner Taktik der verbrannten Erde und trotz der Massaker an unserem Volk nicht, den Widerstand zu eliminieren oder auch nur die Standfestigkeit unseres Volkes zu erschüttern. Nun versucht er, seine Niederlage mit dem Livni-Rice-Abkommen zu kaschieren, einem Abkommen, das das Papier nicht wert ist, auf dem es geschrieben wurde.

Die PFLP bekräftigt, dass unser Volk und unser Widerstand niemals auf seine Rechte verzichten und niemals seine Waffen abgeben wird, sondern dass diese neueste Aggression nur die Entschlossenheit vergrößert, unseren Widerstand zu erweitern und die Kampfkraft unserer Waffen zu erhöhen.

Wir fügen hinzu: Das Gipfeltreffen von Sharm el-Sheikh zwischen europäischen Regierungsrepräsentanten und Repräsentanten einiger arabischer Länder stellt eine Gefahr für die gesamte arabische Welt dar, weil es ein Schritt in die Richtung ist, den Kolonialismus in der Arabischen Welt wieder zu beleben. Die "Überwachung" der ägyptisch-palästinensischen Grenze ist ein Vorschlag, der nur ausdrückt, dass es für die arabische Welt keine Souveränität gibt, weder für Ägypten noch für Gaza, und dass die alten Kolonialmächte zurückkehren wollen in unsere Region.

Souveränität aber ist eine zentrale Frage, die den Unterschied markiert zwischen einer freien Nation und einer unter dem Stiefel von Kolonialismus und Okkupation. Die Rede davon, man wolle nur den "Waffenschmuggel" unterbinden, ist nichts als eine billige Methode, die Frage unserer nationalen Souveränität in eine "Sicherheitsfrage" zu verwandeln und stellt den Versuch dar, die Waffen in der Hand unseres unterdrückten Volkes für illegal zu erklären. Das Recht eines unterdrückten Volkes auf Widerstand mit all seinen Formen, auch als bewaffneter Kampf, ist aber ein fundamentales und unveräußerliches Recht, und wir werden nicht zulassen, dass dieses unser Recht liquidiert werden soll unter dem Deckmäntelchen von "Sicherheit" und "Stabilität".

Die PFLP hat sich an den Kämpfen von Beginn an gemeinsam mit unseren Brüdern und Schwestern aus allen Organisationen des Widerstandes beteiligt. Wir waren auf den Schlachtfeldern, wir haben den Kampf geteilt und wir teilen auch jetzt noch: das Brot und die Munition - mit dem Ziel, unseren gemeinsamen zionistischen Feind zu bekämpfen und diejenigen, die ihn unterstützen. Die PFLP war an der Front, als wir Raketen auf die feindlichen Okkupationsstreitkräfte abschossen und die PFLP wird an den Frontlinien sein, wenn es darum gehen wird, den Feind aus dem Gaza-Streifen zu verjagen bis zum letzten Zentimeter.

Ruhm den Märtyrern! Sieg dem Widerstand! Lang lebe das palästinensische Volk und die arabische Nation! Lang lebe der internationale Kampf und die internationale Solidarität!

Published on Popular Front of the Liberation of Palestine; www.pflp.ps
Übersetzung: Redaktion offen-siv

Raute

Chaled Meschaal: Israels Krieg wird den palästinensischen Freiheitswillen nicht besiegen - Wir werden nicht schweigend sterben

Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Diesen Artikel finden Sie unter:
http://www.jungewelt.de/2009/01-09/002.php?sstr=Chaled%7CMeschaal
sowie in der Printausgabe der offen-siv

Raute

Redaktion offen-siv: Die Palästinenser brauchen konsequente und bedingungslose Hilfe!

"Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker!" (Ernesto Ché Guevara)

Die erste Bilanz der israelisch-zionistischen Aggression gegen das palästinensische Volk ist so schrecklich wie augenscheinlich: mehr als 1400 Tote, tausende Verletzte - davon vor allem unbeteiligte Zivilsten -, weite Teile des Gaza-Streifens liegen in Trümmern, in einigen der Ruinen schwelen noch die Überreste der von den israelischen Aggressoren abgefeuerten Phosphorgranaten, es mangelt an allem: Medikamente, Nahrungsmittel, medizinische Ausrüstungsmaterialen sowie alles, was zum Wiederaufbau von Gebäuden und Infrastruktur notwendig geworden ist. Forderungen nach einer systematischen Untersuchung der zahlreichen israelischen Kriegsverbrechen[2] werden unterdrückt.

Und immer noch ist der Gaza-Streifen ein großes Gefängnis, abgeriegelt, unter totaler Kontrolle, zugelassen wird gerade einmal genug, um nicht zu sterben, aber zu wenig, um zu leben. An Wiederaufbau ist dabei kaum zu denken...

Die Gefängniswärter sitzen dabei in trauter Eintracht in Tel Aviv und Kairo.

Auch in den Kriegszielen waren sich bereits der Aggressor Israel wie auch das mit ihm verbündete reaktionäre, pro-imperialistische Mubarak-Regime einig; nach rund 18 Monaten totaler Blockade, die den Gaza-Streifen zu einem Ghetto degradierte, sollte mit Bomben, Granaten, Raketen und Massakern das erreicht werden, was die Blockade nicht vermocht hatte: dem palästinensischen Widerstand gegen Besatzung und imperialistische Neuordnung Palästinas wie der gesamten Region das Rückgrat zu brechen. Dies ist jetzt nicht gelungen wie auch nicht mit der israelisch-zionistischen Aggression gegen den Libanon 2006. Deshalb ist der jetzige Waffenstillstand brüchig, droht jederzeit ein neuer Waffengang gegen Gaza, aber auch Aggressionen gegen den Libanon, Syrien oder den Iran. Mit allen Mitteln trachten der Imperialismus und das mit ihm strategisch verbündete zionistische Regime in Israel nach einer ihren strategischen Vorstellungen entsprechenden Neuordnung der Region.

Deshalb werden auch Nahrungsmittel, Medizin oder Wiederaufbaumaterialien zu Waffen im antiimperialistischen Kampf. Viel wurde inzwischen versprochen - von internationalen Hilfsorganisationen, arabischen Regimes, europäischen Staaten und sogar den USA, aber ausnahmslos verknüpft an Bedingungen, die praktisch drauf hinauslaufen, die militärisch nicht erreichten Kriegsziele auf diesem Weg durchzusetzen: keine bedingungslose Aufhebung der Blockade des Gaza-Streifens, ausländische und anhaltende israelische Kontrolle der Übergänge in den Gaza-Streifen, keine direkte Einbeziehung der betroffenen Bevölkerung, sondern Ersetzung der palästinensischen Widerstandskräfte durch Kollaborateure. Und trotz all dieser letztlich für die Palästinenser unannehmbaren Bedingungen setzt das israelische Regime immer noch eine drauf.

Gerade hier und jetzt, gegen diese imperialistische Strategie, muss konsequente anti-imperialistische Solidarität mit dem palästinensischen Volk ansetzen. Deshalb entsteht gerade eine Initiative gemeinsam mit Freunden aus dem Libanon, um Hilfsgüter direkt in den Gaza-Streifen, unter Ausschaltung oder Umgehung imperialistischer Bedingungen, zu schicken. Sie wird deshalb unter maximaler und flexibler Ausnutzung vorhandener Möglichkeiten vor Ort bzw. in der Region direkt an betroffene Menschen im Gaza-Streifen verteilt werden. Über nähere Einzelheiten werden wir sehr bald berichten können, aber wir können helfen, diese Initiative noch schneller zu entwickeln, stabiler zu machen, und fragen Euch deshalb:

- Wer kann einen Lagerraum oder Lagerräume zur Verfügung stellen (am besten in den Regionen Bremen und/oder Frankfurt/M)?

- Wer ist bereit, konkrete logistische Hilfe zu leisten (packen, Fahrdienste etc.)?

- Wer hat Möglichkeiten, regelmäßig Medizin oder medizinische Geräte zu sammeln?

- Wer ist in der Lage, regelmäßig zu spenden (Spenden werden steuerabzugsfähig sein)?

- Wer möchte auf andere Weise helfen oder mitmachen?

Bitte wendet Euch deshalb an uns:

Redaktion offen-siv, Egerweg 8, 30559 Hannover,
Tel.u.Fax: 0511 - 52 94 782, Mail: redaktion@offen-siv.com

Wir zählen auf Euch!
Redaktion offen-siv, Hannover


Anmerkung

[2] Nachman Abramovic, der Sprecher der Israelische "Verteidigungs"streitkräfte IDF auf einer Pressekonferenz am 11. Januar 2009 vor ausländischen Pressevertretern: Palästinensische Kinder "können jung für Sie aussehen, aber diese Menschen sind im Herzen Teroristen. Schauen Sie nicht in deren trügerisch unschuldige Gesichter, versuchen Sie, an die Dämonen in jedem von denen zu denken.  ... Ehrliche und moralische Menschen müssten unterscheiden können zwischen echten Menschen und menschlichen Tieren. Wir töten menschliche Tiere, und wir machen das so, ohne um den heißen Brei herumreden zu müssen." (zitiert nach: junge Welt. 30. Januar 2009, S. 7)

Raute

BEIRUT INTERNATIONAL FORUM 16.-18.1.09[3]

Andreas Wand: Internationale antiimperialistische Konferenz in Beirut

Auf Initiative des "Consultative Center for Studies and Documentation" in Beirut und in Kooperation mit dem "National Gathering to Support the Choice of Resistance in Lebanon", der "International Campaign against American and Zionist Occupation" (Kairo-Konferenz), des "International Anti-Imperialist and People's Solidarity Forum" (Calcutta-Konferenz) und der "Stop War Campaign" (London) fand das "Beirut International Forum for Resistance, Anti-Imperialism, Solidarity between Peoples, and Alternatives" im UNESCO-Palast in Beirut am 16., 17. und 18. Januar 2009 statt. Es waren etwa 450 Teilnehmer/innen aus 66 Ländern anwesend.

Man sieht: Initiatoren und Unterstützer waren eine Vielzahl libanesischer und internationaler Organisationen unterschiedlicher Orientierung, deren gemeinsames Ziel die bessere Vernetzung und Koordinierung antiimperialistischer Widerstandskräfte war. Demzufolge befanden sich unter den Teilnehmern Personen mit den verschiedensten ideologischen Hintergründen wie etwa Leninisten, Linke, Globalisierungskritiker und Vertreter islamischer Organisationen. Trotz der natürlich vorhandenen Differenzen war der Charakter der Veranstaltung sehr konstruktiv.

Da die Konferenz von der durchaus nicht themenfremden Aggression Israels gegen Gaza überschattet wurde, markierte eine Solidaritätsbekundung der Teilnehmer mit dem Widerstand den Beginn der Konferenz.

In den Workshops der nächsten zwei Tage wurden die unterschiedlichsten Aspekte antiimperialistischer Aktivitäten behandelt. Themenschwerpunkt war, wie antiimperialistische und antikoloniale Kämpfe wirksam unterstützt werden können, welche politischen Alternativen es zur "Diktatur des Marktes" gibt, welche Hindernisse zum Aufbau wirksamer Solidaritätsbewegungen beseitigt werden müssen und welche Möglichkeiten Medien und Parlamente dazu bieten.

Das wichtigste Ergebnis dieser Konferenz ist - abseits der konkreten Antworten auf einzelne Fragen - wohl das von ihr ausgehende Signal, daß die durchaus heterogen zusammengestellte Teilnehmerschaft, unter der sich Mitglieder der Friedensbewegung über sämtliche Schattierungen der Linken, ebenso Kommunisten und auch Vertreter des politischen Islam befanden, im Antiimperialismus eine gemeinsame Basis finden - und darauf aufgebaut werden konnte. Unter dem Eindruck der gerade stattfindenden israelischen Aggression gegen Gaza war es unter anderem der Vertreter von Hezbollah, welcher, darin auch für manche Kommunisten in Fragen der Bündnispolitik beispielhaft, mit den Worten, daß es wie zu Zeiten des Kalten Krieges zuallererst darauf ankäme, sich entweder im Lager des Imperialismus oder dem seiner Gegner wiederzufinden, den säkularen Kräften die Hand reichte. Der weitere Verlauf der Konferenz zeigte dann auch, daß die Gemeinsamkeiten der Teilnehmer über ein reines Zweckbündnis gegenüber einem aus unterschiedlichen ideologischen Motivationen heraus bekämpften gemeinsamen Feindes hinausgingen. Es ging um wesentlich mehr als nur eine Verurteilung des US-Imperialismus und Zionismus und Solidarität mit Widerstandskräften.

Wie die Veranstaltungsbezeichnung als u.a. Forum für Alternativen bereits vage andeutete, war grundsätzliche Kapitalismuskritik in unterschiedlicher Form einer der Hauptschwerpunkte. Diese äußerte sich etwa in Referaten über die ökonomischen Ursachen von imperialistischen Aggressionen und Diskussionen über den strukturellen Charakter der Weltwirtschaftskrise sowie sozialistische Alternativen zur bestehenden Ordnung. Daß diese Debatten mit den Standpunkten des Marxismus-Leninismus und seiner Begriffe natürlich nicht komplett übereinstimmen und natürlich anfechtbar wären ist hier weit weniger bedeutsam als die Tatsache, daß diese Diskussionen von Organisationen und Personen, die nicht aus der kommunistischen Bewegung kommen, gewollt und -verhältnismäßig klar und konsequent - geführt werden. Diese Entwicklung zeigt, daß die Basis für eine Zusammenarbeit größer ist als ein vager und nur auf die militärische Komponente reduzierter Antiimperialismus.

Den Abschluss der Konferenz bildete eine Erklärung mit einem gemeinsamen Feststellungs- und Forderungskatalog der Teilnehmer. Einige der wichtigsten Punkte davon sind:

- Die Menschen haben ein Recht auf Widerstand gegen die ihnen aufgezwungene imperialistische Weltordnung.

- Der Kampf gegen Imperialismus und Kolonialismus kann nur zusammen mit dem Kampf gegen den Kapitalismus geführt werden.

- Die Unterstützung des Widerstands gegen die Besatzung in Irak und Afghanistan.

- Die Unterstützung für sowohl den palästinensischen wie den libanesischen Widerstand gegen die israelische Besatzung.

- Die Unterstützung von Hugo Chavez und Evo Morales in ihrem Kampf gegen die Einmischung des US-Imperialismus in Südamerika.

- Bekämpfung US-amerikanischer Versuche internationale und humanitäre Gesetze unter dem Vorwand des Kriegs gegen den Terror auszuhöhlen.

- Aufhebung des Embargos gegen Kuba und Freilassung aller kubanischen politischen Gefangenen in den USA.

- Einsatz strenger Sanktionen gegen den Staat Israel, insbesondere Abbruch der diplomatischen Beziehungen sowie ein Verbot von Waffenlieferungen an Israel.

- Aufruf, die "Beirut International Forum" zu einer festen, in regelmäßigen Abständen tagenden Institution zu machen.

Andreas Wand, Berlin

Anmerkung

[3] "Beirut International Forum for Resistance, Anti-Imperialism, Peoples' Solidarity, and Alternatives"

Raute

Robert Medernach: Vom Willen zum Entschluss Impressionen zur anti-imperialistischen Einheit anlässlich des "Beiruter Forums".

Als ich nach dreiwöchigem Aufenthalt in Belarus am 14. Januar von Luxemburg nach Beirut zum "Anti-imperialistischen Forum" flog, hatte sich sowohl in Weißrussland als auch in Luxemburg die emotionale Empörung über das Massaker der israelischen Vernichtungstruppen an der Zivilbevölkerung und am Widerstand des palästinensischen Volkes längst in politische Einsicht verwandelt: die überwiegende Mehrheit der Menschen in Belarus, wie in Luxemburg, definierte die hasserfüllten extremistischen Angriffe der zionistischen Militärmaschinerie bereits offen und allgemein als "Völkermord", daran änderte auch der staatsfromme Tenor in den gleichgeschalteten Bourgoismedien selbst im Großherzogtum nichts mehr.

Ich flog also mit großen Erwartungen nach Beirut und hoffte, dort die für die Solidarität so notwendige Einheit aller genuin und ehrlichen anti-imperialistischen Kräfte vorzufinden, eine Einheit, die das tapfere Volk von Palästina angesichts der offenen Vernichtungsangriffe der zionistischen Völkermörder und ihrer US- und EU-Hintermänner gerade in diesem Moment so dringend bedurfte.

Nach diesem Forum kann ich mit Erleichterung und neuer Zuversicht sagen: ich wurde nicht enttäuscht. In der Tat habe ich bislang kaum ein internationales anti-imperialistisches Treffen erlebt, auf dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich so ihrer Verantwortung und der Ernsthaftigkeit der Lage bewusst waren wie in Beirut. Unabhängig von den religiösen, philosophischen, ideologischen, politischen und sozio-kulturellen Ursprüngen, Bekenntnissen und Überzeugungen haben sich in Beirut Kommunisten, Sozialisten, bürgerliche Linke, Wertkonservative, religiöse Menschen aller Bekenntnisse und Konfessionen, Vertreter verschiedenster Kulturen, Zivilisationen und Traditionen so einmütig über die derzeitige Lage, die Hintergründe und vor allem die einheitliche Haltung, die es gilt zu diesen unmenschlichen Aggressionen gegen ein ganzes Volk einzunehmen, ins Einverständnis setzen zu können wie auf diesem "Beiruter Forum".

Einigkeit herrschte nicht nur in Bezug auf die Analyse der israelischen Aggression, der Natur dieses feigen Vernichtungsfeldzuges und des imperialistischen und menschenverachtenden Charakters des zionistischen Apartheitsstaates, sondern auch und vor allem in Bezug auf die bedingungslose und einheitliche Solidarität, die es mit dem Volk und dem Widerstand wie mit dessen Hauptkraft Hamas unter Beweis zu stellen nun gilt.

Dieses Forum war in der Tat ein Forum der Einheit aller wahrhaft anti-imperialistischen Kräfte, unabhängig von deren ideologischem und politischem jeweiligen Selbstverständnis. Dieses Forum stellte in jeder Hinsicht einen wichtigen Schritt zur weltweiten anti-imperialistischen Einheit verschiedenster Kräfte und Strömungen dar. Auf die genaue politische Analyse dieses Forums und den taktischen und strategischen Schlussfolgerungen wird in den nächsten Nummern der offen-siv ausführlicher einzugehen sein.

Robert Medernach, Luxemburg

Raute

KOMMUNISTISCHE INITIATIVE

Aufruf der Kommunistischen Initiative Deutschland: Solidarität mit Palästina!

Israel hat den Gaza-Streifen militärisch angegriffen. Damit hat die israelische Regierung bewusst und mit strategischem Kalkül eine Entwicklung eskaliert, die sie bereits seit 18 Monaten gefährlich zugespitzt hatte, als sie mit einer systematischen Embargopolitik den Gazastreifen in ein großes Gefängnis ohne ausreichende Versorgung in allen Bereichen, einer zusammenbrechenden Wirtschaftsstruktur und mit immer komplizierter werdenden Verbindungen nach draußen verwandelte. Zudem setzte das zionistische Regime nahezu ununterbrochen die gezielten Ermordungen palästinensischer Widerstandskämpfer fort.

Die jetzige militärische Aggression ist die Fortsetzung der Strategie des zionistischen Regimes, die darauf abzielt, dem anhaltenden palästinensischen Widerstand gegen Besatzung, Unterdrückung und Terror das Rückgrat zu brechen. Diese Strategie ist Teil einer Gesamtkonzeption zur pro-imperialistischen Neuordnung der Region des Nahen und Mittleren Ostens, dessen Kernelement die Ausschaltung besonders der Widerstandskräfte in Palästina, dem Irak und Libanon ist. Dies bedeutet auch, dass Iran, der Libanon und auch Syrien von direkter militärischer Aggression ebenfalls bedroht sind, komme sie nun aus Israel, den USA oder beiden. Das ist auch der Grund für die feste Unterstützung des BRD-Imperialismus für seinen Verbündeten in Tel Aviv und seine militärische Terror- und Aggressionspolitik.

Die brutale militärische Aggression gegen die Menschen im Gaza-Streifen hat zu einer ungeheuren humanitären Katastrophe geführt, die mit jedem neuen Massaker an der Zivilbevölkerung neue Dimensionen annimmt.

Wir rufen daher die demokratischen und fortschrittlichen Kräfte der BRD auf:

1) Unterstützt jede Kampagne, jede Demonstration gegen die zionistische Aggression im Gaza-Streifen!

2) Startet eine Kampagne zum Boykott von Waren aus Israel und gegen den BRD-Tourismus nach Israel!

3) Unterstützt die legitimen Forderungen des palästinensischen Volkes für einen eigenen, souveränen Staat mit Jerusalem als Hauptstadt sowie nach dem bedingungslosen Rückkehrrecht für alle palästinensischen Flüchtlinge!

4) Unterstützt das uneingeschränkte Recht des palästinensischen Volkes auf Widerstand gegen Besatzung und Terror!

5) Fordert ein Ende der bedingungslosen Unterstützung des zionistischen Besatzungsregimes durch den BRD-Imperialismus!

6) Beginnt damit, humanitäre (Medikamente, medizinische Ausrüstungsgegenstände etc.) und andere materielle Unterstützung für das palästinensische Volk zu sammeln (bitte kontaktiert uns in diesem Zusammenhang zwecks Koordinierung direkt!)

Vorläufiges Organisationskomitee der Kommunistischen Initiative in Deutschland, 10.01.09

Raute

Kommunistische Initiative Deutschland: Bedingungslose Solidarität mit den Palästinensern JETZT!

Derzeit herrscht ein brüchiger Waffenstillstand im Gaza-Streifen, der immer wieder von gezielten israelischen Angriffen durchbrochen wird. Jederzeit droht diese Situation in einen neuen Waffengang gegen das palästinensische Volk umzuschlagen. Der Gaza-Streifen ist ein großes Gefängnis geblieben, das inzwischen in weiten Teilen in Trümmern liegt. Die palästinensische Bevölkerung unterliegt weiterhin einer umfassenden Blockade, die ihm zu viel zum Sterben, zu wenig zum Leben lässt. Hinzu kommen über 1400 Tote und mehrere tausend Verletzte, vor allem Frauen, Kinder, Alte. Hilfslieferungen und Wiederaufbauleistungen werden von der so genannten internationalen Gemeinschaft wie auch von reaktionären arabischen Regimes an Bedingungen geknüpft, die auf eine Durchsetzung der gescheiterten Kriegsziele mit anderen Mitteln hinauslaufen: ein Zerbrechen des palästinensischen Widerstandes als integraler Bestandteil einer umfassenden imperialistischen Neuordnung der gesamten Region des Nahen Ostens. Dabei spielt das zionistische Regime in Israel den hochgerüsteten Gendarmen des Imperialismus in der Region. Die israelisch-zionistische Aggression gegen den Gaza-Streifen reiht sich deshalb nahtlos ein in die imperialistische Aggression gegen den und die Besetzung des Irak 2003, die Besetzung Afghanistans seit 2001 oder den Aggressionskrieg gegen den Libanon im Jahr 2006. Weitere Aggressionen, zum Beispiel gegen den Libanon, den Iran oder Syrien drohen...

Vor diesem Hintergrund kann und darf internationale, anti-imperialistische Solidarität mit den palästinensischen Volks nur bedingungs- und kompromisslos sein. Diese vermissen wir derzeit in der BRD. Viel zu viele Linke üben sich objektiv in Äquidistanz zu den Palästinensern wie auch gleichzeitig zu Israel, können oder wollen sich nicht klar und eindeutig positionieren, verhalten sich passiv-defensiv, projizieren eigene, kleinbürgerlich-eurozentristische Positionen oder Träume auf die Region des Nahen Osten oder haben sich in eine Art Wartestellung zurückgezogen. All dies hat nichts mit anti-imperialistischer, internationaler Solidarität zu tun.

Wir fordern gerade deshalb von Linken, insbesondere von solchen, die sich als Kommunisten verstehen, eine konsequente, bedingungslose, anti-imperialistische Solidarität auch mit dem palästinensischen Volk. Wir werden deshalb in diesem Sinne jede Initiative unterstützen, die aus unserer Sicht folgende Grundbedingungen erfüllt:

Diese Solidarität mit dem palästinensischen Volk unterstützt seinen Widerstandkampf in ALL seinen Formen gegen Besatzung und Unterdrückung für einen eigenen Staat mit Jerusalem als Hauptstadt und einem uneingeschränkten Rückkehrrecht für alle Flüchtlinge! Sie begreift sich deshalb auch als Solidarität gegen die imperialistischen Pläne zur Neuordnung der gesamten Region des Nahen und Mittleren Ostens, in der auch weitere Aggressionskriege zum Beispiel gegen den Libanon, Syrien oder den Iran drohen!

Diese Solidarität knüpft humanitäre, materielle oder politische Hilfe und Unterstützung an keinerlei Bedingungen!

Diese Solidarität sucht nach flexiblen Wegen, um gegebenenfalls mit Partnern aus der Region logistische Netzwerke aufzubauen oder zu nutzen, die gewährleisten, dass die Hilfe direkt bei den Betroffenen ankommt und nicht direkt oder indirekt an Strukturen gebunden ist, die objektiv Teil des imperialistisch-zionistisch-israelischen Projektes sind, den Widerstand des palästinensischen Volkes mit anderen Mitteln zu brechen und durch Kollaborateure zu ersetzen!

Diese Solidarität begreift sich bewusst als internationale, anti-imperialistische Solidarität und reiht sich daher konsequent in die entsprechende internationale Solidaritätsbewegung ein!

Vorläufiges Organisationskomitee der Kommunistischen Initiative in Deutschland, 01.02.09

Raute

REPUBLICAN SINN FÉIN AN DER SEITE PALÄSTINAS

Des Dalton: Irlands Rolle im Kampf gegen den Imperialismus

Die folgende Rede wurde von Des Dalton, Vize-Präsident von Republican Sinn Féin, auf der Gründungsveranstaltung der North-West Solidarity Campaign am 17. Oktober 2008 in Manorhamilton, Co. Leitreim, gehalten. Die NWSC ist eine Palästina-Solidaritätsgruppe, aktiv in den Provinzen Connacht und Ulster.

Der irische Republikanismus war in seinem Ursprung, wie in seiner Weltanschauung immer internationalistisch. Er entstand selbst aus einer Tradition, die im späten 18. Jahrhundert von den progressivsten Teilen der revolutionären Bewegung in den USA, besonders von Thomas Paine und seiner Schrift Die Menschenrechte, verkörpert wurde. Es war schließlich der Funke der Französischen Revolution von 1789, der das Feuer des revolutionären Republikanismus in Irland entfachte. Die revolutionäre Regierung Frankreichs wurde um Hilfe für einen Aufstand in Irland gebeten. [Der Gründungsvater des irischen Republikanismus] Theobald Wolfe Tone und die anderen Kader der Society of United Irishmen (dt.: Gesellschaft der vereinten Iren, Anm. IRC) sahen Irlands Krieg gegen England als Teil der revolutionären Welle, die damals über Europa hinwegfegte.

Diese irischen Republikanerinnen und Republikaner suchten nicht nur finanzielle und militärische Hilfe von außerhalb für ihren Kampf zu Hause, sondern sie nahmen mit sich die Ideen und die Inspiration der internationalen, revolutionären Gesinnung. So wurde Irlands Nationalfahne von der französischen tricolore beeinflusst oder nehmen wir die Bewegung der Young Irelanders (dt.: Jungiren, Anm. IRC). Als sie nach der Niederschlagung des Aufstand 1848 nach Frankreich flohen, kamen sie dort mit [revolutionär-demokratischen] Ideen in Kontakt, die sie entscheidend prägen sollten. Dieser Einfluss findet sich [über ein Jahrzehnt später] in den Schriften und Programmen der Fenier-Bewegung wieder.

Der irische Unabhängigkeitskampf hatte immer einen sichtbaren Platz im internationalen, anti-kolonialen Kampf. Er beeinflusste selbst wieder Revolutionärinnen, Revolutionäre und deren Bewegungen auf der ganzen Welt. So prägten die Schriften und der heldenhafte Tod von Terence MacSwiney weltweit Revolutionärinnen und Revolutionäre, wie Mahatma Ghandi in Indien.

Seine gesammelten Schriften [unter dem Titel] Prinzipien der Freiheit wurden 1922 in Madras (Indien, Anm. IRC) auf Englisch veröffentlicht und bis 1944 in diverse indische Dialekte übersetzt. Ägyptische Nationalistinnen und Nationalisten errichteten ein gewaltiges Porträt von ihm am Ufer des Nils, während der vietnamesische Revolutionär Ho Chi Minh seine Arbeit als Tellerwäscher in einem Londoner Hotel verließ, um an der Beerdigung von MacSwiney teilzunehmen.

Sechzig Jahre später inspirierten die Hungerstreikenden in den H-Blocks von Long Kesh und, vor allem der Tod von Bobby Sands, Proteste und Massendemonstrationen auf der ganzen Welt. Straßen wurden zu seinen Ehren umbenannt, in Paris und noch bemerkenswerter in Teheran, wo die Straße, in der sich die britische Botschaft befindet, nun Bobby Sands-Straße heißt. In den 1920er Jahren verboten die Briten die Schriften von Padraig Pearse, so groß war die Furcht vor dem Einfluss, den sie haben könnten. In den 1950ern kamen irisch-republikanische Gefangene in britischen Gefängnissen durch Mitgefangenschaft in Kontakt mit der Befreiungsbewegung EOKA, die zu dieser Zeit in Kämpfe gegen die britische Besatzung Zyperns verstrickt war.

Im Vorwort seines kürzlich veröffentlichten Buchs über diese faszinierende Epoche revolutionärer Geschichte betont Vias Livadas die Wichtigkeit der Bande, die dort zwischen britischen Gefängnismauern geknüpft wurden: "Ich werde zeigen, dass die EOKA und die IRA nicht einfach nur 'interne Probleme' der jeweiligen Länder waren, sondern Teil einer größeren revolutionären Anstrengung unter den internationalen Befreiungsbewegungen." Und er fährt fort: "Diese (Bande) sind nicht nur gewöhnliche Bekanntschaften, sondern langwährige, tiefe Freundschaften, die auf dem soliden Fundament gemeinsamer Ziele, ideologischer Überzeugungen und aufrichtiger Sorge um menschliche Werte überall aufbauen."

Die irisch-republikanische Weltsicht war schon immer geprägt von Solidarität mit dem antikolonialen und antifaschistischen Kampf. Wir haben stets gegen jede Form von irischer Beteiligung in imperialistischen Eroberungskriegen protestiert, angefangen von den Burenkriegen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Während des I. Weltkrieges beschrieb James Connolly die Teilnahme an diesem Krieg als: "Das Abschlachten unserer Genossen im Ausland auf Befehl unserer Feinde daheim." Die, die kämpfen wollten, rief er auf: "Wenn ihr ein Gewehr schultern wollt, macht es für Irland!"

1991 waren Republican Sinn Fein die ersten, die gegen die Nutzung des Flughafens Shannon durch US-Kampfflugzeuge im Golfkrieg protestierten. Wir haben unseren Platz in der Anti-Kriegs-Bewegung gefunden, indem wir gegen diesen eklatanten Bruch irischer Neutralität durch die Dublin-Administration protestieren, mit dem die illegalen anglo-amerikanischen Angriffe und der Besatzungen Afghanistans und Iraks unterstützt wurden.

Unsere Solidarität hat Republikanerinnen und Republikaner mit nationalen Befreiungsbewegungen aus der ganzen Welt in Kontakt gebracht. In den 1970er Jahren wurden Verbindungen ins Baskenland, nach Katalonien, Korsika und anderen Ländern geknüpft. Und natürlich gibt es auch Beziehungen zu unseren keltischen Schwesternationen Schottland, Wales, Cornwall und der Bretagne. Das Ziel einer Liga freier und unabhängiger keltischer Staaten ist eines, das auch irische Republikanerinnen und Republikaner zu erreichen hoffen.

Das palästinensische Volk hat Jahrhunderte lang unter dem Joch des Imperialismus gelitten, auch sie haben den Preis britischer Verlogenheit erfahren. Die Situation im Nahen Osten noch weiter verkomplizierend, versprachen die Briten ihnen nationale Unabhängigkeit, wenn sie sich gegen das Osmanische Reich erhöben. Zugleich versprachen die Briten 1917 in der berüchtigten Balfour-Erklärung dem jüdischen Volk ihren eigenen Staat. Arthur Balfour war in Irland nur allzu gut bekannt. Als Chief Secretary wurde er bekannt für seine "ständige und außerordentlich brutale Gewaltanwendung" während der Land Wars in den 1880er Jahre. Der Ruf des Bloody Balfour (dt.: der blutige Balfour, Anm. IRC) wurde in den Augen der Menschen in Irland zementiert, nachdem im Mitchelstown Massacre im September 1887 drei Menschen von der Royal Irish Constabulary (die berüchtigte bristische Kolonialpolizei in Irland, die sich heute RUC und PSNI nennt, Anm. IRC) erschossen wurden.

Über die nächsten 90 Jahre [nach der Balfour-Erklärung] wurden die Palästinenserinnen und Palästinenser Opfer von Krieg, Vertreibung und Exil. Ihre Existenz als Volk und Nation wurde geleugnet. Die israelische Premierministerin Golda Meir sagte: "Es ist nicht so, als hätte es ein palästinensisches Volk in Palästina gegeben, das sich als Palästinenser betrachtet und wir wären gekommen und hätten sie vertrieben. Sie existierten nicht." Unter dem Schutz der USA begann Israel etwas, was nur als ein totaler Krieg gegen die gesamte Bevölkerung beschrieben werden kann, der tausende von Männern, Frauen und Kindern das Leben gekostet hat.

Über die Jahre hat Israel durch den Ausbau illegaler Siedlungen mehr und mehr des palästinensischen Staatsgebiets geraubt. Die Absicht dabei ist natürlich, einen unabhängigen, lebensfähigen Palästinenserstaat unmöglich zu machen bzw. ihn auf den Status eines Reservats oder eines abhängigen Gebietes zu reduzieren. Heute gehören auch die erzwungene Teilung des palästinensischen Staats durch die Abriegelung von Gaza und dem Westjordanland, sowie der Versuch, einen Keil zwischen die Palästinenserinnen und Palästinenser zu treiben, zu dieser Strategie. Die Bevölkerung des Gaza-Streifens ist dadurch de facto interniert und der grundlegendsten Versorgung, wie sauberem Wasser, Stromversorgung, Medikamenten oder medizinischen Geräten, beraubt. Die Lage im Gazastreifen ist nichts weniger als ein Kriegsverbrechen und eine groteske Missachtung der Menschenrechte.

Seit den frühen 1970ern haben Republican Sinn Féin und die Republikanische Bewegung sich stets aktiv für die Unterstützung des Rechtes des palästinensischen Volkes auf Eigenstaatlichkeit eingesetzt. Im Rahmen des ersten Weltsiedlungsgipfel der Vereinten Nationen, genannt HABITAT, im Mai/Juni 1976 in Vancouver (Kanada) trafen führende Republikanerinnen und Republikaner wie [der Präsident von Republican Sinn Féin] Ruairí O Brádaigh und Sean Keenan mit Vertretern nationaler Befreiungsbewegungen aus der ganzen Welt zusammen. In Diskussionen mit Vertretern der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) machte diese deutlich, dass ihre Wunschlösung ein gemeinsamer Staat für Menschen aller Konfessionen und Glaubensrichtungen sei, ein unabhängiger und lebensfähiger Palästinenserstaat aber die einzige Basis für eine erreichbare und dauerhafte Lösung des Konfliktes sei.

Im Mai 2008 reisten Mitglieder von Republican Sinn Féin nach Palästina. Ziel dieser Reise war, die Verhältnisse vor Ort aus erster Hand zu erleben und in Irland darüber informieren, das ergänzend zu der Arbeit der Ireland Palestine Solidarity Campaign. Aber der Besuch war auch ein Akt der Solidarität mit einem Volk und einer Nation, die wie Irland noch immer unter Besatzung und Teilung leidet.

Während auf internationaler Ebene jede Nation ihre eigene Geschichte und jede politische Situation ihre eigenen spezifischen Umstände aufweist, haben doch gewisse grundlegende Regeln stets Gültigkeit:

1. Das Recht eines Volkes auf nationale Unabhängigkeit.

2. Das Recht eines Volkes, gegen die Besatzung seines Staatsgebietes bewaffneten Widerstand zu leisten und sein Recht auf nationale Selbstbestimmung zu verteidigen.

3. Das Recht eines Volkes, seine kulturellen und sprachlichen Rechte zu schützen.

4. Das Recht jeder Nation, eine Politik der Neutralität zu formulieren und zu verfolgen, unabhängig von "Machtblöcken" oder "Einflusssphären".

In der Zustimmung und der Unterstützung dieser Prinzipien liegt die Basis des wahren Internationalismus.

In Irland leiden wir heute immer noch unter der Teilung und britischen Besatzung. Die Abkommen von Stormont und St. Andrews haben die Mechanismen britischer Herrschaft lediglich erneuert und restrukturiert, ließen aber die Hauptursache für Krieg und Konflikt in unserem Land unangetastet: die britische Besatzung und die Teilung. Dieses Problem kann nur durch den britischen Abzug aus Irland gelöst werden Denn nur so wird es den Menschen in Irland möglich sein, als eine Einheit zu handeln und ihre Zukunft als unabhängige Nation zu bestimmen. Aber der Kampf wäre dann [an diesem Punkt auch] noch nicht zu Ende. Wie James Connolly glauben wir, das Irland ohne seine Menschen nichts bedeutet. Deshalb sind Republikanerinnen und Republikaner auch in der Gewerkschaftsbewegung aktiv, wo sie für gerechte Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen für alle Arbeiterinnen und Arbeiter kämpfen. Sie sind gegen die Nutzung irischer Flughäfen und irischen Luftraums durch US-amerikanische Kampfflugzeuge für den Krieg gegen die Menschen im Irak und Afghanistan. Und gegen die Schaffung eines undemokratischen und militarisierten EU-Superstaates. Die Ablehnung des Lissabon-Vertrags war ein Sieg, doch der Krieg ist noch nicht vorüber. Wir müssen jeden Versuch der politischen Eliten - sowohl daheim als auch in Brüssel - verhindern, das irische Volk auf Umwegen in einen EU-Superstaat zu manövrieren. Soll 100 Jahre nach dem 1. Weltkrieg eine weitere Generation von Irinnen und Iren auf fernen Schlachtfeldern geopfert werden, um den Interessen des europäischen Kapitalismus und Imperialismus zu dienen?

Der Kampf um ein freies Irland schließt auch mit ein, Seite an Seite mit den Menschen von Rosspost und Erris zu stehen und mit ihnen gegen den Diebstahl unserer natürlichen Ressourcen durch den globalen Kapitalismus, unterstützt durch die Dublin-Administration, zu kämpfen. Wir verneigen uns vor den Aktionen von Maura Harrington und ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern zur Verteidigung der Rechte des gesamten irischen Volkes auf den Besitz unserer natürlichen Ressourcen.

Wie Maura am Ende ihres zehntägigen Hungerstreiks sagte: "Corrib bleibt ein nationales Anliegen, weil die Regierung noch immer die Profite von Shell über die Bedürfnisse des irischen Volkes stellt. (...) Bis wir, das Volk, von dem profitieren, was rechtmäßig uns gehört, ist jeder Versuch von Shell und der Regierung, sich aus der Verantwortung für das Corrib-Fiasko zu stehlen, zum scheitern verurteilt. (...) Ich glaube, das die Shell to Sea-Kampagne all jenen Hoffnung gibt, die sich ein Irland wünschen, das all seine Menschen für gleich wichtig erachtet und Werte vertritt, an die man kein Preisschild hängen kann." Für Menschen wie Maura Harrington sind die Worte der Proklamation von 1916 nicht nur eine wage Hoffnung, sondern eine Aufforderung, zu handeln und sie zu realisieren.

Kürzlich schrieb Noam Chomsky in der New York Times über das herbeiführen radikalen Wandels: "Über Jahrhunderte wurde progressive Gesetzgebung und soziale Sicherheit konstant durch den Kampf des Volkes gewonnen, nicht durch Geschenke der Obrigkeit."

Die neo-liberale Agenda, die von [der größten konservativen Partei Irlands] Fianna Fail so konsequent verfolgt wird und die so gut wie nicht mehr existenten [rechts-liberalen] Progressiv Democrats (PD) sehen Menschen als Speichen in den Rädern der Wirtschaft, anstatt das sie denken, die Wirtschaft sollte die Bedürfnisse der Gesellschaft stillen, indem sie die Menschen mit einem Einkommen, Wohnraum, Schulen, Krankenhäusern und Sozialleistungen versorgt, die ihnen ein würdiges Leben ermöglichen. Im neuen Haushalt der 26-County-Verwaltung, werden die am schwersten belastet, die vom sogenannten Celtic Tiger (dt.: Keltischer Tiger, Anm. IRC) am wenigsten profitiert haben, während die, die am meisten profitiert haben, am wenigsten belastet werden. Die neo-liberale Wirtschaftsstrategie der Dublin-Administration, kombiniert mit der intimen Beziehung zu Investoren und Banken führte zu einem hemmungslosen Streben nach leicht erhältlichen Krediten, enormer Verschuldung und riesiger Profite für eine Minderheit. Nun, da dieses Kartenhaus zusammengestürzt ist, wird das Geld der Steuerzahler verwendet, um den Banken aus der Klemme zu helfen, ohne jede Kontrolle, und es sind die Werktätigen, die die Zeche zahlen müssen.

Republican Sinn Fein's Vision, wie sie in unserem Sozial- und Wirtschaftsprogramm Saol Nua und unserem Programm zur maximalen Umverteilung der Macht und der politischen Entscheidungsgewalt zugunsten des Volkes, Éire Nua, beschrieben wird, ist ein Neues Irland. Eines mit echter politischer und wirtschaftlicher Demokratie, eine reale demokratisch-sozialistische Republik.

Unsere Definition einer gesamt-irischen Republik wäre jene, wie sie von James Connolly, gegeben wurde: "Von solch einem Charakter [wäre die irische Republik], dass die bloße Nennung ihres Namens ein Leuchtfeuer für die Unterdrückten aller Länder bedeuten würde (...), die irische Republik könnte ein Begriff werden, mit dem sich wunderbares vollbringen lässt, ein Sammelpunkt für die Benachteiligten, ein sicherer Hafen für die Unterdrückten, ein Ausgangspunkt für den Sozialismus, enthusiastisch für die Sache menschlicher Freiheit." Wahrlich, für eine solche Republik lohnt es sich zu kämpfen.

Republican Sinn Féin
International Relations Bureau in Central Europe
Sinn Feín Poblachtach Roinn Gnóthaí Idirnáisiúnta

Published by the Republican Sinn Féin International Relations Bureau in Central Europe

Raute

RIFONDAZIONE COMUNISTA

Gerhard Feldbauer: Zur Lage in der Kommunistischen Neugründungspartei (Partito della Rifondazione Comunista - PRC) Italiens[4]

Vom 24. bis 27. Juli 2008 tagte der VII. Kongress des PRC, um die Ursachen der Niederlage der sogenannten Regenbogenlinken bei den Parlamentswahlen im April 2008 zu erörtern und neue Leitungsorgane und den Nationalsekretär zu wählen. In einer Atmosphäre erbitterter innerparteilicher Auseinandersetzungen stritten fünf Strömungen unter den 650 Delegierten über die Zukunft der Partei. Das waren die Anhänger Paolo Ferreros; die Fraktion um Fausto Bertinotti (bis zur Parlamentswahl 2006 Sekretär) und Nicola (Nichi) Vendola; die um die Zeitschrift "Ernesto" versammelten Marxisten-Leninisten, zu denen der Philosoph Domenico Losurdo gehört; der Flügel "Essere Comunisti" (Kommunisten sein), der früher zu "Ernesto" gehörte; und die kleine trotzkistisch beeinflusste Gruppe Falce e Martello" (Hammer und Sichel).

Bertinotti, Vendola und ihre Anhänger waren vor dem Parteitag nicht bereit gewesen, eine Korrektur ihrer revisionistischen Linie vorzunehmen. Auf dem Kongress verfolgten sie mit gewissen taktischen Verschleierungen ihre Konzeption der Umwandlung des PRC in eine indifferente Linkspartei, seines Zusammenschlusses mit dem Rest der Linksdemokraten und Grünen, in welcher der PRC als lose Strömung aufgehen sollte. Wie einst 1991 bei der Umwandlung der IKP in die sozialdemokratische Linkspartei (Partito Democratico della Sinistra - PDS) konnte das nur seine faktische Auflösung bedeuten.

Die Debatte verdeutlichte noch einmal, dass die seit Jahren im PRC bestehenden tiefgehenden Meinungsverschiedenheiten zwischen revolutionären und reformistischen Kräften, um den Schein einer Einheit der Partei zu wahren, unter den Teppich gekehrt wurden. Nun zeigten sie sich, der Eruption eines Vulkans gleich, in einem Ausmaß, mit dem kaum gerechnet worden war. Wäre diese Niederlage nicht eingetreten, hätte dieser Prozess sich ohne Zweifel fortgesetzt und nur den Zielen der Revisionisten, die kommunistische Partei zu liquidieren, gedient.


Früherer Turiner Stahlarbeiter an die Spitze des PRC gewählt

Als Wortführer der Revisionisten agierte der von Bertinotti favorisierte Vendola, Präsident von Apulien, einer der noch von einer Mitte-Links-Koalition regierten Regionen (Bundesländern vergleichbar). Im Vorfeld des Parteitages wurde der Bertinotti-Vendola-Fraktion von bürgerlichen Medien lautstark eine Mehrheit vorhergesagt. Bei der Auseinandersetzung über die Resolutionen erreichte Vendola mit 47,5 Prozent für seinen Antrag jedoch nicht die erforderliche Mehrheit. Da die Ferrero-Gruppe für ihre Resolution nur 40 Prozent erhielt, forderte Vendola ultimativ, ihn zum Sekretär zu wählen. Daraufhin trat Paolo Ferrero, früher Leitungsmitglied, gegen ihn an und wurde mit 342 zu 304 Stimmen gewählt. Die opportunistische Politik der Bertinotti-Fraktion erhielt eine Abfuhr.[5]

Der 48jährige Ferrero, ein ehemaliger Turiner Stahlarbeiter bei FIAT, gehörte in seiner Jugend der Democrazia Proletaria - DP (Proletarische Demokratie) an, die aus der aufgelösten legendären antifaschistischen Lotta Continua (Ständiger Kampf) der radikalen Linken hervorging. Tausende ihrer Mitglieder waren Ende der 60er Jahre wegen ihrer Ablehnung der reformistischen Politik der Klassenzusammenarbeit der IKP mit der großbürgerlichen Democrazia Cristiana (Historischer Kompromiss) aus der Partei ausgeschlossen worden oder hatten sie selbst verlassen. Lotta Continua hatte am bewaffneten Kampf teilgenommen, sich 1976 davon losgesagt.[6] Im selben Jahr nahm die DP an den Parlamentswahlen teil und zog mit 1,5 Prozent in die Abgeordnetenkammer ein. Noch 1987 erzielte sie 1,7 Prozent.[7] Die DP lehnte weiterhin den reformistischen Kurs der IKP ab. Nachdem diese 1991 zum sozialdemokratischen PDS mutiert war, beteiligte sie sich an der kommunistischen Neugründung (PRC). Die Herkunft Ferreros bedingt jedoch auch, dass er keine eindeutige kommunistische Identität verkörpert.

Er unterstützte in der Vergangenheit Bertinottis Kurs der Regierungsbeteiligung, hatte im Kabinett Prodis 2006-2008 das Ressort des Sozialministers inne und war Vizepremier. Er war einer der wenigen PRC-Vertreter, die kritische Akzente setzten. Nach der Massendemonstration gegen die USA-Basis in Vincenza in Norditalien im Februar 2007 forderte er vom Regierungschef, "auf Volkes Stimme zu hören". Danach fügte er sich allerdings der von Bertinotti geforderten Fraktionsdisziplin und stimmte für den Verbleib der Truppen in Afghanistan und für weitere Maßnahmen des Sozialabbaus. Auf dem Parteitag setzte er sich kritisch mit der Regierungsbeteiligung auseinander.

Der Parteitag nahm ein von Ferrero eingebrachtes politisches Dokument an, das unter Beibehaltung der Parteisymbole von Hammer und Sichel entschieden eine "Wende nach links" fordert und dazu einen Katalog kämpferischer Maßnahmen und Aktionen vorsieht. Er reicht von der Wiederbelebung des Klassenkampfes für grundlegende soziale und politische Fragen im Rahmen einer entschiedenen Opposition gegen die Regierung Berlusconi über den Aufbau einer breiten Gewerkschaftslinken bis zur Verteidigung der republikanischen Verfassung und ihrer antifaschistischen Wurzeln sowie der Wiedereinbringung der Partei in die Anti-Global- und die Friedensbewegung, in den Kampf gegen die heute weltweit geführten Kriege, gegen die NATO- und gegen alle ausländischen Militärstützpunkte, angefangen bei der USA-Basis in Vincenza und der Forderung nach dem Abzug der italienischen Truppen von allen Kriegsschauplätzen. Ausdrücklich legte dass Dokument fest, dass die Partei zu den kommenden EU-Wahlen auf einer eigenen Liste und unter ihrem eigenen Symbol mit Hammer und Sichel antreten wird. Das Dokument kann unter heutigen Gesichtspunkten als ein antikapitalistisches revolutionäres linkes Programm gewertet werden. Die Tatsache, dass mit der Verharmlosung der Berlusconi-Regierung als eines rechten Zentrums Schluss gemacht und diese als Kabinett der Rechten eingeschätzt wird, lässt hoffen, dass die Partei sich auch einer tiefergehenden Analyse der neuzeitlichen Erscheinungsformen der von der Berlusconi-Regierung ausgehenden faschistischen und rassistischen Gefahren zuwenden wird. Ein Schwachpunkt des Dokuments ist, dass die weltanschaulichen Grundlagen der Partei ausgeklammert werden, noch nicht einmal auf Antonio Gramsci Bezug genommen wird. Das mag dem Kompromisscharakter des Dokumentes geschuldet sein, wird aber ebenso wie die anstehende Auseinandersetzung mit dem vor allem von Bertinotti ausgehenden Opportunismus auf die Dauer nicht ständig vertagt werden können.


Ein Schritt in Richtung kommunistischer Einheit

Der Ferrero-Flügel konnte sich, da er selbst nur etwa 40 Prozent der Delegierten hinter sich hatte, nicht allein gegen die Bertinotti-Vendola-Fraktion durchsetzen. Er erreichte seine Mehrheit von zirka 52 Prozent vor allem nach Absprachen mit den erwähnten Strömungen, die für ihn stimmten, darunter "Ernesto" (acht Prozent) und "Falce e Martello" (3,5 Prozent). Zugunsten von Ferrero wirkte, was in der "Liberazione" tunlichst verschwiegen wurde, in beträchtlichem Maße der Appell der über 100 kommunistischen Persönlichkeiten zur Rettung der traditionsreichen kommunistischen Bewegung Italiens, unter ihnen ihr führender Philosoph, Professor Domenico Losurdo.[8] Er richtete sich an den PRC, den PdCI und alle italienischen Kommunisten, ihre organisierten Ausdrucksformen nicht aufzugeben, sondern einen offenen, auf den Bau eines "gemeinsamen Hauses der Kommunisten" ausgerichteten Prozess der Erneuerung einzuleiten. Der Appell war von der "Liberazione" nicht veröffentlicht worden. "Ernesto", der ihn nach Erscheinen sofort unterstützte, machte ihn jedoch an der Basis bekannt. Oliviero Diliberto, Sekretär des PdCI, der sich 1998 vom PRC abspaltete, übermittelte Ferrero nach dessen Wahl "die besten Wünsche für eine gute Arbeit" und "für eine aktive Zusammenarbeit zwischen beiden Parteien".[9] Schon vor dem Parteitag hatte er die Bereitschaft des PdCI erklärt, sich wieder mit dem PRC zu vereinigen. Der PRC lehnte jedoch auch unter Ferrero bisher einen solchen Schritt ab.

Auch am Beispiel des PdCI zeigt sich die widersprüchliche Situation der kommunistischen Bewegung Italiens. Sein früherer Vorsitzender, Armando Cossutta, langjähriges Politbüromitglied der IKP, stand 1991 an der Spitze der Gründer des PRC. Als der 1998 die zwei Jahre vorher nach dem Wahlsieg der linken Mitte gewährte parlamentarische Unterstützung der damals schon von Romano Prodi geführten Regierung wegen der Teilnahme an der NATO-Aggression gegen Jugoslawien und der Fortsetzung des Sozialabbaus beendete, verließ Cossutta den PRC und gründete den PdCI. Etwa ein Fünftel der damals 130.000 Mitglieder des PRC und etwa ein Drittel der Parlamentarier folgten ihm. Die Cossutta-Partei trat in die Regierung ein, was mit zwei Ministerämtern belohnt wurde. Der PdCI zählt heute schätzungsweise zirka 20.000 Mitglieder. Unter seinem jetzigen Sekretär Diliberto hat er eine kritische Einschätzung der Regierungsbeteiligung 2006-2008 vorgenommen. Die Haltung 1998 wird dagegen öffentlich mit Stillschweigen übergangen.

Die Ausführungen Ferreros und das angenommene politische Dokument enthielten viel Kritik an der von Bertinotti getragenen opportunistischen Entwicklung des PRC. Offen und konkret angesprochen wurde dieser Ballast, den die Partei seit ihrer Gründung 1991 mit sich herumschleppt, kaum. Domenico Losurdo schätzte ein, Bertinotti sei nie Kommunist gewesen.[10] Er war viele Jahre Führer der größten, einst der IKP nahestehenden Gewerkschaft CGIL. Als die Revisionisten in der IKP im Dezember 1991 die Partei in den sozialdemokratischen PDS umwandelten, gehörte er nicht zu den Gründern des PRC.[11] Er verblieb zunächst im PDS, trat der Neugründung dann 1993 bei und wurde 1994 an Stelle Sergio Garavinis, der den PRC als Strömung in den PDS einbringen wollte, zum Sekretär gewählt.


Der erneute Versuch, die kommunistische Partei zu beseitigen

Verfolgt man den Weg Bertinottis an der Spitze des PRC, dann zeigen sich beim näheren Hinsehen etwa ab 2000 immer öfter Zweideutigkeiten und gegensätzliche Gesichtspunkte. Auf sein 2000 erschienenes aufschlussreiches Buch "Le Idee che non muoiono" (Ideen, die nicht sterben), bin ich bereits in offensiv, Nr. 6/2008 eingegangen. Stärker noch kommt seine Haltung in Interviews zum Ausdruck, die er 2002 beginnend bis 2005 jährlich gab. Sie erschienen 2007 bei Mondatori, in Deutsch im Frühjahr 2008 bei Karl Dietz Berlin unter dem Titel "Fausto Bertinotti. Gespräche mit dem italienischen Reformkommunisten". Der Vorsitzende der Partei Die Linke, Lothar Bisky, schrieb dazu ein Vorwort. In diesen Interviews werden verbal einige soziale Fragen angesprochen, der Weltherrschaftsanspruch der USA thematisiert, die Antikriegsfrage angeführt. Nach einer Erwähnung der Rolle des PRC, einem Bekenntnis zum Kommunismus oder wenigstens der sozialistischen Perspektive sucht man vergebens. Bertinotti spricht viel von einer "politischen Linken", wohl um den Begriff der revolutionären Linken, den er 2005 auf dem VI. Parteitag gebrauchte, um die Zustimmung zur Regierungsbeteiligung zu erhalten, vergessen zu machen. Nebenbei bemerkt, stellt sich die Frage gibt es überhaupt eine unpolitische Linke?[12] Als das Buch bei Dietz in Druck ging, war Bertinotti sicher davon überzeugt, dass seine Regenbogenlinke 2008 wieder in Parlament und Senat einziehen werde und seine Interviews zur Leitlinie der von ihm geplanten nichtkommunistischen Linkspartei gehören würden. Losurdo schätzte ein, dass Bertinotti zur kommunistischen Bewegung "nie eine ausbalancierte Bewertung vorgenommen" hat, er nach der Auflösung der IKP 1991 jetzt "den zweiten Versuch, die Kommunistische Partei abzuschaffen", repräsentiere.[13]

Als pure Demagogie muss heute Bertinottis Rede auf dem VI. Parteitag 2005 erscheinen, in der er zur Begründung der Regierungsbeteiligung des PRC eine "programmatische Regierungsalternative" vorlegte, mit der ein Weg sozialer und struktureller Reformen eingeschlagen, eine "partizipative Demokratie" entwickelt, dem Klassenkonflikt neue Räume für die Transformation der Gesellschaft eröffnet werden sollten. Bertinotti plädierte für einen "gesunden Antagonismus" zwischen reformerischer und radikaler Linker.[14] Ausgenommen den Truppenrückzug aus Irak und die Annullierung des Regierungsdekrets Berlusconis über die Einführung eines Präsidialregimes in einem Referendum wurde dieses gesamte Programm von der PRC-Führung und Bertinotti selbst, der für seine Verwirklichung als Parlamentspräsident dazu über beträchtliche Möglichkeiten verfügte, völlig ignoriert. Höhepunkt dieses Verlustes jeder politischen Glaubwürdigkeit, der entscheidend zur Wahlniederlage beitrug, war, dass der PRC dann in der Regierung und im Parlament dem weiteren Sozialabbau und dem Verbleib der italienischen Truppen in Afghanistan zustimmte. Letzteres war Verrat an der Friedensbewegung, die den Abzug forderte.


Revisionisten gescheitert

Wie zu erwarten, gingen die Auseinandersetzungen im PRC nach dem Parteitag weiter. Dabei wurde deutlich, dass die vorherrschende Einschätzung, er stelle eine "Wende nach links" dar, nur unter Vorbehalten zu sehen war. Der neue Sekretär lud den unterlegenen Vendola ein, in der neuen Leitung mitzuarbeiten und an der Verwirklichung des politischen Dokuments mitzuwirken, das auch den Vorstellungen einer linken Einheit entspreche. Er appellierte, die Einheit der Partei zu wahren. Vendola lehnte brüsk ab und beharrte auf der Konzeption der Umwandlung bzw. des Eintritts des PRC in eine Linkspartei. Bereits einen Tag nach dem Ende des Parteitages drohte er mit der Abspaltung seiner Fraktion und kündigte die Bildung einer "Rifondazione per la Sinistra" an.[15] Es stellte schon eine ganz schöne Portion politischer Unverfrorenheit dar, eine von Dreiviertel der bisherigen Wähler abgelehnte und somit abgestrafte Konzeption weiter zu vertreten. Abgesehen davon, dass der, wenn auch knappe Mehrheitswille des Parteitages in einer nicht zu überbietenden Arroganz missachtet wurde.

Im weiteren Vorgehen lavierte Vendola jedoch zunächst und interpretierte seine Konzeption als Herstellung eines breiten Linksbündnisses. Es gehe "um keine Spaltung, sondern vielmehr um eine Erweiterung" der linken Basis. Das Linksbündnis sollte schnellstmöglich als gemeinsame Wahlplattform für die EU-Wahlen im Juni 2009 verwirklicht werden. Damit wollte Vendola die im Politischen Dokument des Parteitages als eine der wichtigsten Lehren aus der Wahlniederlage 2008 festgelegte Linie, dass der PRC allein und unter Hammer und Sichel zur EU-Wahl antritt, aushebeln. Zur Beratung darüber forderte er, einen Sonderparteitag einzuberufen. Es war offensichtlich, dass es ihm darum ging, wie im Wahlkampf 2008 von Bertinotti praktiziert, eine solche Wahlkoalition erneut als faktische Geburt der "neuen Linken", in welcher der PRC lediglich eine Strömung bilden sollte, zu kreieren. Es ging Vendola darum, auf einem Sonderparteitag die grundsätzlichen Fragen der Strategie des PRC neu aufzuwerfen und zu versuchen, die Mehrheitsverhältnisse zu seinen Gunsten zu verändern.[16] Die Nationale Leitung folgte jedoch Ferrero und lehnte einen Sonderparteitag ab, appellierte dennoch erneut an Vendola, an der Beratung und Beschlussfassung über eine gemeinsame Kandidatenliste des PRC teilzunehmen. Nachdem Bertinotti/Vendola mit ihren Manövern nicht zum Ziel kamen, ließen sie die Maske fallen und schritten, entgegen ihren vorherigen Beteuerungen, keine Spaltung zu wollen, zum Bruch mit dem PRC. Nachdem Bertinotti am 9. Januar 2009 mitgeteilt hatte, "ich erkenne den PRC nicht mehr an", teilte Vendola am 21. Januar 2009 mit, "ich verlasse den PRC", den er als eine "entartete Gemeinschaft" beschimpfte. Ferrero konterte und nannte die Entscheidung Vendolas "törricht und unbesonnen". Ein Kongress der "Rifondazione per la Sinistra" (Neugündung für die Linke) soll für Juli 2009 einberufen werden. Da der PRC zur Zeit einen Umtausch der Mitgliedskarten durchführt, dürfte die Trennung an der Basis vor allem dergestalt erfolgen, dass die Anhänger Vendolas ihre PRC-Mitgliedschaft nicht erneuern.[17]


PRC bleibt stärkste kommunistische Kraft

Was ist zur bisherigen und weiteren Entwicklung zu sagen bzw. zu prognostizieren: Zunächst einmal ist Ferreros unternommener typisch zentristischer Versuch, sich mit den Revisionisten auszusöhnen um die Einheit der Partei zu erhalten, gescheitert. Wenn es in etwa bei der Kräftekonstellation bleibt, die auf dem Parteitag im Juli 2008 bestand, müsste damit gerechnet werden, dass etwa 30.000 bis 40.000 der derzeit 90.000 Mitglieder Bertinotti/Vendola folgen. Wie viele es sein werden, wird auch ein Test dafür sein, ob die Mitglieder, welche die Delegierten für den Parteitag 2008 wählten, die dann für Vendola stimmten, nun auch den Weg der Spaltung mitgehen. Jedenfalls bliebe der PRC mit wahrscheinlich wenigstens noch gut 50.000 oder auch mehr Mitgliedern trotz der Verluste die zahlenmäßig stärkste und auch einflussreichste kommunistische Kraft. Er wird sich der wichtigsten politisch-ideologischen Aufgabe zuwenden müssen, seine kommunistische Identität zu stärken und zur Basis einer Sammlungsbewegung der verschiedenen kommunistischen Kräfte zu Herstellung ihrer Einheit zu werden, wozu, wie bereits angeführt, mehr als hundert kommunistische Persönlichkeiten, aufgerufen haben.

Der PRC steht in diesem Prozess vor Schwierigkeiten, wie sie wohl in der Geschichte der kommunistischen Bewegung des Landes noch nie existierten. Die revisionistische Politik Bertinottis hat dazu geführt, dass 2006 aus Protest gegen die erneute Regierungsbeteiligung etwa 10.000 Mitglieder die Partei verließen und eigene Organisationen bildeten, darunter die Kommunistische Arbeiterpartei (Partito Comunista dei Lavoratori, - PCL) und die Kritische Linke (Sinistra Critica - SC). Ihre nicht unbeträchtliche Basis verdeutlichten die Ergebnisse, die sie im Alleingang bei den Parlamentswahlen 2008 erreichten: PCL 0,5 und SC 0,4 Prozent. Das waren zusammen annähernd 300.000 Wähler. Es waren Stimmen, die dem PRC fehlten, um die Regenbogenlinke über die Vier Prozent-Hürde zu bringen. Im PRC selbst bestehen neben Ferreros eigener Mehrheitsfraktion die Eingangs angeführten Gruppen "Ernesto", "Essere Comunisti" und "Falce e Martello".

Viel wird davon abhängen, ob Ferrero den Effekt der Niederlage des Projekts Bertinottis/Vendolas zu nutzen versteht und die Auseinandersetzung mit deren Opportunismus beginnt. Im Kampf um die politische Linie der Partei trieb er schlimmste antikommunistische Blüten. Eine der übelsten bestand in der Aufnahme eines Bildes vom Fall der Berliner Mauer in die Mitgliedskarte des Kommunistischen Jugendverbandes, zu dem die "Liberazione" die Schlagzeile brachte: "Der Fall der Mauer hat auch uns Kommunisten befreit". Im übelsten Stil, den man sonst nur von den rechten Medien kennt, wurde dann der Sieg der Konterrevolution, unter anderem in der DDR, begrüßt, die Befreiung von der "Tyrannei der Einheitsparteien, der Staatsgewerkschaften, der Prawda, der Bürokratie und der Stasi" gefeiert, und die von den bürgerlichen Ideologen fabrizierte Stalinismuskeule geschwungen.[18] Das offenbart, dass sich im PRC nie mit den Ursachen der Niederlage des Sozialismus in Europa 1989/90 auseinandergesetzt wurde, keine Analyse der Komplexität des Sozialismus in seiner historischen Rolle, zum Beispiel als Friedensfaktor, seiner Erfolge und Stärken, seiner Schwächen und Defizite erfolgte. Es gab gegen diese Veröffentlichungen zahlreiche nachhaltige Proteste. Aber dazu wie zu anderen grundsätzlichen ideologischen Fragen kann die Auseinandersetzung nicht als abgeschlossen angesehen werden.


Auseinandersetzung mit Opportunismus zwingend erforderlich

Auch in der Auswertung des Parteitages und der Lehren der Niederlage zeigte sich, dass die "Liberazione" den Anforderungen nicht genügte, sie oft mehr als Sprachrohr der Revisionisten denn der revolutionären Fraktionen agierte. Das dürfte den Nationalsekretär veranlasst haben, einen Wechsel an der Spitze der Parteizeitung vorzunehmen und an Stelle des bisherigen Direktors,[19] Piero Sansonetti, mit Dino Greco sicher einen Mann seines Vertrauens einzusetzen. Mit ihm tritt ein angesehener Vertreter der Gewerkschaftslinken an die Spitze des Parteiblattes, der zweifelsohne den Fragen des sozialen Kampfes hohe Priorität einräumen wird. Dass Bertinotti persönlich gegen die Ablösung Sansonettis protestierte, mag als Beweis gelten, dass der Abgelöste ihm nahe stand. Der neue Direktor steht vor einer weiteren schwierigen Aufgabe. Er muss die Existenz des Blattes sichern. Vordergründig infolge der Wahlniederlage, ursächlich aber des Fehlens einer kommunistischen Linie, hat die Zeitung 2008 fast die Hälfte ihrer einst gut 100.000 Abonnenten verloren. Hinzu kommt, dass die Berlusconi-Regierung ihr wie auch "Manifesto" als genossenschaftlichen Medien die staatlichen Subventionen entzogen hat. Die Mitte-Links-Regierung unter Romano Prodi hatte für 2006 das letzte Mal 3,7 Millionen Euro gewährt. Der Ausfall führte zu jetzt 3,5 Millionen Euro Schulden. Es ist bereits vom Verkauf der Zeitung die Rede. Als möglicher Interessent ist der Verleger Luca Bonaccorsi im Gespräch, der aber auch die von Bertinotti für seine Linksparteigründung und gegen den PRC agierende "Alternativa per il Socialismo" finanziert.

Wenn Ferrero den kämpferischen Elan, mit dem er auf dem Parteitag auftrat, und die Entschlossenheit, mit der er die Angriffe Vendolas zurückwies, beibehält, in diesem Sinne beginnt, um die Verwirklichung des vom Parteitag beschlossenen politischen Dokuments zu kämpfen, dazu die Basis mobilisiert, die Debatte in der Öffentlichkeit führt, kann der Prozess der Stärkung der revolutionären Positionen voranschreiten. Das vor allem dann, wenn er bereit ist, sich auf die "Ernesto"-Gruppe zu stützen. Sie erhielt auf dem Parteitag acht Prozent der Delegiertenstimmen, aber ihr Einfluss an der Basis ist bedeutend höher. Massendemonstrationen mit Hunderttausenden Teilnehmern, ein Generalstreik und zahlreiche weitere Arbeitsniederlegungen im vergangenen Oktober waren hoffnungsvolle Zeichen dafür, dass es, wie Ferrero erklärte, "mit dem Rückzug Schluss sei" und man "zum Angriff übergehe".[20]

Als erster Schritt wird erwartet, dass Ferrero seine Ablehnung aufgibt und der PRC sich mit dem PdCI zusammenschließt und so ein Zeichen in Richtung kommunistischer Einheit gesetzt wird. Zumal auch im PdCI die rechten Kräfte sich für ein Zusammengehen mit Vendola ausgesprochen haben und die Partei verlassen.


Auf Gramsci besinnen

Nur so können die Möglichkeiten zur Mobilisierung der Massen wachsen, um die Bedingungen zur Beseitigung der Herrschaft des Mediendiktators Berlusconi zu schaffen, den von ihm ausgehenden faschistischen und rassistischen Gefahren Einhalt zu gebieten. Denn die Liquidierung der IKP 1991 durch die Opportunisten hat einer reaktionären Wende Auftrieb gegeben, die bis in die Gegenwart reicht, die Niederlage der Linken Mitte 2008 bewirkte und Berlusconi zusammen mit AN-Faschisten und Lega-Rassisten zum dritten Mal an die Regierung brachte. Eine entscheidende Rolle wird dabei spielen müssen, wie das PRC-Leitungsmitglied Alberto Burgio, Professor für Philosophie an der Universität Bologna, in einem Interview für "junge Welt" sagte, "auf das Terrain der Arbeit und des sozialen Konflikts zurückzukehren".[21] Das ist übrigens eine Lehre, die der Kampf gegen Berlusconis erste Regierung vermittelt. Sie wurde 1994 nach nur 226 Tagen Amtszeit durch machtvolle soziale Massenaktionen und einen Generalstreik gestürzt.[22]

Die erste Bewährungsprobe für den PRC werden die EU-Wahlen im Juni sein, zu denen er unter Hammer und Sichel antreten will. Der Einzug ins EU-Parlament wird dann als gesichert gelten können, wenn es gelingt, einen Schritt zur kommunistischen Einheit zu gehen und die bestehenden kommunistischen Parteien und Organisationen auf einer gemeinsamen Liste des PRC zu vereinen, um die Vier Prozent-Sperrklausel (Berlusconi plant, sie sogar auf fünf Prozent zu erhöhen) sicher zu überwinden. Alles weitere wird ein langer Prozess sein, dessen Vorantreiben vor allem erfordert, zum Erbe Gramscis zurückzufinden, insbesondere zu dem von ihm geprägten Grundsatz der Erringung der Hegemonie der Arbeiterklasse. So dürfte wohl auch Alberto Burgio zu verstehen sein, wenn er im eben erwähnten Interview davon sprach, die abhängig Beschäftigten, die Lohnarbeiter wieder als Subjekt zu sehen, "auf das man sich bei der gesellschaftlichen Umwälzung stützen muss". An der Spitze dieses Subjekts, das heißt der Arbeiterklasse, zu führen, heißt für eine kommunistische Partei, diesen Anspruch als Erstes damit zu verkünden, indem sie den Massen den Weg und die Richtung des Kampfes zeigt, dessen Endziel in der Beendigung der Herrschaft des Kapitals und der Errichtung einer sozial gerechten Gesellschaft besteht, die man seit der Zeit von Marx und Engels mit einem ismus versah und Sozialismus nannte.

Gerhard Feldbauer, Poppenhausen


Anmerkungen

[4] Der Beitrag geht aus von der Analyse "Zu den Ursachen der Niederlage der Kommunisten und Linken bei den Parlamentswahlen im April 2008 in Italien" in "offensiv" Nr. 6/2008.

[5] Ausführlich dazu siehe Stefano Azzara: "Die Suche nach Identität", in "jW" v. 30. Juli 2008.

[6] Zum bewaffneten Kampf der radikalen Linken siehe Feldbauer: Geschichte Italiens - Vom Risorgimento bis heute, Papyrossa, Köln 2008, S. 209 ff.

[7] Zu dieser Zeit gab es noch keine Sperrklausel.

[8] Veröffentlicht in "jW", 23. April 2008. Siehe dazu auch Interview mit Domenico Losurdo in "jW", 19./20. April 2008.

[9] "Liberazione", 29. Juli 2008.

[10] "JW", 19./20. April 2008.

[11] Seltsamer Weise hält sich ein das Gegenteil behauptendes Gerücht, Bertinotti sei der Gründer des PRC gewesen. So auch jüngst wieder im "ND" vom 26. Jan. 2008 in dem Beitrag "Nichi Vendola will die 'Volksinitiative' schaffen". Absicht, um das Image des "Reformkommunisten" aufzupolieren, oder nur fehlende Geschichtskenntnisse?

[12] Siehe dazu Rezension des Autors "Indifferente Linke. Die Wende des Fausto Bertinotti" des Buches "Fausto Bertinotti: Gespräche mit dem italienischen Reformkommunisten". Dietz-Verlag Berlin 2008 in ND, 16. Okt. 2008.

[13] Interview für "jW", 19./20. April 2008.

[14] Vortrag des Autors auf einer Veranstaltung der sozialistischen Linken der Partei die Linke am 12. Juni 2008 in Berlin. Veröffentlicht in Mitteilungen der KPF, Nr. 8/2008.

[15] "Liberazione", 30. Juli 2008.

[16] "Liberazione", 8. Nov. 2008.

[17] Ebd. 10., 22. u. 25. Jan. 2009.

[18] 18. Dez. 2008.

[19] Der Direktor übt die in deutschen Medien übliche Funktion des Chefredakteurs aus.

[20] Bericht des Autor in "UZ", 24. Oktober 2008.

[21] Interview für "jW", 19. Jan. 2009.

[22] Beitrag des Autors "Italien unter Berlusconi", "jW", 31. Jan./1. Febr. 2009.

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ÖSTERREICH HEUTE

Kommunistische Initiative Österreich: Die nächste Regierung des Kapitals und der Brüsseler EU-Bürokratie

Stellungnahme des Vorstands der Kommunistischen Initiative zur Regierung Faymann-Pröll.

Es gäbe im Detail viel zu sagen zum Programm dieser Regierung, das in dutzenden Punkten mit Vorbehalten versehen, also sehr unverbindlich ist. Vor allem bei jenen Themen, die für Arbeitende etwas bringen würden, heißt es: "unter Budgetvorbehalt" - also ohne reale Finanzierungsgrundlage. Das wichtigste aber in Kürze: Die Mächtigen des Landes und in der EU haben wieder jene Regierung, die sie sich gewünscht haben. Wozu es zum Austausch von ein paar Köpfen allerdings Neuwahlen und damit Millionen von Euro aus der Staatskasse gebraucht hat, ist eine berechtigte Frage, die sich derzeit viele stellen.

Die "Sozialpartnerschaft", aus marxistischer Sicht als die seit Jahrzehnten bestehende Herrschaftsform des Kapitals in Österreich anzusehen, hat nicht nur wesentlichen Anteil an der Architektur dieser Regierung gehabt, sie ist in ihr durch einige Minister auch direkt repräsentiert; so stellt Wirtschaftsminister Mitterlehner sicher, dass die Interessen der Banken und Konzerne nicht zu kurz kommen; Landwirtschaftsminister Berlakovich - selbst Großbauer - wird weiterhin für die Interessen der Großgrundbesitzer in Wien und Brüssel streiten; und den Gewerkschaftern Rudolf Hundstorfer und Alois Stöger wurden die Verwaltung von Arbeitslosigkeit und Zwei-Klassenmedizin aufgebürdet. Auch Kanzler Faymann und Vizekanzler Pröll sind zwei getreue Schüler der institutionalisierten Klassenkollaboration zwischen Gewerkschaften und Kapital.

Das Spektakel um künftige "Vielleicht-Volksabstimmungen" über EU-Verträge und der damit verbundene Rückzug der bisherigen Außenministerin Plassnik war nur eine Nebelwand, hinter der im Regierungsprogramm die weitere Teilnahme Österreichs an EU-Kriegseinsätzen festgeschrieben wurde und darüber hinaus von "Führungsaufgaben des Bundesheeres" in künftigen EU-imperialistischen Interventionen gesprochen wird.

Angesichts der internationalen Krise des kapitalistischen Systems haben sich alte und neue Regierung entschlossen, Weihnachten vorzuziehen und die Banken und das Kapital mit einem Füllhorn an Geschenken zu überhäufen. Für nur lächerliche Gegenleistungen werden Geldspritzen an die Banken verteilt, Verluste sozialisiert und Gewinne privatisiert.

Die sich abzeichnenden Auswirkungen der kapitalistischen Krise wie steigende Arbeitslosigkeit und Armut würden couragierte Maßnahmen erfordern, die aber von dieser Regierung nicht zu erwarten sind. Sie gaukelt den Menschen vor, das Geld zur Armutsbekämpfung, zur Schaffung von Arbeitsplätzen, zur Sicherung und zum Ausbau des Sozial- und Gesundheitssystems, zur Schaffung leistbarer Wohnung und zur Bereitstellung kostengünstiger Energie, für Lehrstellen, Bildung und Universitäten wäre nicht vorhanden, während sie gleichzeitig - gemeinsam mit der EU-Bürokratie - viel Geld bereitstellt, um die Begehrlichkeiten von Banken, Konzernen und Großgrundbesitzern zu befriedigen.

Die Spitzengewerkschafter als integraler Bestandteil der Regierung werden dieser die Mauer machen, und bestenfalls den Versuch unternehmen, die kapitalistische Brutalität da und dort ein wenig zu dämpfen. So wird die potentielle Macht der gewerkschaftlichen Organisationsdichte nicht für einen konsequenten Kampf um ArbeiterInnenrechte und Umverteilung eingesetzt, sondern die Gewerkschaft übt sich als sozialpartnerschaftliche Ordnungsmacht in Sachzwanglogik.

Das Kapital bereitet sich darauf vor, gestärkt aus dieser Krise hervorzugehen. Neue Vorstöße, wie der Ruf nach Lohnverzicht, Betriebsschließungen, Kündigungen, weiterer Ausverkauf und Zerschlagung öffentlichen Eigentums stehen auf der Tagesordnung.

Für die fortschrittlichen Kräfte in diesem Land wäre es deshalb höchst an der Zeit, sich auf geeinte, breite Widerstandsmaßnahmen gemeinsam mit den Betroffenen dieser Politik vorzubereiten und fortschrittliche Alternativen einzufordern. Die Kommunistische Initiative wird daher alle Bemühungen unterstützen, die Widerstand gegen die oben skizzierte Politik entwickeln: Wir unterstützen die Arbeitskämpfe aller von Kündigungen, Betriebsschließungen und Verschlechterungen betroffenen Belegschaften. Wir rufen zum gemeinsamen, über den jeweiligen Tellerrand hinausreichenden Kampf auf, wir halten es für nötig, gemeinsam eine neue soziale Bewegung aufzubauen, die sich als Sammel- und Kristallisationspunkt der Kämpfe gegen Kapital und Reaktion versteht. Lasst uns in den nächsten Tagen und Wochen hunderte und tausende Gespräche führen, um eine solche Bewegung zu entwickeln, die ohne Scheuklappen ein soziales Aktionsprogramm gegen diese sozialdemokratisch geführte Regierung des Kapitals entwickelt.

Vorstand der Kommunistischen Initiative Österreich (KI), 1. Dezember 2008, Wien

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NORDKOREA

Torsten Reichelt: Vertrautes fremdes Nordkorea

Ich bevorzuge ja die Bezeichnung DVRK, früher KDVR, ließ mich aber belehren, dass Nordkorea nicht nur eine Bezeichnung der bürgerlichen Propaganda wie Ostdeutschland ist, sondern auch offiziell seitens der DVRK verwendet wird.

Woher ich das weiß? Ich war dort. Im Unterschied zu vielen Leuten in der BRD und in anderen imperialistischen Staaten, die zwar alle lieber Nordkorea labern, aber nur aufgrund der Desinformationen Anderer, die auch nicht da waren. Die wiederum stützen sich auf Desinformationen derer, die zwar da waren und sind, aber wenig zu sehen kriegen oder schlichtweg lügen.

Nicht gerade bezüglich der Staatsbezeichnung. Aber faustdick bezüglich der Zustände und Verhältnisse im Land. Als Kommunist fuhr ich natürlich mit hohen Erwartungen in einen der wenigen Staaten, welche den vorübergehenden Zusammenbruch des sozialistischen Weltsystems überstanden. Meine Erwartungen wurden weit übertroffen.

Die DVRK ist ein hochmoderner Industriestaat, dessen Industrie und Landwirtschaft durch den Zusammenbruch des sozialistischen Weltsystems und Embargos noch einige Probleme hat, wie die Versorgung mit Energie und Erdöl. Was allerdings nicht mehr lange so bleiben wird, da der Aufbau von Atomkraftwerken, die Erschließung eigener Ölvorkommen vor allem mit Hilfe chinesischer Fachleute und Einführung von Verfahren zur Kohleverflüssigung (die wir ja auch in der DDR nutzten) diese Engpässe in absehbarer Zeit beseitigen werden.

Wie kommt man dorthin? Nun, ganz einfach: Mit'm Flugzeug oder Zug. Aber ernsthaft: das ist viel unkomplizierter, als ich erwartet hatte, selbst wenn man aus einem der imperialistischen Hauptstaaten kommt wie ich. Entweder über ein normales Reisebüro oder, wie wir, im Rahmen einer Delegationsreise der KFA (Korean Friendship Association). Unsere Reise begann in Beijing (Peking), die Reise dorthin einschließlich Formalitäten wie Beantragung der Visa mussten wir selbst organisieren, was auch kein Problem ist, wofür man aber 2 Wochen einplanen sollte.

Die Visa für die DVRK bekamen wir dann in Beijing, wobei hier eine Abweichung vom ursprünglichen Plan eintrat. Aufgrund der Ernte in der DVRK, an der dort ganz selbstverständlich auch Mitarbeiter der Ministerien teilnehmen, lag unsere Bestätigung am Tag vor der Reise noch nicht vor, aber rechtzeitig am Tag des Abflugs. Tja, und dann waren wir also da.

Entsprechend dem Charakter unserer Reise hatten wir ein umfangreiches Programm. Kindergarten, Schule, Kultur- und Bildungsstätten, Krankenhaus, Museen, Industrie- und Handwerksbetriebe, Messen, Kulturveranstaltungen, historische Stätten (aus der jüngeren und älteren Geschichte), offizielle Treffen, gigantische neue Bauwerke ...

Da ich mit irgendwas anfangen muss, vielleicht mal mit Letzteren: Natürlich verglich ich die DVRK insbesondere mit der DDR, da die ja der mir am besten bekannte sozialistische Staat ist. Ich stellte fest, dass Vieles sehr ähnlich ist, aber in der DVRK Alles viel größer und gründlicher gemacht wird.

Das beginnt schon mit den Denkmälern, welche dem Ankömmling zuerst ins Auge fallen. Triumphbogen, Revolutionsdenkmal, Juche-Turm, Koreakriegsdenkmal, Messegelände ... Bürgerliche Hetzer bezeichneten so etwas wohl als Gigantomanie. Aber diese Bauwerke sind einfach Ausdruck des Schöpfertums, der Kraft und des Stolzes des koreanischen Volkes, welches so seine Siege und Leistungen ausdrückt wie auch die Dankbarkeit gegenüber denen, welche dies möglich machten. Zudem haben diese Bauten eine wichtige ideologische Funktion. Wir haben doch in der DDR und den meisten anderen sozialistischen Staaten gesehen, was geschieht, wenn die Geschichte in Vergessenheit gerät und die großartigen Leistungen als selbstverständlich hingenommen werden. Jetzt leben wir als enteignete und entrechtete Bundesinsassen wieder unter dem Joch des Kapitals und bezahlen für seine Aggressionskriege.

Zumindest ebenso wichtig sind aber natürlich kulturelle und wirtschaftliche Bauten. So besuchten wir das Studierhaus im Zentrum von Pyongyang, ein Gebäude mit 600 Lese-, Vortrags- und Veranstaltungsräumen mit 6.000 Plätzen und täglich 10.000 Besuchern, denen neben 260 km Büchern (30 Millionen Bände) auch audiovisuelle und Computertechnik sowie Sprachkabinette usw. zur Verfügung stehen. Unentgeltlich für Alle, versteht sich (dort zumindest).

Tja, oder nehmen wir das, wie mir gesagt wurde, größte Stadion der Welt mit 150.000 Sitzplätzen, in welchem wir das Arirang besuchten, eine tänzerisch-artistische Massenveranstaltung mit über 10.000 Akteuren, eine Darstellung der koreanischen Geschichte. Aber dieses Stadion ist nur ein kleiner Teil der Sportstätten, die sich aber Kilometer an einer Strasse entlangziehen, riesige Gebäude für eine oder wenige Sportarten wie Boxen, Schwimmen, Handball usw..

Ein besonders markantes Gebäude in Pyonyang ist gerade im Entstehen. Zwar sind schon die existierenden Hotels wie das Hotel Koryo beeindruckend, werden aber von einem Neubau weit in den Schatten gestellt. Der Bau des 330 Meter hohen Ryugyong-Hotels wurde 1987 begonnen, aber aufgrund der wirtschaftlichen Probleme im Rahmen des Zusammenbruchs des sozialistischen Weltsystems 1992 unterbrochen. Anders als die Investruinen, welche man in westlichen Staaten verfallen sehen kann, wurde seine Substanz aber erhalten und der Bau wird nun mit Hilfe ausländischer Investoren fortgesetzt.

Das beeindruckendste Bauwerk war für mich aber der Nampo-Damm (West Sea Barrage) in der Mündung des Tae-Dong-Flusses. Die Gezeiten des gelben Meeres trieben bis zu seiner Errichtung Meerwasser weit landeinwärts und machten dort den Fluss für Industrie und Landwirtschaft weitgehend unbrauchbar. 1981-1986 wurde für umgerechnet 4 Milliarden US-Dollar ein 8 km langer Damm in die Mündung gebaut, an der Basis 200 m und der Krone 15 m breit und 45 m hoch. Das Beeindruckendste ist aber die Schiffsschleusen- und Wehranlage mit 3 Schleusen für Schiffe mit bis zu 70.000 Tonnen und einem täglichen Durchlauf von etwa 80 Schiffen. Schon die Art der Errichtung ist spektakulär, denn diese Anlage wurde auf's Trockene gebaut. Da eine Flussmündung aber nunmal nicht trocken ist, wurde das Gebiet zwischen Ufer und einer Insel in der Flussmündundung mit 35 m hohen Stahlwänden abgeriegelt und leergepumpt und schon konnten die Arbeiter trockenen Flusses erst mal den Grund bis auf den Felsen abtragen und dann solide hinbauen, was immer sie wollten.

Das soll erst mal ein erster Eindruck gewesen sein. Aber ich möchte selbstverständlich nicht schließen, ohne zwei fette Enten abzuschießen, die nicht nur, aber besonders in letzter Zeit durch die bürgerlichen Medien flattern.

Erstens die Hungerente. Die Läden sind voll, obwohl die seit Jahren beste Ernte zum Zeitpunkt meiner Reise noch nicht mal eingebracht war. Schlangen konnte ich nur an einer Fressbude beobachten, und die kriegen wir ja bald auch wieder auf den Weihnachtsmärkten zu sehen.

Zweitens die Medienlüge, dass Kim Jong Il krank sei! Während sich die Medien hierzustaate, unisono mit südkoreanischen und japanischen Medien, in wüsten Spekulationen ergingen, obwohl die DVRK denen weniger Einblick gewährt als ein Schwarzes Loch, war Kim Jong Il im nordkoreanischen Fernsehen bei Truppenbesuchen zu sehen.

Sollte weiteres Interesse bestehen, kann ich gern noch viel mehr über das vertraute fremde Land hinter dem Horizont der BRD-Medien berichten. Warum es z.B. völlig hirnrissig ist anzunehmen, die DVRK könne in absehbarer Zeit so enden wie die DDR.

Torsten Reichelt, Dresden

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CUBA

Ulli Fausten: Cuba, die nicht erzählte Geschichte

Unter diesem Titel fiel mir vor wenigen Jahren beim Stöbern in Havannas Buchläden ein Bildband mit grellbuntem Hartcover in die Hände: DIN A4 Format, ca. 300 Hochglanzseiten, nicht ganz billig, aber möglicherweise die beste Fotodokumentation über anticubanischen Terror, die auf dem Printmedienmarkt zu haben ist.

"Cuba, la historia no contada". Nicht erzählt? Wem nicht? Die cubanische Bevölkerung kennt dieses in Bild und Wort dargebotene Kaleidoskop des Schreckens zur Genüge. Sie kann nicht gemeint sein.

Der Versuch der "freien westlichen Welt", Cuba politisch zu isolieren, ist aus Gründen, die im Einzelnen zu erörtern hier zu weit führen würde, grandios gescheitert. Das Bemühen, die Insel medial wegzuschließen, muss jedoch leider als weitgehend gelungen betrachtet werden. Mediale Isolation eines Landes bedeutet nun keineswegs, dass nicht über das Land berichtet würde. Vielmehr bedeutet es die Macht, in internationalem Einvernehmen willkürlich und selektiv Nachrichten über ein Land zu verbreiten - oder zu unterschlagen ("Posada wer?") - ohne dabei nennenswerte Gegenwehr fürchten zu müssen.

Cubas Revolution wird 50 Jahre alt - nach ihrem eigenen Verständnis, das diese Revolution nicht als einen mit dem Sieg über die Diktatur Batistas abgeschlossenen Akt, sondern als bis auf den heutigen Tag andauernden kontinuierlichen Prozess ansieht.

Aber welche Medien hierzulande werden den runden Jubiläumscharakter des Jahreswechsels 08 auf 09 überhaupt als solchen wahrnehmen? Es sei denn als Übergang von einer Tyrannei zur andern. Als Tausch von 20.000 Mord- und/oder Folteropfern binnen eines Jahrzehnts mit einer Gesellschaftsform, die nun seit einem geraumen halben Jahrhundert freie Bildung und Gesundheitsversorgung garantiert, Wohnraum gibt, Strom, Gas und Wasser so subventioniert, dass die Bürger nur einen Spottpreis dafür zahlen, einen Warenkorb zur Basisversorgung mit Grundnahrungsmitteln gegen ein allenfalls symbolisches Entgeld und ein breites Spektrum hochwertiger Kultur so gut wie gratis bietet, - eine Gesellschaftsform, die freilich auch die "Todsünde" begeht, keine Parteienpluralität zuzulassen, und darüber vernachlässigt man hier dann gern alles andere, auch die Tatsache, dass angesichts eines übermächtigen und notorisch aggressiven Nachbarn für diese Freiheit schlicht die Rahmenbedingungen fehlen.

Dass Cubas System eine Gewaltherrschaft sei, ist politisch gewollt und darum Kernaussage in nahezu jedem Bericht und jeder Reportage. In einem Weltbild, in dem es stets die cubanische Regierung ist, die den Terror verbreitet, hat Terror, dem ebendiese Regierung ausgesetzt wird, keinen Raum. Auch terroristische Akte, die das cubanische Volk für seine Regierung quasi in Sippenhaft nehmen, müssen außen vor bleiben. Bis zum Jahre 2003 verursachte diese Art von Terrorismus den Tod von 3478 Menschen und hinterließ 2099 weitere entweder verstümmelt oder sonst wie lebenslang behindert. Dass infolge Bomben, Brandschatzung und Sabotage ein finanzieller Schaden von kalkulierten 121 Milliarden Dollar entstand, soll hier nur am Rande erwähnt sein. Aber ist das brauchbares News-Material für Leute, denen man sonst konsequent einredet, Terror in Cuba sei eine Einbahnstraße, die von höchster Stelle ausgehe? Sicher nicht.

Uns wird diese Seite der cubanischen Geschichte nie erzählt, und mit "uns" meine ich beileibe nicht allein uns Deutsche. Schweigen als konzertierte, länderübergreifende Aktion. Das ist so in Zeiten, da sich die großen Medien weltweit in Händen nur mehr einiger weniger Mogule befinden. Wir werden dazu erzogen, dies "freie Presse" zu nennen und nicht den ketzerischen Gedanken aufkommen zu lassen, dass jenes "Abendland", vor dessen "Untergang" man uns beständig warnt, längst im Untergang begriffen ist.

Sei's drum. Wir schulden es Cuba in unserer Jubiläumsausgabe, den Schleier von Vorgängen zu reißen, mit denen, wenn wir denn von ihnen Kenntnis hätten, die notorische Diffamierung dieses Landes so unendlich viel schwieriger wäre, als sie heute ist.

Dass diese Dokumentation nur eine jämmerlich kurze Auswahl darstellen kann, versteht sich von selbst. Aber das ist besser als nichts.

Lüften wir das Tuch von zur Unkenntlichkeit verkohlten Leichen, von Frauen und Kindern mit weggesprengten Füßen und von subtileren, aber nicht minder grausigen Unsäglichkeiten ... als Zeugnis der Schande für die, die es betrifft.

Am 4. März 1960 um viertel nach drei nachmittags erschütterte eine Explosion den Hafen von Havanna. Ein Teil des belgischen Frachters "La Coubre", der mit 75 Tonnen Granaten und Munition dort vor Anker lag, war in die Luft geflogen. Da Frachtschiffe üblicherweise mit kleiner Besatzung auskommen, hielt sich die Anzahl der Opfer (unter ihnen 6 französische Seeleute) zunächst noch in Grenzen. Wie man sich vorstellen kann, wimmelte aber bereits Minuten später das Deck von freiwilligen Hilfskräften, die sich in dem Chaos der Toten, der Sterbenden und Schwerverletzten annahmen. Hunderte von Personen befanden sich an Bord, als 30 Minuten später eine zweite, heftigere Explosion folgte, die "Menschenteile vermischt mit verbogenen Eisenteilen weit weg schleuderte". 101 Tote und mehr als 200 Verletzte war am Ende die schreckliche Bilanz.

Gloria Azoy, eine Krankenschwester, berichtet: "Ich sammelte einige Überreste ein. In einem Kopfstück waren noch die Augen, eindrucksvoll, so, als ob sie lebten. Ich legte sie auf einem Wundverband ab. Etwas später trat ein Junge an mich heran, der versuchte, etwas über seinen verschwundenen Vater zu erfahren. Ich sah ihn an und instinktiv war mir klar, wen er suchte. 'Das sind die Augen meines Vaters', sagte er bestätigend. Er war ein Halbwüchsiger von kaum 15 Jahren. Ich beschwor ihn, nichts davon seiner Familie zu erzählen. Dann füllte ich einen Sarg mit Holzbalken, um das Gewicht einer Leiche vorzutäuschen, und legte die Augen mit hinein. Davor hielt dann später die Familie die Totenwache."

Tragischer Zufall? Ein Unglück?

Die belgische Waffenfirma hatte unter Druck gestanden. "Der US-Konsul persönlich und ein Militärberater der Botschaft dieses Landes hatten sowohl in der Firma als auch im belgischen Außenministerium darauf gedrungen, die Waffenlieferungen einzustellen. Die cubanischen Autoritäten hatten mehrere vertrauliche Mitteilungen über die Pressionen seitens der USA zu Waffenverkäufen an das Ministerium der Revolutionären Streitkräfte erhalten."

Robert Reynolds, der zum fragliche Zeitpunkt Chef der CIA-Abteilung von Miami gewesen war, bemerkte während einer Konferenz über terroristische Aktionen im Kalten Krieg, die 2001 in Havanna stattfand und an der er als Gast teilnahm, über "La Coubre": "Wie ich schon Präsident Castro sagte, verstehe ich den Argwohn, der da hochkommt. Wir hatten in jenen Tagen angefangen, einige Akte von Sabotage zu begehen, aber diese Geschichte war keine davon." Dann fügte er wachsweich hinzu: "... zumindest nicht nach meinem Wissen."

1961 war nicht nur das Jahr der Invasion in der Schweinebucht. Es war auch das Jahr der Alphabetisierung. Tausende Jugendliche, manche von ihnen noch fast Kinder, die in der Stadt eine Schulbildung erhielten, schwärmten über die gesamte Insel aus, um der Landbevölkerung Lesen und Schreiben beizubringen. Dies erforderte neben Begeisterung für die Sache auch eine gute Kondition - die jungen Lehrer und Lehrerinnen mussten in den ihnen zugewiesenen dörflichen Gemeinden tagsüber wie alle anderen Feldarbeit leisten, um sich dann abends im Licht einer Ölfunzel ihrer pädagogischen Aufgabe zu widmen - und, wie sich leider Gottes bald herausstellen sollte, auch eine gehörige Portion Mut. Skrupellose konterrevolutionäre Banden, die keinerlei Interesse daran hatten, dass vorher leicht zu gängelnde Provinzler auf einmal gebildet wurden, fingen an, in den Dörfern Angst zu verbreiten. Etliche der jungen Leute kamen damals gewaltsam zu Tode. Was als Abschreckung gedacht war, hatte jedoch den gegenteiligen Effekt, löste Wut, Empörung und Trotz aus und ließ den Zulauf zu den Registrierungsstellen für Alphabetisatoren noch weiter anschwellen. Stellvertretend für all jene, die seinerzeit ihr Leben ließen, hier zwei Fälle, beide aus dem Escambray Gebirge, eine Gegend, die im Hinblick auf solche Übergriffe als besonders gefährlich galt und die erst 1965 in einer groß angelegten Militäraktion endgültig von Banditen "gesäubert" wurde.

Conrado Benítez, 18 Jahre alt, war eines der ersten Opfer; ich glaube, das erste überhaupt. Mirio Pérez Venegas, ein Exmitglied der Marodeure, gibt einen Augenzeugenbericht aus der Perspektive der Täter: "In dem Camp schien in dieser Nacht eine Fiesta stattzufinden. (...) Wir warfen Steine auf die Leute, spuckten sie an und riefen Obszönitäten, bis Osvaldo kam und zu Conrado Benítez sagte: 'Wenn du dich uns anschließt, schenke ich dir das Leben'. Dieser antwortete, vor allem andern sei er Revolutionär. Man stelle sich das vor, so etwas Osvaldo ins Gesicht zu sagen. (...) Conrado Benítez wurde herausgezerrt und mit einem Strick um den Hals musste er schnell gehen, um nicht über den Boden geschleift zu werden. (...) Als er unter dem Baum stand, der für seine Hinrichtung ausgewählt worden war, warf man das Seil über einen Ast. Die Augen des Brigadisten schauten uns an, als ob sie fragten, ob wir Menschen oder Tiere seien. Der Körper wurde abwechselnd hochgezogen und wieder heruntergelassen, mehrere Male, als ob er eine Puppe wäre. Am Ende ließen wir ihn oben hängen und obwohl er zweifellos tot war, befahl Osvaldo uns, auf den Leichnam einzustechen und einzuprügeln."

Manuel Ascunce zählte erst 16 Jahre, als sein Leben vorzeitig beendet wurde. Rubén Dario Zayas, ein Richter, der bei der Leichenschau vor Ort dabei war, wird wie folgt zitiert: "Als wir an dem Baum ankamen, betrachtete ich Manuel: Schwarzes Haar, etwas ins Gesicht gefallen, die Lippen geschwärzt, die Zunge intensiv violett, Blutgerinnsel an ihren Rändern. Mir fiel auf, dass die Augäpfel nicht aus den Höhlen getreten waren, wie das sonst immer bei Gehenkten der Fall ist. Dies überzeugte mich, dass er schon so gut wie tot gewesen war, als man ihn aufhängte. Er hatte auch eine tiefe Furche im Hals; der Adamsapfel war gebrochen. (...) Als seine Genitalien untersucht wurden, stellte man Quetschungen daran fest, die darauf hindeuteten, dass sie zusammengepresst und verzerrt worden waren. Außerdem gab es noch 14 Stichwunden unterschiedlicher Tiefe."

In einem mittlerweile freigegebenen Geheimdossier schrieb der Generalinspekteur der CIA Lyman Kirkpatrick (Quelle: "Miami Herald" vom 1. März 1998): "In der Anfangsphase der paramilitärischen Operationen geht es um Entwicklung, Unterstützung und Orientierung der Dissidentengruppen in drei Regionen Cubas: Pinar del Rio, dem Escambray und der Sierra Maestra. Diese Gruppen werden organisiert durch eine 'acción guerrillera', die sich gegen das Regime vereinigt hat."

Höchst aufschlussreich die Wortwahl des Herrn Kirkpatrick: Bei den in Frage stehenden Gruppen handelt es sich nicht um Mörderbanden, sondern um "Dissidenten". Es waren also Kämpfer für die Freiheit und gegen das "Regime", die Jojo mit Erhängten spielten, Leichen schändeten, Hoden quetschten und Penisse verdrehten.

Eine in den ersten Jahren der Revolution besonders "beliebte" Form des Terrors bestand in Angriffen aus der Luft. Diese dienten nicht nur dem Zweck, Zuckerrohrfelder in Brand zu setzen und Cuba wirtschaftlich zu schädigen. Sie sollten auch Angst unter den Campesinos säen; viele von ihnen verloren bei solchen Aktionen Haus und Leben.

"Am 13. April 1961 fand man die verkohlten Leichen von vier Campesinos - Eduardo Harga (53 Jahre), José María Soa (62 Jahre), Rogelio Pena Simón (33 Jahre) und Santiago González Linares (43 Jahre), die versucht hatten, ein Feuer zu ersticken, das durch eine von einem US-Flugzeug über der Zuckerzentrale "Venezuela" in Ciego de Avila abgeworfene Napalmbombe entzündet worden war."

"Am 5. September 1963 drang ein US-Flugzeug in der Provinz Las Villas in cubanischen Luftraum ein. Eine der Bomben, die abgeworfen wurden, schlug in das Haus des Lehrers Fabric Aguilar Noriega ein, tötete ihn selbst und verletzte vier seiner Kinder."

Seine Frau berichtet: "Ich befand mich gerade im Wohnzimmer und schlief bei Alfonsito, dem einzigen, der unversehrt blieb. Nach dem Getöse schaute ich ins Schlafzimmer und sah meinen zerfetzten Mann und die verwundeten Kinder inmitten einer Wolke von Qualm."

"Am 17. Januar 1965 fielen Napalm- und Phosphorbomben auf die Zuckerfabrik "Niágara" in der Provinz Pinar del Rio. Orlando Bosch bekannte sich zu dem Anschlag und verkündete der Presse von Miami: 'WENN WIR MEHR RESSOURCEN HÄTTEN, WÜRDE CUBA VOM EINEN ENDE ZUM ANDEREN BRENNEN'."

Auch das Wasser ist ein Element, in dem Terroristen sich wohlfühlen. Neben einer wahrhaft inflationären Zahl von Angriffen auf Handelsschiffe und Fischerboote (vor allem letztere mit diversen Toten, vielen Verletzten, Versenkung der Ladung, Seeleuten, die in die Vereinigten Staaten entführt oder auf unmanövrierbar geschossenen Fahrzeugen auf offenem Meer ihrem Schicksal überlassen wurden), war und ist es eine besonders perfide Spielart dieser Piraten, in Schnellbooten, so genannten "lanchas", von der Halbinsel Florida kommend ungeschützte Küstendörfer im Norden Cubas anzugreifen und mit Maschinengewehrfeuer zu belegen, um nur Minuten danach wieder wie ein böser Spuk zu verschwinden.

Am 12. Oktober 1971 griff die Besatzung eines solchen Schnellbootes den Weiler Boca de Samá in der Provinz Holguin an, wobei es zwei Tote (Lidio Rivaflechas Galano und Ramón Arturo Siam Portelles) gab sowie zwei verletzte Mädchen (Nancy und Angela Pavón Pavón, 15 und 13 Jahre alt). Nancy, eines der beiden Opfer, erinnert sich: "In dieser Nacht erwachte ich von einer Schießerei. Meine Mutter fing an zu weinen, weil wir kleine Kinder in Haus hatten. Sie wurde von einer Kugel des Kalibers 50 am Bein erwischt. Bei mir wurden beide Füße getroffen. Der rechte, der mir später amputiert wurde, bestand nur noch aus Stückchen und der andere sah aus, als ob einen Machetenhieb gekriegt hätte. (...) Unter den Feuerstößen mussten wir dann irgendwie das Haus verlassen."

Andrés Nazario Sargen, der bis zu seinem Tod vor zwei, drei Jahren Chef der Terrorgruppe Alpha 66 war, die immer noch völlig offen ihr Büro in Miami unterhält, sagte anlässlich einer Attacke auf ein cubanisches Joint Venture Tourismushotel am 20. Mai 1995: "Wir haben keine anderen Pläne als fortzufahren, alles in Cuba zu zerstören, was wir erwischen können." (Quelle: die Website dieser Organisation im November 2000)

Mitte der Siebziger Jahre begann das, was unter der Bezeichnung "La guerra por los caminos del mundo" - "Der Krieg auf den Straßen der Welt" - bekannt werden sollte. Ziele in Cuba anzugreifen, genügte den Terroristen nicht mehr. Der Aktionsradius fanatischer Exilcubaner weitete sich aus auf alles, was an anderen Orten des Planeten mit der sozialistischen Insel in irgendeiner Form in Beziehung stand. Das konnten Handelsniederlassungen im Ausland sein oder auch Miami-Cubaner, die aus der Schiene des blanken Hasses ausscherten und sich für den Dialog einsetzten. Anschläge auf cubanische Diplomaten standen jedoch ganz oben auf der Liste.

"Am 22. April 1976 wurden in Lissabon die beiden cubanischen Diplomaten Adriana Corcho Callejas und Efrén Monteagudo Rodríguez durch eine Bombenexplosion zerfetzt. Adriana hatte den Sprengsatz entdeckt und war gerade im Begriff, ihre Companeros vor der Gefahr zu warnen, als es zur Detonation kam."

"Am 9. August 1976 wurden die in der cubanischen Botschaft von Buenos Aires, Argentinien akkreditierten cubanischen Mitarbeiter Jesús Cejas Arias und Crescencio Galanena Hernández in aller Öffentlichkeit von terroristischen Elementen abgefangen und entführt.

Nachdem man sie gefoltert und ermordet hatte, verschwanden die Körper beider Funktionäre. Nichtoffiziellen Versionen zufolge liegen ihre Leichen im Zement eines der Gebäude, die in der fraglichen Zeit in Buenos Aires errichtet wurden."

"Am 11. September 1980 wurde der cubanische Diplomat Félix García Rodríguez, Funktionär des Protokolls der cubanischen Mission bei den Vereinten Nationen, mit mehreren Schüssen von Terroristen cubanischen Ursprungs an der Ecke Queens Boulevard und 55. Straße in New York getötet, als er mit seinem Auto unterwegs war."

Die Internationalisierung der von militanten Exilcubanern ausgeübten Gewaltakte, durch die jede Großstadt der Erde betroffen sein konnte, begann den US-Behörden Kopfzerbrechen zu bereiten. Die Regierungen einiger Länder fingen an, Druck auszuüben. Als Konsequenz kam es zu einigen Verhaftungen und zu anderen Formen des Liebesentzugs für die Terroristen, die sich zunehmend verbittert zeigten:

"'Die Amerikaner hatten uns gelehrt, Sprengstoff zu benutzen, sie hatten uns in Navigation unterrichtet, sie hatten uns militärisch vorbereitet, und eines Tages beschlossen sie, dass sie uns nicht mehr brauchten. (...) Was wir 1963 machten und was damals von der CIA ausging, war 10 Jahre später ein krimineller Akt.' Nach eigenen Aussagen zwang das Ausbleiben der politischen und finanziellen Unterstützung durch die USA die Angehörigen des Exils auf den Weg der blinden, fast wahnsinnigen Gewalt." (Calvo Ospina, Hernando: "Originalton Miami", PapyRossa Verlag, Köln 2001, S.23)

"Der Autobus mit den Hunden ist gefallen" Dieser grenzalberne Satz war die verschlüsselte Vollzugsmeldung einer mörderischen Tat, die bis auf den heutigen Tag DAS Terrortrauma schlechthin des cubanischen Volkes verkörpert.

"Am 6. Oktober 1976 landete eine DC-8 der Linie "Cubana de Aviación" (Flugnummer CU-455) auf dem Internationalen Flughafen Seawell von Barbados. Es war 11:21 Uhr vormittags. 54 Minuten später hob sie mit dem Ziel Jamaika wieder ab. Um 12:23 Uhr erschütterte eine Explosion das Flugzeug, das darauf in Brand geriet und nach fünf dramatischen Minuten ins Meer stürzte. Es gab keine Überlebenden. 73 Tote: 57 Cubaner, 11 Guyaner, 5 Nordkoreaner. Unter den Toten die cubanische Jugendfechtmannschaft, die erst wenige Stunden zuvor die Zentralamerikanische Meisterschaft in Caracas gewonnen hatte."

Die Bombenleger Luis Posada Carriles und Orlando Bosch Avila gerieten - eher durch einen blöden Zufall - in die Maschen der Justiz und saßen ein paar Jahre in einem venezolanischen Gefängnis ab. Bosch lebt inzwischen als Rentner in Miami (wo er in Interviews den "Elder Statesman" der Konterrevolution gibt) und Posada, 80 Jahre und kein bisschen weise, hält als graue Eminenz des Terrors immer noch die Welt in Atem - inoffiziell, wohlgemerkt, denn offiziell sind die Medien nicht geneigt, von ihm Kenntnis zu nehmen. Zumindest hier bei uns nicht. In den USA durfte er 1997 der "New York Times" seine Gedanken zum Absturz jener cubanischen DC-8 unterbreiten, die den Tenor hatten, der Tod der Guyaner sei irgendwie bedauerlich, sie seien einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen, dumm gelaufen, doch bei allen anderen Passagieren habe es sich schließlich um Kommunisten gehandelt und um die sei es nicht schade.

1981 wurde Cuba von einer Epidemie hämorrhagischen Dengue-Fiebers heimgesucht, an der 344.203 Personen erkrankten. Binnen weniger Wochen starben 158 Menschen daran, darunter 101 Kinder.

"Die ersten Fälle traten gleichzeitig in drei Gegenden der Insel auf, die bis zu 300 km von einander entfernt lagen. Es gab keinerlei epidemologische Erklärung für eine Infektion auf natürlichem Wege. Das überraschende Auftreten, ohne dass es eine epidemische Aktivität irgendwo anders in der Region der Amerikas gegeben hätte oder in einem der Länder, mit denen Cuba einen regen Personenaustausch unterhielt, sowie das simultane Auftreten in weit auseinander gelegenen Regionen des Landes" gab Rätsel auf.

"Jahre später, während eines Gerichtsprozesses in New York (bei dem es um etwas völlig anderes ging, Anm. d. Autors) gegen den dort ansässigen cubanischen Terroristen Eduardo Arocena, gab dieser zu, einen ansteckenden Virus nach Cuba eingeführt zu haben."

"Der Terrorist Arocena wurde für dieses Bekenntnis weder zur Rechenschaft gezogen, noch wurden Untersuchungen gleich welcher Art durch die Autoritäten der Vereinigten Staaten eingeleitet."

Der US-Journalist Ron Ridenour wird da in seinem Buch "Backfire" etwas genauer. Ihm zufolge waren die Bakterien tragenden Moskitolarven, die 1981 zu zig Millionen nach Cuba geschafft wurden, unter Laborbedingungen im CIA-Hauptquartier von Langley, Virginia, entstanden. Dengue des Serotyps A war in der Hemisphäre, natürlich auch in Cuba, bekannt. Aber diese mutierten Viecher verbreiteten Dengue des Serotyps B, der bis dahin vollkommen unbekannt war und gegen den Cuba keine wirksamen Medikamente besaß. Das gleichzeitige Verbringen der gefährlichen Mückenlarven an verschiedene Orte der Insel war insofern kein Problem, als Arocena nach eigener Aussage bei seiner "Mission" (er bezeichnet die operative Bodenbereitung für einen faktischen Massenmord wirklich so) einer "durch mich geführten Gruppe" angehörte.

"Alle gestorbenen Kinder waren zwischen 0 und 14 Jahre alt. Wenn auch die Dauer der Krankheit zwischen drei und sieben Tagen variierte, ermittelte eine gemachte Studie diesen Durchschnittsverlauf: Der dritte Tag mit Fieber war der Tag der Blutungen (der Haut, des Mundes und der Nase) sowie der Alarmzeichen (starke Bauchschmerzen, häufiges Erbrechen, Gereiztheit oder Schlafsucht); am vierten Tag kam es zum Schockzustand, kurz nachdem das Fieber gefallen war, verschiedentlich gefolgt von heftigen Blutungen wie Hematemesis (dem Erbrechen von Blut) und der fünfte Tag war der ihres Todes. Praktisch ausnahmslos waren die Kinder gesund und gut ernährt gewesen."

"Während der Epidemie verzögerte das Schatzministerium der Vereinigten Staaten, indem es die Blockadegesetze anwandte, die Erlaubnis zum Verkauf der speziellen Insektizide gegen den identifizierten Vektor der Krankheit an Cuba wie auch die Ausfuhrgenehmigung für die Sprühvorrichtung an den Spraydosen. Cuba sah sich gezwungen, diese über Drittländer zu beschaffen - bei zusätzlichen Kosten von Millionen von Dollar und erheblicher Verspätung bei der Lieferung, was gewiss ein wesentlicher Faktor in einer Vielzahl der Todesfälle war."

(Es ist nicht leicht, bei manchen Passagen dieser Schilderung die Fassung zu bewahren? Das stimmt. Es ist übrigens noch schwerer, wenn man die Fotos der Kinder vor sich hat.)

Auch in den 90er Jahren gab es terroristische Übergriffe sonder Zahl, mehrere von ihnen mit Todesfolge. Der bekannteste Fall ist wohl der des jungen Italieners Fabio di Celmo, der 1997 bei einer Bombendetonation in Havannas Touristenhotel Copacabana starb. In jenem Sommer gingen auch in anderen touristischen Zentren der Hauptstadt Sprengsätze hoch, u.a. im Tritón, im Chateau Miramar, im Nacional und in der Bodeguita del Medio. Als direkt verantwortlich für die Attentate wurde der Salvadorianer Raúl Ernesto Cruz León ermittelt, dem dann auch der Prozess gemacht wurde, doch bei näherem Hinsehen war er gewissermaßen nur die äußere Hülle einer Russischen Puppe, in deren Kern sich Luis Posada Carriles und der damalige Chef der berüchtigten CANF (Cuban American National Foundation) Jorge Mas Canosa befanden.

Der spektakulärste Fall der Neunziger war zweifellos einer, der nicht unmittelbar mit unserem Thema verknüpft ist, nämlich der des damals 6jährigen Elián González, der, von der eigenen Mutter bei Nacht und Nebel aus Cuba entführt, als einziger die Havarie des Bootes überlebte, auf dem er sich befand, und vor der Küste Floridas, an einen Rettungsring geklammert, aus dem Wasser gefischt wurde. Dieser Vorgang sowie das folgende monatelange Tauziehen um den kleinen Jungen zwischen Cuba und den Vereinigten Staaten ging über lange Zeit hinweg weltweit durch die Medien. Ich will das jetzt nicht noch mal aufrollen.

Bis auf dies: An dem Tag, an dem Elián in einem Lear-Jet wieder zurück nach Cuba gebracht wurde, gab es auf dem Flughafen von Miami eine Szene, die klar zeigte, wes Geistes Kinder die Leute sind, die um seinen Verbleib in den USA gekämpft hatten. Eine Exilcubanerin, die der abfliegenden Maschine nachschaute, schrie - groß eingefangen von der Fernsehkamera - mit ausgebreiteten Armen in den Himmel: "Vater, lass dieses Flugzeug abstürzen! Vater, lass dieses Flugzeug abstürzen!"

Sie erflehte von Gott (ich finde keine anderen Worte dafür), dass ER einen terroristischen Akt begehe. Ich fühlte einen verrückten Lachreiz in mir aufsteigen und gleichzeitig lief es mir kalt den Rücken hinunter.

Das häufig und ausführlich zitierte Buch schließt - zwingend logisch - mit einem längeren Kapitel über die "Miami 5".

"Cuba benötigt Augen und Ohren in Florida" Dieser Ausspruch General Edward Atkensons, ehemaliger Chef des Planungsbüros des US-Geheimdienstes, ist ebenso schlicht wie präzise. Niemand, der den vorliegenden Bildband auch nur quergelesen hat, wird die Richtigkeit des Satzes anzweifeln.


Alle Zitate (sofern nicht ausdrücklich anders ausgewiesen) entstammen dem Buch "Cuba, la historia no contada", Editorial Capitán San Luis, La Habana, Cuba, 2003. Das Fehlen von Seitenangaben ist der Tatsache geschuldet, dass das Buch keine Seitenzahlen hat.

(Der Artikel ist erschienen in: "Cuba libre", Ausgabe 1-09, Freundschaftsgesellschaft BRD-Cuba e.V., Maybachstr. 159, 50670 Köln; Wir danken "Cuba libre" für die freundliche Genehmigung des Nachdrucks.)

Raute

CHINA

Kurt Gossweiler: Meine Sicht auf die Entwicklungen in der Volksrepublik China

Die bürgerlichen Medien überschütten uns täglich und stündlich in Bild und Ton mit Nachrichten über die schrecklichen Lebensbedingungen der chinesischen Massen unter dem "Manchester-Kapitalismus" in China und knüpfen daran die Bemerkung, dass China zwar eine "kommunistische Diktatur" sei, aber kein sozialistisches Land, sondern eines, das von der kommunistischen Führung in die schlimmsten Zeiten des Kapitalismus der ursprünglichen Akkumulation zurückgeworfen worden sei.

Daran, dass die in China regierende Kommunistische Partei dem ausländischen Kapital großen Spielraum gewährt hat und noch immer gewährt, der von diesem zu brutaler Ausbeutung der chinesischen Arbeiterinnen und Arbeiter ausgenutzt wird, und dass auch das Entstehen einer "eigenen" chinesischen Kapitalistenklasse Raum gegeben wurde, die es dem ausländischen Kapital eifrig gleichtut, ist nicht zu zweifeln.

Das wirft natürlich die Frage auf, ob wir es bei der KP Chinas noch immer mit einer echten Kommunistischen Partei oder nicht doch auch mit einer zu tun hat, die den Weg der Chruschtschow und Gorbatschow eingeschlagen hat, den Weg des Revisionismus und der Restauration des Kapitalismus, des Verrates an der kommunistischen Sache.

Ich kenne nicht wenige Genossen, die genau davon überzeugt sind und in der KP Chinas einen zu bekämpfenden Feind und in der Volksrepublik China einen zu bekämpfenden imperialistischen Staat sehen, und ich kenne noch mehr andere Genossen, die hoffen, dass es nicht so ist, aber befürchten, dass es doch so sein könnte, und die fragen: woran soll man sich denn halten, wie kann man sich da noch zurechtfinden?

Ich stelle mir dazu zwei Fragen:

Erstens - welchen Platz nimmt die Volksrepublik China im weltweiten Kampf zwischen den imperialistischen und den antiimperialistischen und sozialistischen Staaten ein?

Zweitens: Wie erklärt die Führung der KP Chinas selbst ihre Politik, ihre Motive und ihre Ziele, wie glaubwürdig ist das, und wie weit stimmen ihre Taten mit diesen Erklärungen überein?

Zum Ersten: daran, dass Volkschina nicht nur auf der Seite der antiimperialistischen Kräfte steht, sondern deren Hauptkraft und der Hauptgegner der imperialistischen Mächte mit den USA an der Spitze ist, kann für mich kein Zweifel bestehen.

Ein Kronzeuge dafür ist kein anderer als Gorbatschow. In seiner berüchtigten Ankara-Rede beklagte er sich bitter über China: "Eine Welt ohne Kommunisten wird besser sein. Nach dem Jahr 2000 kommt die Zeit des Friedens und Aufblühens der Menschheit. Es besteht hier jedoch eine große Belastung, die den Weg zu Frieden und Wohlstand der Menschheit bremsen wird. Das ist der Kommunismus in China. Ich war in Peking zur Zeit der Studentenunruhen 1989, als es schon den Anschein hatte, dass der Kommunismus in China zusammenbricht. Ich wollte zu den Demonstranten auf dem Platz des himmlischen Friedens sprechen und ihnen sagen, dass sie durchhalten sollen, und dass wir mit ihnen sympathisieren, und dass es auch in China eine Perestroika geben muss. Die chinesische Führung wünschte das nicht. Das war ein unermesslicher Schaden. Wäre der Kommunismus in China gefallen, wäre die Welt weiter auf dem Weg zu Frieden und Gerechtigkeit." (Quelle: "Unsere Zeit", DKP-Organ, v. 8.9.2000)

Weitere Fakten zum Platz Volkschinas im antiimperialistischen Kampf:

Dass Nordkorea bisher allen Attacken des Imperialismus widerstehen konnte und nicht kapitulieren musste, verdankt es neben seiner standhaften Führung vor allem dem Rückhalt, den ihnen die VR China gibt.

Die VR China stand immer fest hinter Kuba, und steht nun fest hinter den lateinamerikanischen Staaten, die unter Führung Venezuelas die USA aus der Region verjagen, die sie so lange als ihre Hinterhof betrachten und behandeln konnten.

Die VR China beteiligt sich an allen regionalen Vereinigungen und Organisationen, wie der Shanghai-Konferenz-Organisation (SKO), deren Ziel die Befreiung von imperialistischer Hegemonie ist, und stellt deren Hauptkraft dar.

Und umgekehrt: die USA-Imperialisten ebenso wie die EU-Lenker sehen in China den Hauptgegner ihrer expansionistischen und konterrevolutionären Unternehmungen und Vorhaben, und betreiben eifrig, wenn auch wenig erfolgreich, Chinas Einkreisung und Isolierung.

Und nun zur Frage Zwei:

Als unter Deng Xiaoping die Reformen eingeleitet wurden, die kapitalistischen Unternehmen so großen Raum einräumten, fragte ich mich, warum in China nicht möglich sein sollte, was in Rußland mit so großem Erfolg vorgemacht worden war: die Wirtschaft im Wesentlichen aus eigener Kraft aufzubauen, mit nur geringfügiger und nur relativ kurzzeitiger Zulassung von kapitalistischen Elementen in der Periode der NÖP, der "Neuen Ökonomischen Politik".

Eine erste Antwort lag nahe: Wäre die Sowjetunion noch das, was sie unter Lenin und Stalin war, dann hätte China einen politisch und wirtschaftlich mächtigen sozialistischen Staat an seiner Seite gehabt und dazu noch die sozialistische Staatengemeinschaft, und, auf sie gestützt, wäre es nicht nötig gewesen, in großem Ausmaß ausländisches Kapital zum Aufbau einer eigenen industriellen Grundlage ins Land zu lassen. Jetzt aber, da Volkschina ganz allein dastand und von der Sowjetunion, statt Hilfe zu erhalten, sogar noch mit Dolchstößen in den Rücken rechnen musste, befand sich Volks-China in einer unvergleichlich schwierigeren Lage, als Sowjetrußland nach dem Sieg über die Interventen 1922.

Denn das zaristische Rußland von 1917 war im Hinblick auf Entwicklung von Industrie und Handel und Erschließung des Landes mit Verkehrswegen und Eisenbahnen sogar dem China von 1976, Maos' Todesjahr, weit voraus. Rußland war 1914 eine - wenngleich rückständige - imperialistische Großmacht, China dagegen noch 1959 ein Dritte-Welt-Land, bis zum Sieg der Antihitlerkoalition über Japan zu großen Teilen noch von Japan kolonial besetzt und ausgebeutet, dazu noch mit einer riesigen Bevölkerung, die in eine Vielzahl von Völkern und Stämmen unterteilt ist, von denen einige in verschiedenen Teilen des Landes sogar heute noch in vorfeudalen Gemeinschaften leben.

Wenn man dies alles in Betracht zieht, dann muß man zugeben, dass die strategische Orientierung, die von der KP Chinas auf ihren Parteitagen verkündet wird, realistisch ist.

Sie geht davon aus, dass die Frage "Wer Wen?" letztendlich davon abhängt, dass die VR China ihren großen ökonomischen Rückstand so schnell wie möglich überwindet.

Da dies unter den gegebenen Umständen nicht anders möglich ist, als durch das, was Lenin in der Sowjetunion mit der NÖP vorgesehen hatte, wurde dieser Weg durch die Führung der KP Chinas beschlossen und beschritten. Also die Heranziehung in einem bestimmten, begrenzten Maße von ausländischem Kapital zum möglichst raschen Aufbau einer Industrie im eigenen Lande, aber unter der Kontrolle des Staates und bei Sicherung des Übergewichtes und des Vorranges des staatlichen Eigentums an den Produktionsmitteln.

Das bedeutet, dass die kommunistische Partei und der sozialistische Staat in einer ersten Phase sich als Planaufgabe nicht den durchgängigen Aufbau sozialistischer Gesellschafts- und Produktionsverhältnisse zum Ziel setzen kann, sondern zunächst erst einmal die nachholende Schaffung der ökonomischen Voraussetzungen für den späteren Übergang zu sozialistischen Produktionverhältnissen, und das unter Heranziehung ausländischer und Zulassung chinesischer Kapitalisten.

So etwas kann natürlich nicht konfliktlos vor sich gehen. Wenn sich ein sozialistischer Staat seine industrielle Basis zu einem guten Teil von Kapitalisten errichten lassen muss, dann muss er ihnen nolens volens eben die Möglichkeit geben, als Kapitalisten zu produzieren, also zur Mehrwertgewinnung, zur Profitgewinnung, und zwar in einer Höhe, die eher über als unter dem Normalmaß "zu Hause" liegt. Billiger kann die NÖP nicht verwirklicht werden.

Das geht natürlich auf Kosten der eigenen Arbeiterklasse, der Klasse also, als deren Vertreterin und Führerin die Partei den Staat führt und Politik macht.

Diesen Weg zu gehen gleicht einer Gratwanderung mit großem Absturzrisiko:

Wenn die Führung bei ihrer Planung und bei ihrem Handeln auch nur kurzzeitig vergessen sollte, dass die Existenz der Volksrepublik in allererster Linie von der engsten Verbindung der Partei mit der Mehrheit der Arbeiter und Bauern abhängt; wenn ihr auch nur kurzzeitig das Wirtschaftswachstum wichtiger sein würde als die Sorge um die Lebensbedingungen der Werktätigen und sie deshalb dem Profithunger des Kapitals allzugroßen Wirkungsraum überließe, - dann droht der Absturz.

Aus den Beschlüssen der Parteitage der KP Chinas habe ich aber bisher immer den beruhigenden Eindruck gewonnen, dass die Führung sich dieser Gratwanderungs-Situation sehr bewusst ist und immer rechtzeitig Korrekturen anbringt, wo sich Anzeichen dafür bemerkbar machen, dass solche notwendig sind.

Ich betrachte es auch als Zeichen einer realistischen Einschätzung aufgrund einer marxistischen Analyse, - in krassem Unterschied etwa zu dem verantwortungslosen Geschwätz eines Chruschtschow vom "baldigen Übergang zum Kommunismus" - wenn die chinesische Führung nüchtern davon spricht, dass der Aufbau des Sozialismus in China noch viele Generationen, eine Zeitspanne möglicherweise noch bis zu hundert Jahren, in Anspruch nehmen wird.

Überraschend für mich war allerdings die Feststellung auf dem letzten Parteitag, es ginge jetzt um die Herstellung einer "harmonischen Gesellschaft."

Was kann das heißen unter Bedingungen, die dem Kapitalismus, und damit - wenn auch nur in begrenztem Ausmaß, - der fortschreitenden Spaltung der Gesellschaft in Ausbeuter und Ausgebeutete, der Akkumulation von Reichtum auf dem einen, von Armut auf dem anderen Pol der Gesellschaft Raum geben, also Klassenkampf unvermeidlich ist?

Es heißt das offenbar, dass sich die Führung darüber klar ist, dass unter den gegebenen Bedingungen die Gefahr besteht, dass die bestehenden Klassengegensätze zwischen Kapital und Arbeit zu offenen Klassenkämpfen führen, die zu einer Gefährdung der Stabilität der Staats- und Gesellschaftsordnung werden können. Das muß verhindert werden. Und es kann nur dadurch verhindert werden, dass der sozialistische Staat die offene Austragung der Interessengegensätze nicht zulässt, sondern deren Ausgleich in die eigenen Hände nimmt, indem er Sorge dafür trägt, dass der wachsenden Reichtum der gesamten Gesellschaft nicht nur die Kapitalseite reicher werden läßt, sondern an ihm auch die Werktätigen stetig und fühlbar teilhaben, zugleich aber auch dafür, dass die Bedingungen erhalten bleiben, unter denen die Kapitalisten bereit sind, weiter an der Stärkung eines Staates mitzuwirken, dessen wachsende Macht das internationale Klassenkräfteverhältnis zuungunsten des Kapitalismus verändert. Auch das eine unerhört komplizierte Aufgabe, bei der in bestimmten Situationen die Haltung des Staates ihn eher als Interessenvertreter der Kapitalisten denn als Staat der Arbeiter und Bauern erscheinen lassen kann.

Eine ähnliche Position nimmt die Führung der Volksrepublik auch auf dem Gebiet der Außenpolitik ein. So eindeutig ihre Parteinahme für die vom Imperialismus bedrohten und die um ihre Befreiung von imperialistischer Vorherrschaft kämpfenden Völker und Staaten ist, so betreibt sie den imperialistischen Mächten gegenüber dennoch keine herausfordernde Politik einer feindseligen Konfrontation, sondern eine Politik der Bereitschaft zur Kooperation, offenbar ausgehend davon, dass man es den Imperialisten, insbesondere dem USA-Imperialismus, nicht noch erleichtern darf, eine Begründung für einen kriegerischen Überfall zu finden, und ferner auch deshalb, weil die Lösung solcher die ganze Menschheit bedrohender Probleme, wie z. B. der Klimawandel, nur durch internationale Zusammenarbeit aller möglich ist.

Die VR China läßt sich davon auch nicht durch die feindseligen antichinesischen Kampagnen abbringen, mit denen sie von den imperialistischen Mächten der übrigen Welt jahraus jahrein als das Land brutalster Verletzung der Menschenrechte vorgeführt wird, mit Verweis auf das angebliche Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens gegen Demonstranten im Jahre 1989, und auf die angebliche Okkupation und Vergewaltigen Tibets und der Tibeter.

Sie bleibt die Antwort auf diese verlogenen Anschuldigungen nicht schuldig, gibt die aber nicht in Gestalt einer Gegenkampagne, sondern mit der sachlichen Darlegung der wirklichen Vorgänge und Verhältnisse und der entschiedenen Zurückweisung aller Forderungen nach "Schuldbekenntnissen" und Entschuldigungen.

Eine Form des Klassenkampfes, die in einem solchen Riesenland wie China schwer unter Kontrolle zu bringen ist, ist die Korruption der Funktionäre von Partei- und Staatsorganen, von ganz unten bis weit oben, durch "die Reichen", einheimische und ausländische. Lässt man die Korruption wuchern, dann kann auf diesem Wege aus dem Apparat eines Arbeiter- und Bauernstaates ein Apparat der "Reichen" werden. Dadurch kann die Korruption für ein Land wie Volks-China existenzbedrohend werden. Offenbar deshalb geht man gegen sie besonders scharf vor, bis hin zur Todesstrafe.

Eines der wichtigsten Felder des Klassenkampfes ist das der Ideologie.

Die revisionistischen Häuptlinge in der Sowjetunion, Chruschtschow und Gorbatschow, erzielten auf diesem Gebiet, durch die Fälschung der eigenen Geschichte, - die Erklärung der Stalinschen Periode zur Periode einer Kette von Verbrechen -, sowie durch die revisionistische Verfälschung der Leninschen Lehren, die verhängnisvollsten und nachhaltigsten Erfolge bei ihrem Werk der Zerstörung der Grundlagen der Sowjetmacht.

So mancher hatte nach Maos Tod und nachdem Deng Xiaoping zum ersten Mann im Staate aufgerückt war, erwartet, dass Deng nun das gleiche mit Mao veranstalten werde, wie Chruschtschow mit Stalin.

Statt dessen wiederholen alle Parteitage der KP Chinas, dass die Mao Tse-tung-Ideen zu den theoretischen Grundlagen der Partei gehören, und zum Zeugnis dessen blickt Maos Bild wie seit den Tagen des Sieges der Revolution von der Mauer des Kaiserpalastes auf den Platz des Himmlischen Friedens. Die Kritik an der Kulturrevolution wurde nie ausgeweitet zu einer Verdammung Mao Tse-tungs.

Das ist wichtig, vor allem für die Erziehung der Jugend. Denn auf die Jugend Chinas zielen die ideologischen Beeinflussungsversuche der imperialistischen Meinungsmacher-Zunft am allermeisten. Auf sie sind die "Verlockungen" der raffinierten Methoden der "Entideologisierung" in erster Linie berechnet.

Welche Wirkung diese Beeinflussungsversuche erzielen, ist von außen schwer zu beurteilen. Die Informationen über die Verhältnisse in China stammen zu 99 Prozent aus den bürgerlichen Medien, und die geben ein zielbewußt verfälschtes Bild von der Volksrepublik China, berechnet darauf, bei den Massen gegenüber diesem Land Furcht und Abscheu und Verachtung zu erregen und die Zuversicht derer zu zerstören, die in der Volksrepublik China den Beweis für die Lebendigkeit, Unzerstörbarkeit und Sieghaftigkeit ihrer Sache, des Sozialismus, sehen.

Aber das Jahr 2008 gab der ganzen Welt die Möglichkeit, einen erhellenden Blick gewissermaßen in das "Innenleben" dieses großen Landes zu werfen - in den Wochen der grandiosen Olympiade in Peking.

Die schrille Begleitung des wochenlangen Fackellaufes der olympische Flamme mit einem Dauertrommelfeuer an Hetze gegen die Volksrepublik wegen der angeblichen Okkupation und nationalen Unterdrückung Tibets und die gleichzeitige Herumreichung des Dalai-Lama als des "verfolgten Vorkämpfers für die Unabhängigkeit seines Volkes" ließ erkennen, dass von bestimmter Seite der Vergabe der Olympiade an China nur deshalb zugestimmt worden war, weil man sich davon versprach, diese Gelegenheit nutzen zu können, um durch ein koordiniertes Vorgehen von äußerem Druck und verstärktem Auftreten der inneren Opposition während der Olympiade vielleicht doch noch das erreichen zu können, was Gorbatschow 1989 mißlungen war.

Aber diese so sorgfältig geplante Kampagne wurde zu einer einzigen Blamage für die Hintermänner und ihre diensteifrigen Figuren vom Schlage der Dame Maischberger vom Deutschen Fernsehen.

Was die vielen aktiven Teilnehmer und die Zehntausende von ausländischen Zuschauern erlebten, war weit mehr als eine festliche Sportveranstaltung - es war ein grandioses, einmaliges kulturelles Weltereignis, das Millionen in der ganzen Welt am Bildschirm in seinen Bann zog und jeden, ob ganz nah in Peking oder irgendwo in der Ferne, immer wieder von neuem staunen ließ über den Ideenreichtum der Schöpfer und die Schönheit und Exaktheit der immer wieder von neuem überraschenden Darbietungen mit mitunter bis zu tausend Mitwirkenden.

Und jeder, der diese Olympiade auch nur vor dem Fernseher verfolgen konnte, erlebte auf die eine oder andere Weise mit, wie sehr die Bevölkerung des Landes, insbesondere seine Jugendlichen, mit Stolz und Freude erfüllt sind über die Leistungen ihres Landes und ihrer Landsleute.

Zusammengefasst: Die Fakten besagen für mich: Chinas Kommunistische Partei heißt nicht nur so, sondern sie ist eine echte, das heißt auf den Lehren von Marx, Engels und Lenin aufbauende und diese Lehren entsprechend den Erfahrungen des Klassenkampfes im 20. Jahrhundert auf die gegebenen nationalen und internationalen Bedingungen anwendende Partei.

Daher ist die Verteidigung der Kommunistischen Partei Chinas und der Volksrepublik China für einen Kommunisten gleichbedeutend mit der Verteidigung der eigenen Sache.

Kurt Gossweiler, Berlin

Raute

Wu Xiaobo: Chinas Entwicklungsmodell hat Probleme

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

Raute

KAUKASUSKRIEG

Eva Niemeyer: Vom "Ende des Endes der Geschichte": Der Kaukasus-Krieg hat die Karten neu gemischt

Der Kaukasus-Krieg beherrschte etwa einen Monat lang die Schlagzeilen in einer Weise, als stünde einmal wieder "der Russe vor der Tür" und als müsse sich die westliche (sprich: imperialistische) Welt vorbereiten auf einen neuen "Kalten Krieg". Und als die imperialistische Welt unisono gegen Russland zum Halali blies, sah es ein paar Tage lang sogar so aus, als könnte aus dem kaukasischen Scharmützel auch ganz schnell ein "heißer" Krieg werden ...

Gegen diesen Verbalfeldzug galt es zunächst, vor allem klarzustellen:

- Georgien hat den Krieg begonnen. Seine Regierung wurde vor allem mit Unterstützung der USA installiert, und es ist Anwärter für die NATO-Mitgliedschaft, damit eine Bedrohung für Russland.

- Russland hat sich gewehrt und zugleich signalisiert: Bis hierher und nicht weiter! Nachdem es seit der konterrevolutionären Auflösung der Sowjetunion hat eine Demütigung nach der anderen, einen Verlust nach dem anderen hinnehmen müssen - vom territorialen Zerfall bis hin zum Überlaufen von bisher fünf Staaten[23] ins gegnerische Lager der NATO, war mit dem Überfall Georgiens auf Tsingwali die "rote Linie" endgültig überschritten.

- Die imperialistischen Staaten sind üble Heuchler: Zuerst zerreißen Sie die ex-sozialistischen Staaten in kleine, bekömmliche Happen und wundern sich dann, wenn sich einige davon - wie Russland - als zu groß erweisen und keineswegs Beute sein wollen! Zuerst faseln Sie vom Selbstbestimmungsrecht und verteilen fröhlich nach eigenem Gutdünken und selbstverständlich einseitig staatliche Anerkennungen, dann beklagen sie sich, dass es die sich erhebende Konkurrenz ähnlich macht.

Was bei dieser Argumentation allerdings aus dem Blickfeld gerät, ist im wesentlichen der wachsende Widerspruch zwischen den imperialistischen Staaten, sowohl zwischen der EU und den USA als auch zwischen den Staaten innerhalb der EU. Und hier haben sich als die sichtbarsten Lager herausgebildet:

- die USA, unterstützt von Großbritannien, mit einer zumindest verbal sehr scharfen Haltung mit Drohungen gegen Russland vom Hinauswurf aus dem G8 Bündnis, der Verweigerung der WTO-Mitgliedschaft und dem sofortigen Aussetzen des NATO-Russland-Rates etc.;

- Deutschland und Frankreich mit einer, trotz aller Verurteilung der russischen Besetzung von georgischem Territorium, Haltung der "Dialogbereitschaft" und der diplomatischen Offensiven bis hin zur Vermeidung jeglicher Sanktionen;

- die neuen EU- und NATO-Mitglieder, die sog. "New Friends of Georgia"[24] Polen, Tschechische Republik und die baltischen Republiken sowie die Ukraine, die ein fühlbares (militärisches!) Eingreifen zugunsten Georgiens forderten. Damit verbanden sie außerdem die Forderung einer baldigen Aufnahme Georgiens und der Ukraine in die NATO, was der Position der USA in die Hände arbeitet bzw. der deutsch-französischen Achse in die Quere kommt.

Und so konnte sich das Unisono der gemeinsamen Verurteilung beim NATO Krisentreffen vom 19.8.2008 ziemlich bald verflüchtigen. Spätestens mit Sarkozy's "Sechs-Punkte-Plan" übernahm die deutsch-französische Führung in der EU das Zepter und bestimmt bis heute den Fahrplan der Zurückdrängung Russlands aus Georgien und die Ersetzung mit eigenen Interventionskräften, ergänzt um die bereits vorhandenen unter dem Deckmantel der UNO bzw. der OSZE. Und da auf diese Weise Russland zum Nachgeben gezwungen wurde, war das Geschrei über die "neue Großmacht" auch bald wieder vorbei.

Da scheint es bedeutsam, eine etwas sorgsamere Nachlese zu betreiben und zu schauen, ob und was sich denn jetzt alles nach diesem kurzen Krieg, der die Welt einen Monat lang in Atem gehalten hat, tatsächlich verändert hat.


Russland

Die größte und sichtbarste Veränderung ist/scheint zunächst das Wiedererstehen russischen "Selbstbewusstseins" zu sein, die Rückkehr Russlands als "Weltmacht", oder wie wir es nennen würden: die - angestrebte - Rückkehr an den großen Tisch der Imperialisten, an dem die Welt aufgeteilt wird und auf dem es gestern noch als fette Beute für die imperialistischen Räuber gelegen hatte. Tatsächlich lohnt sich ein genauerer Rückblick auf die letzten zehn Jahre russischer Entwicklung, insbesondere mit der NATO und den damit verbundenen imperialistischen Übergriffen:

Nachdem Russland nach der erfolgreichen Konterrevolution zunächst ein Spielball für die Raubzüge der neu entstandenen Bourgeoisie sowie imperialistischer Monopole war und auch politisch weitgehend in Chaos und Anarchie versank, bis die neue Bourgeoisie sich "geordnetere" Formen bürgerlicher Herrschaft schuf, wehte ab 2000 mit der neuen Staatsführung durch Wladimir Putin ein neuer Wind in Moskau: Der galoppierenden Kapitalflucht musste begegnet werden, die Industrie des Landes wieder aufgebaut und das kostbarste Gut, die Rohstoffe (allen voran Öl und Gas), musste in staatsmonopolitische Hände konzentriert werden und nicht als Filetstücke der neuen Bourgeoisie und ihrer imperialistischen Protektoren (Fall Yukos [25]) zum Fraß vorgeworfen werden. Außenpolitisch gab es daher eine Kehrtwende - zunächst hin zu den imperialistischen Ländern, mit denen Jelzin angesichts der ersten NATO Osterweiterung und des Jugoslawienkriegs zunehmend überkreuz war, denn damals war der Ölpreis etwa bei 20-25% des heutigen Wertes und die russische Staatskasse noch lange nicht genug mit Devisen gefüllt, um neue Produktionsmittel auf dem Weltmarkt im großen Stil einzukaufen.

Dann kam der 11. September 2001, und Russland war auf der imperialistischen Weltbühne als Bündnispartner im Kreuzzug gegen Afghanistan gefragt und dem sogenannten "Krieg gegen den Terror": Russland, selbst bedroht durch Sezessionskriege wie in Tschetschenien, stimmte der Aufstellung einer Interventionsarmee in Afghanistan zu (UN-Resolution 1386) und 2003 der Übernahme der ISAF-Führung durch die NATO. Der Luftraum wurde für die Kreuzzügler aufgemacht und US-amerikanische Militärstützpunkte in Zentralasien akzeptiert. Die im Jahr 2000 wieder aufgenommene Zusammenarbeit im "Ständigen Gemeinsamen NATO-Russland-Rat" (der seinerseits ein kleines Quid für das Quo der NATO-Osterweiterung war, um Russland zu besänftigen) erhielt insbesondere 2002 Substanz durch Konsultationen über die Errichtung einer militärischen Verbindungsmission beim russischen Generalstab und den im Mai 2002 neu geschaffenen NATO-Russland-Rat (NRR). Dadurch erhielt Russland das Gefühl, trotz mangelnden Veto-Rechts mit den NATO-Mitgliedern auf Augenhöhe zu sein (man nannte die Konstellation dann auch nicht mehr 19:1, sondern NATO:20) [26]. Der Preis dafür war, die NATO nicht mehr in ihrem Charakter zu kritisieren, der sich mit "out-of-area"-Einsätzen ganz offiziell von seinen historischen Statuten als "Verteidigungsbündnis" hin zur weltweit aktiven Interventionsarmee entwickelt hatte. Damit verbunden war die "Zusammenarbeit" in 27 Gremien, bei denen man sich allerdings nur zuweilen in den Fragen "Anti-Terror"-Maßnahmen, "Anti-Drogen"-Projekte und Katastrophenschutz näher kam. Fehlgeschlagen sind vor allem eine "Militärreform" (Strukturierung des russischen Militärs nach imperialistischen Bündnis- und Interventionsbedürfnissen) und die darauf aufbauende Rüstungskooperation. "Geheimhaltung und bürokratische Hürden" werden hier vom deutschen Bündnispartner und seinen Denkfabriken bitter beklagt.[27]

Mit der NATO-Mitgliedschaft der baltischen Staaten 2004, die Putin als "reine Rüpelhaftigkeit"[28] bezeichnete, verschlechterte sich das Verhältnis wieder, und Russland tat alles, um die drei Länder von einer "integrierten Luftverteidigung" der NATO fernzuhalten (sprich: NATO-Aufklärungsflüge über den baltischen Staaten mit "Sicht" auf russisches Territorium). Zugleich regt sich Russland über U.S.-Pläne zur Stationierung eines Raketenabwehrschildes in Polen und der Tschechischen Republik auf (die natürlich keinen anderen Zweck als den der Machtdemonstration gegen Russland, aber auch gegen Deutschland als Fressfeind Polens, haben und militärisch kaum mehr darstellen als eine Atrappe) und droht mit der Aufstellung der Kurzstreckenrakete "Iskander" auf weißrussischem Territorium. Abtrünnige Provinzen, die sich von "post-sowjetischen" Staatsgebilden lösen wollen (Transnistrien in Moldawien, Abchasien und Ossetien in Georgien) bekommen russische Unterstützung vor allem in Form von wirtschaftlicher Hilfe und russischen Pässen.

Im Juli 2005 fordert die SOZ [29] (Shanghai Organisation für Zusammenarbeit) auf Betreiben Russlands den Abzug von US-Truppen und die Auflösung der amerikanischen Militärbasen in Mittelasien im Laufe von zwei Jahren. Im Juni 2006 unterstützte Russland heftige Demonstrationen auf der Krim gegen das NATO-Seemanöver "Sea Breeze", an dem auch die Ukraine teilnahm, um die "rote Linie" gegen weitere NATO-Osterweiterungen zu signalisieren. Im Dezember 2007 schließlich stieg Russland aus dem KSE-Vertrag über die Begrenzung konventioneller Streitkräfte in Europa aus. Grund sind die veränderten Bedingungen durch die seit der im Mai 2000 beschlossenen Ergänzung zum KSE-Vertrag (AKSE) [30] erfolgte zweite Runde der NATO-Osterweiterung 2004, die nach Russlands Auffassung eine weitere "Anpassung" von konventionellen Streitkräftekontingenten an den neuen Status quo erfordern, zumal Russland seinerseits die Bedingungen erfüllt und alle schweren Waffen jenseits des Ural zurückgezogen und seine Truppen um 300.000 Mann reduziert hat.

Schließlich droht Russland mit einem Ausstieg aus dem INF-Vertrag zur Begrenzung von Kurz- und Mittelstreckenraketen - hier weniger mit Verweis auf die NATO als auf Staaten wie China, Nordkorea, Südkorea, Indien, Iran, Pakistan und Israel, die bereits alle über diese Waffengattung verfügen.

Die Rückkehr zu militärischer Stärke wird in diesem Zeitraum gestützt von einem Höhenflug der Öl- und Gaspreise und einem damit verbundenen Anwachsen der Devisenreserven Russlands auf stattliche 300 Mrd. €. Seit 2001 erhöhte Russland seinen Rüstungshaushalt auf das Vierfache und modernisiert seine konventionellen wie strategischen Waffen. Es schiebt staatliche Öl- und Gaskonzerne zusammen und erschwert ausländische Investitionen. Besonders zu spüren bekommt dies derzeit das russisch-britische Joint Venture TNK-BP zur Ausbeutung des Schtokman-Gasfeldes im nördlichen Ostsiberien: Russland ist hier zunehmend geizig bei der Visa-Vergabe und erschwert den britischen Geschäftsleuten die kontinuierliche Einreise ins Land. Neue ausländische Beteiligungen an strategischer Öl- und Erzförderung sind inzwischen gesetzlich untersagt.

Und die deutlichste Ansage, dass Russland sich von der NATO und den USA (von Russland synonym verwendet) in Zukunft nichts mehr gefallen lassen will, machte Putin angesichts der 10. Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2007.[31] Nach der Auflösung der russischen Militärstützpunkte in Georgien warnte Russland bereits Ende 2006 davor, Georgien zu "destruktiven" Schritten zu bewegen.[32] Die Ansage war klar: Ziehen wir uns zurück, lassen wir nicht zu, dass ein Vakuum entsteht, das gegen unsere Interessen "gefüllt" wird. Hätte die imperialistische Welt ein Interesse daran gehabt, dass Russland nicht auf Georgiens Überfall reagiert, hätte sie sofort und entschieden in den Konflikt einschreiten und Georgien bremsen können. Dagegen war das größere Ziel, Russland zu schwächen, und das war nur möglich, indem man es eine "Untat" begehen ließ, die man a) vor der Weltöffentlichkeit anprangert und so die Völker gegen Russland hetzt und b) eine Handhabe hat für militärische Intervention und Befriedung des strategisch so wichtigen Kaukasus.


USA

Die USA schien in diesem Konflikt der eigentliche bzw. Hauptgegner, da die Töne gegen Russland von dort am lautesten schallten. Außenministerin Condolezza Rice war denn auch die erste, die in Tiflis auflief, um die Solidarität der USA mit Georgien zu inszenieren. Allerdings blieb der gewünschte militärische Beistand fern. Als "Ersatz" zeichnete man schnell den Vertrag über die Raketenabwehr mit Polen. Ansonsten blieb es (bisher) bei diversen Sanktionsdrohungen.

Nachdem Russland die zentralasiatischen Staaten (insbesondere Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan) mit Langzeitlieferverträgen als Abnehmer von Öl und Gas wieder enger an sich binden konnte, hat die USA an Einfluss in Russland und Zentralasien in den vergangenen Jahren verloren: Verträge mit Russland in Sachen Öl-/Gasförderung (Halbinsel Sachalin) kamen kaum zustande, und der Versuch, statt dessen kaspisches Öl und Gas mit einer Pipeline durch den Kaukasus (Georgien!) an Russland vorbei zu transportieren, war mit hohem finanziellem Aufwand und vielen Verzögerungen verbunden. Zugleich erwuchs mit dem Nabucco-Projekt, einer Pipeline, die Gas aus Turkmenistan und Öl aus dem Iran über die Türkei - ebenfalls an Russland vorbei - nach Europa transportieren soll, ein weiteres, EU-geführtes Konkurrenzprojekt. Schließlich verlor die USA wesentliche Militärstützpunkte in Zentralasien (insbesondere in Usbekistan 2006) und ist heute als Folge des Georgien-Debakels bedroht, russischen Luftraum nicht mehr für Nachschubtransporte nach Afghanistan nutzen zu dürfen.

Der objektive Machtverlust wird von deutschen Medien mit unverkennbarem Eigeninteresse gespiegelt: "Der Krieg im Kaukasus hat auf einen Schlag das globale Machtgefüge neu kalibriert. Russland hat den Vereinigten Staaten brutal vor Augen geführt, wie begrenzt ihr Einfluss in der Region tatsächlich ist - trotz der amerikanischen Bemühungen, mit Georgien an der Südflanke Russlands einen Verbündeten zu stärken und womöglich in die Nato zu geleiten", heißt es im Handelblatt bereits am 13.8.2008, nicht einmal eine Woche nach Beginn der Kampfhandlungen.[33] Und weiter heißt es:

"Zwei Fragen ergeben sich nun. Erstens: Haben sich die USA überrumpeln lassen? Zweitens: Wie wirkt sich die Tatsache aus, dass die USA einem Alliierten nicht zur Seite gesprungen sind? Es ist kaum vorstellbar, dass die US-Geheimdienste über die Vorgänge in und um Georgien nicht bestens im Bilde waren. Sollten sie es nicht gewesen sein, wäre das eine ziemliche Blamage. Waren sie jedoch über die Absichten des georgischen Präsidenten und die Stellungen des russischen Militärs informiert, dann sind sie wohl Opfer einer Fehleinschätzung geworden: Die USA haben nicht damit gerechnet, dass Russland aktiv in den Konflikt eingreift. Das wäre nicht minder blamabel.

Die USA haben die Krise im Kaukasus jedenfalls unterschätzt. Das werden die Russen noch genüsslich ausschlachten. Moskau hat zum ersten Mal nach dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion wieder Stärke gezeigt und die nach russischer Auffassung gefährliche Umzingelung, die sich vom Baltikum über Polen und Ungarn, die Ukraine bis nach Georgien erstreckt, durchbrochen. ... Dass die USA es bei rhetorischen Protestnoten bewenden ließen, kommt Russland sehr zupass. Kann Moskau nun doch die Glaubwürdigkeit Washingtons infrage stellen. Die Amerikaner stehen als unzuverlässiger Partner da, der nicht einspringt, wenn ein Alliierter in Not gerät. Überall dort, wo die USA ihren Einfluss ausdehnen wollen, wird diese Botschaft sehr wohl verstanden: in Osteuropa, in Zentralasien, im Mittleren Osten." (ebd.) Das sind dann genau die Gebiete, die für Deutschlands Einfluss frei werden.

Und eine SWP-Studie, die gleich im Anschluss nach dem Krieg bereits im September 2008 erschien, gibt u.a. folgende Bestandsmeldung:

Der kurze, siegreiche Krieg hat die innerrussische Situation stabilisiert: Die Gesellschaft steht geschlossen hinter der Regierung.
Georgien ist destabilisiert, die Position der USA geschwächt.
Es ist deutlich geworden, dass Russland über die Fähigkeiten verfügt, innerhalb des GUS-Raums seine Ziele auch gewaltsam durchzusetzen, und dass weder NATO noch EU Instrumente besitzen, dem entgegenzutreten.[34]

Von daher läge es vor allem im Aufgabenbereich der EU, hier nachzubessern und Instrumente zu entwickeln, die russische Ambitionen wirksam eindämmen, ohne allerdings in eine Konfrontation mit Russland zu geraten.


Deutschland und EU

In der EU hatte sich gegen Großbritannien und die "kleinen Neuen" (baltische Republiken, Polen, Tschechien) das deutsch-französische Krisenmanagement durchgesetzt. Italien und Spanien haben sich zu dieser Frage eher zurückhaltend verhalten. Frankreich hatte als EU-Ratspräsident mit Sarkozys "6-Punkte-Plan" offiziell die Führung übernommen und den schließlichen Rückzug Russlands von georgischem Territorium einschließlich der Pufferzonen erwirkt. Im Gegenzug konnte Russland zunächst seine militärische Präsenz in Abchasien und Südossetien verstärken - mit mehr als 7.600 russischen Soldaten immerhin doppelt so viele wie vor Kriegsbeginn. Das wiederum wird vom NATO-Generalsekretär, Jaap de Hoop Scheffer, als "schwer hinzunehmen" und "inakzeptabel" gerügt. "Die Nato werde deshalb vorläufig daran festhalten, keine regelmäßigen Treffen zwischen den Nato-Botschaftern und dem Repräsentanten Russlands abzuhalten."[35]

Es zeigt sich also eine weitere Vertiefung der Kluft zwischen der deutsch-französisch geführten EU und der US-geführten NATO - zumal sich ein vertrauliches Diskussionspapier des französischen Außenministeriums, das "Reflexionspapier" des Außenministers Kouchner, eindeutig gegen eine baldige Aufnahme von Georgien und der Ukraine in die NATO wendet. Weitere Erweiterungen sollten danach "ausschließlich erfolgen, wenn sie im Eigeninteresse der Allianz sind".[36] Also, auf keinen Fall sollte man sich drängeln lassen von einzelnen Staaten - sei es denen, die Schutz suchen vor den großen Nachbarn, sei es vom bereitwilligen "Beschützer" USA. Statt dessen fordert Kouchner, sich den von Medwedew vorgetragenen, bislang ignorierten, Ideen zu einer europäischen Sicherheitsarchitektur [37] zuzuwenden. Damit wäre das Blatt gewendet: Statt eines zunehmenden US-Einflusses über die NATO und deren Osterweiterung würde sich die EU im - wie immer prekären - Bündnis mit Russland zusammenschließen und damit die USA zum Anhängsel machen. Statt NATO und NATO-Russland-Rat gäbe es möglicherweise einen EU/GASP-US-Rat und damit die Gravitierung des Bündnisses hin zur EU/Deutschland als Epizentrum der Macht, mit der USA anstelle von Russland als Anhängsel ...

Ein kleiner Blick in die Vergangenheit zeigt, wie sich insbesondere im letzten Jahrzehnt die Machtverhältnisse innerhalb der NATO verschoben haben:

Um das Dilemma "NATO out of area or out of business" zu lösen (NATO entweder außerhalb territorialer Verteidigung der Mitgliedsstaaten, also "out of area", einsetzen oder gänzlich auflösen), wurde auf dem NATO-Gipfel in Rom am 8.11.1991 festgestellt:

"Die Sicherheit des Bündnisses muss jedoch auch den globalen Kontext berücksichtigen. Sicherheitsinteressen des Bündnisses können von anderen Risiken berührt werden, einschließlich der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, der Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen sowie von Terror- und Sabotageakten."[38]

Und so wurde beschlossen, die NATO-Armeen in drei Kategorien aufzuteilen: Sofort- und Schnellreaktionskräfte ("Krisenreaktionskräfte"), Hauptverteidigungskräfte und Verstärkungskräfte. Damit wurde der Umbau in ein jederzeit weltweit einsetzbares Interventionsinstrument geschaffen.

Um in dieser neuen NATO eine gewichtige Rolle zu spielen und den deutschen Drang nach Osten auch militärisch abzusichern (wofür bis dato noch keine eigenen Kräfte bereit standen, der Umbau der Bundeswehr musste erst 1992 mit den Verteidigungspolitischen Richtlinien vorangetrieben werden), war es der damalige Verteidigungsminister Rühe, der im März 1993 forderte, Polen, Ungarn, die Tschechische Republik und die Slowakei noch vor (!) einem EU-Beitritt in die NATO aufzunehmen. Zugleich wurde aber auch klargestellt (Schäuble im Thesenpapier zu Kerneuropa), dass die EU ihren eigenständigen militärischen Arm zu entwickeln habe: "Ohne eine solche Weiterentwicklung der (west-)europäischen Integration ... (könnte) Deutschland aufgefordert werden oder aus eigenen Sicherheitszwängen versucht sein, die Stabilisierung des östlichen Europas allein und in der traditionellen Weise [also mit Anzetteln eines Weltkriegs - E.N.] zu bewerkstelligen."[39]

So hat denn auch die Bundesregierung einen nicht unerheblichen Beitrag zur "militärischen Ausbildungshilfe" in den ehemaligen Warschauer Pakt-Staaten geliefert: u.a. 58 Einzelmaßnahmen in Ungarn, 85 in Polen, d.h. gemeinsame sportliche Wettkämpfe, militärischer Erfahrungs"austausch", Waffenschulungen bis hin zu kostenlosen Offiziersausbildungen und gemeinsamen Manövern, die meisten im Rahmen des 1994 aufgelegten "Partnership-for-Peace" Programms zur Heranführung der neuen Mitglieder an die NATO-Strukturen. Interessanterweise war das PfP-Programm ursprünglich von den USA zur Vermeidung der von Deutschland vorangetriebenen neuen Mitgliedschaften ersonnen worden. Einige Stimmen der damaligen Zeit belegen die Befürchtung der damit verbundenen deutschen Großmachtambitionen:

So meint etwa die Herold Tribune am 8.9.1993, dass die NATO "als Mechanismus, der die Renationalisierung von Verteidigungspolitik verhindert", erhalten werden müsse. Owen Harris bezeichnete in "Foreign Affairs" den Vorstoß der BRD, Osteuropa in die NATO einverleiben zu wollen, als "außerordentliche Torheit", da es seit Jahrhunderten unter russischem Einfluss stehe. Hingegen bleibe das Engagement der USA in Europa weiterhin notwendig, "... um ein Auge auf Deutschland zu haben um sicherzustellen, dass es vor Abschluss dieses Jahrhunderts nicht ein drittes Mal entgleist." Andere Stimmen (Asmus, Kugler und Larrabee von der RAN Corproation) mit einer ähnlichen Einschätzung deutscher Ambitionen befürworten aus eben diesem Grund eher die Einbindung osteuropäischer Staaten in die NATO: "Eine Situation, in der ein Land wie Deutschland [! - E.N.] Polens Sicherheit mittels der Westeuropäischen Union zu sichern verspricht, nicht aber mittels der NATO, könnte die Atlantische Allianz zerstören. Es ist deshalb eindeutig besser, wenn jene Sicherheitsgarantie innerhalb einer neuen NATO ausgesprochen wird, wo sie glaubwürdig ist und wo die USA sie beeinflussen kann."[40]

Das "Partnership for Peace"-Programm war der entsprechende Kompromiss beider U.S.-Taktiken. Mit 27 Ländern, die ab 1994 dem Programm beitreten, entwickelt sich eine Bugwelle in Richtung NATO-Osterweiterung, die nicht mehr zu stoppen ist und schließlich von den USA vorangetrieben wird - nach dem Motto: wenn schon, dann unter unserer Führung.

Heute sind es auch die USA, die den NATO-Beitritt Georgiens und der Ukraine, mit der bereits 1997 ein NATO-Partnerschaftsabkommen geschlossen wurde, vorantreiben, während Deutschland und Frankreich auf der Bremse stehen. Aus Berlin wird sogar in bisher ungekannter Weise Kritik am NATO-Generalsekretär De Hoop Scheffer geübt und Zweifel an dessen "Selbständigkeit gegenüber Washington und politische Führungsfähigkeit" geäußert.[41]

Das ist heute in dieser Form möglich, da die USA einen ungleich schlechteren Stand haben in "Eurasien" als noch in den neunziger Jahren: Den ökonomischen Beutezug in Osteuropa haben die Imperialisten Europas gewonnen, allen voran Deutschland, das insbesondere die (kriegs-)wichtige Infrastruktur - Energie, Telekommunikation, Banken und Medien - in den osteuropäischen EU-Ländern beherrscht und in Russland über Lizenzrechte, Firmenanteile (Gazprom) und Bankkredite unmittelbar an der Ausbeutung russischer Gasquellen beteiligt ist, mit Lieferverträgen bis 2030. Mit der sogenannten Ostseepipeline (North Stream), an dem von EU-Seite nur deutsche Firmen beteiligt sind, erhält Deutschland als Transitland für russisches Gas eine zusätzliche Rolle als "Umschlagsmonopolist" in Europa.

Bleibt für die USA die militärische Drohkarte. Doch auch die hat sich im Georgien-Krieg eher als zahnlos erwiesen (s.o.). Und so wird die Wahrnehmung jener osteuropäischen EU-Länder beschrieben, die eine härtere Gangart der USA gegenüber Russland erwartet hatten:

"Allerdings dürften in der Region auch Zweifel gewachsen sein: daran, ob die USA wirklich willens sind, es im Ernstfall auf eine über diplomatische Zerwürfnisse hinausgehende Konfrontation mit Russland ob eines Konflikts im postsowjetischen Raum ankommen zu lassen; und daran, dass die USA jenseits militärischer Kapazitäten wirksame Mittel besitzen, um Solidarität mit ihren von Russland bedrängten Verbündeten zu üben."[42] Will sagen: außer draufhauen ist von den Amis ohnehin nichts zu erwarten ... Und was das betrifft, hat die EU ja jetzt auch etwas zu bieten: "Insofern werden die 'neuen Europäer' trotz eines gewissen Misstrauens gegenüber einigen Partnern in der EU vor allem auf die Europäische Union bzw. das Instrumentarium der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) setzen."[43]

Und was die 'neuen Europäer' und ihr Misstrauens betrifft, so kann man im wesentlichen auf deren realistische Einschätzung der Kräfteverhältnisse setzen: "Und auch die Reise der fünf Staatsoberhäupter nach Tiflis [44] markierte zunächst weniger den Auftakt zur Bildung einer breiten Front der Russland-Gegner in der EU, sondern führte vor allem vor Augen, dass die üblichen Verdächtigen [! - Hervh. E.N.] in puncto einer härteren Linie in der Russlandpolitik erst einmal unter sich blieben. Bei allen Bemühungen um die Unterstützung Georgiens sah man aber von radikalen Schritten ab. ... Der Tiflis-Auftritt war nicht zuletzt eine Botschaft für die EU-Partner, die nun wussten, dass es auch darum gehen würde, das konsequent russland-kritische Lager aus den neuen Mitgliedsländern einzubinden." Also auch hier etwas befrieden und gütlich stimmen, um die Schäfchen im Gehege zu halten.

Und wenn das zu schwierig wird, geht man eben mit "Kernstaaten", die ohnehin besser wissen, wo's lang geht, voraus:

"Trotz der Krise im Südkaukasus und der Interessendivergenzen in der EU in Bezug auf Russland könnten einige europäische Kernstaaten verstärkt den Dialog mit Russland suchen ... Deutschland, Frankreich, die Beneluxländer sowie Italien könnten die Verhandlungen über einen Vertrag für eine strategische Partnerschaft weiterführen, der das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen ablösen soll. Ein zentrales Projekt dieser Partnerschaft könnte die anvisierte Entwicklung eines gemeinsamen Gesamteuropäischen Raums "Äußere Sicherheit" sein. Ein Kooperationskurs gegenüber Russland würde anfänglich sicher nur bei wenigen EU-Mitgliedstaaten auf Zustimmung stoßen. ... Die 'Neueuropäer' werden die Tatsache anerkennen müssen, dass ohne Beteiligung Russlands drängende internationale Probleme nicht gelöst werden können."[45]

So oder so, die "Neuen" müssen gefügig gemacht werden.


Kaukasische EU-Osterweiterung

Während in der EU vor allem Deutschland und Frankreich eine weitere NATO-Osterweiterung um die Ukraine und Georgien derweil vereiteln und auf Hinhaltetaktik setzen, bindet man beide Länder stärker an die EU und drängt damit sowohl russischen als auch US-amerikanischen Einfluss weiter zurück ...

Zunächst zur Ukraine: Die deutsche Position ist hier, dass vor dem Datum 2017, bis zu dem die russische Schwarzmeerflotte vor der Krim verbleiben soll, keine NATO-Mitgliedschaft vorzusehen ist. Ins Feld geführt werden hierbei die russische Position gemäß Parlamentsbeschluss, wonach "jede weitere Annäherung der Ukraine an die Nato als einseitige Aufkündigung des Freundschaftsvertrags durch den südlichen Nachbarn anzusehen"[46] ist und die in der Ukraine "von der 'Partei der Regionen' und den Kommunisten ausdrücklich begrüßt" wurde (wenn es in die eigenen Interessen passt, scheuen sich deutsche Strategien nicht einmal, sich auf Kommunisten zu berufen ...), des weiteren die Stimmung in der ukrainischen Bevölkerung (!), die nach den Kampfhandlungen in Georgien, in die auch die russische Schwarzmeerflotte involviert war, immerhin zu 44% den Verbleib der Flotte als "Friedensgarantie" ansehen und lediglich 18% den Beitritt zur NATO befürworten. Schlussfolgerung:

"EU und Nato müssen erstens auf eine Beilegung der Machtkämpfe in der Ukraine drängen und die Ziele der Verhandlungen mit der Ukraine (Assoziierungsabkommen, Membership Action Plan) an deren innere politische Stabilität binden. Im Blick auf die russisch-ukrainischen Beziehungen wird zweitens für eine diplomatische Offensive im Rahmen der EU und der OSZE [also ohne die USA - E.N.] plädiert, die Russland und die Ukraine einbindet und sie auf die Einhaltung des zwischen beiden Ländern geschlossenen 'Freundschaftsvertrags' verpflichtet, einschließlich des darin vereinbarten Datums für den Abzug der Schwarzmeerflotte. Weder eine Infragestellung des Abzugs von russischer Seite noch eine Beschleunigung des Prozesses durch die Ukraine sind hilfreich."[47]

Mit einem "Stabilitätskonzept" für Georgien bekam auch der seit einigen Jahren anvisierte "kaukasische Stabilitätspakt" frischen Wind:

Klare Töne zum deutschen Engagement im Kaukasus waren bereits 2003 vom Vorsitzenden der Heinrich-Böll-Stiftung [48] zu hören: "Die EU (...) darf die Region nicht den Großmachtspielen Russlands und der USA überlassen."[49] Gernot Erler, damaliger SPD Fraktionsvorsitzender sekundierte in einem Strategiepapier: "Zwar sind die europäischen Beiträge im Bereich der Wirtschaftshilfe, des Staatsaufbaus und der Konfliktvermittlung durchaus willkommen, sie ersetzen jedoch nicht die Ausarbeitung einer langfristig angelegten politischen Strategie. Darin müsste die Anbindung der kaukasischen Staaten an Europa - jedoch ohne die Eröffnung einer konkreten Beitrittsperspektive für die EU - und das Engagement im Hinblick auf Konfliktvermittlung im Kaukasus unter Beteiligung der regionalen Mächte vor dem Hintergrund der wachsenden wirtschaftlichen Bedeutung der Region festgeschrieben werden."[50] Zu deutsch, einen festen Interventionsrahmen für Deutschland - eigenständig und im Rahmen der EU - zu schaffen, ohne diese Länder an den "Gabentisch der EU" zu lassen. Als Koordinator der Bundesregierung für die Beziehungen mit Russland schlug Erler bereits im September 2004 einen "kaukasischen Stabilitätspakt" vor nach dem Vorbild des Balkan-Stabilitätspakts.

Tatsächlich hatte Deutschland bereits wie bei Kroatien und Slowenien als erster Staat weltweit die Unabhängigkeit Georgiens anerkannt und dort eine Botschaft eröffnet. "Deutschland gehört zu den Staaten, die in dieser Region am aktivsten sind. Vor allem Georgien war und ist für Bonn und Berlin ein Schwerpunktland der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit im GUS-Raum. Deutschland ist Mitglied der Minsker OSZE-Gruppe zur Regulierung des Karabach-Konflikts und der mit dem Abchasien-Konflikt befassten Gruppe der Freunde des UN-Generalsekretärs in Georgien."[51] Auf EU-Ebene sind die diversen politischen Einbindungen noch zahlreicher: Seit 1999 wurden EU-Partnerschaftsabkommen mit den drei kaukasischen Ländern Armenien, Aserbaidschan und Georgien geschlossen, 2001 wurden sie in den Europarat aufgenommen. Mit Ausnahme von Tadschikistan hat die EU mit allen Staaten in Zentralasien ähnliche Abkommen geschlossen, außerdem: TACIS (Technical Assistance to the Commonwealth of Independent States) zur technischen "Unterstützung", d.h. Sicherung des Absatzmarktes für eigene Technologie, TRACECA (Transport Corridor Europe-Caucasus-Central Asia) zur Absicherung des Transportweges von Europa über den Kaukasus nach Zentralasien, BSREC (Black Sea Regional Energy Center) zur Zugangssicherung bei der Förderung und Verarbeitung von Energierohstoffen in der Schwarzmeerregion und INOGATE (Interstate Oil and Gas Transport to Europe) zur Sicherung des Öl- und Gastransports nach Europa.[52] Mit all diesen ach so freundlich kooperativen Vereinen geht es dem deutschen Imperialismus darum, einen "Ring verantwortungsvoll regierter Staaten rund um die EU", also deutsch goutierte EU-Marionetten zu schaffen.

Neuerdings sollen die kaukasischen Nachbarschaftsverträge ergänzt werden durch eine "multilaterale Kooperation der EU mit Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldova und der Ukraine". Erinnern wir uns noch an GU(U)AM? Ja, das war doch ... einst ein von den USA geschmiedeter Verbund zur Abwiegelung russischer Interessen, der auch erst nach den wesentlich von den USA gesponsorten sogenannten "Farbrevolutionen" ("Rosenrevolution" in Georgien im November 2003, "Orangene Revolution" in der Ukraine im Dezember 2004) zustande kam. Das zweite U in Klammern stand für Usbekistan, das im 2005 seine Mitgliedschaft stornierte und zur Shanghai Cooperation (SCO) überwechselte. Seither war es um diesen "Verbund" eher still geworden  ...

Jedenfalls will man mit der Wiederaufbauhilfe in Georgien nun zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: an Russland verlorenes Territorium wieder wettmachen, indem man bewusst "ganz Georgien", also auch Abchasien und Südossetien in den Geldsegen einbezieht und die in Georgien stationierte EU-Truppe auf die beiden Sezessionsgebiete auszudehnen versucht, und andererseits eben auch die Opposition gegen die US-Marionette Saakaschwili unterstützt - u.a. mit Programmen zur "Pressefreiheit", "Schaffung einer unabhängigen Justiz" und "Reform des Wahlsystems".[53] Bedeutsam in diesem Zusammenhang ist, dass die EU-"Mission" im Umfang von 200 "Beobachtern" zu 20% von deutschem Personal gestellt und außerdem vom deutschen Diplomat Hansjörg Haber geleitet wird. Damit ist unter deutscher Führung gelungen was deutsche Strategen bereits im September 2008 auf dem Wunschzettel hatten:

"Die EU will über die Vehikel der Vereinten Nationen und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Kaukasus präsent bleiben.[54] Darüber hinaus wird geprüft, ob und wie im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) eine Beobachtermission zur Überwachung des Waffenstillstandsabkommens eingerichtet werden soll. Die EU will Georgien weiterhin humanitär und mit Wiederaufbauhilfe unterstützen. Neben einer Geberkonferenz und Gesprächen über eine Freihandelszone sind auch Visa-Erleichterungen für georgische Staatsbürger bei der Einreise in die EU geplant."[55]

Nun gibt man sich aber in Deutschland keineswegs mit einer Kaukasus-Strategie zufrieden, wenn es um die Einhegung Russlands geht. Da wird nun auch die GUS [56] genauer unter die Lupe genommen und nach Ansatzpunkten zur Aufbrechung gefahndet. Bedauerlicherweise sind die Staaten mehrheitlich an Russland als wichtigsten außenpolitischen Bündnispartner gebunden und außerdem wirtschaftlich und militärisch eng verflochten. "Vor allem im Bereich der Infrastruktur für den Export von Öl und Gas bestehen ausgeprägte ... Interdependenzen. Innenpolitisch sind die GUS-Staaten, die durchwegs autoritär regiert werden und teilweise beträchtliche Konfliktpotentiale aufweisen, tendenziell instabil. Die politischen Führungen dieser Staaten sind in hohem Maße auf die Wahrung des Status quo im Innern bedacht, und dabei spielt die Unterstützung durch Russland eine maßgebliche Rolle."[57] Auf ihrer letzten Sitzung am 5.9.2008 stellten sich die OVKS-Staatschefs [58] hinter Russland und unterstützten seine Aufforderung an den "Westen", von einer weiteren Expansion in den ehemaligen sowjetischen Raum sowie auf eine Aufnahme Georgiens und der Ukraine in die NATO abzusehen. Hm. Da ist guter Rat teuer bzw. Initiativen, die Haarrisse in dieses Bündnis treiben. Wie wäre es da etwa mit der "EU Zentralasienstrategie" oder dem "Strategiepapier zur Schwarzmeersynergie", die angeblich für die Mehrzahl dieser Staaten "von erheblicher Bedeutung" sind: "Dies liegt vor allem daran, dass ihnen die Zusammenarbeit mit den USA und den Staaten Europas die Möglichkeit eröffnet, den Einfluss Russlands - und in zunehmendem Maße auch den der Volksrepublik China - auszubalancieren. Die Mehrzahl der GUS-Staaten ist mithin darauf bedacht, sich möglichst vielfältige außenpolitische Optionen zu schaffen."[59] Wie gut, dass es dafür Angebote der EU gibt ... So soll im Jahre 2010 Kasachstan den OSZE-Vorsitz übernehmen. "Mit dem Votum für den zentralasiatischen Staat war von Anfang an die Erwartung verbunden, dass der kasachische Vorsitz die Legitimität der OSZE im postsowjetischen Raum stärken und somit zu einer Erneuerung dieser Sicherheitsorganisation beitragen werde." Das gehe aber nur, wenn Russland nicht ständig polarisiert und querschießt mit seiner fehlenden Bereitschaft, "die dominierende Stellung im postsowjetischen Raum preiszugeben."[60]

Anders gesagt: Sollte Russland nicht freiwillig zurückstecken, kann Deutschland mit der EU noch andere Seiten aufziehen, um dessen Bündnispartner nach und nach auf seine Seite zu ziehen.


Früchte für Deutschland

Der deutsche Imperialismus trat in diesem Konflikt als "Dialogweltmeister" auf, setzte er sich doch - nach den ersten Verbalattacken von Frau Merkel gegen Russland in Tiflis [am ...] - ziemlich bald und deutlich gegen die Aussetzung des NATO-Russland-Rates und für die Fortführung des EU-Partnerschaftsabkommens [61] mit Russland ein. Steinmeier war in ständigem Kontakt mit seinem russischen Amtskollegen und setzte sich außerdem beim EU-Außenministertreffen am ersten Septemberwochenende mit seiner Initiative durch, eine internationale Untersuchungskommission zum Kriegshergang einzusetzen.

Damit konnte sich der deutsche Imperialismus insbesondere in den Medien hierzulande wieder als Deeskalierer und Friedensengel profilieren, während er still und heimlich seinen Einfluss im Kaukasus und nicht nur dort erweitert hat:

Die USA habe eine Mitschuld an der Entwicklung der russischen Haltung zu tragen. "Ein Kernproblem ist die Grundeinstellung in Washington. Die USA haben als einzig verbliebene Supermacht viel an Sensibilität im Umgang mit ihren Partnern und vor allem Russland verloren",[62] meint etwa Ex-Außenminister und Jugoslawien-Krieger Kinkel. Und so konnte man die unfähige USA - natürlich zu ihrem eigenen Glück - als Konfliktpartei erfolgreich ablösen: "Die US-Regierung etwa war nach Ansicht von Beobachtern froh, dass die EU das Krisenmanagement in Georgien übernommen hat. 'Die EU konnte wirkungsvoller vermitteln, als Washington das tun konnte', sagt der US-Außenpolitikexperte Charles Kupchan. Berlin und Paris seien dabei Hauptansprechpartner für Amerika gewesen - nicht der enge US-Verbündete London." (FTD, 3.9.2008). Oder: "Washington weiß allerdings sehr wohl, dass die Europäer in strategisch wichtigen Fragen - man denke etwa an die Atomverhandlungen mit Iran - eine Führungsrolle übernommen haben", so der Leiter der Denkfabrik "Stiftung Wissenschaft und Politik" (SWP), Volker Perthes im Handelblatt vom 16.9.2008.

Soweit der gewachsene politische Einfluss. Und der wirtschaftliche:

"Angesichts des enormen Erneuerungsbedarfs der russischen Wirtschaft und der Infrastruktur rechnen deutsche Unternehmen auch in den kommenden Jahren mit guten Geschäften. Für viele deutsche Handelsunternehmen gilt Russland ebenfalls als einer der Hauptexpansionsmärkte. Mittlerweile sind laut Ost-Ausschuss 4.600 deutsche Unternehmen in Russland präsent, davon 4.300 Mittelständler."[63] Allein im ersten Halbjahr sei der Wert deutscher Exporte nach Russland nach Angaben des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft um über 23% auf 15,8 Mrd. Euro gestiegen. Exportschlager: Maschinen und Anlagen, Fahrzeuge und Chemieprodukte [64] (also Technologie gegen Rohstoffe, ein Handel, wie man ihn mit abhängigen Ländern gewohnt ist).

Und was den Rohstofflieferungshebel Russlands betrifft, so überwiegt im deutschen Medienwald nicht nur allgemeine Entwarnung, sondern damit gekoppelt, wie man Russland tatsächlich einschätzt: Hinter allem martialischem Wortgeklingel und neuen Weltmachtansprüchen sei Russland - die Nummer 12 weltweit nach BIP - nun wirklich nicht auf Augenhöhe, wie man unter anderem auch bei den zweistelligen Börseneinbrüchen in Moskau im Zuge der US-Finanzkrise, verstärkt durch Kapitalflucht infolge der Georgien-Krise, sehen könne.

Ein Gasexportstopp würde in Russland zu einem drastischen Einnahmeschwund führen, meint Ostausschuss-Chef Mangold.[65] Und Roland Götz weist in zahlreichen SWP-Studien nach, wie abhängig Russland von seinen Öl- und Gasimporteuren (insbesondere Deutschland) sei und wie sehr von einem modernen Maschinenpark (den Deutschland liefert) und Investitionen in die Infrastruktur zur Rohstoffförderung.[66]

Dennoch sei es nötig, so wird immer wieder betont, in einer "Doppelstrategie" Russland in die Schranken zu weisen - schon, um seine Glaubwürdigkeit bei den kleineren osteuropäischen Staaten, den kaukasischen Staaten und der Ukraine als potentiellem EU- und NATO-Mitglied unter Beweis zu stellen. Der deutsche Imperialismus hat wenig Interesse daran, dass diese sich immer weiter dem US-Imperialismus annähern, nur weil diese sich nicht genügend von Deutschland beachtet oder gar durch die deutsch-russische Kumpanei bedroht fühlen (vgl. die bis heute nicht ausgestandenen Auseinandersetzungen um die Ostsee-Pipeline, die durch den Kaukasuskrieg neuen Auftrieb bekommen haben). Schließlich wandelt man auch im Hinblick auf zukünftige Energiequellen auf Pfaden abseits von Russland: Das gilt nicht nur für die oben erwähnte Nabucco-Pipeline, sondern auch für die politische Vereinbarung mit Nigeria um einen privilegierten Zugang zu den großen Gasreserven am Golf von Guinea [67] und die interessierte Beobachtungshaltung gegenüber Norwegens Öl- und Gasförderprojekte vor den Lofoten,[68] um nur die allerjüngsten Berichte zu zitieren.


FAZIT
Der Geogien-Krieg hat den Vorwand geboten, Russlands Einfluss in der Region weiter zu schwächen und den deutschen weiter zu stärken.
Deutschland schafft es mit der "Doppelstrategie", sich viele Optionen offen zu halten (mit/ohne Russland; mit/ohne Frankreich; mit/ohne/gegen USA).
Die Aggressivität anderer imperialistischer Länder bzw. jene, die sich wie Russland, gegen imperialistische Übergriffe zu wehren suchen, maskiert die Aggressivität des deutschen Imperialismus (das wurde u.a. deutlich an der U.S.-Strategie in der Region, die zunächst darauf bedacht war, Deutschland nicht gänzlich das Feld zu überlassen. Ansonsten liegt die Region für die USA tatsächlich nicht im prioritären Interessenbereich, was auch die Halbherzigkeit des Eingreifens erklärt).
Deutschland schafft es mit großer Überzeugungsfähigkeit, der Welt, aber vor allem der eigenen Bevölkerung seine Vermittlerrolle glaubhaft zu machen. Das macht die Sache besonders gefährlich, es schläfert den Kampfwillen und die Wachsamkeit der Arbeiterklasse gegenüber den deutschen Kriegstreibereien ein.
Die Tatsache jedoch, dass sich Russland gewehrt hat gegen eine sich plötzlich, wenn auch nur vorübergehend, formierende Phalanx imperialistischer Staaten hat ein Signal an die Völker der Welt geschickt, dass der Kapitalismus/Imperialismus nicht das "Ende der Geschichte" ist, dass ein Staat - auch wenn er sich gerade selbst anschickt, in dieselbe Liga aufzusteigen - der sogenannten "Neuen Weltordnung", in der die Imperialisten nach Gutdünken und ohne nennenswerten Widerstand die Welt unter sich aufteilen, vorbei ist:

"Manchmal bringen kleine Ereignisse große Veränderungen mit sich. Das georgische Fiasko mag eines davon sein. Es kündigte das Ende der Ära nach dem Kalten Krieg an. Aber es markiert nicht die Rückkehr zu einem neuen Kalten Krieg. Es signalisiert eine viel wichtigere Rückkehr: die Rückkehr der Geschichte.

Die Post-Kalte Kriegsära begann mit westlichem Triumphalismus, symbolisiert mit Francis Fukuyamas Buch vom "Ende der Geschichte". Der Titel war kühn, spiegelte aber den westlichen Zeitgeist wider. Die Geschichte endete mit dem Triumph der westlichen Zivilisation. Der Rest der Welt hatte keine andere Wahl, als vor dem Vorrücken des Westens zu kapitulieren.

In Georgien hat Russland laut und deutlich klargestellt, dass es nicht länger gewillt ist, vor dem Westen zu kapitulieren. Nach zwei Jahrzehnten Demütigung hat sich Russland entschieden, zurück zu beißen. Bald werden andere Kräfte ähnliches machen. Als Resultat seiner überwältigenden Macht ist der Westen in geopolitische Räume anderer schlummernder Länder vorgedrungen. Sie schlafen nicht länger, vor allem in Asien."[69]

Die Aufgaben, die sich für uns daraus ergeben:

immer wieder zu zeigen, woher die eigentliche Kriegsgefahr kommt (vom Imperialismus und der von ihm getriebenen Neuaufteilung der Welt);
zu zeigen, wohin die Hauptstoßrichtung gehen muss (gegen die eigene Bourgeoisie als "Hauptfeind");
zu zeigen, dass sich die Widersprüche zuspitzen nicht nur im imperialistischen Lager, sondern auch zwischen den imperialistischen Hauptländern und den "neuen Großen", den (Noch-)Nichtimperialisten wie Russland, China, Indien (so verschieden sie auch alle sind), was zum einen die Kriegsgefahr verschärft, aber auch ebenso die "Nischen" erweitert, in denen sich die Völker der Welt zur Wehr setzen (Lateinamerika und anderswo ...). Denn "sie schlafen nicht länger", nicht nur in Asien ...

Eva Niemeyer, Essen


Anmerkungen

[23] Polen, Tschechische Republik, Estland, Lettland, Litauen

[24] Die "New Friends of Georgia Group" löste 2005 die vor einem Jahrzehnt von Deutschland, Frankreich, Grobritannien und den USA gegründete "Friends of Georgia" Gruppe ab, nachdem auch Russland dieser Gruppe beigetreten war. Ziel war und ist die wirtschaftliche, politische und militärische Bindung Georgiens an NATO und EU. Die neue Gruppe zielt allerdings hauptsächlich gegen Russland und russische militärische Präsenz in der Region. Gegründet wurden die "New Friends" von den drei baltischen Staaten, Polen, der Ukraine, Rumänien und Bulgarien. Inzwischen haben sich außerdem die Tschechische Republik und Schweden der Gruppe angeschlossen.

[25] Die Zerschlagung des Yukos-Konzern erfolgte im Zusammenhang mit der Entmachtung der Ölbarone in Russland, die ihre Geschäfte weitgehend am russischen Staat vorbei abwickelten und ihm entsprechend hohe Steuereinnahmen vorenthielten. Yukos-Chef Chodorkowskij suchte sich den erhöhten Exporttarifen durch alte Steuerschlupflöcher zu entziehen und dachte außerdem laut über den Verkauf von Yukos an einen US-amerikanischen Ölkonzern nach. Der Kreml zog die Notbremse und zerschlug den Konzern, wobei das Herzstück Yugansneftegaz in den staatlichen Ölkonzern Sibneft eingegliedert wurde.

[26] H. Adomeit, F. Kupferschmidt, "Russland und die Nato", SWP-Studie, Berlin, Mrz 2008

[27] ebd., S. 12

[28] zit. n. ebd., S.17

[29] Russland, China, Kasachstan, Usbekistan, Kirgisien, Tadschikistan, Beobachterstatus: Indien und Iran

[30] Der AKSE ist eine Ergänzung zum KSE, der die Verteilung der konventionellen Streitkräfte nach der ersten NATO-Osterweiterung regelt.

[31] [Wichtigste Statements von Putin]

[32] Putin auf einer Sitzung des nationalen Sicherheitsrats am 1.10.2006, zit. n. ebd., S.19

[33] Christoph Rabe, "Geopolitik", Handelsblatt, 13.8.2008

[34] Hans-Henning Schröder, "Ein kurzer, siegreicher Krieg ... Russische Sichtweisen der Kaukasus-Krise", SWP-Berlin, September 2008

[35] "Nato-Chef rügt EU-Abkommen mit Russland", FTD, 15.9.2008

[36] Fidelius Schmid, Wolfgang Proissl, "Paris stellt Russlandpolitik der EU infrage", FTD, 22.9.2008

[37] Bei seinem Besuch in Berlin am 5.6.2008 stellte Medwedew die Vorstellungen Russlands für eine "gemeinsame europäische Sicherheitsarchitektur" vor: Dabei gehe es um die "Schaffung eines wirklich großen Europas" mit Russland, der EU und den USA als "drei Zweige(n) der europäischen Zivilisation", konkret um die Fortschreibung des Helsinki-Prozesses mittels eines gesamteuropäischen Gipfeltreffens zur Schaffung eines Regionalpakts, der Rüstungskontrolle und zwischenstaatliche Gepflogenheiten im euroatlantischen Raum regulieren soll. Deutschland käme dabei eine "besondere Rolle" zu. Es handelt sich dabei offensichtlich um den Versuch, die Bedeutung Russlands in Europa unmissverständlich deutlich zu machen und zugleich um ein Angebot an Deutschland, hier den Seniorbündnispartner zu geben. Entsprechend auch die Reaktion der deutschen Denkfabrik SWP: "Damit steht ein Angebot im Raum, auf das die deutsche und die europäische Politik reagieren können, wenn sie es für opportun halten." (Hans-Henning Schröder: "Medwedew ante Portas. Konturen der neuen russischen Außenpolitik", SWP-aktuell, Berlin, Juni 2008, S. 2-3)

[38] vgl. Ole See, "NATO-Osterweiterung", Referat auf dem Friedensnetzplenum, 2.8.1997

[39] zit. n. ebd.

[40] zit. n. ebd.

[41] "Washington macht Druck", FAZ, zit. n. "Kaukasische Rivalitäten", www.german-foreign-policy.com 24.10.2008

[42] Kai-Olaf Lang, "Die alte Angst der neuen Europäer", in: "Die Kaukasus-Krise", SWP-Berlin, 2008, S. 26, SWP-Berlin, 2008, S. 26

[43] ebd.

[44] Am 12.8.2008 reisten die Regierungschefs Polens, Estlands, Lettlands, Litauens und der Ukraine nach Tiflis, um ihre Solidarität mit Georgien zu demonstrieren.

[45] Annegret Bendiek, Daniela Schwarzer, "Die Südkaukasuspolitik der EU unter französischer Ratspräsidentschaft: Zwischen Konsultation, Kooperation und Konfrontation", in: "Die Kaukasus-Krise", ebd., S. 40

[46] Rainer Lindner, "Ukraine und Russland: Die Krim als neuer Konfliktherd im Schwarzmeerraum", in: "Die Kaukasus-Krise", ebd., S.20

[47] ebd.

[48] Die Heinrich Böll-Stiftung ist die Parteistiftung von Bündnis 90/DIE GRÜNEN, das mancherorts noch als Freunde alternativer Energien und als friedensbewegt gilt.

[49] zit n. Anton Latzo, "Die Anziehungskraft des Schwarzen Meeres", junge Welt, 11.2.2004

[50] zit. n. Anton Latzo, a.a.O.

[51] Uwe Halbach, a.a.O., S. 22

[52] Mehdi P. Amineh, a.a.O., S. 16

[53] vgl. www.german.foreign.policy.de, "Kaukasische Rivalitäten (II), 24.10.2008

[54] Die OSZE-Mission stand übrigens bis 2005 unter russischer Führung, um dann von Georgien übernommen zu werden. Unterstützt wurde es dabei von einem eigens zu diesem Zweck beorderten EU-Team. (vgl. Annegret Bendiek, Daniela Schwarzer, "Die Südkaukasuspolitik ...", ebd., S. 41)

[55] ebd., S.39

[56] Die GUS wurde als Nachfolge-"Gebilde" der Sowjetunion im Dezember 1991 unter der Führung Russlands, Weißrusslands und der Ukraine gegründet. Als Vollmitglieder gehören ihr außerdem Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgisien, Moldova, Tadschikistan und Usbekistan an. Die Ukraine und Turkmenistan sind assoziierte Mitglieder. Georgien ist am 14.8.2008 ausgetreten.

[57] Andrea Schmitz, "Der Kaukasus-Konflikt und die Zukunft der GUS", in: "Die Kaukasus-Krise", ebd., S. 16

[58] Die Mitglieder im "Vertrag über Kollektive Sicherheit (OVKS), die unmittelbar nach dem Georgienkrieg tagten, beschlossen eine Intensivierung der militärischen Zusammenarbeit. Zu ihnen zählen Armenien, Kasachstan, Kirgisien, Russland, Tadschikistan, Usbekistan, Weißrussland.

[59] ebd., S. 18

[60] ebd., S. 18

[61] Das EU-Russland Partnerschaftsabkommen wurde im Jahr 1997 auf 10 Jahre geschlossen mit Verlängerungsoption. ...

[62] zit. n. Handelsblatt, "Asiatische Partner erteilen Russland Abfuhr", 28.8.2008

[63] Dietrich Creutzburg, Klaus Stratmann, "Wirtschaft sorgt sich um ihr Russland-Geschöft", Handelsblatt, 1.9.2008

[64] ebd.

[65] ebd.

[66] vgl. Roland Götz, "Russland als Energiepartner Deutschlands"

[67] "EU lockt Nigeria mit Gaspipeline", FTD, 18.9.2008

[68] Tausche Fische gegen Erdgas", FTD, 17.9.2008

[69] Kishore Mahbubani, "The West is strategically wrong on Georgia" ["Der Westen geht strategisch fehl mit Georgien"], Financial Times, 21.8.2008

Raute

AUS DER FRIEDENSBEWEGUNG

Irene Eckert: Friedensgrüße aus Frankreich

Die französische Friedensbewegung feierte am vergangenen Wochenende in Dijon (21-23.11.08; d.Red.), der Hauptstadt Burgunds, ihren 60. Geburtstag. Schneeflocken tanzten draußen vor den Fenstern des Kongresspalastes, während 500 Delegierte aus ganz Frankreich drinnen vor ihren umfangreichen Dokumenten schwitzten. Internationale Gäste waren geladen: aus Deutschland etwa der Friedensrat, aus Großbritannien die Kampagne für die Abschaffung von Atomwaffen (CND), auch afrikanische Friedensfreunde waren dabei, darunter ein Priester aus Burundi. Auch der Bischoff von Troyes, der Präsident von Pax Christi, war der Einladung zum Friedensforum gefolgt, mit dem der Kongressverlauf am 21.11. seinen Auftakt nahm. Wie die von Frederic Joliot Curie mit dem Stockholmer Appell zur Ächtung der Atomwaffen ins Leben gerufene Friedensbewegung, so ist auch "Pax Christi" ein Kriegskind. Monsignore Stenger erinnerte daran, dass keine soziale Ordnung ewig und unumstößlich sei und dass der Mensch das Recht habe, sie zu gestalten und zu verändern.

Auch einige ehemalige Angehörige der Resistance, Veteranen der Bewegung gegen den französischen Algerienkrieg, Aktivisten aus der Anti-Vietnamkriegsbewegung, Filmemacher und andere künstlerisch Tätige legten Zeugnis ihres oft mutigen Einsatzes ab. Alle waren dem Motto gefolgt: "Die Vergangenheit verstehen, um die Zukunft zu verändern - in der Gegenwart eine Kultur des Friedens entwickeln". Ein solcher Impuls beinhaltete auch ein "Nein zur Nato und ihren Kriegen" und war verbunden mit dem Aufruf den 60igsten Jahrestag des Kriegsbündnisses in Straßburg am 4. April friedenspolitisch würdig zu begehen.

Besonders empörend fanden die einem demokratischen und friedliebenden Europa zugeneigten Franzosen, dass das aggressive Militärbündnis sein Jubiläum ausgerechnet am Sitz des Europaparlaments zu begehen wünscht. In Arbeitsgruppen wurde der zur Aufrüstung verpflichtende Lissabon-Vertrag kritisch beurteilt, der aus gutem Grund dem französischen Volk nicht mehr zur Abstimmung vorgelegt worden war, wurde für die Vorbereitung auf den NATO-Gipfel 09 getrommelt, wurden Visionen entwickelt: "Ein Zug nach Straßburg, eine Menschenkette über die Rheinbrücke von Kehl nach Straßburg, wie damals 1983 gegen die Aufstellung neuer Atomraketen..." Draußen verwies eine Ausstellung auf den Zusammenhang zwischen den Militärausgaben und den sozialen Nöten, die dadurch im Volk entstehen. Frankreich, so war andererseits zu erfahren, nahm innerhalb von zehn Jahren 50 Milliarden Euro für Waffenexporte ein, die zu 39% an den Mittleren und Nahen Osten geliefert wurden. Demgegenüber würden die reichen Länder nicht ihrer Selbstverpflichtung nachkommen, auch nur 0,75 % ihres Bruttosozialprodukts der Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen. Während Frankreich noch 0,40 % dazutut, ist aus dem deutschen Partnerland nur 0,28 zu haben, so die Informationen auf den Plakatwänden.

Arielle Denis, eine der beiden Ko-PräsidentInnen der Vereinigung für den Frieden, wies in ihrem Eröffnungsreferat daraufhin, dass das neoliberale Modell immer neue Schichten von Armut erzeuge. Um 20% hätten allein in diesem Jahr die Sozialhilfeanträge zugenommen. Mit einem Blick auf die am Vortag vollzogenen Streikmaßnahmen im öffentlichen Dienst gegen massive Stelleneinsparungen, mit Blick auf den öffentlichen Protest gegen die Privatisierung der Post, mit Blick auf die vorgesehene Schließung der berühmten Senfproduktion in Dijon (die bereits dem UNILEVER-Konzern gehört) verwies sie darauf, dass die Ressourcen für eine wahrhafte Investition in die menschliche Entwicklung vorhanden seien. Vor allem müssten die Militärausgaben umgewidmet werden.

Die Stimmung war trotz allgemein düsterer Aussichten heiter und von abschließendem Gesang begleitet. Die KollegInnen werden in ihren Basisgruppen für den Straßburger April mobilisieren, sie werden natürlich auch den Aufruf der fünf parteipolitisch ganz unterschiedlich positionierten "Bürgermeister für den Frieden" mitnehmen und ihn für ihre Arbeit gegen die nukleare Bewaffnung, gegen neue Atomschirme in Europa nutzen. Alle freuten sich über die heute mögliche deutsch-französische Basiszusammenarbeit.

Irene Eckert, Berlin

Raute

Aufruf: 10 Jahre NATO-Aggressionskrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien - 24. März 2009: Solidarität in Belgrad

Am 24. März 2009 jährt sich zum zehnten Mal der Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges der NATO-Staaten auf die Bundesrepublik Jugoslawien.

Die NATO-Bombardements richteten sich zu über 80% gegen zivile Ziele, Wohnhäuser, Arbeitsplätze, Kliniken und Schulen. Mehr als 50.000 Geschosse mit abgereichertem Uran vergiften langfristig die Umwelt, mit dem Bombardieren von chemischen Produktionsstätten wurde die chemische Vergiftung von Menschen und Umwelt praktiziert, Streubomben und Minen entfalten noch heute ihre tödliche Wirkung.

Mit diesem Aggressionskrieg verletzte die NATO ihre eigene Gründungscharta, das Helsinki-Abkommen der KSZE und die Charta der Vereinten Nationen. Die durch die UN-Charta garantierte Souveränität und territoriale Integrität eines UN-Mitgliedstaates, der zu den Gründern der Vereinten Nationen und den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges gehörte, wurde missachtet und brutal niedergebombt.

Die NATO nahm diesen Krieg zu ihrem 50. Geburtstag - allen vorgegebenen Kriegsvorwänden zum Trotz - zum Anlass für die Erklärung, künftig weltweit militärisch intervenieren zu wollen. Vor zehn Jahren warnten die Kriegsgegner davor, dass die Aggression gegen Jugoslawien als "Türöffner-Krieg" zur Zerstörung des Völkerrechts genutzt werden soll. Inzwischen wurden diese Warnungen durch die Aggressionen gegen den Irak und Afghanistan und den globalen "Krieg gegen den Terror" bestätigt.

Die imperialistischen Pläne für den "größeren Mittleren Osten", die Einmischung im Sudan, in Tibet und im Kaukasus, die Kampagnen gegen Zimbabwe, Venezuela, Kuba, Somalia, den Libanon und insbesondere die unverhohlenen Kriegsdrohungen gegen den Iran zeugen davon, dass die "neuen Weltordner" ihre ökonomischen und strategischen Interessen weltweit mit militärischer Gewalt durchsetzten wollen, und dazu das Gewaltverbot und die UN-Charta insgesamt mit Füßen treten.

Mit der NATO-Aggression gegen Jugoslawien wurde die jahrelange, bis 1999 mit Stellvertreter-Kriegen betriebene Zerstörung des Landes vollendet.

Ein "Regime-Change" wurde vorbereitet, damit der Widerstand gegen die Diktate von Weltbank, Währungsfonds und Pentagon gebrochen und stattdessen gehorsame Marionetten des Westens eingesetzt werden konnten.

Die völkerrechtswidrige Zerstückelung Serbiens wurde in Gang gesetzt, um dem Widerstand auf lange Zeit die Grundlage zu entziehen.

Mit der Gründung eines UN-Charta-widrigen Ad-hoc-Tribunals in Den Haag schwingen sich die Aggressoren zu Anklägern und Richtern über die Angegriffenen auf. Eine beispiellose massenmediale Gehirnwäsche soll die Lesart und Geschichtsfälschung der NATO in den Köpfen verewigen.

Gegen diesen Skandal demonstrieren wir am 24. März 2009 in Belgrad - gemeinsam mit den patriotischen Kräften des Landes!

Wir gestatten nicht, dass die Aggressoren die Geschichte schreiben.
Die verantwortlichen Staatschefs der Aggressor-Staaten gehören als Kriegsverbrecher vor Gericht!
Das völkerrechtswidrige Ad-hoc-Tribunal in Den Haag muss aufgelöst und alle seine Gefangenen freigelassen und entschädigt werden!
Wir fordern eine unabhängige internationale Untersuchung des Todes von Slobodan Milosevic und aller weiteren mysteriösen Todesfälle im Haager Gefängnis!
Die Abspaltung des Kosovo von Serbien ist nichtig von Anfang an!
NATO raus aus dem Balkan!

Wir wollen durch unsere Teilnahme an der Demonstration in Belgrad auch unsere Verbundenheit mit den Menschen in Serbien demonstrieren, die seit 1991 Opfer westlicher Kriegsintervention waren - und immer noch sind.

Informationen zu Unterkünften in Belgrad und Mitreisemöglichkeiten sowie Details zur Planung vor Ort sind zu erfragen bei: AK_Jugo@gmx.de.

V.i.S.d.P.: Klaus Hartmann, vorstand@freidenker.de

Raute

Irene Eckert: Kein Frieden mit der Nato!

Der Kasseler Friedensratschlag 2008

"Es gibt für die Menschen nur dann eine Zukunft, wenn die Nato keine Zukunft hat" mit diesem wegweisenden Impuls eröffnete Peter Strutynski den 15. Friedensratschlag an der Kassler Gesamthochschule. KriegsgegnerInnen aus dem gesamten Bundesgebiet drängten sich am 2. Adventswochenende dicht in der Universitätsmensa und lauschten aufmerksam dem Sprecher des größten deutschen Friedensforums. Die Friedensforschung, so der Fachmann, müsse die Legitimationsgrundlage des Militärpaktes erschüttern helfen, der sich durch einen erweiterten "Sicherheitsbegriff" eine Zauberformel zugelegt habe. Mit deren Hilfe lasse sich jedes, aber auch jedes Rüstungsprogramm rechtfertigen. Die im NATO-Neusprech definierten neuen "Sicherheitsrisiken" seien stilbildend für deren "Strategiepapiere". Diese bilden den "Rechtfertigungsrahmen" für einen weltweiten Aktionsradius des Paktes und gipfelten in den "humanitären Interventionen" seit 1999.

Dass sich die Welt ohne NATO endlich ihren eigentlichen Herausforderungen widmen könne, wurde sehr präzise und engagiert belegt von Hans von Sponeck, dem ehemaligen UN-Koordinator des so genannten Lebensmittelhilfsprogramms "Food for Oil" im Irak. Wie sein Vorgänger, so war auch er schon vor dem "das Völkerrecht entwürdigenden Krieg" gegen den Irak zurückgetreten. Im "großen Spiel um Macht und Gier" käme der NATO eine Schlüsselrolle zu. So würden von den weltweiten 1,2 Billionen Dollar Rüstungsausgaben pro Jahr nach konservativen Schätzungen von der NATO 70% aufgebracht. 15 Millarden Dollar im Monat verschlinge alleine der Krieg in Afghanistan. Demgegenüber betrage das gesamte UN-Budget, an dem 192 Staaten der Erde mitragen, nur 2,1 Mrd Dollar. Das Mandat der UNO aber sei es, dem Frieden zu dienen und gemäß der "Milleniumsziele" den Hunger auszurotten, menschwürdige Behausungen zur Verfügung zu stellen, sich um Umweltschutz und Gender-Gerechtigkeit zu kümmern und dergleichen wichtige Dinge mehr. Im Gegensatz dazu sei das Mandat der größten Militärmacht der Erde, der NATO - ursprünglich zwar verbal auf den territorialen Schutz seiner Mitglieder beschränkt und an der UN-Charta orientiert - spätestens ab 1999 nicht mehr von internationalem Recht gedeckt. Besonders aufs Korn nahm von Sponeck das streng geheime Abkommen zwischen UNO und NATO, an dessen Zustandekommen nicht einmal der Sicherheitsrat der UN beteiligt gewesen sei. Da dessen NATO-Mitglieder bestrebt seien, ihre Energie- und Rohstoffinteressen gegen andere UN-Mitgliedstaaten sicher zustellen und auf eine nukleare Erstschlagsfähigkeit optierten, sei dieser Zusammenschluss grundsätzlich als UN-Partner ungeeignet. Hoffnungsvolle Neuansätze für eine notwendig multipolare Welt, in der die NATO geschwächt und neutralisiert werden müsse, sah er dagegen in neuen Allianzen wie dem BRIC (Brasilien, Russland, Indien und China) oder dem SCO (Shanghai-Kooperationsabkommen). Vor allem aber, so betonte er und viele andere Referenten taten es ihm gleich, müsse die Schere zwischen Arm und Reich geschlossen werden, das sei der Weg zu "menschlicher Sicherheit".

Von den insgesamt unterrepräsentierten weiblichen Referentinnen war der Beitrag von Dr. Sabine Schiffer vom Institut für Medienverantwortung über "Frauenopfermythen als Mittel der Kriegspropaganda" besonders wichtig. Sie verdeutlichte auf journalistisch geschulte und didaktisch gekonnte Weise, wie raffiniert und oft schwer durchschaubar mediale Steuerung funktioniert. Sie zeigte anhand von Beispielen sehr verschiedener Mediensorten, wie ein gewollter Sinn in Richtung Feindbildkonstruktion "induziert" wird, wie insbesondere die von Frauen erbrachten, unfreiwilligen Opfer und ihre weltweit fortdauernde Unterdrückung für geschickte Kriegspropaganda missbraucht werden. Sie griff weit zurück auf den Ende der achtziger Jahre die Feindbildhetze gegen den Islam eröffnenden Beitrag von Betty Mahmoody "Nicht ohne meine Tochter" und endete mit dem vom Tierschützer Udo Kotte geprägten, bösen Begriff von der "Stoffkäfighaltung" afghanischer Frauen.

Sekundiert wurde ihr Workshopbeitrag im Abschlussplenum durch Frau Dr. Elaheh Rostami Povey von der Londoner School of Oriental and African Studies, die sinngemäß forderte, "schützt die Frauen Afghanistans - zieht die Besatzungstruppen ab". Das sei der Weg, wolle man etwa den 55.000 Witwen helfen, die heute allein in Kabul gezwungen seien, sich zu prostituieren, um mit ihren Kindern zu überleben. Der Friedensbewegung legte beide Referntinnen nahe, die Islamphobie als neue Form des Rassismus zu erkennen und anzuprangern. Bei ihrem nächsten Besuch wünschte sich Dr. Povey mehr Kopftücher zu sehen, diesmal waren es nur zwei. Gemeinsam sollten wir mit Menschen muslimischen Glaubens daran arbeiten, so fuhr sie fort, den Nato-Krieg in Afghanistan zu beenden, bevor er uns zuhause einhole. Wir dürften es nicht zulassen, meinte die britische Hochschullehrerin, dass der Feminismus von Frauen wie Madame Albright "gekapert" werde. Es sei an der Zeit wieder Frauen gegen den Krieg"[70] zu organisieren und uns damit auch gegen den vorhandenen "imperialistischen Feminismus" zu wehren.

In diesem Sinne herrschten auf der Tagung auch kaum Illusionen über "die Welt nach Bush" (Konferenzmotto). Das vermeintliche "dream team" des neuen US-Präsidenten Obama mit Hillary Clinton als nächster Außenministerin der NATO-Führungsmacht umfasst praktisch nur Falken, wie zu hören war. Auch Dr. Wolfgang Strengmann, ein Bundestagsabgeordneter der Grünen, der gegen die Ausweitung des bundesdeutschen Afghanistaneinsatzes votiert hat, kennzeichnete als "hinderlich", was Obama vorhabe, nämlich den "Krieg gegen den Terror" in Afghanistan gewinnen zu wollen. Ein Strategiewechsel sei bisher nicht erkennbar.

Dr. Baraki von der Marburger Universität mahnte, dass man mit 10,5 Milliarden Euro ziviler Hilfe sein völlig vom Krieg ruiniertes Land innerhalb von 10 Jahren komplett wieder aufbauen könne.

Mehrfach wurde auch während des Abschlussplenums gefordert, nicht nur die ausländischen Militärbasen zu schließen, sondern auch die "Drehscheiben" des Krieges in Deutschland ins Bewusstsein zu rufen, so etwa die Flughäfen Halle-Leipzig und Frankfurt am Main. Holzkreuze vor dem Kassler Universitätsgebäude mahnten an die Opfer der ortsansässigen Rüstungsindustrie. Weltweit werde dieser Industriezweig bisher bezeichnenderweise von der Krise völlig verschont. Bezug nehmend auf die Tiefe der Krise hatte der Wirtschafts-Professor Hickel in einem der wichtigen Eingangstatements vor allem auf Kapitel III des Marxschen "Kapital" verwiesen und vom "Terror der Finanzmärkte" und ihrer "toxischen Produkte" gesprochen. Der Handel mit dergleichen "Derivaten" und "Zertifikaten" gehöre schlichtweg verboten, ein "Investitionsprogramm in die Zukunft" sei erforderlich, vor allem gehöre aber die Mehrwertsteuererhöhung rückgängig gemacht.

Resümierend forderte Peter Strutynski am Ende der erfolgreichen Tagung: "Seien wir angesichts der Ernüchterung über Obamas Regierungsmannschaft Realisten und bauen wir auf die sozialen Akteure in aller Welt, die - ganz besonders in den USA - mit der Wahl des neuen US-Präsidenten andere Ziele verbunden haben. Bereiten wir die anstehenden Jubiläen im Jahr 2009 friedenspolitisch angemessen vor".

Irene Eckert, Berlin

Anmerkung

[70] Mitten im ersten Weltkrieg war in Den Haag ein solcher Impuls von den Sufragettinnen um Lida Gustav Heyman, Anita Augspurg, Jane Addams und vielen anderen Frauen aus den Krieg führenden Staaten ausgegangen. Die Pionierinnen der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit wurden freilich, obgleich aus den besten bürgerlichen Kreisen, heftig diffamiert und viele der deutschen Antikriegsaktivistinnen fielen später dem Nazifaschismus zum Opfer.

Raute

PRODUKTIVKRÄFTE UND PRODUKTIONSVERHÄLTNISSE

Kurt Gossweiler: Kapitalismus keine Fessel der Produktivkraft?!

Zur Kritik an Herbert Meißner: "Konflikt auf höherer Ebene"

Ein gutes halbes Jahr, nachdem in der "Jungen Welt" (v. 9.5.08, Thema-Seiten 10/11, Artikel "Konflikt auf höherer Ebene") Herbert Meißner, (in der DDR führender Politökonom und bis 1986 stellvertretender Generalsekretär der Akademie der Wissenschaften) dem Kapitalismus bescheinigte, dass entgegen den Voraussagen von Karl Marx "die Entwicklung von Wissenschaft und Technik, von industrieller Forschung und moderner Maschinerie ungehemmt vorangeht" sind wir Zeugen einer ungewöhnlich massiven Kapital- und somit auch Produktivkraftvernichtung durch die weltweite Krise, in der der Imperialismus sich aktuell befindet.

Meißner schreibt weiter: "Mit diesen technischen Entwicklungen gehen einher: eine ständig zunehmende Kapitalkonzentration und -zentralisation, Profitsteigerungen in früher ungekanntem Ausmaß, eine konstante Massenarbeitslosigkeit, eine zunehmende Verarmung großer Bevölkerungsteile bei Ausdehnung der Herrschaft des Finanzkapitals im globalen Maßstab. Eine Hemmung oder Fesselung dieser Entwicklung ist nicht erkennbar. ...

Auch wenn dabei neue ökonomische und soziale Widersprüche aufbrechen, entsteht, soweit es um die wissenschaftlich-technische Dynamik und Innovationskraft geht, keine Fesselung der Produktivkräfte durch die Eigentumsverhältnisse." (Unterstreichung von mir, K.G.)

Aus alledem ergibt sich nach Meißner die Frage, "ob in der Tat die hochentwickelten Produktivkräfte von den Produktionsverhältnissen gehemmt und gefesselt werden und aus diesem Konflikt die Überwindung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse gefordert ("gefordert"!) werden kann."

Zu fragen sei des weiteren, "ob es so ist, dass die heutigen Produktivkräfte 'nicht mehr zur Beförderung der bürgerlichen Zivilisation und der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse' dienen; dass diese Produktivkräfte 'die Existenz des bürgerlichen Eigentums' gefährden, dass 'die Bourgeoisie unfähig ist, noch länger die Herrschende Klasse der Gesellschaft zu bleiben,' bzw. 'ihr Leben nicht mehr verträglich ist mit der Gesellschaft'."

Nach Meißner ist festzustellen, dass sich Marx auch in diesen Fragen geirrt hat, soweit es um die entwickelten kapitalistischen Länder geht: "Offensichtlich ist die reale Geschichte des Kapitalismus in allen diesen Fragen anders verlaufen. Vielmehr hat die stetige Entwicklung von Wissenschaft und Technik zur Festigung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse beigetragen, werden die modernen technischen Möglichkeiten zu immer intensiverer Herrschaftssicherung eingesetzt, wird auch die ständig weiterentwickelte Militärtechnik und die dazugehörige Militärstrategie zur internationalen Herrschaftssicherung genutzt und auch im Inneren bei ernsthafter Systemgefährdung rücksichtslos angewendet.

Damit hat die von Marx konstatierte Beziehung zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen im Kapitalismus auch anderthalb Jahrhunderte nach Marx nicht zu einem systemsprengenden Konflikt zwischen beiden geführt bzw. ist dieser Konfliktpunkt trotz schwerer Krisen, revolutionärer Erschütterungen und der sozialistischen Alternative des 20. Jahrhunderts noch nicht erreicht. Vielmehr trägt genau umgekehrt die Entwicklung der Produktivkräfte trotz Zuspitzung alter und neuer Widersprüche immer wieder auch zur Festigung und Sicherung der bestehenden Eigentums- und Herrschaftsverhältnisse bei." (Alle Unterstr. von mir, K.G.)

Diese Äußerungen Meißners zeugen von einem mindestens dreifachen Nicht-Verstehen der Kapitalismus-Analyse von Marx und Engels und von einer sehr oberflächlichen Lektüre des Kommunistischen Manifestes.

Erstens sehen alle wirklichen Kommunisten in der Oktoberrevolution und im Entstehen eines Weltsystems sozialistischer Länder eine Bestätigung der Marx-Engels'schen Feststellung vom systemsprengenden Charakter des Widerspruches zwischen den kapitalistischen Produktionsverhältnissen und den unter ihnen entwickelten Produktivkräften.

Meißner aber sieht das offenkundig nicht so. Und warum?

Damit kommen wir zu Punkt zwei seines Nichtverstehens (oder seiner Nicht-Akzeptanz) der Marx-Engels'schen Feststellungen; die beiden schreiben nämlich im Kommunistischen Manifest:

"Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarktes die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie hat zum großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen. ...

An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander. ... Die nationale Einseitigkeit und Beschränktheit wird mehr und mehr unmöglich ...".

Dies eben sieht Meißner anders, wie wir unten gleich sehen werden: weil Rußland nicht zu den entwickelten kapitalistischen Ländern gehört, deshalb ist die siegreiche sozialistische Revolution dort und in anderen kapitalistisch schwach entwickelten Ländern für ihn kein Beweis für die Sprengkraft des Widerspruch zwischen PV (Produktionsverhältnissen) und PK (Produktivkräften) im Kapitalismus, denn für ihn gibt es nicht das tatsächlich bestehende einheitliches kapitalistische Weltsystem, (natürlich als Einheit von Widersprüchen), sondern zwei voneinander getrennte kapitalistische Welten.

Und der dritte Punkt des Meißneræschen Nichtbegreifens des Marx-Engels'schen Verständnisses des Widerspruches und Konfliktes zwischen PV und PK zeigt sich darin, dass er im direkt ausgesprochenen Widerspruch zu Marx meint, im hochentwickelten Kapitalismus hätten sich die Produktionsverhältnisse nicht zu Fesseln der Entwicklung der Produktivkräfte, sondern zu deren mächtigem Förderer entwickelt.

Damit erklärt er ausdrücklich, dass die nachfolgend zitierten Feststellungen im Kommunistischen Manifest seit Jahrzehnten schon keine Gültigkeit mehr besäßen für den Kapitalismus in den hochentwickelten Ländern:

"Seit Dezennien ist die Geschichte der Industrie und des Handels nur die Geschichte der Empörung der modernen Produktivkräfte gegen die modernen Produktionsverhältnisse, gegen die Eigentumsverhältnisse, welche die Lebensbedingungen der Bourgeoisie und ihrer Herrschaft sind. Es genügt, die Handelskrisen zu nennen, welche in ihrer periodischen Wiederkehr immer drohender die Existenz der ganzen bürgerlichen Gesellschaft in Frage stellen. In den Handelskrisen wird ein großer Teil nicht nur der erzeugten Produkte, sondern der bereits geschaffenen Produktivkräfte regelmäßig vernichtet. In den Krisen bricht eine gesellschaftliche Epidemie aus, welche allen früheren Epochen als ein Widersinn erschienen wäre - die Epidemie der Überproduktion. Die Gesellschaft findet sich plötzlich in einen Zustand momentaner Barbarei versetzt. ...

Wodurch überwindet die Bourgeoisie die Krisen? Einerseits durch die erzwungene Vernichtung einer Masse von Produktivkräften; andererseits durch die Eroberung neuer Märkte und die gründlichere Ausbeutung alter Märkte. Wodurch also? Dadurch, dass sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert."

Es mag als eine Ironie der Geschichte erscheinen, die jetzige Weltwirtschaftskrise so kurz nach dem Erscheinen des Meißner'schen Artikels, (ausgerechnet in der "Jungen Welt", die in jeder Wochenend-Ausgabe aus Marxens "Kapital" zitiert!), ausbrechen zu lassen.

Schließlich ist noch ein vierter Punkt zu nennen, in dem Meißner die Entwicklung des Verhältnisses von PV und PK im Kapitalismus der entwickelten imperialistischen Staaten verkennt.

Meißner übersieht, dass, was er als "Förderung statt Fesselung der Produktivkräfte innerhalb der kapitalistischen Produktionsverhältnisse" und als "Festigung statt Sprengung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse durch die Entwicklung der Produktivkräfte" beschreibt, auf der Verwandlung und Perversion der Produktivkräfte in Destruktivkräfte, in Vernichtungs- und Zerstörungskräfte, beruht.

Die Haupttriebkraft für die Entwicklung von Wissenschaft und Technik in der Welt des Kapitalismus ist spätestens seit der Vorbereitung der imperialistischen Großmächte auf die Neuaufteilung der Welt nach dem Ersten Weltkrieg, also seit der Aufrüstung der imperialistischen Hauptländer, mit dem faschistischen Deutschland an der Spitze, für den Zweiten Weltkrieg, nicht mehr die Entwicklung der Produktivkräfte für die zivile Produktion, sondern ein Wettlauf um die Herstellung immer mehr vervollkommneter Waffen zur Massenvernichtung von Menschen, Industrieanlagen, Städten und ganzen Landstrichen.

Man nehme welches Gebiet man auch immer will - man wird kaum eine Erfindung und technische Neuerung finden, die uns Erleichterung und Vorteile im zivilen Leben gebracht hat

- von der Radar- und Lasertechnik über die Kybernetik und die elektronische Speichertechnik,

- von der Atomenergie, der Medizintechnik und Entwicklung neuer Medikamente und Operationsmethoden bis hin zu neuen Nahrungsmitteln für Weltraumfahrer, und noch vieles mehr -, die ihren Ursprung nicht im militärischen Bereich, nicht in der Suche nach neuen, noch zerstörerischen Tötungs- und Vernichtungsapparaten, und andererseits zur Abwehr und dem Schutz vor eben solchen Mitteln der Gegenseite, gehabt hätte.

Welche Produktivkräfte-Entwicklung hätte der Kapitalismus wohl ohne diese Triebkraft "Wettlauf um die wirksamsten Vernichtungs-Instrumente" vorzuweisen?

Durch diese Tatsache wird Marx nicht widerlegt, sondern bestätigt.

Für die Entwicklung der Produktiv-Kräfte ist der monopolistische Kapitalismus zu eng geworden; - weite, vorher undenkbar weite Entwicklungsräume bietet er nur noch der Entwicklung von Destruktiv-Kräften, von Kräften zur Zerstörung und Vernichtung.

Eben deshalb sind die Fragen zu bejahen, die - wie oben zitiert, Meißner an Marx stellt, um sie zu verneinen: "ob in der Tat die hochentwickelten Produktivkräfte von den Produktionsverhältnissen gehemmt und gefesselt werden"; und ob "die heutigen Produktivkräfte nicht mehr zur Beförderung der bürgerlichen Zivilisation und der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse dienen", und auch Marxens Feststellung, dass die Fortdauer der Herrschaft der Bourgeoisie zur Gefahr für die Existenz der menschlichen Gesellschaft wird.

Dass dies in der Tat der Fall ist, das ist allerdings auch Meißner nicht entgangen. Aber seine Erklärung dafür ist nicht die von Marx, sondern eine, die wiederum meint, feststellen zu können, dass Marxens Voraussagen durch die Geschichte nicht bestätigt wurden; und dies, obwohl Meißners eigene Schilderung der Auswirkungen der "kapitalistischen Verwertung der Produktivkräfte" erneut Marx nicht widerlegt, sondern bestätigt. Das bemerkt er aber nicht, weil seine Methode der Analyse nicht der dialektische Materialismus, die Erklärung der Geschichte als Klassenkampf ist, sondern eine Mischung aus halb verstandenem Marxismus und Anpassung an die modische Tendenz der überheblichen Behandlung des "alten Marx" als überholt und revisionsbedürftig. Das sieht bei Meißner dann so aus:

"Im Unterschied zum Kapitalismus des 19. Jahrhunderts hat sich der Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen so umgekehrt, dass kein Konflikt zwischen beiden zustande kommt, dass aber durch die kapitalistische Nutzung der modernen Technik der Gegensatz zwischen dem Imperialismus einerseits und den Menschheitsinteressen andererseits eine neue Stufe erreicht.

Natürlich bestand immer ein Gegensatz zwischen dem Ausbeutungscharakter des Kapitalismus und einer humanistischen Existenz der Menschen. Bisher wurde dieser Gegensatz durch die imperialistischen Eliten beherrscht. Aber es ging eben bisher um den Kampf der ausgebeuteten Klassen gegen die Ausbeuter im Rahmen der jeweiligen Volkswirtschaften." (Unterstr. von mir, K.G. Man vergleiche damit die obigen Zitate aus dem Kommunistischen Manifest!)

"Die qualitativ neue Stufe besteht jedoch darin, dass heute die kapitalistische Verwertung der Produktivkräfte die Existenz der Menschheit und sogar die der Natur in ihrer bisherigen Entwicklung aufs Spiel setzt. ...

Dieser neuartige Widerspruch zwischen dieser vom Kapitalismus verursachten Gefahren und den generellen Menschheitsinteressen wird zunehmend zum Hauptkonflikt der Gegenwart. Nicht aus dem bisher angenommenen Konflikt zwischen Produktivkräften und Eigentumsverhältnissen, sondern aus diesem Hauptkonflikt der Gegenwart müssen jene gesellschaftlichen Kräfte erwachsen, die durch Überwindung der imperialistischen Herrschaft diese Gefahren bannen."

Was soll man dazu sagen? Entweder weiß der Ökonom Meißner nicht (mehr?), dass dieser "Hauptkonflikt der Gegenwart" seine Grundlage hat im Widerspruch zwischen der "gesellschaftlichen Produktion und der privaten Aneignung der Produkte", also im "Konflikt zwischen den Produktivkräften und den Eigentumsverhältnissen", oder er will diesen Zusammenhang verschleiern.

Auf jeden Fall bewirkt er nicht Klärung, sondern Verwirrung.

Dies auch damit, dass er den Klassenkampf nur "im Rahmen der jeweiligen Volkswirtschaften" sieht, also den Klassenkampf im internationalen Maßstab außer acht läßt.

Dies alles legt Zeugnis davon ab, dass Meißners Analyse-Instrument nicht der dialektische Materialismus ist, und seine Erklärung des "Konflikts auf höherer Ebene" mit marxistischer Ökonomie nichts zu tun hat.

Das wird noch deutlicher daran, dass er die kapitalistische Welt nicht als Ganzes betrachtet, sondern getrennt in zwei Welten:

- hier die Welt des entwickelten Kapitalismus - deren Entwicklung, nach Meißner, die Voraussagen von Marx nicht bestätigt, sondern widerlegt hat;

- dort der Rest der Welt, die Welt des unentwickelten Kapitalismus, deren Entwicklung so verläuft, wie Marx es vorausgesehen hat, indem es zu sozialistischen Revolutionen kommt.

Das geht bei Meißner so: Für die Welt des hochentwickelten Kapitalismus stellt er fest:

"Nun sind zwar alle Produktivkräfte entwickelt, die für die Existenz der monopolkapitalistischen Gesellschaft erforderlich sind, und sie entwickeln sich ungehemmt weiter, sie sind auch durchaus hinreichend für die Existenz einer nichtkapitalistischen Ordnung - und dennoch hat die kapitalistische Gesellschaftsformation alle Krisen und Revolutionen überstanden, ist nicht zusammengebrochen, und höhere Produkionsverhältnisse sind nicht an ihre Stelle getreten bzw. die versuchte Alternative ist in Europa gescheitert."

Und nun die andere, unterentwickelte Welt: Marx habe stets den nur historischen, vorübergehenden Charakter der kapitalistischen Produktionsweise betont.

"Wenn das richtig bleibt und diese Ordnung nicht das Ende der Geschichte ist, dann ist zu fragen, ob sich ... im weltgeschichtlichen Prozess diese Veränderung der Produktionsweise nur an anderem Ort als in hochentwickelten Industrieländern und unter anderen Bedingungen als bei höchstentwickelter Technik vollziehen kann."

Als ich das las, dachte ich: das kann doch nicht wahr sein, ich lese wohl nicht richtig: da stellt ein ausgewiesener DDR-Ökonom, so, als ob es sich um eine theoretische Frage nach einer möglichen künftigen Entwicklung handelt, im Jahre 2008 die Frage, ob sich die Entwicklung zum Sozialismus nicht vielleicht an einem anderen Ort als in hochentwickelten Industrieländern vollziehen kann - als ob bei uns in der DDR nicht jeder Schüler schon im Geschichtsunterricht der Oberstufe gelernt hat, dass Lenin im Jahre 1917 in seiner Arbeit über den Imperialismus die Marxsche Lehre weiterentwickelt und bereichert hat um die Erkenntnis, dass die Bedingungen für eine sozialistische Revolution nicht dort die günstigsten sind, wo der Kapitalismus am höchsten entwickelt ist, sondern dort, wo sich das schwächste Kettenglied in der Kette der Länder der kapitalistischen Welt befindet, und dass dies 1917 das zaristische Rußland war, weil dort drei Forderungen die Volksmassen zum Kampf gegen die bestehende Ordnung zusammenführten, die Forderung nach Frieden, nach Brot und nach Land.

Von dieser Weiterentwicklung der Marxschen Revolutionstheorie durch Lenin findet sich bei Meißner kein Wort. Statt dessen formuliert er so, als habe die Geschichte ihn und seine oben zitierte "Vermutung" bestätigt:

"Tatsächlich hat der Geschichtsverlauf gezeigt, dass gerade in Ländern mit sehr niedrigem Entwicklungsstand der Produktivkräfte, mit sehr niedrigem Lebensstandard und mit sehr geringen Demokratie- und Politikerfahrungen eine revolutionäre Situation entstehen kann und dass dies auch gesellschaftsverändernd wirksam zu werden vermag."

Es fällt auf, dass die Novemberrevolution in Deutschland, deren 90. Jahrestag wir in 2008 begingen, und die Frage nach den Ursachen ihrer Niederlage, im Artikel von Meißner überhaupt keine Rolle spielt. Er wäre dann unvermeidlich auf den Punkt gekommen, der bei Lenin und allen Marxisten-Leninisten als Voraussetzung für den Sieg der proletarischen Revolution über den Machtapparat der Bourgeoisie eine erstrangige Rolle spielte - nämlich die Notwendigkeit der Existenz einer fest in der Arbeiterklasse verwurzelten und darüber hinaus im werktätigen Volk Vertrauen und Anerkennung genießende Partei des wissenschaftlichen Sozialismus als Führerin der Massen.

Das großzügige Ignorieren der Leninschen Weiterentwicklung der Marx'schen Revolutionstheorie kommt noch einmal ganz krass zum Ausdruck, wenn Meißner die folgende Feststellung als seine Schlußfolgerung aus dem Sieg der Revolution in China und Vietnam und der jüngsten Entwicklung in Lateinamerika vorführt.

"Aber wenn in einem halben Dutzend Länder auf drei Kontinenten eine solche Überwindung kapitalistischer Verhältnisse bzw. die Einleitung der Überwindung registriert werden kann, ist sicher nicht mehr von historischen Zufällen oder Ausnahmen zu sprechen.

Offensichtlich haben sich die Bedingungen für das Entstehen und Realisieren revolutionärer Situationen dahingehend geändert, dass dies nicht in den hoch-, sondern in den schwach entwickelten Ländern eintritt. Und da diese nicht in Europa und Nordamerika, sondern in Asien und Südamerika liegen, bedeutet dies zugleich eine räumliche Verschiebung historischer Entwicklungszentren. An diese räumliche Verschiebung weltrevolutionärer Entwicklungszentren wird sich unser eurozentristisches Denken erst noch gewöhnen müssen.".

Möglicherweise mußte sich Meißner eines eurozentristischen Denkens entwöhnen. An Marx, Engels und Lenin geschulte Kommunisten brauchen das nicht - ihnen ist die Sicht auf den Kapitalismus als Weltsystem und auf die revolutionäre Beseitigung des Kapitalismus als weltrevolutionärer Prozess ein ABC ihrer Weltanschauung.

Das lernten wir schon vom frühen Engels, der im Oktober 1858 in einem Brief an Marx den Zusammenhang der Entwicklung des Proletariats in England mit dessen Rolle in den Kolonial-Ländern mit den berühmt gewordenen Worten feststellt:

"...dass das englische Proletariat faktisch mehr und mehr verbürgert, so dass diese bürgerlichste aller Nationen es schließlich dahin bringen zu wollen scheint, eine bürgerliche Aristokratie und ein bürgerliches Proletariat neben der Bourgeoisie zu besitzen. Bei einer Nation, die die ganze Welt exploitiert, ist das allerdings gewissermaßen gerechtfertigt." (MEW, Bd.29, S.358).

Und für uns waren und sind die Oktoberrevolution und der Sieg der kubanischen Revolution wie auch die jetzigen revolutionären Bewegungen in Lateinamerika nicht zeitlich und räumlich weit voneinander getrennte Ereignisse ohne inneren Zusammenhang, sondern sie sind Bestandteile eines revolutionären Weltprozesses, der mit der Oktoberrevolution begann, nach dem Zweiten Weltkrieg rasche, die Hegemonie des Kapitalismus bedrohende Fortschritte machte, dann in Europa einen empfindlichen Rückschlag erlitt, aber dadurch nicht etwa sein Ende fand, sondern dabei ist, neue Kräfte für einen neuen Aufschwung zu sammeln.

Und für unsereins besteht auch kein Grund, von unserer Einschätzung Abstand zu nehmen, dass der Kapitalismus seit dem Sieg der Oktoberrevolution in das Stadium seiner allgemeinen Krise eingetreten ist.

Und mit Sicherheit können wir sagen, dass diese Allgemeine Krise des Kapitalismus durch die im Jahr 2008 ausgebrochene zweite Weltwirtschaftskrise eine weitere Vertiefung erfahren wird. Ob sie zu weiteren Siegen der Arbeiterklasse über den Imperialismus führt, hängt in hohem Maße davon ab, dass ihre marxistischen Parteien die Lehren von Marx-Engels-Lenin im Original gründlich studieren und auf die gegebenen Bedingungen und Verhältnisse in ihrem Sinne anwenden.

Marxistische Medien aber sollten sich daran halten, modernen Marx-Kritikern und Marx-Verbesserern genau auf die Finger zu schauen, bevor sie ihnen Gelegenheit geben, ihre modernistischen Weisheiten unter die Leute zu bringen.

Kurt Gossweiler, Berlin

Raute

NOVEMBERREVOLUTION UND GRÜNDUNG DER KPD

Hans Stahl: 90. Jahrestag der KPD-Gründung

Vom 30.12.1918 bis zum 01.01.1919 beriet und beschloss der Gründungsparteitag der KPD (Spartakusbund). Siebenundfünfzig Tage nach dem Ausbruch der deutschen Novemberrevolution wurde er eröffnet. Die hatte am 3. November in Kiel mit dem Widerstand der Matrosen und der ihnen zur Seite stehenden Dockarbeiter begonnen. Als 123 Tage nach der KPD-Gründung die Rote Armee der Bayrischen Räterepublik niedergeworfen wurde und der Weiße Terror herrschte, endete die Novemberrevolution. Wer schildert heute das Leiden, die Not, das Elend der Arbeiterinnen, die Qual, das Morden, die Willkür des Soldatenlebens, bis sich das Volk in gewaltiger Mehrheit der Macht der Kriegsschuldigen und Kriegsgewinnler spontan widersetzte? Gewiss wirkte der Kampf der Bebelschen SPD, wirkten die Klassenkampferfahrungen des 19. Jahrhunderts nach. Ohne Zweifel hatten die Erkenntnisse von Marx und Engels zur Entwicklung von Klassenbewusstsein beigetragen. Sicher weckten die russischen Revolutionen und der aufopferungsvolle Einsatz von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg revolutionären Mut, gaben die Losungen der Spartakisten eine Grundorientierung. Dennoch bewirkte all das zusammen genommen nicht die Revolution. Die eigene, harte und blutige Erfahrung der Menschenfeindlichkeit des zum Imperialismus entfalteten Kapitalismus trieb die Arbeiterklasse, die Arbeiter und Bauern im Soldatenrock, die Volksmehrheit in den überwiegend spontanen, doch zutiefst entschlossenen Widerstand. Den Herren von Krieg und Kapital entglitt die Macht, als sich "ihre" Soldaten weigerten, auf die Aufständischen zu schießen. Vielmehr war dieser Befehl Anlass für viele Soldaten, auf die richtige Seite der Klassenfront zu wechseln. Eine revolutionäre Partei allerdings formierte sich erst im Feuer der Novemberrevolution.


Wer - wen?

Auf dem Gründungsparteitag referierte Karl Liebknecht zur Krise der USPD und der Notwendigkeit einer revolutionären, marxistischen Partei. Rosa Luxemburg erläuterte den von der Spartakusgruppe vorgelegten Entwurf eines Parteiprogramms. Ihre Erläuterung gipfelte in dem Ausruf: "Wir sind wieder bei Marx, unter seinem Banner". Hier herrschten weder blinder Aktionismus noch revolutionäre Euphorie. Hier herrschte der Wille zu realer Lagebeurteilung, ohne die kein Kampf erfolgreich ausgefochten werden kann. Hier war klar: Trotz der Absetzung der deutschen Kaiser, Könige und Fürsten blieb das bisherige Staatsgefüge bestehen. Vor allem blieb die Machtgrundlage dieses Staatsgefüges unangetastet: Grund und Boden, alle Produktionsmittel, die Verfügungsgewalt über das Finanzkapital gehörten der infolgedessen weiterhin herrschenden Gesellschaftsklasse. Hier war klar: Bleibt das unangetastet, findet sie bald die Kraft und die Macht zu furchtbarer Konterrevolution. Unmissverständlich warnte der Parteitag vor den Illusionen, die selbst aufrechte Revolutionäre immer noch an die SPD banden. Die Oberschicht dieser großen Partei hatte mit ihrer Unterstützung des imperialistischen Krieges Partei und Revolution endgültig verraten. Inzwischen paktierten sie mit den wilhelminischen Militaristen, um die Revolution "zurück zu rollen"! Die USPD, die sich dem Druck dieses unglaublichen Verrats entziehen wollte, schwankte hin und her, brachte die ohnehin spontanen Revolutionskämpfer nur noch mehr durcheinander. Für die Kommunisten galt, sich die Erfahrungen der russischen Revolution von 1917 zueigen zu machen. Liebknecht, Luxemburg und andere Genossen wussten schon: Entweder die Revolution siegt oder es entsteht danach eine harte Militärdiktatur. Dass die schließlich in Form des Hitlerfaschismus das Deutsche Reich und einen großen Teil Europas überwältigen würde, war selbstverständlich nicht voraus zu sehen.


Wollen oder Können?

In Berlin und im Ruhrgebiet, an der Küste und in Bayern, in Sachsen, Thüringen, Schlesien - überall im Deutschen Reich hatten sich zwischen dem 3. November 1918 und dem 3. Mai 1919 Arbeiter und Soldaten in großer Zahl erhoben. Es geschah zu unterschiedlichen Zeiten, aus verschiedenen Anlässen, meist ohne gegenseitige Abstimmung. Bei allen Gefühlen der Solidarität unterschieden sich nicht selten sowohl konkrete Ziele der Erhebungen als auch deren Wege. Die neu gegründete KPD hatte weder die zahlenmäßige Stärke, die weitreichende Verteilung, noch die Organisationsstruktur, um diese Schwäche der großen Revolution auszugleichen. Das Ansehen, welches sich Liebknecht und Luxemburg mit ihrem Mut und Geist weithin erworben hatten, übertrug sich nicht sogleich auf die ganze Partei. SPD, selbst USPD, verfügten hingegen über einen funktionsfähigen Parteiapparat. Von der Organisiertheit der Konterrevolution, des Kaders von Heer, Politik und Staatsapparat ganz zu schweigen. Der Spontaneität der Novemberrevolution spendeten nicht wenige eifrig Beifall, nicht etwa nur Konterrevolutionäre. Tatsächlich führte die Spontaneität jedoch zum Verlust der anfänglichen Überlegenheit und schließlich zur Niederlage.


Lehre für Generationen

Eines der typischen Beispiele dafür bildeten die schweren Januarkämpfe von 1919 in der Hauptstadt. Im Dezember 1918 wurden in Berlin und Umgebung militärische Verbände mit mehreren Zehntausend Mann und schwerem Geschütz aufgestellt; darunter Freikorps mit dem Hakenkreuz am Stahlhelm und auch das Regiment des späteren SS-Obergruppenführers Reinhard. Ebert, Noske und ihr General Lüttwitz hatten beschlossen, in der Reichshauptstadt der Revolution den Garaus zu machen. Zwecks Provokation setzten sie am 4. Januar den Berliner Polizeipräsidenten Eichhorn ab, welcher zur USPD gehörte. Revolutionäre Obleute der Berliner Großbetriebe, Vertreter der USPD, auch Karl Liebknecht und Wilhelm Pieck von der Zentrale der KPD, trafen sich bei Eichhorn und riefen zur Großdemonstration. Am nächsten Tag füllten Hunderttausende Berliner, von der Siegessäule, durch den Tiergarten, Unter den Linden, auf dem Schlossplatz bis zum Alex, das Zentrum der Hauptstadt. Alle Erwartungen waren weit übertroffen. Einige bewaffnete Gruppen besetzten Zeitungsverlage, Bahnhöfe und andere Einrichtungen.

Was nun? Der Führer der Volksmarinedivision und andere revolutionäre Militärs informierten einen schnell gebildeten Revolutionsausschuss: Die bewaffneten Revolutionäre seien kampfbereit, während die Soldaten der konterrevolutionären Einheiten Befehle zu scharfem Schuss verweigern würden. Daraufhin wurde ein Beschluss zum Sturz der mit den Militaristen paktierenden Regierung angenommen und erneut zur Großdemonstration aufgerufen. Die übertraf tatsächlich noch die gewaltige Teilnehmerzahl des Vortages. Die Zahl der bewaffneten und kampfbereiten revolutionären Soldaten jedoch hatte sich im Siegesübermut beträchtlich vermindert. Die überlegenen konterrevolutionären Truppen, besonders die frisch organisierten Freikorps, konnten die roten Kämpfer überwältigen und voller Mordlust wüten. Bis heute werden die im Januar in Berlin getöteten Soldaten der Revolution besungen. Am 12. Januar hatte das faschistoide Militär gesiegt. Unwissenheit über das reale Kräfteverhältnis und das damals übliche, vom Gesamthandeln im Reich getrennte, Vorgehen, führten in eine folgenschwere Niederlage. Sie beeinträchtigte die Siegeszuversicht der deutschen Revolutionäre, sie bestärkte das Herrenmenschenbewusstsein der Vorhut des deutschen Faschismus.


Pluralismus oder Partei?

Die Novemberrevolution bewies schlüssig, dass eine revolutionäre Partei unabdingbare Voraussetzung für den Sieg der kämpfenden Arbeiterklasse ist. Gestützt auf den Wissenschaftlichen Sozialismus ist sie zu wirklichkeitsgetreuer Beurteilung des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen und Schichten und damit zu realistischer Aufgaben- und Zielstellung befähigt. Nur eine revolutionäre Partei der Arbeiterklasse kann die Aktionen und den Kampf im ganzen Land und gegebenenfalls international koordinieren, so dass die Kräfte weder zersplittert noch vergeudet werden. Mit der KPD entstand eine solche Partei - zu spät allerdings, um dieser Revolution noch als wirksame Orientierungskraft zum Sieg verhelfen zu können. Ihre bekanntesten Führer waren zwei Wochen nach der Parteigründung ermordet, die Partei ein Jahr danach in die Illegalität gedrängt. Erst als sich die revolutionären Mitglieder der USPD mit der KPD Ende 1920 vereinten, wurde sie zu einer proletarischen Massenpartei. Was die Geschichtsfälscher heute auch immer behaupten mögen - Internationalismus im Geist des Kommunistischen Manifests galt in dieser Partei als Selbstverständlichkeit. Nicht nur als moralischer Solidaritätsbegriff, sondern als grundlegendes Kampfelement: Wo gegen das herrschende Finanzkapital revolutionär vorgegangen wird, steht das Volk der ganzen Kamarilla des internationalen Finanzkapitals gegenüber und die schreckt vor keinem Verbrechen zurück. In Russland, wo deren Macht zuerst überwunden wurde, fand die blutige Einwirkung des Monopolkapitals von 1917 bis zum heutigen Tage kein Ende - von den deutschen Baltikumregimentern 1918/19 bis zum heutigen NATO-Vordringen. Das ist Klassenkampf, der selbst wenn er Kalter Krieg heißt, mit Hinterlist und Heimtücke, mit Blut und Eisen ausgetragen wird. Wie also muss eine Partei gestaltet sein, die in solchem Kampf bestehen kann? Pluralismus ist das Gegenteil von Partei. Er ist das Todesurteil für jede Partei von Ausgebeuteten und Unterdrückten. Auch die KPD musste um Einheitlichkeit im Handeln, selbstbewusste Disziplin und politisch-ideologische Geschlossenheit angesichts der sich immer wieder verändernden Lage immer wieder ringen.


Die geschichtsprägende Leistung

Ohne Übertreibung lässt sich die Gründung der KPD als bedeutendes historisches Ereignis beurteilen. Sie gewann in der Weimarer Republik Einfluss auf das Handeln von Millionen Arbeitern. Ihre Weltanschauung widerspiegelte sich in erheblichem Maße im Kulturgeschehen jener Zeit. Sie konnte schließlich die größte Widerstandskraft gegen den Faschismus innerhalb Deutschlands aufbringen. Sie war trotz aller Opfer sofort nach der Zerschlagung des III. Reiches wieder politisch kampffähig. Ihr ist es schließlich in hohem Maße zu danken, wenn das roll back von 1945 bis 1990 zwischen Lübecker Bucht und Thüringer Wald aufgehalten wurde, welches die erste Atommacht USA mit ihren Vasallen anstrebte. Die Leistung wird erst begriffen, wenn ihre Ergebnisse geerntet werden. Keine zwei Jahrzehnte nach der Niederlage des Sozialismus in Europa wird selbst dem Dümmsten erneut sichtbar, dass dieser "allmächtige" Kapitalismus zu schlagen ist. Wenn er auch die Kräfte noch nicht erkennt, die sich formieren, um die gesellschaftliche Struktur der Menschheit endgültig zu verändern. So sicher, wie der KPD-Vorsitzende Thälmann vor 64 Jahren seinen höhnischen Schergen entgegen rufen konnte: "Stalin bricht Hitler das Genick!", so sicher wusste jeder Kommunist in den 90er Jahren: Die "Sieger" triumphieren zu früh.

Nun ist es allerdings höchste Zeit, mit der rückwärts gewandten Fehlerschnüffelei aufzuhören und sich für die bevorstehenden Kämpfe zu wappnen. Die Aufgaben sind gewaltig: Nach zwei Weltkriegen, nach Novemberrevolution und DDR, weiß die Mehrheit des deutschen Volkes nicht einmal, wer Faschismus und Krieg über das deutsche Volk brachte und bringt! Bestenfalls wendet sie sich gegen die einstweilen noch jämmerliche Ausgeburt des gerade wieder befruchteten Schoßes. Und wir selbst können nicht die Wirkungen der heutigen weltweiten Krise des Imperialismus überschauen. In Deutschland und Europa entwickeln sich die gesellschaftlichen Verhältnisse wiederum viel schneller in explosive Richtung als Reife und Kraft der kommunistischen Bewegung bisher wachsen. Der Einfluss mehrerer sozialdemokratischer Parteien, wie sie sich selbst auch immer nennen mögen, verbreitet Illusionen und Lähmung in Klasse und Volk. Die Folgen lassen sich angesichts der Tatsache annähernd begreifen, dass nur fünfzehn Jahre nach der Novemberrevolution der Hitlerfaschismus herrschte und 21 Jahre nach der Novemberrevolution der II.Weltkrieg vom Zaune gebrochen wurde. Genauso wird es nicht kommen, nur sind die Gefahren größer als je zuvor.

Die Zeit drängt.

Hans Stahl, dankend übernommen aus: Der Rote Brandenburger, 11/08

Raute

INTERNATIONALE KONFERENZ IN PRAG: EINHEIT DER KOMMUNISTEN

Michael Kubi: Teilnahme der Kommunistischen Initiative an der internationalen Konferenz marxistisch-leninistischer Parteien und Organisationen in Prag

Am 15. November 2008 fand in Prag die 25. theoretisch-ideologische Konferenz mit internationaler Teilnahme marxistisch-leninistischer Parteien und Organisationen statt. Diese regelmäßig organisierten Treffen werden von der Prager Parteiorganisation (Distrikt 1) der Kommunistischen Partei Böhmen und Mährens organisiert. Unter den geladenen Gästen befanden sich u. a. Delegierte der KPRF, der KP Portugals, der KKE, der Kommunistische Partei Großbritanniens / Marxisten-Leninisten (CPGB/ML), der Partei der Arbeit Belgiens (PTB), der KI Österreich sowie Vertreter aus Nordkorea (KDVR), Vietnam, Kuba, Venezuela, Weißrussland, Polen, Dänemark und natürlich aus Tschechien. Aus Deutschland war neben Vertretern der offen-siv auch die Kommunistische Initiative Deutschland geladen.

Das Schwerpunktthema dieser Konferenz war die Einheit der Kommunisten bzw. die Analyse der Probleme für diese immer notwendiger werdende Einheit. Es wurden eine Reihe wichtiger Referate gehalten, die die Grundlagen dieser Einheit klar machten; so konnte auch die KI Deutschland eine Grußbotschaft mit ihrem langfristig angelegten Ziel - der Schaffung einer einheitlichen Kommunistischen Partei in Deutschland auf der Grundlage marxistisch-leninistischer Prinzipien - vorstellen. Dabei konnten wir feststellen, dass unser Verständnis der Einheit der Marxisten-Leninisten, sowie vom Marxismus-Leninismus im Allgemeinen mit den anderen Vertretern aus dem Ausland konform geht.

Die gesamte Veranstaltung war nicht nur von großer Wichtigkeit, sondern hatte auch Wirkung: denn das Interesse an der Kommunistischen Initiative war nicht gerade klein. Es wurden eine Reihe wichtiger und interessanter persönlicher Gespräche geführt. Die Hauptinteressenten waren namentlich die Genossen aus Griechenland und Dänemark. Aber auch das Interesse der anderen Delegierten, so z. B. der CPGB/ML, der PTB oder der Genossen aus Weißrussland war vorhanden. Letztere haben uns auch eine Reihe an Info-Materialien (in russischer Sprache) überreicht, die noch ausgewertet werden.

In den Gesprächen wurden Themen wie die Lage der Kommunisten in Deutschland, unsere konkreten Vorstellungen und Pläne, unsere Ziele, sowie die Gründe und Ursachen für unsere Gründung angesprochen. Es fand ein reger Wissens- und Erfahrungsaustausch statt, bei denen die sprachlichen Probleme keinerlei Hindernis darstellten (unsere Gespräche waren ein Mix aus Englisch, Russisch, Griechisch, Spanisch und Deutsch).

Für die Kommunistische Initiative war die Konferenz aus mehreren Gründen ein Erfolg:

1. wir hatten die Möglichkeit, uns international vorzustellen
2. wir konnten über die Lage der Kommunisten - zumindest in Europa - informiert werden
3. unsere Ziele und Forderungen fanden Zuspruch
4. und das wohl wichtigste: wir konnten internationale Kontakte knüpfen und somit Anerkennung bekommen

Diese Punkte zeigen, dass die KI sich auf dem richtigen Weg befindet und auch außerhalb der BRD Zustimmung findet.

Die Reden einiger wichtiger Vertreter der Konferenz sowie die Grußbotschaft der KI können auf der Homepage der KI eingesehen werden.

Michael Kubi, Frankfurt/M

Raute

Kommunistische Initiative: Grußbotschaft an die internationale Konferenz in Prag

Für eine Kommunistische Initiative und einen Kommunistischen Pol in Deutschland.

Zunächst einmal fühle ich mich sehr geehrt, zu diesem wichtigen internationalen Treffen eingeladen worden zu sein. Daher übermittle ich stellvertretend für die Kommunistische Initiative (provisorisches Organisationskomitee) Deutschland die kämpferischsten und revolutionärsten kommunistischen Grüße an die Organisatoren dieses Treffens und an alle internationale Delegationen.

Die Widersprüchlichkeit der Situation der kommunistischen Bewegung in Deutschland zeigt sich immer zugespitzter. Auf der einen Seite wird die Notwendigkeit einer einheitlichen, marxistisch-leninistischen Kommunistischen Partei immer deutlicher; auf der anderen Seite ist die kommunistische Bewegung in viele Organisationen gespalten, in denen revisionistische Konzepte dominierend sind.

Verschiedene Versuche eine einheitliche Partei zu gründen, sind in den letzten Jahren dramatisch gescheitert, weil es an klarer Strategie, basierend auf einer marxistisch-leninistischen Grundlage, fehlte.

Tatsache ist: Verantwortlich für den Niedergang der kommunistischen Bewegung und für die Konterrevolution ist der Revisionismus, also die Erosion der ideologischen, politischen und strategischen Prinzipien des Marxismus-Leninismus.

Aber zur gleichen Zeit war der Wunsch nach Einigung unter Kommunisten nie größer.

Betrachtet man allerdings die Entwicklungen außerhalb Deutschlands, so kann man einige positive Beispiele in der kommunistischen Bewegung beobachten. Das wohl beste dieser Beispiele ist die Kommunistische Partei Griechenlands, die alle Aspekte einer marxistisch-leninistischen Partei beinhaltet: vom Festhalten marxistisch-leninistischen Prinzipien, über ihre Orientierung auf die Arbeiterklasse und so weiter. In Österreich gründeten die Genossen eine "Kommunistische Initiative", um die Kommunisten jenseits des revisionistischen Sumpfes der "Kommunistischen Partei Österreichs" zu vereinen. Ihr langfristiges Ziel ist das Formieren einer Kommunistischen Partei frei von Revisionismus, Reformismus und Opportunismus.

Die Analyse der Rolle des Revisionismus als Basis für die Konterrevolution sowie der Spaltung, Zersplitterung und dem Niedergang der kommunistischen Bewegung wie aber auch die unterschiedlichen positiven Erfahrungen in Griechenland und Österreich halten uns deutlich vor Augen, dass Klarheit das Fundament jeder kommunistischer Politik, Strategie, Taktik, Organisation und natürlich der Partei sein muss.

Diese Klarheit muss im Wesentlichen aus drei Elementen bestehen:

1. Das Anerkennen aller wissenschaftlichen Grundlagen des Marxismus-Leninismus, insbesondere der Gültigkeit der Leninschen Imperialismus-, Staats-, Revolutions- und Parteitheorie, des proletarischen Internationalismus usw.

2. Das Anerkennen der Rolle der sozialistischen Länder, insbesondere der Sowjetunion und der DDR als größte Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung.

3. Das Anerkennen der Notwendigkeit des Kampfes der Kommunistischen Partei gegen jede Form des Revisionismus und Reformismus, denn der Revisionismus war und ist die Hauptbasis für die Spaltung, Zersplitterung und Schwächung der kommunistischen Bewegung und den zeitweiligen Sieg der Konterrevolution in Europa!

Nach Lenin steht Klarheit hinsichtlich dieser politisch-ideologischen Basis vor Einheit. Für diese Klarheit soll auch die "Kommunistische Initiative" in Deutschland stehen.

Die Kommunistische Initiative eröffnet die Perspektive für die Sammlung von Kommunisten in Deutschland aus unterschiedlichen Organisationen oder (noch) unorganisierten, basierend auf den oben genannten drei Grundprinzipien des Marxismus-Leninismus.

Wir wenden uns an alle Kommunisten - ob sie organisiert sind oder nicht - und alle die mit dem imperialistischen System brechen wollen, die ernsthaft für die proletarische Revolution, für die Diktatur des Proletariats, den Sozialismus und Kommunismus kämpfen. Unser langfristiges Ziel ist die Schaffung einer einheitlichen marxistisch-leninistischen Partei.

Kommunistische Initiative Deutschland; Grußbotschaft überbracht in Prag am 15.11.08

Raute

Michael Opperskalski: Probleme und Perspektiven der kommunistischen Einheit

Referat bei der internationalen Konferenz in Prag

Die Barbarei der sogenannten "Neuen Weltordnung", die nichts anderes als ordinärer Imperialismus ist, verschärft sich nach innen wie außen. Rasanter Abbau demokratischer wie sozialer Rechte, Errungenschaften jahrzehntelanger Kämpfe der Arbeiterbewegung, angeheizter Nationalismus wie Chauvinismus, Aufrüstung, Kämpfe um die Neuaufteilung von Rohstoffen, Absatzmärkten sowie geostrategischen Einflusszonen unter den imperialistischen Mächten spitzen sich dramatisch zu. Das führt nicht nur zu Stellvertreterkriegen in der so genannten "Dritten Welt", sondern erhöht auch die Kriegsgefahr unter den imperialistischen Mächten. Das ist Imperialismus pur und bestätigt jeden Tag Lenins Imperialismusanalyse aufs Neue!

Wir können allerdings gerade in den letzten Jahren beobachten, dass sich die Widerstandskräfte - wenn immer auch noch sehr widersprüchlich, spontan und unkoordiniert - immer erkennbarer zu formieren beginnen, besonders im Nahen Osten und Lateinamerika (Stichworte hierfür sind u.a. entsprechende Entwicklungen in Nikaragua, Bolivien oder Ecuador). In diesem Zusammenhang spielen jene Länder, die sich weiterhin einem sozialistischen Entwicklungsweg verpflichtet fühlen oder gar eine revolutionäre Etappe beschritten haben, eine ganz besondere, orientierende Rolle. Vor allem das sozialistische Cuba und das revolutionäre Venezuela seien hier stellvertretend genannt. Der Sieg des libanesischen Widerstandes unter Führung von Hizbollah gegen eine überlegene israelisch-zionistische Invasionsarmee 2006, der ungebrochene Widerstand des palästinensischen Volkes sowie der anhaltende, auch bewaffnete Widerstand des irakischen Volkes gegen die imperialistischen Yankee-Okkupanten sind im Nahen Osten heroische Beispiele dafür, dass auch unter den imperialistischen Bedingungen der so genannten "Neuen Weltordnung" Widerstand möglich ist und sogar siegreich sein kann! Ähnliche Beispiele ließen sich auch für Asien und Afrika aufzählen. In den hochentwickelten imperialistischen Staaten Europas entwickelt sich nicht nur ein sich immer breiter öffnender Widerstand gegen das imperialistische Projekt EU (Europäische Union), sondern auch in den einzelnen europäischen Staaten - wenn auch in unterschiedlicher Intensität und mit unterschiedlichem Charakter. Letzterer ist zum großen Teil jedoch noch zu sehr spontan, zu wenig, vor allem auch auf europäischer Ebene, koordiniert und erst in Ansätzen hin auf dem notwendigen Weg zur Bildung von breiten, demokratischen, anti-imperialistischen Volksfronten unter Führung der Arbeiterklasse.

Dieser Widerstand entwickelt sich wieder und auch schneller, obwohl die Ideologen der Bourgeoisie nach dem zeitweisen Sieg der Konterrevolution siegestrunken das "Ende der Geschichte" verkündeten. Zu Beginn der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts schienen ihnen einige Entwicklungen, oberflächlich betrachtet, auch Recht zu geben. Nicht wenige nationale, anti-imperialistische und revolutionäre Befreiungsbewegungen brachen entweder zusammen oder gingen existenzbedrohende, teilweise auch existenzzerschlagende Kompromisse mit dem imperialistischen Feind ein, die kommunistische Bewegung schien zu implodieren: einige Parteien lösten sich nahezu lautlos auf, andere verwandelten sich direkt in offene sozialdemokratische Formationen oder begaben sich ganz offiziell auf revisionistische Entwicklungswege. Nach dem Sieg der Konterrevolution lassen sich folgende Entwicklungstendenzen der Parteien der kommunistischen Weltbewegung herausarbeiten:

In vielen kommunistischen Parteien, vor allem denen der vormals sozialistischen Länder, vollende der Revisionismus seinen Entwicklungszyklus zur offenen Sozialdemokratisierung dieser Parteien. Andere Parteien zerfielen oder lösten sich kläglich auf. Dieses Bild wird auch nicht dadurch getrübt, dass es in manchen dieser sozialdemokratischen, nicht-marxistischen Formationen (wie etwa der bundesdeutschen PDS - heute "Die Linke") nach wie vor Mitglieder gibt, die sich als Kommunisten verstehen oder zumindest antikapitalistische Sozialismusvorstellungen haben;

Andere Parteien befinden sich noch auf dem revisionistischen Entwicklungsweg. Dabei ist jede Partei differenziert zu analysieren, um zu erkennen, in welchem Stadium der Entwicklung des Revisionismus sie sich befindet. Allen gemeinsam ist jedoch, dass in ihnen revisionistische Positionen dominierend sind bzw. ihre Führungen mehrheitlich revisionistisch sind. Die faktische Implosion der existierenden kommunistischen Parteien und Formationen in Italien ist ein jüngster Beleg für das Endstadium dieser Entwicklung;

Nur eine Minderheit von Parteien nehmen marxistisch-leninistische Grundpositionen ein oder befinden sich im - natürlich nicht widerspruchsfreien - Prozess der Durchsetzung des Marxismus-Leninismus.

Als unbedeutend, aber objektiv konterrevolutionär sind Versuche zu werten, Parteien auf Basis des "klassischen Maoismus" zu entwickeln bzw. zu reaktivieren. In diesem Zusammenhang gibt es sogar einzelne Bestrebungen, internationale Zusammenschlüsse zu organisieren. Zu diesen objektiv konterrevolutionären Kräften zählen zum Beispiel die bundesdeutsche MLPD oder die peruanische Organisation "Sendero Luminoso", die in ihrem Kampf gegen von ihr als Revisionisten gebrandmarkte Organisationen sogar zu Methoden des individuellen Terror greift oder gar, im CIA-Hauptquartier wird man gejubelt haben, Anfang der 90er Jahre auf die Botschaft der von ihnen als "Revisionisten" denunzierten kubanischen Genossen ein Bombenattentat organisierte.

Die Analyse der Rolle des Revisionismus als Basis für die Konterrevolution sowie der Spaltung, Zersplitterung und dem Niedergang der kommunistischen Bewegung wie aber auch die unterschiedlichen positiven aktuellen Erfahrungen u.a. der griechischen wie auch der österreichischen Genossen halten uns deutlich vor Augen, dass Klarheit das Fundament jeder kommunistischer Politik und Organisation sein muss, will sie nicht ihren Charakter verlieren. Diese Klarheit muss im Wesentlichen aus drei Elementen bestehen, die durch den wissenschaftlichen Sozialismus deutlich formuliert werden:

- das Anerkennen ALLER wissenschaftlichen Grundlagen des Marxismus-Leninismus, so besonders der Gültigkeit der Leninschen Imperialismus-, Staats-, Revolutions- und Parteitheorie, des proletarischen Internationalismus sowie auch der heroischen Geschichte der kommunistischen Bewegung als notwendige Antwort auf die reformistische Versumpfung und den Klassenverrat der Sozialdemokratie, aber auch gegen jegliches revisionistisches Renegatentum;

- das Anerkennen der Rolle der sozialistischen Länder, insbesondere der Sowjetunion und der DDR, als größter Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung. Der Sozialismus, für den wir im imperialistischen Deutschland kämpfen, wird vom revolutionären Erbe der DDR, des ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden, geprägt sein. Damit wird das klare und eindeutige Verhältnis zur DDR zum Prüfstein für jeden deutschen Kommunisten, gerade und insbesondere auch heute;

- das Anerkennen der Notwendigkeit des Kampfes der Kommunistischen Partei gegen jede Form des Revisionismus und Reformismus, denn der Revisionismus war und ist die Hauptbasis für den zeitweiligen Sieg der Konterrevolution in Europa, die Spaltung, Zersplitterung und Schwächung der kommunistischen Bewegung!

Daraus ergibt sich auf den nationalen Ebenen wie auch im internationalen Zusammenhang die Schaffung eines kommunistischen Pols, der auf den eben skizzierten Positionen basiert und sich damit zu einem Gravitationsfeld für die Formierung einheitlicher, marxistisch-leninistischer Parteien (wo sie noch nicht existieren) auf den nationalen Ebenen und auch als Basis für das Wiedererstarken der internationalen kommunistischen Bewegung entwickelt. Dies wird nur gehen, wenn dabei bisherige Organisationsstrukturen überdacht und den aktuellen Bedingungen und Herausforderungen angepasst werden. Wichtig dabei erscheint mir daher die Auswertung bisher existierender internationaler Strukturen, in denen reformistische, revisionistische, offen verräterische (wie die so genannte "Irakische Kommunistische Partei") und marxistisch-leninistische kommunistische Parteien gleichberechtigt nebeneinander vertreten waren. Welche Strukturen der kommunistischen Bewegung in welcher Form auch immer sich entwickeln sollten, so können diese nur dann den Charakter eines wahrhaft kommunistischen Pols annehmen, wenn diese Art von Gleichberechtigung mit Revisionismus, Reformismus und jeglicher Form des Opportunismus durchbrochen und die Akzeptanz der von mir oben kurz beschriebenen Grundpositionen des Marxismus-Leninismus vorausgesetzt wird; nur so kann es gelingen, nicht nur eine gemeinsame politisch-ideologische Arbeit zu entwickeln, sondern auch auf gemeinsame Aktionen und kommunistische Kampagnen zu orientieren. Als ersten Schritt schlage ich gerade hier in Prag die Gründung eines marxistisch-leninistischen Forschungsinstitutes vor, das gemeinsam marxistisch-leninistische Forschungsergebnisse veröffentlichen und Foren für Orientierungen auf gemeinsame Aktionen und Kampagnen schaffen könnte.

Michael Opperskalski, Köln; Referat gehalten in Prag, 15.11.2008

Raute

ANTWORT AN KLAUS STEINIGER

Redaktion offen-siv: Vorbemerkung

Wir dokumentieren hier einen Artikel von Klaus Steiniger aus dem RotFuchs (Dez. 08) und ein Zitat, das Klaus Steiniger im RotFuchs (Jan. 09) gebracht hat sowie eine Antwort auf beides von Thomas Waldeck. Diese Antwort nehmen wir aus der sonst geltenden Selbstverständlichkeit, dass namentlich gezeichnete Artikel nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen müssen, ausdrücklich heraus. Der Artikel von Thomas Waldeck entspricht der Meinung der Redaktion.

Frank Flegel, Hannover


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Klaus Steiniger (unter dem Kürzel "R.F."): Ein fragwürdiges Unterfangen - RotFuchs, Ausgabe Dezember 2008

Personen aus dem "Umkreis" der in Hannover erscheinenden Zeitschrift "offen-siv" - sie ist de facto seit langem mit dem Auseinanderdividieren linker Kräfte befasst - haben "Marxisten-Leninisten" zum möglichst umgehenden Zusammenschluss in einer "Kommunistischen Initiative" aufgerufen. Daraus soll "mal so auf die Schnelle" eine avantgardistische Partei hervorgehen. Gemeinsam mit "Personen aus" DKP, KPD und KPD(B), deren Publikationsorgan "Trotz alledem" Michael Opperskalski, Köln, - der tonangebende Mann bei "offensiv" - als Leitartikler bedient, sollen zu einem "Unterstützerkreis" gehören. Es wird behauptet, der Zeitpunkt für den Zusammenschluss von "Marxisten-Leninisten - dieser hier missbrauchte Begriff wird im Aufruf der Initiatoren unzählige Male verwendet - sie "nie so günstig gewesen wie heute". Ein "vorläufiges Komitee" lädt zu Veranstaltungen ein.

Vermutlich zielt "offensiv" als der eigentliche Regisseur des Unterfangens mit diesem jüngsten Einfall auf Irreführung redlicher Genossen und deren Missbrauch. Es geht offensichtlich um das Herauslösen marxistisch-leninistischer Kader aus linken Organisationen, was ihre Isolierung und Einflusslosigkeit zur Folge haben würde. Anvisiert ist die mit Einheitsphrasen getarnte Spaltung der Linkskräfte.

Was den "RotFuchs" betrifft, so bleibt er seiner Devise treu, Kommunisten, Sozialisten und andere standhafte Antikapitalisten mit und ohne Parteibuch auf marxistischer Grundlage einander näher zu bringen. Allein diese Strategie führt, wie die Praxis täglich beweist, zu politischem Erfolg.

Klaus Steiniger (R.F.); in: RotFuchs, Dezember 2008


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RotFuchs: Zitiert - RotFuchs, Ausgabe Januar 2009

"Bei der Auseinandersetzung mit dem Opportunismus wird der RotFuchs völlig ausgeklammert. Ich war vier Jahre Vorsitzender des Herausgebervereins der Zeitschrift und musste mich davon überzeugen, daß mit dessen Gründung in unsere kommunistische Bewegung die bis dahin tiefste Spaltung getragen wurde, und insbesondere RF-Chefredakteur Dr. Klaus Steiniger praktiziert Opportunismus übelster Weise." (Dr. Gerhard Feldbauer; in: Informationsbulletin der Kommunistischen Initiative)

RotFuchs, Januar 2009


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Thomas Waldeck: Bannfluch trifft ins Leere

Mit beachtlichem Nachdruck weist der Genosse Klaus Steiniger im "RotFuchs", Dezember 2008, S. 24, die Kommunistische Initiative und deren Zielstellung, Marxisten-Leninisten zu vereinigen, zurück. Die Erklärung tritt durch eine Häufung von sachlichen Unstimmigkeiten hervor, die ihresgleichen sucht. Betitelt ist sie: Ein "fragwürdiges Unterfangen". Kernaussage ist, dass die Kommunistische Initiative "Mißbrauch", "Spaltung" und "Irreführung" unter "redlichen Genossen" betreibe. Klaus Steiniger schreibt (unter dem Kürzel R. F.): "Es geht offensichtlich um das Herauslösen marxistisch-leninistischer Kader aus linken Organisationen, was ihre Isolierung und Einflusslosigkeit zur Folge haben würde." Eine Begründung für diese Ansicht bleibt er schuldig.

Aber analysieren wir Schritt für Schritt seine Aussagen:

Die unbelegte Eingangsbehauptung des ersten Satzes lautet: Die Zeitschrift "offen-siv" sei "seit längerem mit dem Auseinanderdividieren linker Kräfte befasst". Wo es denn der Fall sei, bleibt im Dunkeln. Klaus Steiniger vermeidet jede Begründung. Es genügt ihm, die Zeitschrift "offen-siv" zu beschimpfen.

Schon im zweiten Satz folgte eine Fälschung: "Daraus soll 'mal so auf die Schnelle' eine avantgardistische Partei hervorgehen." Der Genosse Steiniger versucht damit, die Sache als verfrüht und überstürzt lächerlich zu machen. Jeder, der den Aufruf der Kommunistischen Initiative kennt, weiß: Eine solche Herangehensweise der Kommunistischen Initiative ist frei erfunden. Klaus Steiniger kennt den Aufruftext, das heißt, dass er mit dem Mittel der Lüge seinerseits Verwirrung über Genossen bringen will, die den Aufruf noch nicht gelesen haben.

Wir kommen nicht umhin, den dritten Satz im Wortlaut zu betrachten: "Gemeinsam mit 'Personen aus' DKP, KPD und KPD (B), deren Publikationsorgan 'Trotz alledem' Michael Opperskalski, Köln - der tonangebende Mann bei 'offen-siv' - als Leitartikler bedient, sollen zu einem 'Unterstützerkreis' gehören." Wir halten fest, dass der Genosse Klaus Steiniger die Tatsache, dass es Personen aus DKP, KPD und KPD (B) sind, die den Aufruf initiiert haben, nicht wahrhaben will; er setzt die Passage in Anführungszeichen. Die bereits veröffentlichte Unterstützer-Unterschriftenliste und der Umstand, dass der Aufruf dort diskutiert, von unterschiedlichen Basisorganisationen innerhalb und außerhalb der genannten Parteien nachbestellt und untereinander weitergeleitet wird, beweist das Gegenteil. Warum will Klaus Steiniger das nicht zur Kenntnis nehmen?

Im vierten Satz folgt die Behauptung, "Marxisten-Leninisten" wäre ein "hier missbrauchter Begriff". Der Bannfluch ist ausgesprochen, der Ketzer wird verdammt. Nicht einmal den Versuch einer Begründung oder Erklärung dieser ungeheuren Anschuldigung glaubt Klaus Steiniger dem Leser schuldig zu sein. Ist man nicht gezwungen, von einer unglaublichen Arroganz zu sprechen?

Der fünfte Satz ist der eingangs betrachtete. Der sechste wiederholt, was bereits gesagt wurde und schimpft nur: "Spaltung!" Siebter und achter loben den "RotFuchs", also sich selbst, mit den Worten: "Allein diese Strategie führt, wie die Praxis täglich beweist, zu politischem Erfolg."[71]

Das war sechsmal Pfui und zweimal Eigenlob, eine höchst peinliche Veranstaltung für den Verfasser, weil phrasenhaft und unwissenschaftlich. Wenn man die sachlichen Mängel betrachtet, aus denen der Steiniger-Beitrag besteht, kommt man nicht umhin, den Text als äußerst oberflächlich zu charakterisieren. Er tritt auch stilistisch durch seine Rigorosität hervor. Man meint, Wut herauszulesen. Man könnte sogar von blinder Wut sprechen, da man zugleich das Fehlen jedes analytischen Ansatzes bemerkt. Weder die aktuellen Rahmenbedingungen, auf die sich die Kommunistische Initiative bezieht, noch die Situation der kommunistischen Bewegung in Deutschland werden untersucht.

Warum diese blinde Wut? Wir spalten nicht (und können dies in der Richtung, die der Aufruf vertritt, gar nicht tun, weil die bisherigen Strukturen nicht angegriffen werden). Wir rufen auf, über eine revolutionäre kommunistische Partei zu beraten - mehr passiert nicht. Wen stört es, wenn sich die daran wirklich Interessierten über dieses Ziel austauschen? Eindeutig hat Genosse Frank Flegel festgestellt: "Es geht um die einheitliche kommunistische Partei.... an die Bildung einer weiteren Splittergruppe ist nicht gedacht."[72] Warum sollen Kommunisten sich nicht in Richtung der Schaffung einer einheitlichen kommunistischen - und das heißt marxistisch-leninistischen - Partei beraten? Müssen sie das nicht, sogar unter allen denkbaren Umständen? Wir verstehen Steinigers Verweigerung mitzuwirken - und mehr noch -, seinen Aufruf zur Verweigerung nicht.

Im folgenden "RotFuchs" (Januar 2009) versucht Klaus Steiniger, seine Ablehnung zu untermauern: er bringt ein Zitat aus dem ersten Informationsbulletin der Kommunistischen Initiative. Zitiert wird Dr. Gerhard Feldbauer mit einer scharfen Vorhaltung gegen ihn (Steiniger), ihm wird dort Opportunismus vorgeworfen. Steiniger zitiert das, um zu untermauern, dass die Kommunistische Initiative Spaltung betreibe. Die Wahrheit aber ist, dass Gerhard Feldbauer mit dem zitierten Text die Kommunistische Initiative dafür kritisiert,[73] dass sie auf Vorhaltungen gegen "RotFuchs" und den Genossen Steiniger verzichtet hat!

Was ist Spaltung? - muss man fragen. Und: Wer spaltet wirklich?

Solange der "RotFuchs" Beiträge zur objektiven historischen Erschließung der DDR und des realen Sozialismus leistet, werden wir ihn unterstützen wie bisher; ohne Einschränkung, ohne Bedingung, ohne Bedenken. Wenn er fälscht und verdreht, wenn wirkliche Bewegung aufgehalten werden soll, werden wir zu antworten wissen.

Thomas Waldeck, Cottbus

Anmerkungen

[71] Und sogar hier sieht man sich gezwungen zu fragen: Aber wie denn? Wo liegt denn die täglich bewiesene politische Praxis des "RotFuchs"? Die Regionalgruppen wenden sich an Interessenten mit unterschiedlichen Bildungsangeboten. Aber was dann? Sie stehen allein, es fehlt jede zentrale und vor allem praktische Schwerpunktsetzung, Planung und Kräftekonzentration.

[72] offen-siv 9/08, S. 12

[73] Der gesamte Text von Gerhard Feldbauer ist nachzulesen auf: www.kommunistische-initiative.de. Ebenfalls steht er im Informationsbulletin der Kommunistischen Initiative und wurde in der Nov-Dez-Ausgabe 2008 von "offen-siv" veröffentlicht.

Raute

WIE MAN IN ITALIEN ÜBER KURT GOSSWEILER DENKT

Aldo Bernardini: Rezension von: "Wider den Revisionismus", "Die Taubenfußchronik" und "Niederlagenanalyse"

Nicht alle, die Kommunisten waren, haben in einem bestimmten Moment aufgehört, es zu sein oder gar bestritten, es jemals gewesen zu sein, um frisch geliftet vielleicht in höhere Ränge oder gar Führungspositionen aufzusteigen in einer Plastik-Partei ohne revolutionäre Strategie und sich nurmehr mit der Verwaltung des Gegebenen begnügend (siehe das Interview mit Veltroni [74] im Corriere della sera, 12.09.2007), ein erstaunliches Beispiel für persönliche Moral und die Blindheit der Anhänger.

Aber es gibt Gruppen von Kommunisten, die den Gesängen der Sirenen der erzwungenen "freiwilligen" Leitkultur und den selektiven Beglückungen des realen Kapitalismus und der Worthülse von der "Demokratie" (eine Worthülse, die uns erstickt), nicht erlegen sind. Solche Kommunisten finden sich besonders dort, wo der real existierende Sozialismus gelebt wurde, außer in der Sowjetunion und einigen anderen Ländern vor allem in der DDR. Wer in Nazilagern gelitten hat, wer womöglich als Überläufer aus der faschistischen Wehrmacht in den Reihen der Roten Armee gekämpft hat, wer an dem enthusiastischen Wiederaufbau und der Konstruktion des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden teilgenommen und dann die Katastrophe und das Leid der Konterrevolution von 1989 erlebt hat, der kämpft weiter für den Kommunismus, der weigert sich auch, die Vergangenheit einfach auszulöschen und erkennt, dass die Analyse juxta propria principia (Marx, Lenin, ...) dessen, was geschehen ist, an erster Stelle stehen muss, um die tiefer liegenden Ursachen zu verstehen: und das ausdrücklich, weil nur durch eine derartige Analyse ein Neuanfang möglich wird - im Gegensatz zu den bei uns weit verbreiteten Haltungen zu diesem Thema. Der wird auch nicht die billigen Argumente zu Markte tragen, die von den erbärmlichen Wendehälsen zu hören sind - ehemalige Kommunisten, die ihre eigenen Wurzeln abschneiden wollen! Bei denjenigen, die widerstehen, rede ich z.B. von Kurt Gossweiler und der Gruppe, die in Deutschland die kommunistische Zeitschrift "offen-siv" herausbringt.

Kurt Gossweiler, der in seiner Jugend in den Reihen der Kommunisten im Untergrund kämpfte, wurde zur Wehrmacht eingezogen und an die russische Front geschickt, wo er 1943 desertierte und zur Roten Armee überlief, um dort für die Befreiung Deutschlands von den Nazis zu kämpfen und später den sozialistischen Aufbau der DDR zu erleben. In der DDR widmete er sich neben seiner politischen Tätigkeit wichtigen historischen Studien, insbesondere zum Faschismus, und - was uns hier am meisten interessiert - zum Revisionismus. Wir haben es mit einem der hochrangigsten Gelehrten zu tun, der gelebte Erfahrung und gekämpfte Schlachten in seiner Person vereint und der von innen heraus die Untersuchung dessen vorantreibt, was für alle Kommunisten sans phrase unbestritten die schlimmste geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts ist.

Neben unzähligen Essays und Artikeln sind es vor allem die beiden Hauptwerke Wider den Revisionismus und Die Taubenfußchronik oder Die Chrustschowiade in zwei Bänden. Eine italienische Übersetzung großer Teile dieses Werkes erscheinen demnächst im Zambon-Verlag in Frankfurt - eine Übersetzung des Gesamtwerkes war leider nicht möglich, was einen wirklichen Verlust bedeutet. (...)

Das Werk ist zu bewundern für seine gedankliche Klarheit und die argumentativen Fähigkeiten des Autors, mit Hilfe derer ihm die heutzutage unlösbar erscheinende Aufgabe gelingt, die essentielle Wahrheit des Marxismus-Leninismus zu behaupten und von den aktuell produzierten Mystifizierungen und Nebelschwaden zu befreien - im Namen einer Erneuerung auf der Basis von Tatsachen, ihren Verknüpfungen und ihrer Untermauerung durch Reihen von unwiderlegbaren Fakten.

Die Gedankengänge Gossweilers mit ihrer unnachsichtigen Logik zeigen, wie sehr die Geschehnisse in den sozialistischen Ländern mit andauernden Klassenkämpfen in den jeweiligen Gesellschaften verknüpft waren und wie das Leugnen dieser einfachen, aber elementaren Tatsache des Fortbestandes des Klassenkampfes in der Phase des sozialistischen Aufbaus (beginnend mit dem XX. Parteitag) eine der wichtigsten Ursachen, wenn nicht sogar die wichtigste Ursache für den Untergang war.

Die Schritte, die in Moskau und im Warschauer Pakt in Richtung Klassenkollaboration eingeleitet wurden, das damit verbundene ständige Eingehen auf falsche Kompromisse mit dem Imperialismus, das Aufnahmen von bürgerlichen Elementen in den Sozialismus, diese Fehler haben den Boden für diese historische Niederlage bereitet. Gerade in diesem Bereich bräuchten wir noch weitere Forschungen, um sehr konkret zu analysieren, welcher Art die ideologischen und die gesellschaftlichen Veränderungen der Politik des sozialistischen Lagers nach Stalins Tod waren.

Ich möchte darauf hinweisen, wie zentral Kurt Gossweiler die "titanische" Figur Stalin in der Entwicklung des Sozialismus ansiedelt und wie stark er betont, dass die Beschädigung dieser Figur und der mit ihr verbundenen Linie der kommunistischen Weltbewegung - nicht die berechtigte Kritik an einzelnen Aspekten - auf der Basis gefälschter Dokumente und schwerster Tatsachenverdrehungen stattfand, den Verfalls eingeleitet, ihn im Fortgang beschleunigt und so zum finalen Niedergang wesentlich beigetragen hat. Ich höre schon die Skeptiker lachen, zumindest heben sich die Augenbrauen bei den Apologeten des "parlamentarischen Weges", wenn nicht sogar Empörung ausgelöst wird bei denen, die noch immer alles geschluckt haben, sich aber weigern, ihre eigenen (eigene? - nein fremdbestimmte, weil nachgebetete) Position über die historischen Prozesse zu überdenken, obwohl sie ohne Not und ohne kritische Reflexion direkt aus opportunistischen Gründen übernommen wurde.

Den Empörten, Skeptikern und Parlamentsfetischisten empfehle ich die beiden viel beachteten Leitartikel im "manifesto", die Luigi Pintor vor Jahren zum Todestags Stalins veröffentlichte: auch wenn er Stalin persönlich nicht zugeneigt ist, überwindet er eigene alte Positionen, und mit dem durchdringenden Auge des Historikers - gepaart mit intellektueller Aufrichtigkeit - titelt er nach der Katastrophe der Konterrevolution seine beiden Abhandlungen mit: "Der Schlüsse zum jahrhundert" und "Er war", um seiner Anerkennung des Weitblicks Stalins Ausdruck zu verleihen.

Die beiden Bände der "Taubenfußchronik" von Kurt Gossweiler (der erste umfasst die Jahre 1953 - 1957, der zweite reicht bis 1964, dem Sturz Chrustschows und enthält einige weiterführende Aufsätze aus den folgenden 10 Jahren) bilden eine sehr lebendige Ergänzung zu den Essays und Artikeln aus "Wider den Revisionismus". Aus erster Hand erfahren wir von den negativen Entwicklungen, die der Aufschwung des Revisionismus mit sich brachte. Besondere Beachtung finden in der "Taubenfußchronik" die Ereignisse um Polen und Ungarn, Tito-Jugoslawien, die Fragen, die der XX. Parteitag der KPdSU aufgeworfen hat, und wir bekommen einen Blick für die wachsenden politischen und ideologischen Auseinandersetzungen vor dem Hintergrund ungleicher Kräfteverhältnisse, nachdem die Revisionisten große Teile des Apparates der kommunistischen Parteien erobert hatten und dies vor allem im Herzen der kommunistischen Bewegung, in der KPdSU. Gossweiler sieht Thorez in Frankreich und Togliatti in Italien als Vorkämpfer des Antirevisionismus, eine These, die dringend von den kommunistischen Kräften in Italien und Frankreich untersucht und vertieft werden sollte angesichts des endgültigen Verfalls dieser beiden Parteien.

Alles das wird begleitet von der Schilderung des Auf und Ab im Kampf gegen revisionistische Positionen, z.B. bei Chrustschows Absetzung. Alles wird in einem Vorwort rasch, klar und effizient dargelegt, um das Weshalb und Warum der Taubenfußchronik zu verdeutlichen. Dazu trägt auch der einmalige Titel bei, der auf eine Sitzung des ZK der SED zurückgeht, während der Karl Schirdewan zu den Einflüssen des Revisionismus äußerte, dass die Veränderungen des Sozialismus von dieser Seite her wie "auf Taubenfüßen" kommen würden.

Der Kern der Gossweilerschen Ausführungen ist in seiner Feststellung zu finden, dass die Ereignisse nach dem XX. Parteitag, insbesondere diejenigen in Ungarn, - leider - zu dem Resultat geführt haben, dass ein wohlbegründeter Verdacht untermauert wurde: der Verdacht, dass mit dem "Reformer" Chrustschow ein Antikommunist an die Spitze der Partei Lenins gekommen war. "So unwahrscheinlich das nicht nur mir selbst erschien und auch heute noch vielen erscheint, allen Bestätigungen zum Trotz." (Kurt Gossweiler)

Ohne Zweifel stellt die Forschungsarbeit Kurt Gossweilers eines der stärksten Momente in der wichtigen, aber viel zu wenig bekannten Zeitschrift "offen-siv", die in Deutschland erscheint, dar. Aber auch wichtige andere Forschungsarbeiten werden dort veröffentlicht, so die über den Zeitraum von drei Jahren von Ulrich Huar verfasste Darstellung des zentralen geschichtlichen, aber von der kommunistischen Bewegung seit dem Ende der 50er Jahre ausgeklammerten Themas der Beiträge Stalins zur marxistisch-leninistischen Theorie. Und wir wollen hier hinweisen auf das 2007 erschienene Buch zum Thema "Niederlagenanalyse" über die Gründe des Sieges der Konterrevolution in Europa: eine großzügige Auswahlsammlung der wichtigsten Schriften aller namhafter Autoren, unter denen natürlich auch Kurt Gossweiler zu finden ist. Die Abschnitte sind folgendermaßen unterteilt: Grundsätzliche Hinweise; Sowjetunion; Beispiele aus Jugoslawien, Ungarn, Polen und der DDR; Beispiele aus Italien, Österreich, Frankreich und Chile; Aussichten. Auf diese Sammlung werden wir noch zurückkommen.

Aus dieser Lektüre entsteht die Überzeugung, dass der Kampf des Kommunismus nicht umhinkommen wird, eine Neueinschätzung und -bewertung vorzunehmen, was das grandiose und streckenweise heldenhafte Unterfangen der Konstruktion des Sozialismus in der Sowjetunion und anderen Ländern angeht.

Diese Neubewertung sollte wenn möglich kritisch, intelligent und frei von feindlichen und destruktiven Vorurteilen sein.

Wird auf diese Arbeit hingegen verzichtet, ist dem Erstarken und Aufblühen der weltweiten kommunistischen Bewegung, wie wir mit dem Genossen Gossweiler gesehen haben, in der Zukunft der Boden entzogen.

Aldo Bernardini in der Zeitschrift "Ottobre", November 2007 (Vico Latilla, 18; 80134 Napoli)


Anmerkung

[74] Veltroni hat gerade gemeinsam mit Bertinotti eine Rechtsabspaltung von der Rifondazione vollzogen; d. Red.


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Nachwort der Redaktion

Kurt Gossweilers Arbeiten werden schon lange im Ausland gewürdigt. Und gerade aus der jüngeren Vergangenheit kann man über einige erfreuliche Projekte berichten.

So ist in Indien ein Sammelband "The resistable rise" ("Der aufhaltsame Aufstieg") über den Faschismus erschienen, in dem ein Aufsatz von Kurt Gossweiler über die ökonomischen und politischen Umstände der Destruktion der Weimarer Republik enthalten ist. Dieser Aufsatz war vorher in einem Sammelband in den USA erschienen.

Vor kurzem ist eine Auswahl aus den "Aufsätzen zum Faschismus" in Belgien als eigenständiges Buch erschienen, und zwar in französischer und in niederländischer Sprache, herausgegeben von der PTB. In Italien wurde sofort danach die französische Fassung von der Genossin Chiaia ins Italienische übersetzt, mit einem rund 100 Seiten langen Vorwort versehen und herausgebracht.

Und der Genosse Aldo Bernardini aus Italien bereitet gerade eine Auswahl von Aufsätzen aus "Wider den Revisionismus" und der "Taubenfußchronik" zur Veröffentlichung in italienischer Sprache vor.

Redaktion offen-siv

Raute

"Am 9. November 1989 haben wir mit der Maueröffnung auch die Abrissbirne gegen den Sozialstaat in Stellung gebracht. Hartz V bis VIII werden demnächst folgen. Es ist ein Klassenkampf, und es ist gut so, dass der Gegner auf der anderen Seite kaum noch wahrzunehmen ist."

Michael Rogowski am 12. 12. 2004

Michael Rogowski war als Nachfolger von Hans-Olaf Henkel von Anfang 2001 bis Ende 2004 Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie.
(Zitiert nach: UZ, 28.09.07)

Raute

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Quelle:
Offensiv Nr. 1/2009 - Zeitschrift für Sozialismus und Frieden
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2009