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OSSIETZKY/626: Blutiges Oktoberfest - Fragen nach 30 Jahren


Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Nr. 20 vom 2. Oktober 2010

Blutiges Oktoberfest - Fragen nach 30 Jahren

Von Claudia Wangerin


Nach dem schwersten Terror-Anschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte, dem Münchner Oktoberfest-Attentat am 26. September 1980, vermuteten der damalige bayerische Ministerpräsident und Kanzlerkandidat Franz Josef Strauß und andere CSU-Politiker sofort lauthals linke Täter und warfen der SPD/FDP-Bundesregierung vor, den linken Terrorismus zu verharmlosen. Doch es stellte sich heraus, daß der mutmaßliche Attentäter Gundolf Köhler ein Neonazi war und mehrmals an paramilitärischen Übungen der Wehrsportgruppe Hoffmann teilgenommen hatte. Strauß und seine Landesregierung hatten das schwerbewaffnete Treiben dieser rechten Terrortruppe permanent verharmlost. Köhler, der bei dem Anschlag zu Tode kam, wurde später als psychisch gestörter Einzeltäter dargestellt. Ein Vertrauter Köhlers sagte aus, der Student habe angesichts der damals bevorstehenden Bundestagswahl, über "Wahlbeeinflussung durch Anschläge" und andere "spektakuläre Geschehnisse" gesprochen, die man "den Linken in die Schuhe schieben" könne. Die Bundesanwaltschaft verwarf diese Aussage mit dem Hinweis auf eine möglicherweise eingeschränkte Wahrnehmungsfähigkeit des Zeugen - eine von vielen Merkwürdigkeiten dieses Falles. 30 Jahre später stellt Monika Frommel, Professorin für Kriminologie und Strafrecht, die offizielle Einzeltätertheorie in Frage. Ich sprach mit ihr.


OSSIETZKY: Die Bombe, die 13 Menschen in den Tod riß, soll von einem Einzeltäter gezündet worden sein. Wie wahrscheinlich ist aus ihrer Sicht dieses Fazit, mit dem die Ermittlungen eingestellt wurden?

MONIKA FROMMEL: Die Generalbundesanwaltschaft ging 1980 nicht von einem Alleintäter aus, sondern von einem organisierten Verbrechen. Daß das Verfahren dennoch zwei Jahre später eingestellt wurde, hängt wohl damit zusammen, daß die Zusammenarbeit der Bundesanwaltschaft mit dem bayerischen Landeskriminalamt von Anfang an nicht gut funktioniert hat. Aus Sicht der Juristen gab es zwar viele Spuren, aber keine klaren Ergebnisse. 1982 - mit dem Regierungswechsel in Bonn - bestand dann offenbar kein Interesse mehr an einer Aufklärung. Daher wurden die Ermittlungsverfahren gegen die unbekannten Beteiligten eingestellt. Später wurde dieses unbefriedigende Ergebnis mit einer höchst unplausiblen Konstruktion gegen Kritik von außen abgeschottet.

OSSIETZKY: Wie beurteilen Sie die Ermittlungsarbeit in Umfeld von Gundolf Köhler und der rechtsextremen "Wehrsportgruppe Hoffmann"?

MONIKA FROMMEL: Eigentlich hätte die Polizei sich fragen müssen, wie der angebliche Einzeltäter an den Sprengstoff gekommen ist. Dies hätte zu umfangreichen Ermittlungen im Umfeld führen müssen. Sie wurden nicht angestellt.

OSSIETZKY: Wäre Ihrer Meinung nach gründlicher ermittelt worden, wenn es sich um linke Tatverdächtige gehandelt hätte?

MONIKA FROMMEL: Bei sogenannten linken Terroristen bestand ein starkes Interesse, die Organisationsstruktur zu rekonstruieren, deshalb die intensive Überwachung, auch der sogenannten Sympathisantenszene. Hier wurden die Aussagen eines Zeugen als zutreffend unterstellt, welche die persönliche Verzweiflung Köhlers betonten und der entpolitisierten Konstruktion der Polizei entgegenkamen. Belastenden Spuren wurde wenig Beachtung geschenkt. Sie paßten nicht ins Konzept.

OSSIETZKY: Welchen Schaden richtete Ihrer Meinung nach Bayerns oberster Verfassungsschützer Hans Langemann damit an, daß er die ersten Erkenntnisse über den mutmaßlichen Attentäter sofort an Journalisten der Zeitschrift Quick weitergab, die schon vor der Polizei bei seinen Freunden auftauchten?

MONIKA FROMMEL: Hans Langemann hatte großen Enfluß, und es gab einen Konflikt zwischen der Bundesanwaltschaft, dem LKA und dem Verfassungsschutz. Es ist nicht auszuschließen, daß der Verfassungsschutz ein Interesse daran hatte, die Tat zu vernebeln. Jedenfalls sollten in einem neuen Ermittlungsansatz die mittlerweile zugänglichen Akten der Stasi (der DDR-Geheimdienst beobachtete neonazistische Tendenzen in der Bundesrepublik und trug auch zu diesem Fall viel Material zusammen; Red.) ausgewertet werden. Was daraus folgt, ist offen. Aber der Versuch sollte unternommen werden, schon um den Verdacht auszuräumen, daß hier staatliche Akteure bar jeder Rechtsstaatlichkeit agiert haben.

OSSIETZKY: Wie normal ist es aus Ihrer Sicht, daß die Asservate zu diesem Fall 1997 vernichtet wurden?

MONIKA FROMMEL: Ich kann mir nicht vorstellen, daß alle Asservate vernichtet worden sind. Möglicherweise ist das eine unklare Angabe. Sie belegt lediglich die Unlust, Ermittlungen wieder aufzunehmen. Allein die Behauptung, die Asservate seien vernichtet, rechtfertigt es nicht nur, sondern zwingt dazu, genau zu prüfen, was bis 1997 passiert ist.


Überlebende des Attentats, bei dem mehr als 200 Menschen zum Teil schwer verletzt wurden, haben jetzt gemeinsam mit Juristen und Politikern bei der Bundesjustizministerin die Wiederaufnahme der Ermittlungen gefordert.


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Quelle:
Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Dreizehnter Jahrgang, Nr. 20 vom 2. Oktober 2010, Seite 739-740
Herausgeber: Dr. Rolf Gössner, Ulla Jelpke, Prof. Arno Klönne,
Otto Köhler, Eckart Spoo
Redaktion: Eckart Spoo (verantw.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Oktober 2010