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OSSIETZKY/769: "Wo dein Platz, Genosse, ist ..."


Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Nr. 18 vom 31. August 2013

"Wo dein Platz, Genosse, ist ..."

von Georg Rammer



Ein Gespenst geht um in Deutschland. Es heißt Rot-Rot-Grün. Kaum ein Medium, das es nicht an die Wand malt, von Bild bis taz, von der Zeit über den Spiegel bis zu Albrecht Müller von den NachDenkSeiten. Die einen abschreckend und voller Angstlust, andere wieder in der Hoffnung, Merkel und ihre Koalition doch noch stürzen zu können.

Selbstverständlich ist eine Koalition von Rot-Rot-Grün ein Phantasieprodukt wie jedes echte Gespenst. Irreal, weil sie niemand will. Als Schimäre dennoch am Leben gehalten, um einen drögen Wahlkampf, eine Wahl mit absehbarem Ergebnis und eine in Mißkredit geratene parlamentarische Demokratie aufzupeppen. Benutzt, damit die Wahlbeteiligung nicht unter 60 Prozent rutscht und damit sichtbar wird, was wachsende Gruppen der Bevölkerung von ihren Repräsentanten und Repräsentantinnen, aber auch von ihren eigenen Möglichkeiten halten, durch Wahlen Einfluß auf wichtige Entscheidungen nehmen zu können. Eine repräsentative Forsa-Umfrage vom November 2010 zeigte das Desaster: Ganze vier Prozent sind der Überzeugung, daß Wahlentscheidungen die Richtung der Politik in starkem Maß beeinflussen.

Die Gründe für die Meinung der "restlichen" 96 Prozent mögen vielschichtig sein. Bestätigung findet die kritische Sicht durch Abgeordnete, die sich Konzerninteressen verpflichtet fühlen, durch Gesetze, die von Lobbyisten formuliert werden, durch Parteien, die sich von der Bevölkerung entfernen und die Interessen der Elite bedienen, durch eine Regierung, die nicht dem Wohl der Mehrheit dient, dies aber durch Geheimhaltung und Tricks zu vernebeln sucht. Dadurch ist auch die Glaubwürdigkeit von Parteien und ihrer Politik auf einem Tiefpunkt angekommen. Die Wahlbeteiligung ist in den letzten 30 Jahren um 18,3 Prozent zurückgegangen, und nur noch 31 Prozent der Menschen aus einkommensarmen Schichten gehen laut Bertelsmann-Stiftung zur Wahl. Umso mehr bemühen sich die Regierungsparteien der letzten Koalitionen, als einzige Vertretung des Volkes wahrgenommen zu werden - obwohl sie nach dem Grundgesetz nur ein Mitwirkungsrecht bei der Willensbildung haben.

Würde eine Koalitionsbeteiligung der Linken in einer von SPD und Grünen geführten Regierung einer lebendigen Demokratie guttun? Mitnichten. Die Bundesregierung hat in zentralen Themen keineswegs versagt, wie ihr Kritiker häufig unterstellen. Sie hat vielmehr effektiv ihre Ziele durchgesetzt und dabei das geerntet, was SPD und Grüne gesät hatten: Neoliberaler Umbau von Staat und Gesellschaft, weltweite militärische Interventionen für wirtschaftliche Interessen, Vormachtstellung in Europa, ferner Umverteilung nach oben, Armut, Überwachung der Bevölkerung, Markt gegen Menschlichkeit, Verwertung gegen Würde: Das sind die größten Erfolge dieser Regierung und ihrer Vorgänger.

Eine Beteiligung der Partei Die Linke an einer Regierung könnte an dieser Ausrichtung nichts ändern. In zentralen politischen Themen haben "Linke", also die Partei wie auch unabhängige Gruppen, immer wieder eine größtmögliche Koalition gegen sich. In einer Koalition könnte die Partei nur ihre Machtlosigkeit demonstrieren, die anderen Parteien, aber auch ein Großteil der Presse würden dies genüßlich vorführen.

Ihre Stärke hat Die Linke nicht in der Regierung, sondern im Parlament. Da kann sie am ehesten das Kartell der Geheimhaltung stören und aufklärend wirken. Da vermag sie, wirksam die Finger in die Wunden des bloß noch behaupteten sozialen Rechtsstaates und der deformierten Demokratie zu legen, die von den Eliten in Wirtschaft und Politik gerissen werden. Sie hat schon bislang guten Gebrauch davon gemacht, in Form von 4713 parlamentarischen Initiativen, also Anfragen, Anträgen und Gesetzentwürfen. Gäbe es nicht immer wieder bohrende Fragen zu Niedriglohn und Altersarmut, Militarisierung und Umverteilung und vielem mehr, hätten wir noch weit weniger Ahnung von den Mechanismen der Machtausübung und von ihren Auswirkungen für die Bevölkerung.

Die Chance der Linken ist die wirksame Opposition gegen den neoliberalen Kapitalismus, gegen eine korrupte Elite. Wird sie im Parlament gestärkt, ist dies auch eine Chance für die verstärkte Berücksichtigung der Interessen der Bevölkerung. Nur bei ihr können wir mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, daß ihre Abgeordneten nicht durch Einflußnahme der Lobbyisten von Konzernen, Banken, Versicherungen, von Waffen-, Energie- und Pharmaindustrie in der Vertretung mehrheitlicher Interessen gestört oder korrumpiert werden.

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Quelle:
Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Sechzehnter Jahrgang, Nr. 18 vom 31. August 2013, Seite 632 bis 633
Herausgeber: Dr. Rolf Gössner, Ulla Jelpke, Prof. Dr. Arno Klönne,
Otto Köhler, Eckart Spoo
Redaktion: Katrin Kusche (verantw.), Eckart Spoo
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2013