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POLITISCHE BERICHTE/118: Der Israel-Palästina-Krieg fordert kritische Solidarität


Politische Berichte - Zeitschrift für linke Politik
Nr. 1 am 15. Januar 2009

Der Israel-Palästina-Krieg fordert kritische Solidarität

Von Martin Fochler


Die breite Weltöffentlichkeit hofft, dass es zwischen dem Staat Israel und den politischen Organisationen der Palästinenser, die einen Staat bilden wollen, wenigstens zu einem Waffenstillstand kommt, und sogar aus dieser guten Hoffnung entsteht nichts als neuer Streit: um die Frage, wer Schuld hat und wer nachgeben muss, welcher Kriegspartei der Rücken zu stärken und wem Unterstützung zu entziehen sei. Dabei gerät aus dem Blick, dass beide kriegführenden Parteien in ihrer gegenwärtigen Verfassung keinen Frieden finden können. Aus den Kriegshandlungen, in die sie verstrickt sind, können sie nach aller geschichtlichen Erfahrung nur herauskommen, indem sie sich gegenseitig anerkennen. Politische Mächte existieren nicht im leeren Raum, sondern in Territorien. Wechselseitige Anerkennung von Staaten bedeutet wechselseitige Zuerkennung des Staatsgebiets.

Nach wie vor ist die Tendenz des Staats Israel zur Ausdehnung des Staatsgebietes vorhanden, dafür ist die Besetzung von Territorien und die fortdauernde Siedlungstätigkeit mehr als nur ein Beleg. Es gibt in Israel aber auch die Tendenz, um "Land für Frieden" zu verhandeln.

Nach wie vor besteht bei politischen Organisationen der Palästinenser das Ziel, den Staat Israel auszulöschen. Dafür ist der militärisch völlig sinnlose, nur als Terror gegen Zivilbevölkerung wirksame Raketenbeschuss des israelischen Staatsgebietes ebenfalls mehr als nur ein Beleg. Die wachsende Reichweite und Tragkraft der Raketen macht sie zur existenziellen Bedrohung. Allerdings gibt es in Palästina ebenfalls eine Tendenz, sich auf Verhandlungen "Land für Frieden" einzulassen.

Solche Verhandlungen werden kommen, aber sie werden umso schwerer und bitterer, je mehr Blut geflossen ist.

In ihrer gegenwärtigen schweren Bedrängnis haben beide Seiten Anlass, sich auf ihr Recht zur Selbstverteidigung zu berufen. Militärische Kampfhandlungen fordern Bereitschaft zum Töten und zum Sterben. Ihre Berechtigung muss unentwegt politisch und ideell bekräftigt werden, sonst brechen sie zusammen.

Für die Kriegsparteien sind, besonders im modernen Krieg, der in einer medial vernetzen Welt geführt wird, Zustimmung und Zuspruch aus der zivilen Welt unerlässlich.

Auf diese Gegebenheiten wirken die Solidaritätsbekundungen, die in diesen Tagen weltweit ablaufen. Es geht dabei um Frieden oder wenigstens Waffenstillstand, aber fast nie ohne Engagement für die eine oder andere Kriegspartei. Dafür sorgen schon ideengeschichtliche Gründe. Politische Traditionen haben die Tendenz, die Konstellation, in der sie entstanden, zu überleben.

In der politischen Meinungsbildung der Linken wird der Krieg zwischen dem Staat Israel und den politischen Organisationen der Palästinenser weithin in der Tradition der Revolutions- und Befreiungskriege gesehen, die darauf zielten, überholte politische Strukturen aus der Welt zu schaffen und dies auch tatsächlich erreichten (wer spricht heute noch vom Gottesgnadentum der Könige?).

Nachdem die Anti-Hitler-Koalition dem Morden Nazi-Deutschlands ein Ende gesetzt hatte, wurde die Gründung des Staates Israel durch die Vereinten Nationen anerkannt. Der neue Staat galt in der öffentlichen Meinung der westlichen Welt als Vorposten der Zivilisation. Bewässerung der Wüste. Tragfähige soziale Einrichtungen. Politische Demokratie, alles in allem ein Gegenbeispiel zu abgelebten Überbleibseln des untergegangenen Osmanischen Reiches.

In den sechziger Jahren kam diese Beurteilung ins Wanken. Die Westmächte führten eine Reihe von Kriegen gegen Befreiungsbewegungen. Der Gegensatz von Imperialismus / Antiimperialismus beherrschte die politische Diskussion, in der es zum Beispiel um ein Ende des Vietnamkriegs durch militärischen Rückzug der Westmächte, vor allem der USA gegangen war.

In dieser Konfliktlage erschien der Staat Israel als Vorposten der Westmächte im Nahen Osten, und tatsächlich handelte der Staat Israel, auch wenn es Spannungen gab, doch durchgehend im Bündnis mit den USA.

Die Organisationen der Palästinenser verstanden sich als Teil der antiimperialistischen Befreiungsbewegungen, die in dieser Zeit gegen die koloniale Beherrschung der Welt und gegen die alte, rückständige Ordnung im eigenen Land kämpften.

Diese Konstellation besteht heute nicht mehr. Aber die politischen Kategorien bestehen noch und verstellen den Blick dafür, dass dieser Konflikt ganz gewiß nicht mit dem Sieg einer Seite oder eines Prinzips enden kann; so wie etwa die alten Kolonialmächte das Prinzip der Unabhängigkeit einseitig anerkennen mussten.

In dem Krieg, von dem hier geredet werden muss, geht es um eine Lage, in der die wechselseitige Anerkennung, also ein Minimum an politischer Stabilität auf beiden Seiten, zur Voraussetzung politischer Entwicklung geworden ist. Neben der Klärung der Grenzen des Territoriums, erfordern die wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten Regelungen für eine ungewöhnlich enge Zusammenarbeit der beiden Staaten, neben der Zweitstaatlichkeit, geht es um Autonomie oder irgendwelche Regelungen für Minderheiten, grenzübergreifende Verträge zum Verkehr von Menschen und Gütern, eine ganze Latte von Einzelheiten staatlicher Nachbarschaft, die so langweilig klingen und für das tagtägliche Leben so wichtig sind, muss ausgearbeitet und durch erfolgreiche Praxis gefestigt werden.

Trotzdem werden die beiden Parteien nicht zu einer gemeinsamen Verfassung finden, sie müssen ihre wechselseitige Verschiedenheit hinnehmen und regulieren.

Aus diesem politisch wohl kaum bestreitbaren Sachverhalt folgt die Vermutung, dass die linke Diskussion hierzulande bestimmte Zuschreibungen aufgeben müsste, die aus einer anderen Zeit kommen. Die politischen Organisationen der Palästinenser werden als Speerspitze des antiimperialistischen Kampfes falsch interpretiert, und der Staat Israel ist nicht der Vorkämpfer der Zivilisation.

Der Staat Israel wird über kurz oder lang Auskunft über die Grenzen geben, die er sich verbindlich zieht, und über die Rechte, die er nichtjüdischen Minderheiten innerhalb dieser Grenzen einräumen will.

Die politischen Organisationen der Palästinenser werden erklären, dass und innerhalb welcher Grenzen sie den Staat Israel anerkennen und dass sie seinen Bestand soweit garantieren, dass sie Gewalthandlungen unterbinden, die von ihrem Territorium ausgehen.

Bei solchen Gegebenheiten angesichts von Kampfhandlungen von "bedingungsloser Solidarität" zu reden, macht es den tatsächlich Leidtragenden auf beiden Seiten nicht gerade einfacher, sich auf den Weg zu Verhandlungen zu begeben und über weiterführende Zugeständnisse nachzudenken.

Und es sind die jetzt verbissen kriegführenden Parteien, die politisch tragfähige Lösungen finden müssen. Die Tatsache, dass die politischen Gegebenheiten im Nahen Osten durch die Erfahrung von Kolonialismus, Faschismus und Imperialismus geprägt sind, also keineswegs nur durch Konflikte zwischen den Kriegsparteien, führt zu einer Internationalisierung der Verhandlungen, im Hintergrund schwebt die Vorstellung der Konfliktlösung durch Intervention. Das wäre der Weg in immer tiefere Verstrickungen, die Konfliktparteien würden zu Haudegen fremder Interessen degradiert.

Angesichts der schrecklichen Ereignisse will diese Stellungnahme nicht dafür plädieren, abwartend bei Seite zu treten. Wahrscheinlich tragen jene Kräfte und Bewegungen, die sich für offene Grenzen Europas und der BRD und für die Gewährleistung der Menschenrechte von Flüchtlingen einsetzen, erheblich zur Entlastung derartiger Konflikte bei, in Deutschland vielleicht noch wichtiger ist die Anerkennung der Existenzberechtigung jüdischen Lebens und damit verbunden seiner Teilnahme am Kampf um die öffentliche Meinung im Lande.

Auf Grund der geschichtlichen Gegebenheiten, zu denen die politischen Traditionen zählen, sind parteinehmende Meinungsäußerungen und Bekundungen bedingungsloser Solidarität unvermeidlich.

In solchen Aktivitäten lassen sich leicht Meinungsäußerungen finden, die einen Frieden unmöglich machen. Sie prägen, um ehrlich zu sein, sogar das Bild.

Viel weniger auffällig erscheinen Punkte, die auf einen Ausgleich hinführen. Und doch: Von Seiten der Politik und der öffentlichen Meinung Israels gehen viele Signale aus, die darauf hindeuten, dass eine Einstellung der Raketenangriffe und eine ausdrückliche Ächtung von Selbstmordattentaten die Lage grundsätzlich ändern würde. Umgekehrt würde eine Beendigung der Siedlungstätigkeit durch den Staat Israel in der politischen Meinungsbildung der Palästinenser einiges bewegen. Die geschichtliche Entwicklung des Konfliktes ist so verwickelt und schwierig, dass seine Lösung von den unmittelbar Beteiligten ein ungeheures Einfühlungsvermögen und eine ganz ungewöhnliche Bereitschaft und Fähigkeit zur klugen, schrittweisen politischen Lösung verlangt, die Schwierigkeiten bei der Eindämmung von Krieg und Gewalt sollten also nicht als Beweis der politischen Unreife der einen oder der anderen Seite genommen werden.


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Quelle:
Politische Berichte - Zeitschrift für linke Politik
Ausgabe Nr. 1, 15. Januar 2009, Seite 6-8
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Januar 2009