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ROTER BRANDENBURGER/021: Zeitung der Deutschen Kommunistischen Partei - Landesvorstand Brandenburg 11/12


Roter Brandenburger - November 2012
Zeitung der Deutschen Kommunistischen Partei - Landesvorstand Brandenburg



In dieser Ausgabe ...
- Privat geht vor Katastrophe
- Vermögen und Unvermögen
- junge Welt in Gefahr
- Wichtiges?
- Die DKP stärken
- Werbetrommelgerühre
- Nachrichtendienstliches
- Die Vergessenen 1936 - 1977
- Kommunismus (Teil XIV)
- Aus dem Geschichtsbuch
- Brandenburger Nachrichten in Rot
- Interview
- Roter Bücherwurm
- Anzeigen / Impressum

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Privat geht vor Katastrophe

Hilfe! Wir leiden unter Fachkräftemangel, jammern "Wirtschaft" und "Politik" in Deutschland. Wohl gemerkt in Deutschland, als in einem der wirtschaftlich am höchsten entwickelten Länder der Erde. Um von den realen Ursache abzulenken, wird zunehmend auf die demographische Entwicklung der Bundesrepublik verwiesen, obgleich seit einem Vierteljahrhundert offiziell zwischen drei und sechs Millionen Arbeitslose jährlich ausgewiesen werden. An Menschen mangelte es also in der Zeit wahrhaftig nicht, in der die neue "katastrophale Lage" heranreifte. Bedenkt man dazu noch die Millionen die Armut und Arbeitslosigkeit, Steuern, Finanzen und Versicherungen verwalten, all die Notare und Rechtsanwälte, also all die, deren Tätigkeit kaum etwas Reales zum Volkswohlstand beiträgt, dürfte der demographische Lauf wirtschaftlich kaum zu fürchten sein. Außerdem "leben allerhand Leute ganz gut davon" Quellwasser aus Brandenburg im Wasserreichen Bayern und Äpfel aus Südamerika im (einst?) Apfelreichen Brandenburg zu verkaufen, sowie von vergleichbarem Unfug in unzähliger Menge. Die Entvölkerung ganzer Landesteile, die zunehmende Unvereinbarkeit von Beruf und Familie, die wachsende Kritik an Volksbildung und Gesundheitswesen sind kaum mit demographischer Entwicklung oder Fachkräftemangel zu erklären. Umso mehr, als es die Bundesrepublik inzwischen geschafft hat, in der Geburt von Kindern auf den allerletzten Platz unter allen Völkern der Erde zu fallen. Hier werden im Jahr pro Tausend Einwohnern nur acht Kinder geboren. Die Kultur des Aussterbens wuchert.

Wir ernten nun den Reifezustand der grundlegenden Doktrin der Bundesrepublik: Privat geht vor Katastrophe. Privat mussten nicht nur die eigentlichen Produktionsstätten sein. Auch die Natur die Bodenschätze, die Kunst die Wissenschaft, die Volksbildung, das Gesundheitswesen wurden zunehmend privatisiert. Alles geriet unter das Gesetz des Privaten, alles geriet unter das Gesetz des Gewinns, des Profits. Selbst der Mensch wurde zur Ware. Inzwischen hat man sich auch an den Gewinnträchtigen "Verleih" von Menschen von einem Unternehmer an inen anderen gewöhnt, ohne die geringsten Skrupel zu empfinden. Die Ausbeutung der Menschen durch andere Menschen wurde längst zur alltäglichen Selbstverständlichkeit. Die Masse der "Bildungsbürger" hat nicht einmal eine Ahnung, was der Begriff "Ausbeutung des Menschen" besagt, von den vielen ungebildeten Deutschen ganz zu schweigen. Kein Wunder, wenn auch das "Kriegshandwerk" wieder als gesellschaftlich gewürdigte Erwerbsquelle aus düsterer Vergangenheit in unseren Lebensalltag zurückkehrt.

Und die Krönung des Ganzen ist die Ideologie des Individualismus. Sie wird auf penetrante Weise von den rechten Medien bis hin zu Meistschreiber der "sozialistischen Tageszeitung Neue Deutschland" (Schutt) beworben. Sie wird von Lebensfremden, Künstlern und Wissenschaftlern gefeiert. Sie wird mit Hilfe von "Massenkunst" hinterhältig in Hirne und Herzen der heranwachsenden Generation gepflanzt. Vor allem jedoch zwingt die bundesrepublikanische Lebenswirklichkeit jedem, der gut leben möchte, ein erhebliches Maß an Egoismus auf. Den Aufrechten - übrigens verschiedener Weltanschauungen -, die diesen Wahnsinn anprangern, wird heimtückisch entgegengehalten: Wer sich gegen den Individualismus wendet, missachtet die Individualität des einzelnen Menschen, nimmt ihm Freiheit. Sind wir in der Bundesrepublik kulturell soweit auf den Hund gekommen, dass sich diese törichte Behauptung nicht postwendend gegen alle richtet, die sie aufstellen und verbreiten? Ist hier selbst der Unterschied von Individualität und Individualismus unbekannt?

Es besteht in der Bundesrepublik kein objektiver Grund für Facharbeitermangel, für fehlende Kindergeburten, für Armut, Arbeitslosigkeit und die üblich gewordenen Kriegsbeteiligungen. Es sei denn, man betrachtet die in die Realität umgesetzte Doktrin "Privat geht vor Katastrophe" und die Ideologie des ungehemmten Individualismus, als objektiv gegeben - also unabhängig von menschlichem Handeln und Denken grassierend.

Hans Stahl

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Vermögen und Unvermögen

Ein deutsches Manager-Magazin befasste sich Anfang Oktober mit "Deutschlands Superreichen". Das ist sein Recht, möglicherweise seine Aufgabe. Was wir vom Grundsatz her wissen, dass es Menschen gibt, die sich auf Kosten anderer bereichern und alles dransetzen, immer reicher zu werden, belegt das Magazin mit Zahlen, um schließlich zu der Aussage zu gelangen, dass der "Wohlstand" jener fünfhundert extrem Reichen in Deutschland mit rund fünfhundert Milliarden Euro das Bruttoinlandsprodukt der Schweiz übertrifft. Diese Art Wohlstand mit dem Bruttoinlandsprodukt zu vergleichen, scheint gewagt. Sei's drum. Bemerkenswert ist die Nachricht, dass das Schlecker-Imperium - wir erinnern uns der kürzlichen Insolvenz und der Aussage, es sei NICHTS mehr da, infolge der Firmenpleite von 1,9 Milliarden auf vierzig Millionen zusammenschmolz. Ach? Vierzig Millionen gleich NICHTS? Da werden die vor dem NICHTS stehenden Schlecker-Frauen schlucken.

Zeitgleich mit der Veröffentlichung über Reichtum in der Republik strahlte rbb-aktuell Regionales eine Serie aus, in der Menschen vorgestellt werden, die am Rande des sozialen Abgrundes leben. Unterschiedlich sind die Schicksale, sicher auch differenziert zu bewerten. Deutlich wird, wie weit die Schere in dem viel beschworenen, in Wirklichkeit nie existenten Sozialstaat gespreizt ist. NICHTS von sozialer Marktwirtschaft und ihren regulierenden Kräften. Damit die Erkenntnis nicht Raum greift, wird Professor Schröder von der Freien Universität Berlin gerufen, seines Zeichens DDR-Forscher. Der weiß, dass in der DDR zum Ende der 1980er Jahre ein Fünftel der DDR-Bürger über vier Fünftel des Vermögens verfügte. Er befinde sich diesbezüglich in Übereinstimmung mit der Konrad-Adenauer Stiftung. Schröder fand heraus (dazu muss man Professor sein und forschen!), dass "ein SED-Generalsekretär das Siebenfache eines durchschnittlichen Einkommens, das bei 1140 Mark gelegen habe, erhielt. Und ein General natürlich einer vom Ministerium für Staatssicherheit, habe bis zu 6500 Mark bekommen. Das seien Gründe, weshalb im "DDR-Sozialismus" Vermögensverhältnisse disproportioniert und also auch Unterschiede vorhanden waren und es Reiche und Arme gab. Hut ab! Hohe Achtung vor derartiger wissenschaftlicher Leistung. Dass sie an Lächerlichkeit und Zeitgeistanbiederung kaum noch zu übertreffen ist, wird dem genannten Forscher kaum aufgehen.

Stanislaw Jezy Lec fragte einmal: "Ist das Denken eine
gesellschaftliche Funktion oder eine des Hirns?"   
Til

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junge Welt in Gefahr

Offener Brief der Mitarbeitenden


Liebe Leserinnen und Leser,

das weitere Erscheinen der jungen Welt ist akut bedroht. Zwar konnten wir im Gegensatz zu fast allen anderen überregionalen Tageszeitungen den Bestand an Abonnements und den Verkauf am Kiosk stabil halten oder sogar steigern. Dennoch haben wir mit existentiellen ökonomischen Problemen zu kämpfen. Dafür gibt es drei Hauptgründe:

1. Die Kosten steigen schneller als die Einnahmen. Zum einen, weil wir für Personal in Verlag und Redaktion deutlich mehr ausgeben als noch vor ein oder zwei Jahren. Zum anderen haben wir die Zeilengelder für hauptberufliche Journalisten verdoppelt. Aber auch andere Kostenfaktoren sind gestiegen, so erhöhten Post und manche Zustelldienste ihre Gebühren erheblich.

2. Mit juristischen Angriffen belasten staatliche Stellen, Einzelpersonen und politische Organisationen unsere Handlungsfähigkeit. Dabei geht es nicht nur um ökonomische Faktoren. Ergebnis ist auch, dass unsere bescheidenen Kräfte zu sehr für die Abwehr solcher Angriffe gebunden werden.

3. Die finanzielle Lage potentieller und schon vorhandener Abonnenten wird schwieriger. Deshalb können wir unsere Probleme nicht einfach durch eine kräftige Preisanpassung lösen. Für manche ist schon heute unsere günstigste Preisstufe, das Sozialabo, kaum oder nicht mehr zu bezahlen.

Im Ergebnis heißt das, dass wir die junge Welt subventionieren. Aber trotz Verzicht auf eine bescheidene Lohnanpassung in diesem Jahr fällt allein für den Zeitraum Januar bis September 2012 ein Verlust von über 100.000 Euro an. Voraussichtlich wird dieser bis zum Jahresende auf etwa 140.000 Euro anwachsen. Damit ist die Existenz der Zeitung gefährdet. Und zwar nicht nur, weil dieses Geld zur Deckung der aktuellen Kosten fehlt. Es gibt mindestens drei weitere Gründe, warum wir unter solchen Voraussetzungen nicht einfach weitermachen können:

1. Unsere technische Arbeitsgrundlage ist veraltet. Wir arbeiten ohne technisches Redaktionssystem, der Onlineauftritt bedarf einer Neustrukturierung. Eine Umstellung würde auch eine Erneuerung der Hardware erfordern.

2. Die Mitarbeitenden von Verlag und Redaktion leisten ihren Beitrag für den Erhalt der Zeitung nicht nur durch engagierte Arbeit, sie nehmen auch hin, dass sie dafür schlecht bezahlt werden.

3. Klar ist, dass finanzielle Stabilität und Unabhängigkeit nur mit einer ausreichend großen Zahl von Lesern garantiert werden kann, die die junge Welt abonnieren. Das setzt allerdings voraus, dass diese Zeitung und ihr journalistisches Angebot überregional bekannt sind.

Unsere ökonomische Schieflage können wir nicht durch Sparmaßnahmen korrigieren. Vor allem, weil wir unser journalistisches Angebot nicht reduzieren, sondern verbessern wollen. Es gibt nur eine Möglichkeit, um alle angesprochenen Anforderungen zu erfüllen, also finanzieren zu können: Wir brauchen deutlich mehr Abonnenten. Nur wenn wir durch Einnahmen aus Abonnements die laufenden Kosten für Erarbeitung, Druck und Vertrieb der jungen Welt decken können, stehen Spenden und Genossenschaftsgelder für nötige Investitionen zur Verfügung.

Damit diese Zeitung weiter existieren kann, wenden wir uns heute an alle Nutzer der jungen Welt mit der Bitte, ein Abonnement abzuschließen. Ansprechen möchten wir zunächst jene, die jW im Internet nutzen, am Kiosk kaufen oder irgendwo mitlesen - aber noch kein eigenes Abo haben. Wir bitten aber auch alle Abonnenten, im Rahmen dieser Kampagne im Freundes- und Bekanntenkreis ein reguläres Abonnement zu werben oder zu verschenken. Auf der XVIII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 12. Januar 2013 in Berlin werde wir Bilanz ziehen.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Verlag und Redaktion der Tageszeitung junge Welt

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Glückwunsch für tschechische Kommunisten

Die Genossen der Kommunistischen Partei Böhme und Mähren (KSCM) haben am 21. Oktober einen beachtlichen Wahlerfolg erringen können. In Tschechien fanden Wahlen in den 13 Regionen statt, und es wurden ein Drittel der Mitglieder des Senates (2. Kammer des Tschechischen Parlamentes) neu gewählt.

Die KSCM konnte ihre Stimmenanteil von rund 15 Prozent 2008 auf 20,5 Prozent ausbauen und somit das beste Wahlergebnis seit dem vorläufigen Sieg der Konterrevolution erzielen. Sie vermochte es erstmals in zwei Regionen zu stärksten politischen Kraft aufzusteigen. In Karlovy Vary und Usti nad Labem errangen die Kommunisten 23 beziehungsweise 26 Prozent der Stimmen, so dass sie nun den Anspruch auf die Regierungsbildung erheben können.

Die Redaktion des Roten Brandenburger möchte den Tschechischen Freunden und Genossen auf diesem Wege herzlich gratulieren. Wir wünschen bei der weiteren politischen Arbeit viele Erfolge und hoffen, dass es den tschechischen Genossen, trotz der sich abzeichnenden Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratischen Partei gelingt, ihren Prinzipien treu zu bleiben.

Frank Novoc

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Mit Deiner Spende die DKP stärken!

Die DKP steht vor schwierigen Aufgaben in der Krise. Es gilt, richtige Antworten auf Sozial- und Demokratieabbau und auf eine drohende Rechtsentwicklung zu finden und gemeinsam zu handeln. Das heißt für uns Kommunisten, im Betrieb, im Wohngebiet und in den Bewegungen gemeinsam mehr Widerstand zu entwickeln, aber auch, diese Kämpfe zu vernetzen. Es bedeutet für uns, in die aktuellen Kämpfe und Bewegungen die Diskussion über eine sozialistische Perspektive einzubringen. Um das zu ermöglichen, muss der finanzielle Spielraum der DKP für die zentrale Arbeit erweitert werden. Wir appellieren an die Mitglieder der DKP, an die Leser der UZ, an alle links denkenden und handelnden Menschen in unserem Land:

Stärkt die Kampfkraft der DKP mit Eurer Spende!

DKP-Spendenkonto
GLS Gemeinschaftsbank e. G. Bochum
Konto-Nr. 400 248 750
BLZ 430 60 96

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Wichtiges?

Unter dem Titel "Tagesvorschau Was Dienstag wichtig wird" warnte Spiegel Online am 24. September 2012 "Kohl kommt zurück". Da fährt eine schon das kalte Grauen durch die Glieder. Haben wir nicht mit der Alles-Kanzlerin schon genug? Der Mann kam also zurück ins Licht aus Anlass des dreißigsten Jahrestages seines ersten Machtantritts. Widerlich anbiedernd feierten die christlichen Demokraten. "Was Dienstag wichtig wird"... Was daran war wichtig? Unwichtig dagegen ist die Meldung, dass die Insolvenzverwalter der krachen gegangenen Drogeriekette Schlecker in diesem Insolvenzverfahren schlichte fünfzehn Millionen Euro einstreichen. "Für unsere Vergütung gibt es einen gesetzlichen Rahmen", ließen sie verlautbaren. Für die fünfundzwanzigtausend Menschen, die bei Schlecker ihren Arbeitsplatz verloren, gibt es schließlich ebenfalls gesetzliche Rahmen, einer heißt Hartz IV. Wichtig? Nicht für Konzernmedien.    Till

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Werbetrommelgerühre

Dieser Tage fand sich in einer Tageszeitung ein Aufmerksamkeit erregendes Foto der dpa. Ein junger Bundeswehrsoldat war darauf zu sehen, der einem etwa vier- bis fünfjährigen Mädchen den Gurt des Stahlhelms, den dieses auf dem Kopf hat, festzurrt. Beide sind vor einem gepanzerten Fahrzeug der Bundeswehr abgebildet. Aus der Luke des Panzers schauen zwei Bundeswehrsoldaten mit Feldmützen, in ihrer Mitte ein kleines Kind, dem ein Stahlhelm verpasst ist, der eine solche Dimension hat, dass das Sehfeld des Kindes stark eingeschränkt ist. So soll es sein!

Nicht genug damit, dass die Bundeswehr mit ihren aufdringlichen Werbekampagnen in das Bildungswesen eingreift und an Schulen und Hochschulen Lockveranstaltungen durchführen darf, richtet sie sich offenbar darauf ein, bereits Kinder im Vorschulalter auf das Morden vorzubereiten. Gewohnheit ist es inzwischen, dass auf der Grundlage so genannter Kooperationsvereinbarungen speziell ausgebildete Jugendoffiziere Unterrichtsstunden in Schulen abhalten dürfen. Bundeswehr-Referenten dürfen Vorlesungen an Hochschulen und Universitäten halten mit dem Ziel militärischer Nachwuchsgewinnung. Für das Jahr 2011 wird angegeben, dass Jugendoffiziere Veranstaltungen mit etwa 130.000 Schülern durchführten. Spezielle sicherheitspolitische Schulungen durften ca. 11.000 Lehrern über sich ergehen lassen. Über ausgebildete Kindergärtnerinnen sind noch keine Zahlen veröffentlicht worden. Die Bundeswehr darf sich uneingeschränkt im Bildungsbereich präsentieren, dazu bei "Tagen der offenen Tür", auf Volksfesten, mit Infoständen und bei anderen unpassenden Gelegenheiten. Hinzu kommt penetrante Werbung für das Kriegshandwerk im Internet. Hier wird permanent und mit unglaublicher Frechheit das Neutralitätsgebot der Schule unterlaufen. Diese Vorgänge sensibel zu beobachten und sich, womöglich, gegen die Werbung für Kanonenfutter zu wehren, Initiativen zur Verbannung von Bundeswehraktivitäten aus den Klassenzimmern zu unterstützen, ist dringend geboten, meint    Till

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Nachrichtendienstliches

Neulich führte der Weg am Großbauprojekt Zentrale des Bundesnachrichtendienstes (BND) vorbei, dort an der Chausseestraße, wo enthusiastisch 1950 das Sportstadion aus den Berliner Trümmern geschaffen wurde, das später Stadion der Weltjugend hieß. Seine Zerstörung erfolgte 1992, angeblich im Zuge der Bewerbung Berlins für die Olympischen Spiele 2000. Daraus wurde nichts. Nun entsteht an diesem Ort in der Manie der großdeutschen Gigantismus ein überdimensionales, grässlich aussehendes Bauwerk, ein Millionengrab, sagt man, das mindestens ein Jahr später fertig wird als geplant. Alles ist weiträumig gesichert, ordentlich abgeschirmt und überwacht von zahllosen Kameras... Dennoch verschwanden bekanntlich fix mal einige Baupläne des geheimem Neubaus, geklaut, hieß es. Lehren sind hoffentlich aus dem Freistaat Thüringen übermittelt worden. Im dortigen Landeskriminalamt, ebenfalls eine geheime Einrichtung, verschwand auffällig Klopapier, geklaut von den eigenen Leuten. Das hatte die Installation einer Kamera zur Folge und die Einleitung zweier Ermittlungsverfahren. Täter fanden die Landeskriminalisten nicht. Hoffentlich schlussfolgernd werden die Klos in der BND-Zentrale ordentlich überwacht, vermutlich als Verschlusssache. Dass der Dieb der BND-Baupläne sich perspektivisch mit Klopapier eingedeckt haben könnte, erheitert    Till

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Großartiger Erfolg des 38. Festivals von KNE und ODIGITIS

Das 38. Festival des Kommunistischen Jugendverbandes Griechenlands KNE und der KNE-Zeitung Odigitis ist erfolgreich beendet worden. Die Veranstaltungen fanden in ganz Griechenland in den vergangenen Monaten statt und erreichten bei einem dreitägigen zentralen Festakt vom 13.-15. September im Tritsis-Park inmitten eines großen Athener Arbeiterwohnviertels den Höhepunkt. Hauptmerkmal dieses Ereignisses war in diesem Jahr die massenhafte Beteiligung der Jugend aus allen ihren Teilen, d.h. der Schüler, der Hochschüler und Studenten, der arbeitslosen Jugendlichen und der Arbeiterjugend. Es gab eine höhere Teilnahme von Arbeitern und Arbeitslosen aller Altersklassen.

Unter der Losung "Hilf demjenigen, der sich zum Aufstand erhoben hat ­... Du musst Dich vorbereiten, jetzt das Kommando zu übernehmen" war das 38. Festival von KNE und Odigitis eine entschlossene Reaktion auf die Instrumente des Systems, welche mit Verleumdungen und anderen unsauberen Methoden versucht hatten, eine Mauer zwischen KKE und KNE einerseits und andererseits die Jugend Griechenlands zu ziehen.

Die KKE begrüßt die Mitglieder und die Funktionäre der KNE, die Freunde des Kommunistischen Jugendverbands, die in einem Geist der Selbstaufopferung gearbeitet haben, um die ... vielfältigen Veranstaltungen des 38. Festivals der KNE und Odigitis zu organisieren und auszurichten und damit eine erhebliche Massenarbeit unter den Jugendliche durchgeführt haben.

Das politische Ausmaß des Festivals fand mit der zentralen Rede der Generalsekretärin des ZK der KKE, Genossin Aleka Papariga, seinen Höhepunkt. Zuvor gab es einige Worte des Sekretärs des Zentralrats der KNE, Genossen Theodoris Chionis, welcher sich insbesondere an die Jugend der Arbeiterklasse und der Volksmassen richtete, um ihr Vertrauen in die KKE warb und sie einlud, an der Seite der KKE an ihrem Kampf teilzunehmen. Eine im Volk und im Parlament, in den Fabriken und in den Wirtschaftsbereichen starke KKE kann der Gegenangriff des Volkes einen großartigen Schub verleihen und der Ausgangspunkt für einen siegreichen Verlauf sein.

Die vom bürgerlich politischen System erlittenen Schocks bei deren Wahlkatastrophe vom Mai 2012 für ihre Parteien ND und PASOK sind vorübergehend durch die Dreiparteienregierung aus ND, PASOK und der Demokratischen Linken übertüncht worden. Vor allem aber zeigten die Wahlen, dass die Monopole in der EU und in einer Reihe von Ländern wie in Griechenland andere Instrumente besitzen, dass sie ihre zeitweiligen Übergangslösungen mit der Zielstellung einer kosmetischen Aufpäppelung des Systems nicht ausgeschöpft haben. Solange das Volk sich nicht dazu entschließt, diese Instrumente loszuwerden, werden sie sie gegen das Volk einsetzen.

Die mitregierenden Linken werden die politische Generallinie weder ändern noch einen Schlag gegen das faule politische System führen. Keine Regierung ganz egal ob sie links stehend, kommunistisch oder gar revolutionär genannt wird, würde ihren Worten folgen, wenn die Produktionsmittel und der Reichtum in den Händen der Monopole sind, wenn das Volk nicht der Eigentümer ist und nicht die Staatsmacht in seinen Händen hält.

Die Generalsekretärin des ZK der KKE bezog sich auf die internationalen Erfahrungen: "Es gibt kein Land und keine Volksbewegung, welches oder welche sich nach vorn hin zu Errungenschaften und Erfolgen nach einer Abschwächung der Kräfte und des Einflusses der kommunistischen Partei bewegt hat. Unter Berücksichtigung aller Unterschiede gibt es die Erfahrung mit Chile, die Erfahrung der Nelkenrevolution, die Erfahrung der kommunistischen Parteien in den bürgerlichen Regierungen in Frankreich und in Italien.

23 kommunistische und antiimperialistische Jugendorganisationen aus aller Welt nahmen am Festival der KNE und ODIGITIS teil. Darüber hinaus organisierte die KNE am Freitag, dem 14. September 2012, ein Internationales Seminar mit der Teilnahme von Vertretern aus aller Welt im Sitz des ZK der KKE in Perissos. Thema des Seminars war "Die kapitalistische Krise, inner-imperialistische Gegensätze und der Krieg - Perspektive und Aufgaben des antiimperialistischen Kampfes". Genosse Elisseos Vagenas, Mitglied des ZK der KKE und zuständig für die Internationale Abteilung des ZK der KKE, hielt die Einleitungsrede. Eine Grußbotschaft wurde von Dimitri Palmyris, dem Vorsitzenden des WBDJ, vorgetragen.

Quelle: inter.kke.gr/News/news2012/2012-09-18-festival/

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Die Vergessenen 1936 - 1977

Gedanken zum Abend mit AHAZTUAK am 13.11.2012 in der Norbert-Fiebelkorn-Stifung

Was ist AHAZTUAK? Es handelt sich um einen Verein in Spanien, den man vielleicht am besten so übersetzt: "Die Vergessenen 1936 - 1977". Er ist eine gemeinnützige und politisch unabhängige Organisation, die versucht, den vergessenen Opfern des Faschismus ihre verdiente Anerkennung zukommen zu lassen. Konzentriert auf das Baskenland arbeitet sie mit ähnlichen Organisationen u.a. in Kantabrien, Kastilien, Asturien und Madrid zusammen.

Bei aller Fragwürdigkeit der Aufarbeitung von Geschichte des Faschismus in der BRD, so ist das doch mit den spanischen Verhältnissen kaum vergleichbar. Was uns oft gar nicht mehr so bewusst ist, ist die Tatsache, dass der Faschismus in Spanien bis 1977 an der Macht war. Durchaus mit wohlwollender Duldung der westlichen "Demokratien".

Die Aufarbeitung der Zeit von 1936 bis 1977 ist in Spanien praktisch noch gar nicht erfolgt. So kämpft der Verein gegen das Vergessen dieser Zeit und der Jahre danach. Sie beschreiben das so: "Bis 1977 deshalb, weil es das Jahr der Amnestie für politische Gefangene war in der sogenannten spanischen Transition, also dem in unseren Augen überaus zweifelhaften Übergang der faschistischen Diktatur in eine demokratische Staatsform."

AHAZTUAK kümmert sich sowohl um die republikanischen Opfer aus der Kriegszeit als auch um die vielen Opfer in der sich anschließenden Zeit der faschistischen Diktatur. Dazu zählen auch die Opfer politischer Justiz, wie z.B. die zum Tode verurteilten fünf Antifaschisten kurz vor Francos Tod. Das gilt auch für die Opfer polizeilicher Repression, die von nachfraquistischen Polizeikräften ermordet wurden, wie z.B. die vom 3. März 1976 in Vitoria/Gasteiz.

Was dem Verein weiter eine Herzenssache ist, wurde mir in einer Mail geschrieben, aus der ich weiter zitiere:

"Im vergangenen Jahr haben wir zum ersten Mal an einer Ausgrabung von an einem Straßenrand im Südbaskenland Erschossenen teilgenommen, bzw. wir haben die Ausgrabung durchgeführt, ohne eine amtliche/polizeiliche Genehmigung dafür zu haben. Die Verantwortlichen in den verschiedenen baskischen Regierungen haben sich immer durch Nicht-Aktivität ausgezeichnet. Sie stellen sich allerdings auch nicht gegen unsere Initiativen (vielleicht aus Scham).

In den vergangen Jahren haben wir mehrfach Stellung genommen zu den völlig unzureichenden gesetzlichen Neuerungen aus Madrid, die sich mit historischer Erinnerung befassen. Nur ganz ausgewählten Opfern eine finanzielle Wiedergutmachung zugestehen, die aber die politischen Hintergründe sowie die Täter völlig außen vor lassen, nach dem Motto Schlussstrich und der Gleichstellung der Opfer beider Seiten des Krieges."

Angemerkt werden muss wohl noch abschließend, dass in Spanien, wenn vom Krieg die Rede ist, immer der Krieg gemeint ist, den wir bei uns gängig als Bürgerkrieg bezeichnen.

Ich denke eine solche Initiative verdient unsere Beachtung und unsere Solidarität.

Herbert Direbe

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Kommunismus (Teil XIV)

Seit die Oktoberrevolution das Tor zur Epoche der sozialistischen Revolution aufstieß, haben sich die Produktivkräfte der Menschheit nicht nur quantitativ verändert, sondern eindeutig auch qualitativ. Verändert sind ebenfalls die Klassenstrukturen, auch innerhalb der verschiedenen sozialen Klassen. Zugleich stellt sich heute das Kräfteverhältnis zwischen Imperialismus und den nach Unabhängigkeit und sozial erträglichen Lebensverhältnissen strebenden Völkern heute anders dar. Eine Vorbildgetreue Wiederholung der Revolutionen und sozialistischen Wege der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts sind also weder zu erwarten noch anzustreben.

Diese Aussage enthält keinerlei Entwertung der Kämpfe, der Opfer, der Leistungen, der Erfolge und Siege der Revolutionäre jener Zeit. Allein schon aus dem Grunde, weil sich in der Gegenwart alle sozialistischen Entwicklungen zwischen China und Venezuela auf deren Leistungen gründen. Und kein ehrlicher Gewerkschafter selbst in der BRD vergessen hat, dass bei jeder seiner Tarifverhandlungen unausgesprochen die DDR mit am Tisch saß. Der Imperialismus konnte seine Triebe nicht völlig uneingeschränkt austoben. Er konnte auch die Niederlage des Kolonialismus und die Hinwendung von immer mehr Völkern Asiens, Afrikas und Amerikas zum Sozialismus nicht überall mit Aggressionen verhindern. Der "real existierende Sozialismus" legte die Fundamente für das heute und in nächster Zukunft Mögliche.

Die einäugige Orientierung auf die Irrtümer und Fehler von Kommunisten auf den Wegen jener Jahre und die totale Einseitigkeit der Beschäftigung mit diesen, ist gleich in doppelter Hinsicht idiotisch: erstens, weil sie die unsäglichen Verbrechen des weiterhin real existierenden Imperialismus verharmlost, die der ja nicht nur in zwei Weltkriegen und im Kalten Krieg verübte, sondern unentwegt verübt. Zweitens weil es das notwendige Erforschen und Studium der Strategie und Taktik fast verhindert, mit der der Imperialismus im Kalten Krieg den Sieg über den Sozialismus in Europa errang!

Letzteres ist jedoch für den bevorstehenden Durchbruch zum Sozialismus auf unserer (!) Erde nicht weniger erforderlich, als die Kenntnis der Erfahrungen aller Völker, die sich auf dem Weg zum Sozialismus/Kommunismus befanden bzw. befinden. Oft ist selbst unbekannt, wie unterschiedlich diese Wege in der Sowjetunion oder auf Kuba, in der DDR, in Polen, Jugoslawien, oder Vietnam, der Mongolei, Albanien, in weiteren asiatischen und afrikanischen Ländern, sowie heute in China oder mehreren amerikanischen Staaten waren und sind. Stattdessen erleben wir die Klugscheißerei von Leuten, die weder mit der Überwindung des globalen kapitalistischen Chaos befasst sind, geschweige denn mit der Gestaltung einer sozialistischen Gesellschaft.

Kommunist sein verlangt, die Verhältnisse so zu sehen wie sie in der Wirklichkeit sind. Wir haben unendlich viel zu lernen, nicht nur über die Vielfalt der eigenen Geschichte, noch mehr über den heutigen Imperialismus sowie den weltweiten Aufbruch zum Sozialismus, der das vergangene und das heutige Jahrhundert charakterisiert. Sozialismus/Kommunismus lassen sich nicht ohne Kommunisten herbeiführen.

H. St.

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AUS DEM GESCHICHTSBUCH
"Pardon wird nicht gegeben ..."

November 1897: Die Besetzung Kiautschous markiert den Auftakt deutscher Kolonialpolitik in Fernost

Wenn die Bundeskanzlerin zum Staatsbesuch nach China reist, wird Ihr, wie zuletzt auch und wie schon unter ihren Amtsvorgängern üblich, jedes Mal ein "großer Bahnhof" bereitet. Die Delegationen sind immer zahlreich und hochkarätig besetzt. So ziemlich alles, was in der bundesdeutschen Politik und in den Führungsetagen der DAX-Konzerne Rang und Namen hat, machte den chinesischen Regierungsvertretern schon seine Aufwartung. Und das nicht von ungefähr - schließlich zählt das "Reich der Mitte" inzwischen zu den wirtschaftlich stärksten Ländern der Welt und hat sich inzwischen zum bedeutendsten Gläubiger für die von wiederholten Finanz- und Wirtschaftskrisen gebeutelten imperialistischen Hauptmächte entwickelt. Das sozialistische Land mit seiner Milliardenbevölkerung gilt in den Augen des Großkapitals als ein gigantischer Markt, der ungeahnte Profite zu versprechen scheint.

Diese Aussicht auf Profit im Fernen Osten hat das deutsche Großkapital schon vor über hundert Jahren geradezu elektrisiert und fortwährend angetrieben. Mehr noch: Die gegenwärtige Entwicklung lässt sich de facto nicht losgelöst von damaligen europäischen und spezifisch deutschen Kolonialismus verstehen. Schauen wir daher noch einmal zurück:

Obwohl Reichskanzler Otto von Bismarck nach der Reichsgründung die "deutschen Interessen" überwiegend in Europa sah, wurden ab Mitte der 1880er Jahre Unternehmungen in aller Welt zuerst unter "Reichsschutz" gestellt und kurze Zeit später unter deutsche Besatzung. Letzteres war zumeist mit der Entsendung sogenannter "Schutztruppen" zur Bekämpfung jeglichen Widerstands aus der einheimischen Bevölkerung verbunden. Die räumliche Verteilung der deutschen Kolonien konzentrierte sich zunächst auf Afrika und auf die Südsee.

Kennzeichnend für diese erste Phase waren die Eroberung von Territorien und deren rücksichtslose Ausbeutung. Charakteristisch war der Aufbau eines profitablen "Handelssystems" auf Kosten der einheimischen Bevölkerung sowie die Errichtung von Stützpunkten in den eroberten Gebieten.

Als am 1. November 1897 zwei deutsche Missionare in China ermordet wurden, war dies für Kaiser Wilhelm II. willkommener Vorwand, die Kiautschou-Bucht in China besetzen zu lassen. Noch bevor die chinesische Regierung von dem Mord erfuhr, erging am 7. November an den Chef des Ostasiatischen Geschwaders, Vizeadmiral von Diederichs, Befehl, die Aktion durchzuführen. Am 14. November landete die deutsche Marineinfanterie in der Bucht und besetzte sie kampflos. China versuchte erfolglos, einen Abzug der Truppen zu erwirken. Wenige Monate darauf, am 6. März 1898, pachtete das Deutsche Reich die Bucht formal für 99 Jahre von der chinesischen Regierung. Zu dieser Zeit zählte die Region ca. 83.000 Einwohner. Zudem wurde die chinesische Regierung genötigt, dem Deutschen Reich Konzessionen zum Bau zweier Eisenbahnlinien und zum Abbau örtlicher Kohlevorkommen abzutreten. Kiautschou sollte zu einer deutschen Musterkolonie nach Vorbild des britisch besetzten Hongkong entwickelt werden.

Im Gegensatz zur Außenpolitik Bismarcks war die Besetzung der Kiautschou-Bucht Ausdruck einer veränderten Welt- und Kolonialpolitik des deutschen Kaiserreichs. In dieser Phase (beginnend ungefähr in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts) traten andere Aspekte in den Vordergrund. Ziel war nun die Erreichung eines kolonialen Extraprofits durch die Ausbeutung extrem billiger Arbeitskräfte sowie die Einbindung der kolonialen Gebiete in den kapitalistischen Weltmarkt und in seine Verwertungsbedingungen. Hauptnutznießer dieser kolonialen Expansion war das noch junge Finanzkapital.

Die Besetzung Kiautschous, das Gesetz zum verstärkten deutschen Flottenbau, die Kaiserfahrt Wilhelms II. ins "Heilige Land" und die Vorentscheidung zum Bau der Bagdadbahn erfolgten in engem zeitlichen und logischen Zusammenhang. Diese Politik, die seit 1897 in besonderer Weise mit den Namen der Staatssekretäre Bernhard von Bülow und Alfred Tirpitz verbunden war, fand insbesondere beim rasch aufstrebenden deutschen Großbürgertum, im sogenannten Mittelstand und im rechtskonservativen Spektrum breite Zustimmung und Unterstützung. Große Erwartungen waren in diesen Kreisen an die Einverleibung Kiautschous geknüpft worden. Sie reichten von der Öffnung des riesigen chinesischen Marktes für den deutschen Handel über die maritime Weltgeltung bis hin zur Entstehung eines "glanzvollen" Kolonialreiches. In der Realität konnten diese Erwartungen in der kurzen Zeit des Bestehens der Kolonie 1898-1914 jedoch nicht erfüllt werden.

Um all das ideologisch zu rechtfertigen, wurde der rassistische Mythos von der Minderwertigkeit der vor Ort lebenden Menschen geschaffen und propagiert. Damit wurden Menschen zu Objekten, denen eine "besondere Behandlung" zu Teil wurde: zum einen brutale Gewalt zur Niederhaltung von Widerstand, zum anderen ein patriarchaler Missionseifer, der die "Wilden" zum "rechten Glauben" und somit zur Zivilisation führen sollte. Das Ergebnis war eine weitgehende Zerstörung der Identität der Bevölkerung in den Kolonien, deren Spätfolgen noch bis heute bemerkbar sind.

Das aus einer unheiligen Allianz der deutschen Bourgeoisie mit dem Adel geschaffene Deutsche Kaiserreich war bei der Aufteilung der Welt unter die kapitalistischen Hauptmächte zu spät gekommen. Um so aggressiver kämpfte es um "seinen Raum", um so brutaler betrieb es die Ausbeutung.

Fürst Bernhard von Bülow, Staatssekretär im Auswärtige Amt, brachte es in der Reichstagssitzung vom 06.12.1897 auf den Punkt: "Wir sind gerne bereit, in Ostasien den Interessen anderer Großmächte Rechnung zu tragen, in der sicheren Voraussicht, dass unsere eigenen Interessen gleichfalls die ihnen gebührende Würdigung finden. Mit einem Worte: wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne."

Tauchte in den Kolonien Widerstand auf, schlossen sich die ansonsten konkurrierenden und mithin verfeindeten Kolonialmächte zusammen. Und das deutsche Kaiserreich, um seine strategische Aufwertung im Spiel der Mächte bemüht, beteiligte sich aktiv und entschlossen. Das bekannteste Beispiel dafür ist wohl der sogenannte "Boxeraufstand" in China von 1898 bis 1901. Ziel der Aufständischen war in erster Linie die Befreiung Chinas von ausländischer Herrschaft. Die chinesischen Regierungstruppen wurden mit den Aufständischen nicht fertig bzw. desertierten.

Daraufhin begannen die Großmächte einen nicht erklärten Krieg gegen China. Daran waren neben Großbritannien Frankreich, Russland, Japan, die USA, Italien, Deutschland und Österreich-Ungarn beteiligt. Der britische Oberbefehlshaber machte Geschichte mit seinem Ruf: "The Germans to the Front". Ein neuer Mythos wurde geboren und eifrig gepflegt: Deutsche Truppen retteten die vermeintlich bedrohten Europäer.

Das Herrschaftsdenken dieser Zeit wird deutlich in der berühmt-berüchtigten "Hunnenrede" Kaiser Wilhelms vor deutschen Soldaten, die vor dem Transport nach China standen. Sie gipfelt in den Worten: "Ihr wisst es wohl, ihr sollt fechten gegen einen verschlagenen, tapferen, gut bewaffneten, grausamen Feind. Kommt Ihr an, so wisst: Pardon wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht. Führt eure Waffen so, dass auf tausend Jahre hinaus es kein Chinese mehr wagt, einen Deutschen scheel anzusehen."

Demgegenüber bezogen die Sozialdemokraten gegen die koloniale Unterdrückung klare Position und solidarisierten sich mit den Menschen in den betroffenen Territorien. August Bebel protestierte im Reichstag am 19. Januar 1904: "Meine Herren! Das Recht zum Aufstand, das Recht zur Revolution, hat jedes Volk und jede Völkerschaft, die sich in ihren Menschenrechten aufs alleräußerste bedrückt fühlt."

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges wurde Kiautscho nach heftigen Belagerungsgefechten von japanischen Truppen erobert und später, in den 1920er Jahren, schließlich auf internationalen Druck an China zurückgegeben. An die koloniale Vergangenheit erinnern heutzutage noch eine Anzahl von eisernen Kanaldeckeln, auf denen Krupp steht. Und eine Bierbrauerei, deren Bier während der Olympischen Segelwettbewerbe 2008 dort im heutigen Tsingtao reißenden Absatz fand und auch in zahlreichen hiesigen China-Restaurants ausgeschenkt wird.

Für den Profit auf dem Zukunftsmarkt China bedarf es heute keiner deutschen Kriegsschiffe mehr. Die eloquenten Vertreter des deutschen Großkapitals haben anderes im Gepäck...

Michael Forbri


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Verabschiedung der Ostasientruppen in Bremerhaven am 27. Juli 1900

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Brandenburger Nachrichten in Rot

Deutlich mehr Sanktionen

(Neuruppin) "Eingliederungsvereinbarung" - das klingt harmloser, als es ist. Die Hartz-Behörde des Kreises Ostprignitz-Ruppin greift immer häufiger zu Sanktionen gegen Arbeitslosengeld-II-Empfänger. Grund sind Verstöße gegen die sogenannte Eingliederungsvereinbarung. Das klingt wie die Bestätigung des Klischees vom faulen Arbeitslosen in der sozialen Hängematte. Doch so einfach ist es nicht. Denn die Eingliederungsvereinbarung beinhaltet ein straffes Regelwerk, an das sich ein Arbeitsuchender sklavisch zu halten hat. So muss der Betroffene eine bestimmte Anzahl Bewerbungen nachweisen - selbst wenn er nach vielen Monaten alle infrage kommenden Betriebe weit und breit erfolglos abgegrast hat.

Dabei wissen viele Arbeitslose gar nicht, dass sie die Vereinbarung nicht unterschreiben müssen. Denn es handelt sich um einen Vertrag, und zu einem Vertragsabschluss darf in Deutschland niemand gezwungen werden.


Streit um die Bahnlinie

(Neuruppin) Noch immer ist nicht klar, wer nach dem Fahrplanwechsel am 9. Dezember mit welchen Fahrzeugen die Bahnstrecke Neustadt-Pritzwalk-Meyenburg betreibt. "Der Zuschlag wird noch im Oktober erteilt", sagte Elke Krokowski, Sprecherin des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB), gestern lediglich. Da kann man ja von Glück reden, dass hier nicht die Praxis der Schulbehörden übernommen wird. Da wissen die Schulleiter oft am ersten Schultag nicht, mit welchem Personal sie denn ihre Stundenplanung machen können. Hauptsache der neue Betreiber hat dann genug Züge, wie es uns ja das Beispiel anderer Bahnlinien lehrt. Denn die Ostdeutsche Eisenbahngesellschaft (Odeg), die dann die Strecken des RE 2 und des RE 4 von der Deutschen Bahn übernimmt, wird nicht genügend Züge haben und muss sie sich dann vom Konkurrenten ausborgen.


Deutlich mehr rechte Straftaten

(Königs Wusterhausen) In Dahme-Spreewald wurden von Januar bis September schon mehr als doppelt so viele rechtsextreme Straftaten registriert wie im gesamten Vorjahr. Die meisten davon waren Propaganda-Straftaten wie Hakenkreuz-Schmierereien.

Im Jahr 2011 gab es in Dahme-Spreewald 27 rechtsextreme Straftaten. Polizeisprecherin Ines Filohn führt den deutlichen Anstieg unter anderem darauf zurück, dass mehr Anzeigen erstattet wurden. "Die Leute sind aufmerksamer geworden", sagte sie. Bisher sind zwei Gewaltdelikte aktenkundig, so viele wie im Vorjahr. Zuletzt war ein Farbanschlag auf das Asylbewerberheim in Waßmannsdorf verübt worden, zu dem sich Rechtsextreme bekannten. Im Nachbarkreis Teltow-Fläming wurde das Wohnhaus des Sprechers der Initiative "Zossen zeigt Gesicht" beschädigt. Außerdem wurden in der Stadt Gedenksteine für ehemalige jüdische Einwohner beschmiert. Landesweit deckt sich der Trend mit der Entwicklung in Dahme-Spreewald. In Brandenburg gibt es eine Zunahme der Straftaten um elf Prozent.


Zukunft in Dreetz

(Dreetz) Ein beispielhaftes Projekt entsteht in Dreetz. Auf einem ehemaligen Schulgelände entsteht ein Seniorenzentrum. Das dürfte exemplarisch sein. Immer weniger Junge Leute, und damit Kinder, wohnen außerhalb des Speckgürtels um Berlin und der Anteil der Alten wächst. Wo es keine Arbeit und keine Perspektiven gibt, da wollen und können junge, vor allem Mädchen, nicht bleiben. Der jüngst veröffentlichte Demographiebericht zeigt es. So prognostiziert der Bericht z.B. für die Stadt Potsdam einen Bevölkerungsanstieg um dreißigtausend Menschen und für Eisenhüttenstadt einen Rückgang von viertausend.


Polizeinachrichte vom 26.10.201

Neuruppin: Vor Bowlingcenter geschlagen
Ein 12-Jähriger wurde durch einen 13-Jährigen vor einem Bowlingcenter ohne ersichtlichen Grund unvermittelt mit einer 1,5 Liter Wasserflasche mehrfach auf seinen linken Oberarm geschlagen und auch getreten.

Neuruppin: 11-jährige Mitschülerin geschlagen
Eine 11-Jährige ist vor der Turnhalle einer Grundschule an der Fehrbelliner Straße in Neuruppin (Ostprignitz-Ruppin) mehrfach von einem gleichaltrigen Mitschüler gegen den Kopf und den Oberkörper geschlagen sowie beleidigt worden. Auch wurde gegen ihr verletztes Bein getreten.

Wittstock (Dosse): Lehrerin geschlagen
Eine 42-jährige Lehrerin hatte Hofaufsicht, wobei sie einen Schüler der 6. Klasse bemerkte, welcher in einer Gruppe von Schülern mit einer Zaunlatte umher "fuchtelte". Die Geschädigte ging zu diesem Schüler und forderte ihn auf, die Zaunlatte zu übergeben. Daraufhin drehte sich der Schüler um und schlug der Geschädigten mit der Faust ins Gesicht.

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Ich bin ja nicht ein Schabowski oder Gorbatschow!

Interview mit Christel Wegner

Seit zwei Jahren interviewen wir Brandenburger Genossen und Sympathisanten, um uns und unsere Haltungen besser kennen zu lernen. Aus aktuellem Anlass wollen wir in dieser Ausgabe die Niedersächsische Genossin Christel Wegner vorstellen. Seit 2008 ist sie Abgeordnete des Landtages und nach einer Kampagne der bürgerlichen Medien wurde sie aus der Fraktion der PDL ausgeschlossen. Aktuell wurde ihre parlamentarische Immunität vom Landtag aufgehoben, da die Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit den Kastortransporten gegen sie ermittelt.

RB: Bevor wir zu den aktuellen Ereignissen kommen, wollen wir etwas zu deinem politischen Werdegang erfahren. Wann und wie wurdest du politisiert?

Christel Wegner: Ich bin in einem kommunistischen Elternhaus aufgewachsen und alle Gespräche und Kontakte drehten sich um Politik! Die Wiederbewaffnung der BRD, die gewerkschaftlichen und gesellschaftlichen Aktionen und Kämpfe um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen für die abhängig Beschäftigten und deren Familien, die Auswirkungen des Kalten Krieges - einige von vielen Themen, die unsere Eltern untereinander, aber auch mit Genossen, Freunden, Nachbarn und Kollegen - auch im Beisein von uns Kindern diskutierten. Wir wurden erzogen, uns gegen Ungerechtigkeiten zu wehren und Solidarität mit Schwachen und Benachteiligten zu üben.

Hausdurchsuchungen durch die politische Polizei, die Observierung unseres Vaters durch den Verfassungsschutz und das Verbot der KPD waren für uns Kinder traumatische Erlebnisse.

1965 wurde ich - für mich folgerichtig - Mitglied der verbotenen KPD und 1968 Mitglieder neukonstituierten DKP.

RB: Wie hast du die politisch Niederlage 1989 erlebt?

C.W.: Wir waren alle zutiefst deprimiert, weil wir es nicht glauben konnten, daß so ohne Gegenwehr alle Errungenschaften der sozialistischen DDR hergegeben wurden! Wie mit den Funktionsträgern umgegangen werden durfte, einfach grauenhaft! Und es war uns klar, dass unsere Regierung nun daran gehen würde, uns allen das Fell über die Ohren zu ziehen.

RB: Was hat dich bewegt trotz dem in der DKP zu bleiben?

C.W.: Nach wie vor bin ich davon überzeugt, dass der Sozialismus als Übergang zum Kommunismus für die Menschheit das bessere und gerechtere System ist. Davon können mich auch Rückschläge nicht abbringen. Ich bin ja nicht ein Schabowski oder Gorbatschow!

RB: Nach deiner Wahl in den Niedersächsischen Landtag 2008 wurdest du nach einem Fernsehinterview aus der Fraktion der Partei die Linke ausgeschlossen. Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit, als sich die Wogen glätteten?

C.W.: Dr. Manfred Sohn äußerte klipp und klar nach meinem Rauswurf aus der Fraktion: "Eine Zusammenarbeit wird es nicht geben!" Und da sind sie konsequent, die Linken!

RB: Der Niedersächsische Landtag hat am 26. September deine parlamentarische Immunität aufgehoben. Wie kam es dazu?

C.W.: 2010 habe ich den Aufruf "Castor? Schottern!" unterschrieben. Damit wollte ich meine Bereitschaft zur Teilnahme an einem Akt des zivilen Ungehorsams bekunden. Die Staatsanwaltschaft Lüneburg sah in den Unterschriften den Aufruf zur Teilnahme an einer Straftat. Sie bot an gegen die Zahlung von 50 Euro an "Kinder von Tschernobyl" das nicht weiter zu verfolgen, ansonsten würde beim Landtagspräsidenten die Aufhebung meiner Immunität beantragt werden, um Anklage gegen mich erheben zu können. Da ich nicht erpressbar bin, kam es natürlich genau so!

RB: Wie wertest du das Verhalten der andere Abgeordneten?

C.W.: Die PDL hat im Landtag gegen die Aufhebung der Immunität gestimmt, da es eine politische Aussage sei, für die ich verurteilt werden soll. Die B90/Grüne-Fraktion stimmte dafür, weil sie meinen, Abgeordnete sollten vor Strafverfolgung grundsätzlich nicht besser geschützt sein als jeder Bürger. Ein oder zwei Abgeordnete der SPD haben sich enthalten. Da kann ich nur mutmaßen, dass sie die Dimension erkannt haben, sich aber der "Fraktionsdisziplin" nicht entgegenstemmen konnten.

RB: Wie siehst du diese Aufhebung der Immunität in der allgemeinen Tendenz Demokratie abzubauen?

C.W.: Ich sehe eine große Übereinstimmung der Staatsanwaltschaft mit den Interessen der Atomlobby, verzweifelte Protestaktionen gegen diese Atompolitik zu bestrafen und zu diskreditieren. Auch dies ist eine Abschreckungskampagne gegen die große Anhängerschaft der Ausstiegswilligen. Wir sollen mundtot gemacht werden und in die Nähe von Verbrechern gestellt werden.

RB: Welche Unterstützung und Solidarität hast du von deinen Genossen, Freunden und Bündnispartnern sowohl 2008 und auch jetzt erfahren?

C.W.: Es gab vielfältige Solidaritätsbekundungen: viele Nachbarn lasen die Pressemitteilung in unserem 2-mal wöchentlich erscheinenden Mitteilungsblatt und versicherten mir ihre Unterstützung, meine Genossen versicherten mir ihre Solidarität, es war Mut machend, diese - bis zu ihrem Ende böse Aktion - durchzustehen.

RB: Welche Folgen hat die Aufhebung deiner Immunität für deine weitere Arbeit als Abgeordnete?

C.W.: Es hat keine Folgen! Außer dem, dass ein Prozess vor dem Landgericht Lüneburg stattfinden wird. Ich werde weiter im Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration als beratendes Mitglied (ohne Stimmrecht) vertreten sein und in den Landtagssitzungen MIT Stimmrecht!    BM

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Der rote Bücherwurm empfiehlt

Ronald M. Schernikau "darüber, daß die ddr und die brd sich niemals verständigen können, geschweige mittels ihrer literatur"

Ronald M. Schernikau - geboren 1960 in Magdeburg, aufgewachsen in Lehrte bei Hannover, 1980 Studium der Germanistik, Psychologie und Philosophie an der FU in Westberlin, 1986 Studium am Literaturinstitut Johannes R. Becher in Leipzig, 1989 Bürger der DDR, gestorben 1991 in Berlin - war Schriftsteller und Kommunist.

Als wenn er geahnt hätte, dass ihm nur 31 Jahre Leben zur Verfügung stehen! Sein erstes Buch, "Kleinstadtnovelle, eine frühreife literarisch Meisterleistung, veröffentlichte er schon im zwanzigsten Lenz. In den darauf folgenden Jahren erschienen kleinere Arbeiten - Artikel, Gedichte, Aufsätze, Protokolle. 1989 folgte wieder ein größeres Werk "die tage in l.", das Ergebnis seiner Beobachtungen während der Studienzeit in Leipzig. Die Veröffentlichung seines Mamutwerkes, des Montageromanes "legende", konnte er selbst nicht mehr erleben. Der junge Autor hatte Vorbilder, dazu gehörten u.a. Hölderlin, Hegel, Shakespeare, Beckett und natürlich Brecht. "Die Prinzipien der Montage von mythologischen und Alltags-Ebenen hat Schernikau bei Irmtraud Morgner kennen gelernt", die er sehr verehrte. Mit einem seiner Vorbilder, nämlich Peter Hacks, unterhielt er einen regen Briefwechsel, der im Konkret-Verlag veröffentlicht wurde. Schernikau war auch ein guter Literaturkritiker und konnte wunderbar über Gedichte reflektieren!

"die tage in l." entstand zwischen den Welten: Schernikau nahm die Gelegenheit wahr, als Bürger der Bundesrepublik am Literaturinstitut Johannes R. Becher in Leipzig zu studieren. Das Buch betrachtet die beiden deutschen Staaten und ihre Systeme von allen möglichen Seiten, prüft und misst sie an ihrem Nutzen für den Menschen. Eine dialektische und sprachliche Glanzleistung, aus dem Blickwinkel eines Marxisten. Allerdings darf der Leser keine zusammenhängende Geschichte erwarten. Schernikau war ein junger moderner Dichter, der ausprobierte, nach Formen für seine Inhalte suchte. In einem Brief schreibt ihm Peter Hacks: "Sie haben also die Gattung des naturalistischen Essays gegründet und sagen, was ihnen so durch den Kopf geht; einverstanden." Die einzelnen Abschnitte - bestehend aus alltäglichen Begebenheiten, Betrachtungen über Kunst oder Politik, Interviews - sind Aphorismen, zusammengefasst und Sinnzusammenhängen zugeordnet. Rainer Bohn nennt diese Technik "Enthüllungsliteratur höchster Ordnung". Ein Beispiel: "soll man das leid teilen? soll man, weil im fernsehen immer blöde filme kommen, immer blöde filme kucken? man soll das leid nicht teilen, man soll es lindern." Als Brechtschüler interessiere ihn nicht die Befindlichkeiten, sondern die Haltungen der Menschen. Wenn Schernikau die Bücher von Peter Handke als extrem belanglos charakterisiert, als "literatur der schwäche, abwehr von welt, verkleidet als leiden an ihr ...", dann trifft er wohl den Kern, doch nicht ohne Überheblichkeit.

Man könnte seine Art zu schreiben auch "Vermenschlichung des Dokumentarischen nennen, wie in der Liebeserklärung an Uwe, womit "die tag in l." enden: "uwe ist zupackend, spröde, hat lachfalten um die augen, ist immer optimistisch, die größte scheiße kann passieren, uwe sagt: das kriege wir hin, uwes verbalisierungsgrad ist nicht der höchste, das macht er locker mit seiner neugier wett, uwe erschrickt, wenn man seine augen küßt, uwe hat keine ahnung, daß er schön ist, das mindert seine schönheit nur um ein weniges, uwe ist die ddr". Schernikau hat es sich zur Aufgabe gemacht, seinen LeserInnen "eine mögliche Haltung zur Welt anzubieten", und vermittelt "heutzutage eine unerschütterliche Zuversicht, aus der alten Erkenntnis, dass die Verhältnisse, in denen die Menschen zu leben haben, seit jeher von ihnen selbst hergestellt werden und somit veränderbar sind".

Erwähnenswert erscheint mir noch "Irene Binz - Befragung". Es handelt sich hier um die erste Bearbeitung der Abschrift eines Interviews, das Ronald M. Schernikau 1980 mit seiner Mutter geführt hatte. Bis auf die abenteuerliche Flucht der beiden im Kofferraum eines Autos, die Schernikau in seinem Montageroman "legende" literarisch verwertet hatte, ist der Text übrig gebliebenes Material. Hinter der fiktiven Ich-Erzählerin steht seine Mutter, das Leben einer ungewöhnlichen Frau: "Irene Binz, die sich in der für sie richtigen Welt weiß, über einen Liebsten nachdenkt, der in einer für sie falschen Welt wohnt, und darüber, was das Reisen zwischen den beiden Welten und die Versuchung, seinetwegen in die falsche Welt umzuziehen, bei ihr für Empfindungen auslösen." Mit dem Gespräch im Anhang aus dem Jahre 2010 zwischen Claudia Wangerin und Ellen Schernikau kann man das Buch als einen Bildungsroman im klassischen Sinne begreifen, der die Entwicklung eines Menschen bis zur Reife zum Ausdruck bringt, über viele Erschütterungen hinweg. Ellen Schernikau steht für die selbstbewussten Frauen, die die Deutsche Demokratische Republik hervorgebracht hat.

Ulla Ermen


Im Buchhandel erhältlich Ausgaben:

Ronald M. Schernikau, Irene Binz. Befragung
Rotbuch Verlag Berlin 2010
219 Seiten - 17,90 EUR

Ronald M. Schernikau, die tage in l.
Konkret Literatur Verlag Hamburg 2012
200 Seiten - 15,00 EUR

Ronald M. Schernikau, Königin im Dreck,
Texte zur Zeit
Verbrecher Verlag Berlin 2009
303 Seiten - 15,00 EUR

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IMPRESSUM

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Redaktionsschluss für Nr. 12/2012: 10. November 2012

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Quelle:
Roter Brandenburger 11/2012, 17. Jahrgang
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Dezember 2012