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ROTFUCHS/128: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 174 - Juli 2012


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

15. Jahrgang, Nr. 174, Juli 2012



Inhalt

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Dem deutschen Gockel schwillt der Kamm

Im September 1997 folgte ich einer Einladung nach Kiew, das ich oft und gerne besucht hatte, als die Metropole am Dnjepr noch Hauptstadt einer sowjetischen Unionsrepublik war. An drei erlebnisreichen Tagen saß ich als Vertreter der DKP gemeinsam mit Hans Modrow, den die PDS entsandt hatte, im Präsidium des Parteitags der KP der Ukraine. Damals vermochten sich wohl nur wenige unter den 800 Delegierten auszumalen, wie schnell und radikal die als orangefarbene "Revolutionäre" getarnten Nachfolger der Weißgardisten mit ihrer Galionsfigur Julia Timoschenko - der reichsten Frau der Ukraine - die Konterrevolution weiter vorantreiben würden.

An diesen Kiewer Aufenthalt mußte ich denken, als die ebenso hysterischen wie heuchlerischen "Hilfsappelle" und Boykottdrohungen der BRD-Politikerriege und ihrer auf rabiates Zubeißen getrimmten Medienmeute zur "Solidarität" mit der angeblich in höchster Lebensgefahr schwebenden Komplizin Washingtons und Berlins alle Dimensionen sprengten. Während die CDU-Berufsrevanchistin Erika Steinbach die "Patenschaft" für Timoschenko übernahm, durchbrach die über Nacht dann wieder abgeblasene Kampagne alle Dämme diplomatischer Zurückhaltung. Mit der Ukraine wurde im wörtlichen Sinne "deutsch gesprochen".

Jene berüchtigte Ideologie, nach der am deutschen Wesen die Welt genesen solle, erlebt seit geraumer Zeit in der BRD eine erschreckende Renaissance. Die chauvinistische Unverfrorenheit jener, die das schwer belastete Deutschlandlied zu ihrer Staatshymne auserkoren, kennt inzwischen keine Grenzen mehr. Der Name Angela Merkel ist zum Synonym für deutsche Arroganz und Negierung völkerrechtlicher Grundprinzipien geworden.

Das hemmungslose Herumtrampeln auf der Souveränität Griechenlands - der ältesten europäischen Kulturnation - und die gegenüber Athen angewandten "Treuhand"-Würgegriffe sind in ihrer Perfidität nicht zu überbieten. Wie in jenen Tagen, als Manolis Glezos die Hakenkreuzfahne von der Akropolis herunterriß, ist Hellas zum Objekt expansionistischer Gelüste des deutschen Imperialismus geworden. Das völlig ungenierte Rühren in fremden Töpfen gilt als Maxime der Berliner Außenpolitik.

Zu den ersten Objekten der Begierde einer auf neuerliche Expansion setzenden bundesdeutschen Strategie gehörte Jugoslawien. Dessen Provinz Kosovo wurde Belgrad von der NATO im Bunde mit den faschistoiden UÇK-Separatisten entrissen. Seit mehr als einem Jahrzehnt tobt sich dort uniformiertes deutsches Herrenmenschentum aus, nachdem sich die Bundesluftwaffe schon 1999 an NATO-Terrorangriffen auf serbische Zivilisten beteiligt hatte.

Das Einmischungsstreben des deutschen Imperialismus, der neben dem der USA heute als der gefährlichste in der Welt zu betrachten ist, kennt keine Grenzen mehr. Nachdem die Friedrich-Naumann-Stiftung der FDP, deren abgehalfterter Parteivorsitzender Guido Westerwelle heute Berlins "Top-Diplomat" ist, erst vor wenigen Jahren den Sturz des rechtmäßigen Präsidenten von Honduras und dessen Ersetzung durch eine willfährige Marionette des "Westens" mit inszeniert hatte, spielt der sich wie ein Ochsenfrosch aufblasende Berliner Außenamtschef derzeit eine ähnlich üble Rolle bei Bemühungen um einen Regimewechsel im südostasiatischen Myanmar. Hier geht es den Imperialisten darum, Chinas ressourcenreichen Nachbarstaat, das frühere Burma, von seinem bisher neutralen Kurs abzudrängen und gegen die Volksrepublik in Stellung zu bringen. In Rangun heißt die Favoritin der Einmischungsstrategen nicht Julia Timoschenko, sondern Suu Kyi.

Seit Beginn der USA-Aggression gegen Afghanistan ist die BRD als selbsterklärte Rechtsnachfolgerin des Hitler-Staates und seiner Wehrmacht in dieses sieg- und ruhmlose Abenteuer tief verstrickt, wobei sie durchaus eigenständige Ziele des deutschen Imperialismus in der zentralasiatischen Region verfolgt.

Die Merkel-Administration, die nicht einmal davor zurückschreckte, sich offen zugunsten des unterdessen an den Urnen geschlagenen rechtskonservativen Expräsidenten Sarkozy in den französischen Wahlkampf einzumischen, ist auf politische, ideologische und ökonomische Diversion in allen Teilen der Welt bedacht. So setzt sie auf von ihr ausgehaltene Kräfte in den unweit Irans gelegenen Kaukasusrepubliken. Zugleich treibt die BRD nicht wenig Aufwand, in Belarus Gegner des Präsidenten Lukaschenko zu staatsfeindlichen Aktivitäten anzustacheln, um Minsk von seiner eigenständigen Linie abzubringen. Zweifellos verbirgt sich dahinter das alte Konzept einer Einkreisung Rußlands. Die tendenziösen, äußerst aggressiven Kommentare von ZDF und ARD lassen keinen Zweifel daran aufkommen, daß die BRD-Führung nahtlos von antisowjetischen auf antirussische Positionen übergegangen ist, wobei der von Putin verfolgte Kurs des größten Landes der Welt die Berliner Vorherrschaftspolitik konterkariert.

Während man sich in Merkels Umgebung darüber im klaren sein dürfte, daß sich die von der Kommunistischen Partei zielklar und kraftvoll vorangebrachte politische und wirtschaftliche Großmacht China mit ihrer 1,3-Milliarden-Bevölkerung nicht an der Nase herumführen läßt, fehlt es auch hier nicht an Bestrebungen, sich aufs hohe Roß deutscher Anmaßung zu schwingen. Wenn Angela Merkel in Beijing ihre brühwarmen Ratschläge zum Umgang mit vom "Westen" erfundenen oder installierten "Menschenrechtsaktivisten" erteilt, während nebenan gerade ein Mega-Vertrag mit VW unter Dach und Fach gebracht worden ist, dann erinnert ein solches Gebaren an einen Mops, der den Mond anbellt.

Um was es dem deutschen Kapital und seinen Berliner Prokuristen tatsächlich geht, verdeutlichte jüngst die BRD-Zeitschrift "Internationale Politik". Das außenpolitische Sprachrohr der auf globale Expansion setzenden deutschen Imperialisten verzichtete auf jegliche Umwege und kam direkt zur Sache. "Deutschlands weltpolitische Mission" bestehe "in einer Neukonstituierung des Westens auf gleicher Augenhöhe mit den USA", hieß es dort. Als "wichtigster Aktionär der EU" und "wirtschaftliches Machtzentrum" habe die BRD die Aufgabe, "dabei in Führung zu gehen".

Eine solche Hegemonialpolitik, die ohne Skrupel von Berlin erhobene Weltherrschaftsansprüche proklamiert, ist aus der Vergangenheit sattsam bekannt. Dem deutschen Gockel schwillt der Kamm. Es ist hohe Zeit, Alarm zu schlagen!

Klaus Steiniger

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Wenn vom Klassenfeind die Rede ist ...

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Die Lehre vom Klassenkampf
Lenin: Drei Quellen und drei Bestandteile des Marxismus (Teil 3 und Schluß)

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Besuch aus Belgien

Ein herausragender Theoretiker und Stratege der Partei der Arbeit Belgiens (PTB) - der frühere Chefredakteur der Wochenzeitung "Solidaire" und heutige Herausgeber des Theorieorgans "Études Marxiste" Herwig Lerouge - traf am 10. Mai zu einem kameradschaftlichen Gedankenaustausch mit Rolf Berthold, Götz Dieckmann und Klaus Steiniger in der Berliner Rheinsteinstraße zusammen. Die Vertreter des RF und der belgische Gast bekräftigten bei dieser Gelegenheit den gemeinsamen Widerstand aller antifaschistisch-demokratischen Kräfte gegen den neuerlich erhobenen Vorherrschaftsanspruch des deutschen Imperialismus.

RF

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Barsches über Bartsch

Bei einer Internetdebatte im "Blog zur Partei" über das Thema "Fragend wohin?" bewertete ein Diskussionsteilnehmer (Sebald sagt) am 18. Mai um 11.20 Uhr das Wirken des von den Medien der Bourgeoisie aufdringlich propagierten Vorreiters der "Reformer" in der PDL folgendermaßen:

Ich bin der Überzeugung, daß der Politikstil von Dietmar Bartsch die Partei zerstören würde. Ich will diese These näher erläutern.

Zunächst zu meiner Grundprämisse: Ich bin der Meinung, daß "Die Linke" nur als eine pluralistische linke Sammlungsbewegung erfolgreich sein kann, und daß ein konstruktives Miteinander der unterschiedlichen Positionen und Strömungen nur möglich ist, wenn die Partei all diesen Strömungen Entfaltungsmöglichkeiten zugesteht. Daher halte ich es für wichtig, daß auch das Führungspersonal diese Pluralität akzeptiert.

Und da muß ich sagen, daß ich in dieser Frage bei Dietmar Bartsch erhebliche Defizite sehe. Er besitzt sicher Organisationstalent. Was ihn aber problematisch macht, ist seine mangelnde Toleranz, seine fehlende Bereitschaft, eine pluralistische Linke zu akzeptieren. Diese Haltung zieht sich wie ein roter Faden durch seine gesamte politische Laufbahn. Ich will sie anhand mehrerer Beispiele illustrieren.

Dietmar Bartsch war maßgeblich dafür verantwortlich, daß Sahra Wagenknecht 1995 mittels Druck und Erpressung aus dem Amt der stellvertretenden PDS-Vorsitzenden entfernt wurde. In den Folgejahren zählte Bartsch zu jenen, die Sahra Wagenknecht immer wieder von Führungspositionen ferngehalten haben, obwohl sie schon damals das Format dafür hatte. Sicher ist die Aussage nicht falsch, daß sie in der PDS systematisch ausgegrenzt wurde.

Dietmar Bartsch trägt die Hauptverantwortung für die Demontage der PDS-Führung nach dem Geraer Parteitag 2002. Dort hatten er und seine Mitstreiter eine Niederlage erlitten. Der von ihnen favorisierte Roland Claus wurde nicht zum Parteivorsitzenden gewählt. Statt dessen gelangten Vertreter des linken Flügels in die Führung. Dietmar Bartsch akzeptierte dieses Ergebnis nicht. Gleich nach dem Parteitag begann er eine Diffamierungskampagne gegen die Parteiführung - die sogenannte Wachbuchaffäre -, welche die Partei in der Öffentlichkeit disqualifizierte und sie an den Rand der Spaltung brachte. Erst mit der Abwahl der in Gera gewählten Führung auf einem Sonderparteitag gab Bartsch Ruhe.

Aktuelle Brisanz gewannen diese Ereignisse, weil sie in dem "Spiegel"-Artikel "Honeckers Wurm" im April 2011 aufgegriffen und mit neuen Erkenntnissen gewürzt wurden. Ihm zufolge hatte Bartsch nach der Niederlage auf dem Geraer Parteitag Pläne für die Spaltung der PDS geschmiedet. Es gab Absichten, eine neue Partei zu schaffen, in der nur die sogenannten Reformer vertreten sein sollten. Auch diese Überlegungen zeigen, daß Bartsch nicht bereit ist, eine pluralistische linke Partei zu akzeptieren.

Während seiner Arbeit als stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion setzte sich seine Neigung zur Intoleranz und Ausgrenzung unliebsamer Positionen fort. Er spielte eine zentrale Rolle beim Maulkorbbeschluß und bei der Boykottaktion gegen die "junge Welt". Diese Aktivitäten hatten ganz klar das Ziel, die Entfaltungsmöglichkeiten von Teilen der Partei zu beschneiden. Das Ergebnis war ein innerparteiliches Klima, in dem sich diese massiv bedroht fühlten - mit katastrophalen Folgen für die innerparteiliche Kultur. Mit solchen Aktivitäten brachte Bartsch die Partei an den Rand der Spaltung.

Schließlich der Kampf um den Fraktionsvorsitz: Hier war es das Ziel, Sahra Wagenknecht als gleichberechtigte Fraktionsvorsitzende neben Gregor Gysi zu wählen, um die Fraktionsführung ein Stück pluralistischer zu machen. Dietmar Bartsch verhinderte diesen Vorstoß mit Druck und Erpressung. Er steht für einen absoluten Machtanspruch. Schon diese Haltung macht ihn für Führungsaufgaben völlig ungeeignet. Bartsch würde nicht versöhnen, er würde spalten. Er wäre ein Vorsitzender, der von großen Teilen der Partei bekämpft würde.

Hinzu kommt, daß Bartsch eine Schlüsselfigur in einem Netzwerk von Leuten ist, die sich selbst gern "Reformer" nennen. Sie dominieren eine Reihe von ostdeutschen Landesverbänden. In Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Sachsen ist die Parteiführung fast vollständig in ihrer Hand. Hier kann man erkennen, wie eine Linke nach den Vorstellungen der "Reformer" aussähe. Und da ist es ganz klar so, daß diese "Reformer" in ihren Einflußbereichen einen Politikstil pflegen, der Andersdenkende und unbequeme Meinungen rigoros ausgrenzt. In diesen Landesverbänden werden Leute, die nicht zu den "Reformern" gehören, systematisch übergangen sowie aus Führungspositionen entfernt. Aktuelle Beispiele waren die Listenaufstellungen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin sowie die Verdrängung André Hahns vom Fraktionsvorsitz im Sächsischen Landtag. Im Gegenzug werden bequeme, angepaßte und vor allem den "Reformern" zugeneigte Leute gezielt gefördert. Ich erinnere nur an die Gründung eigener, von Solid unabhängiger Jugendstrukturen in Berlin.

Im Umkreis des "Reformerlagers" entstand auch der Text "Meine Linke hat die Krise" von Sören Benn, einem wichtigen Vertrauten Klaus Lederers und Stefan Liebichs. Dieser Text formuliert explizit die Absage an eine pluralistische Linke.

Angesichts dieser Fakten habe ich große Sorge, daß ein Parteivorsitzender Bartsch eine pluralistische Linke nicht akzeptieren und versuchen würde, die Vertreter des linken Flügels auszugrenzen. Ich habe die Befürchtung, daß der Machtanspruch der "Reformer" in der Partei dann genauso rigoros durchgesetzt würde wie in mehreren ostdeutschen Landesverbänden und in der alten PDS. Daher ist Dietmar Bartsch für mich als Parteivorsitzender nicht hinnehmbar.

Vom RF leicht gekürzt


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Der Linkspartei gebricht es nicht an charismatischen und fähigen Politikern: Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine auf einer Beratung Hunderter Mitglieder und Sympathisanten der Partei in Berlin, bei der die konsequente Befolgung des Erfurter Programms im Mittelpunkt stand.

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Gutes Gelingen!

In Göttingen haben die "Reformer" und Möchtegern-Liquidatoren der Partei Die Linke - Gregor Gysi hatte dort sogar indirekt die Spaltung empfohlen - eine herbe Niederlage einstecken müssen. Die für den Zusammenhalt und die Stärkung dieser wichtigen linken, antifaschistisch-demokratischen und friedensfördenden Kraft in der BRD eintretenden Parteitagsdelegierten schufen durch ihr Votum klare Mehrheitsverhältnisse.

Wir wünschen der gewählten Doppelspitze aus Katja Kipping und Bernd Riexinger, aber auch der in ihrer Funktion bestätigten stellvertretenden Parteivorsitzenden Sahra Wagenknecht, die diesen Personalvorschlag als erste unterbreitet hatte, beim Bemühen um die Stabilisierung ihrer Partei gutes Gelingen.

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Wer die SPD nachäfft, macht sich zum Affen

Die Linke ist ein Auslaufmodell!" Das dürfte die Parole der BRD-Mediendiktatur bis zur Bundestagswahl 2013 sein. Im polarisierten Wahlkampf von "Schwarz-Gelb" gegen "Rot-Grün" bevorzugt das Kapital den Wechsel und fördert zugleich den weiteren Aufbau der anderen das Wasser abgrabenden Piraten als einer angeblich innovativen Alternative zur Linkspartei. Wer in besseren Tagen mit Oskar Lafontaine deutlich über die 5 %-Hürde zu springen vermochte, was auf einen Schlag zu 76 Bundestagsmandaten geführt hatte, mußte mit der Möglichkeit von Rückschlägen oder Niederlagen rechnen, zumal Herrn Bartsch eine Pulverisierung der PDS im Reichstagsgebäude und Herrn Lederer Rekordverluste in Berlin ja bereits einmal gelungen waren. Erinnert sei an das isolierte Duo Lötzsch - Pau und das vorjährige Debakel der PDL in der Hauptstadt.

Da ist es recht unverfroren, daß ausgerechnet der als Reformer posierende Parteiflügel nun sein erwiesenermaßen destruktives Führungskonzept erneut durchzusetzen versuchte. Jean Ziegler formulierte es so: "Allerlei Theorien und fadenscheinige Ideologie verdunkeln das Bewußtsein der Männer und Frauen guten Willens in der westlichen Welt. Deshalb halten viele unter ihnen die derzeitige kannibalische Weltordnung für unabänderlich. Also gilt es zunächst einmal, diese Theorien zu bekämpfen." Erst dann kämen zielgerichtete strategische und taktische Überlegungen zum tragen: ob und wie wir parlamentarisch, außerparlamentarisch oder in anderer Form mit welchen Bündnispartnern zusammenarbeiten wollen oder nicht.

BRD-Staatsräson ist die Verteidigung einer durch 53 von SPD, CDU und FDP vorgenommene Grundgesetzänderungen total deformierten "freiheitlich-demokratischen Grundordnung". Es geht um die Forcierung der imperialistischen EU- und NATO-Politik, zu deren Eckpfeilern das Merkel-Kabinett gehört. Oberste Maxime ist die nicht im Grundgesetz verankerte Bindung der BRD an das kapitalistische System.

Als Spitzenpolitiker des rechten PDS-Flügels auftretende Karrieristen der SED warfen 1989/90 den Marxismus und dessen revolutionäre Zukunftsvisionen bedenkenlos über Bord. Sie setzten einzig und allein auf bürgerlichen Parlamentarismus und verbliebene demokratische Spielräume in der BRD. Diese werden von ihnen seitdem als das Nonplusultra gepriesen. Ihnen genügt es, wenn Mißstände kosmetisch kaschiert oder mit Wundpflastern verdeckt werden, wobei man deren Ursachen völlig außer Betracht läßt.

Seit 1793 gibt es die durch Roux, Saint-Just und Babeuf fixierte linke Grunderkenntnis, daß Freiheit und Gleichheit nur "eitle Hirngespinste" sind, solange die Verfügungsgewalt des Kapitals über die Produktionsmittel weiterbesteht und die Gesetze von der Bourgeoisie gegen das Volk gemacht werden. In diesem Sinne sind die Bewahrer der herrschenden Rahmenbedingungen und Anbeter des bürgerlichen Parlamentarismus definitiv keine Linken. Ihre Behauptung, als bloße Wahlpartei in koalitionsfähigen Mehrheiten bestehende Verhältnisse "transformieren" zu können, ist reine Spiegelfechterei! Weder Wähler noch die SPD brauchen eine diese lediglich nachäffende Partei, die linke Stimmen für eine solche Koalition abfischt. Das Original versteht sich seit 1914 darauf weit besser als jede Kopie. Während der grüne "Öko-Mainstream" zu verschärfter Ausplünderung des Volkes durch den Ausbau angeblich umweltverträglicherer, in Wahrheit aber profitablerer Unternehmen mit miserablen Arbeitsbedingungen mißbraucht wird, zeigt sich die SPD aus taktischen Erwägungen immer mal wieder in einem rosaroten Mäntelchen.

Wer den Drang zum Widerstand hat, findet Erfolgserlebnisse und kämpferischen Einsatz in Bürgerbewegungen, die außerparlamentarisch manches erreichen können. Andererseits haben Geschäftsordnungen, Parteiengesetze, Wahlregulative und allerlei bürokratische Fußangeln lediglich zur Bindung des Personals der PDL an die Denkweise des Kapitalismus geführt, wodurch die Linkspartei vielen Bürgern entfremdet worden ist. Bei noch keineswegs flächendeckendem oder konsolidiertem Parteiaufbau mißlang ihr die beabsichtigte Verankerung in Bürgerbewegungen. Ihre anfängliche außerparlamentarische Mobilisierungskapazität blieb mehr und mehr auf der Strecke. Manche politisch noch unerfahrenen PDL-Funktionäre guckten sich statt eines klaren eigenen Kurses häufig Tricks und Widerwärtigkeiten, Intrigantentum und Winkelzüge von den "Altmeistern" des bürgerlichen Parlamentarismus ab.

Ohne Zweifel gehört die Mehrheit links eingestellter Bürger im Westen nicht der PDL an. Wo diese dennoch für deren Liste votiert haben, wurde die Linkspartei nicht zuletzt durch das Zusammenwirken mit DKP-Genossen und anderen mit ihr verbündeten Kräften vor dem Aus gerettet. Das war so in Hamburg und Hessen. Dort blieb die PDL dank eines soliden Stammwählerpotentials und trotz des Einzugs der Piraten vor einem Desaster bewahrt. Bei einer Führungsübernahme durch das rechtsgerichtete "Forum Demokratischer Sozialismus" (fds) gingen solche Wähler sofort verloren.

Dabei dürfte feststehen, daß selbst eine "gemäßigte" linksbürgerliche Opposition in den Parlamenten der BRD für alle Linken verteidigenswert ist, da sie gegen Faschisten und Faschisierer steht, die so schwerer die Oberhand gewinnen können. Ihre bloße Existenz mindert auch die Gefahr zunehmender innenpolitischer Repression und zwingt andere Parteien bei aufkommender Unzufriedenheit der Massen zu Zugeständnissen, ja bisweilen sogar zur teilweisen Übernahme von PDLForderungen. Sie hält auch das öffentliche Bewußtsein für soziale Gerechtigkeit wach. Zugleich steht sie gegen Militarismus und imperialistische Aggressionen in der Welt.

Das dürfen wir bei aller berechtigten Kritik am bisherigen Kurs der PDL nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Deshalb sollten wir deren Kandidaten auch weiterhin dort unterstützen, wo immer das linken Wählern zumutbar ist. Nicht etwa nur, weil das Programm der Partei fortschrittliche Züge aufweist, sondern auch, weil ihr mehrheitlich antikapitalistisches Wirken den Herrschenden ein Dorn im Auge ist. Deshalb bekämpfen sie die PDL bei gleichzeitiger Hofierung ihres rechten Flügels mit seinen Protagonisten Bartsch, Lederer, Liebich, Bockhahn und Co. mit jeglichen Mitteln.

Das Hinterherlaufen so mancher Linker hinter den Rechtswende-Empfehlungen der als fds getarnten SPD-Fraktion innerhalb der PDL trägt nur dazu bei, den Negativtrend noch zu verstärken, die erlittenen Niederlagen zu vertiefen und den Untergang des so hoffnungsvoll begonnenen, wenn auch widerspruchsbeladenen Projekts "Die Linke" herbeizuführen.

Dringend erforderlich ist ein echter politischer Neustart, wie ihn die 13 Thesen des "Netzwerks für internationalen Sozialismus - marx21" ins Auge fassen. In dem Dokument heißt es: "Die Linke kann aus ihrer Krise stärker hervorgehen, wenn sie die richtigen Schlußfolgerungen zieht - die Planstelle des Motors sozialer Bewegungen ist in Deutschland nach wie vor unbesetzt." Mit zentristischem Flickwerk sind die inneren Konflikte und Widersprüche zwischen Programm und Praxis nicht zu beheben. Der Vorwurf, ausgerechnet die Linken in der PDL wollten die Partei zerstören, ist absurd und zeigt lediglich, wes Geistes Kind jene sind, die anderen den Schwarzen Peter zuschieben wollen.

Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg

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Was sich hinter Merkels "marktkonformer Demokratie" verbirgt

Die Bürger der BRD wurden seit Jahresbeginn mit der Präsidentenwahl, Krisenberichten zu immer neuen EU-Gipfeln und inflationären Euro-Schirmen bedrängt. Die Regierung und die tonangebenden Medien suchen dennoch unverdrossen den Eindruck zu suggerieren, alles sei "in Butter": die Konjunktur, die Kanzlerin sowieso, der famose neue Bundespräsident, der Export, die Binnennachfrage, die grotesk geschönten Arbeitslosenzahlen. ... Selbst in Afghanistan wende sich ungeachtet der vielen Toten, wobei nur die eigenen Opfer gezählt werden, alles zum besten. Daß 70 % der Deutschen gegen die BRD-Kriegsteilnahme sind, bleibt dabei außer Betracht. Die Nazi-Mordserie und die Verstrickung der Verfassungsschützer werden so klein wie möglich gehalten.

Viele resignieren, weil solcherlei Nachrichten den eigenen Erfahrungen und Wahrnehmungen widersprechen. Nach den Arbeitenden und den bereits außer Gefecht Gesetzten sehen sich inzwischen auch viele Angehörige der "Mittelschicht" einer zügigen Entwertung ihrer Lebensleistungen gegenüber, wobei sich nicht wenige von ihnen auf dem geraden Weg zu Hartz IV befinden. Ernsthafte Analysen führen zu dem Ergebnis, daß im Bewußtsein von immer mehr Bundesbürgern existentielle Sorgen wie erpresserisches Lohndumping, fortbestehendes Rentenunrecht, Altersarmut und massenhafte prekäre Arbeitsverhältnisse in den Vordergrund treten.

Hinzu kommen rasant steigende Mieten und Abgaben auf lebensnotwendige Dinge, eine fortschreitende Inflation, die Furcht vor weiter zunehmender Instabilität des Geldsystems sowie die ständige Reduzierung der Leistungen von Kranken- und Pflegekassen. Zwar versuchen systemintegrierte Medien und ihnen hörige Politiker davon abzulenken, doch der Bürger ist auf Dauer nicht zu täuschen. Er weiß, daß soziale Aufstiegschancen verschwinden und sogenannte flexible Arbeitsverhältnisse zur Norm werden, wobei die Einkommensunterschiede immer sichtbarer auseinanderklaffen. Tarifanpassungen an die Inflation werden rasch wieder durch diese aufgefressen. Der soziale Zusammenhalt schwindet: Seriöse Umfragen führen zu dem Ergebnis, daß ein erheblicher Prozentsatz der Deutschen die Preisgabe auch der Reste des im Grundgesetz verankerten "sozialen Rechtsstaates" und ein Schwinden der bereits ausgehöhlten Demokratie befürchtet.

An der Schwelle von 2011 zu 2012 gab man wie immer das Unwort des Jahres bekannt. Es lautete "Dönermorde". Die Juroren prangerten an, daß die Untaten der Neonazis dadurch verharmlost würden.

Den dritten Platz unter solchen verbalen Kreationen errang Angela Merkels Phrase von der "marktkonformen Demokratie". Die ihrerseits marktkonforme Bundeskanzlerin prägte dieses Unwort im September 2011, indem sie sagte, "daß das Budgetrecht ein Kernrecht des Parlaments ist und ... wie die parlamentarische Mitbestimmung so gestaltet wird, daß es trotzdem auch marktkonform ist". Im Klartext heißt das: Wirtschaft und Hochfinanz haben die Regierungspolitik in der BRD und in ganz Europa zum willfährigen Vollstrecker ihrer Pläne gemacht. Sie benötigen keine "freiheitliche demokratische Grundordnung", sondern ein funktionierendes System, das "demokratische Risiken" ausschließt. Sie brauchen die Schuldenbremse zur Verarmung der Bürger und "Schuldenkommissare" zur "Disziplinierung" aus der Reihe tanzender Staaten. Sie bekämpfen intakte demokratische Strukturen, die ihnen zum Hemmnis werden könnten - beispielsweise das Rederecht im Bundestag, die Occupy-Bewegung oder den Gedanken einer Volksabstimmung über EU und Euro in Griechenland.

Die Währungskrise wurde zur Krise der bürgerlichen Demokratie, deren Zerstörung sich seit den 90er Jahren immer systematischer vollzieht. Dieser Prozeß zeitigte bereits dramatische Folgen. In Rom, Athen und Brüssel wurden die Regierungen "auf kaltem Wege" durch einen Putsch der Finanzmärkte knallhart ab- und eingesetzt. Italiens Berlusconi fegte nicht etwa der Widerstand des Volkes hinweg: Er wurde ganz "marktkonform" aus dem Verkehr gezogen, damit direkte Gewährsleute der internationalen Konzerne und Banken das Zepter übernehmen konnten.

Die kapitalistische Systemkrise führt zur Vernichtung riesiger Vermögen, zur Existenzbedrohung für die Bevölkerungsmehrheit, zur Zerschlagung sozialer Errungenschaften der Arbeiterbewegung vieler Länder, zum Ruin von Kultur und Bildung. Zugleich wachsen auf unserem Kontinent Fremdenfeindlichkeit, Chauvinismus und Sozialdarwinismus. Faschistoide, rechtspopulistische Parteien und Bewegungen gewinnen rasch an Einfluß. Man denke nur an die 18 % der Faschistin Marine Le Pen in der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen oder an den Einzug einer offenen Nazipartei in das Athener Parlament!

Die Handlungsfähigkeit der organisierten Arbeiterschaft und oppositioneller linker Parteien wird eingeschränkt. Aus Furcht, die oftmals äußerst niedrigen sozialen Standards zu verlieren, halten die paralysierten Massen einiger Länder still, auch wenn anderswo die zunehmende Zahl von Generalstreiks wachsende Kampfbereitschaft signalisiert.

Eine winzige Minderheit hat sich national wie international legale Bedingungen für grenzenlose Bereicherung ohne alle Einschränkungen verschafft. Die Abgeordneten in den einzelnen Mitgliedsstaaten der EU und im Europaparlament ringen nicht etwa um das vorgespiegelte "Vertrauen der Märkte", sondern setzen knallhart die auf Gipfeln, durch Troikas und das bisherige Zusammenspiel von Berlin und Paris gesetzten Regeln zur Profitmaximierung durch. Das ist die Diktatur der sogenannten Gläubigerstaaten, die sich die Schuldnerstaaten unterwerfen. Dieses Stadium der Kapitalkonzentration braucht ohne Zweifel Merkels "marktkonforme Demokratie".

Einige Ideologen der Bourgeoisie sprechen zu Recht von einer "Postdemokratie". Damit ist nicht etwa die Deutsche Post gemeint, sondern die endgültige Ablösung der ohnehin lädierten bürgerlichen Demokratie, die dabei im bisherigen institutionellen Gehäuse weiterbestehen darf. In ihr manipulieren politische "Eliten" als Vollstrecker des Willens der ökonomisch Herrschenden die Interessen der Bürger und des Staates.

Unter diesen Voraussetzungen bleiben die essentiellen Forderungen linker Kräfte unverzichtbar: Der entstandenen Lage kann nur durch eine grundlegende Veränderung der Eigentums- und Verteilungsverhältnisse sowie ihrer sozialpolitischen Rahmenbedingungen Paroli geboten werden.

Die Ausplünderung der Völker ist durch Modifikationen des Kapitalismus oder eine "verbesserte Transparenz" technischer Prozesse der Machtausübung weder aufzuhalten noch aufzuheben. Empörung und Wut reichen nicht; direktes demokratisches Eingreifen auf allen Ebenen sowie inner- und außerhalb der Parlamente ist unsere Pflicht.

Ingo Hähnel, Berlin

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Nicht jeder Pirat ist ein Störtebeker

Eine Partei der Computer-Nerds, der Freaks und der politischen Anfänger elektrisiert einen großen Teil der Deutschen", schrieb die Hamburger Zeitschrift "konkret".

Mit 70 % Protestwählern und 23 % aller Jungwähler haben die spektakulären Abstimmungserfolge der "Piratenpartei" besonders der PDL schwere Verluste zugefügt. Die "Unwägbarkeiten" dieser neuartigen, noch amorphen Gruppierung erschweren den Umgang mit ihr und haben zu Fehleinschätzungen des "Phänomens" beigetragen.

Nach einer Meinungsumfrage vom April 2012 sind 70 % der Deutschen zwar "mit der Marktwirtschaft zufrieden", jedoch "mit dem Politikstil, den Arbeitsmarktverhältnissen und dem Sozialabbau unzufrieden". Sie trennen die Auswirkungen des kapitalistischen Systems von diesem selbst, verwechseln Ursache und Wirkung. Doch das eine ist ohne das andere nicht zu haben!

Symptomkritik an einzelnen Erscheinungsformen durch Erheben von Teilforderungen, völlig losgelöst von den Klasseninteressen der Akteure und Betroffenen, muß als Wesensmerkmal der "Piraten"-Programmatik betrachtet werden. Deren Ideologie, soweit überhaupt vorhanden, ihr Gesellschaftsverständnis und ihr Freiheitsbegriff wurzeln in kleinbürgerlichen Philosophiekonzepten der letzten 200 Jahre.

Insofern handelt es sich um eine zwar schrill aufgemachte, dem Wesen nach aber bürgerliche Partei. Relativismus, Subjektivismus, Neopositivismus und Existentialismus sind vorherrschend. "Wähle Dich selbst!" heißt die Losung, mit der nicht wenige Gefolgsleute der Piraten auf rein individualistisch-egozentrische Weise, fernab von allen Notwendigkeiten solidarisch-klassenkämpferischen Handelns, ihre "Befreiung" vom Druck der politisch-ökonomisch Herrschenden suchen. "Liquid democracy" (fließende Demokratie) und "Antikollektivismus" bedingen selbstvermarktende Eigenwerbung für ganz persönliche Begehrlichkeiten der "Nerds"-Generation im egoliberalen "Politik-Facebook". Das vermeintlich revolutionäre "andere Lebensgefühl" dieser Jugend ist eben nicht mehr als eine subjektive Ergebnislage von Erziehung und Aufdrängen eines Weltbildes, das Klassensolidarität und Antikapitalismus durch Ellenbogen-Mentalität und den "Traum vom privaten Glück" ersetzt, folglich auch keine systembedrohende Kritik duldet.

Die fachlich und methodisch versierten "Kader" der Piraten - an ihrer Spitze wurde der engagierte CDU-Stadtratskandidat Sebastian Nerz inzwischen durch den auf Piratenart zurechtgemachten Regierungsdirektor Bernd Schlömer aus dem Bundesverteidigungsministerium ersetzt - konsolidieren sich zunehmend. Sie dürften die Forderungen der extrem buntscheckigen Basis mehrheitlich bündeln, um sie von Fall zu Fall - kein Vergleich mit den Grünen in deren Startphase - in politisch wechselnden Bündnissen durchzusetzen. Dabei kristallisieren sich vor allem die Interessen innovativer Geschäftsideen und Teilhabewünsche technologisch hochbefähigter junger Unternehmer gegen die Vorherrschaft des alteingesessenen Großkapitals als zentrale Anliegen heraus. Grundsatzpositionen und soziales Gemeinwohl sind dabei nur hinderlich. Apropos Schlömer: Der Diplom-Kriminologe antwortete auf die Frage eines Reporters, warum er kein Parlamentsmandat anstrebe: "Ich fühle mich im Bundesverteidgungsministerium geborgener."

Machtbasis der Piraten bleibt der "liquide Zustrom" Angelockter, dessen Nutzung vorerst eine weitgehende Öffnung erforderlich macht. Daher sollte man gewissen Vorkommnissen am rechten Rand der aus dem Boden gestampften Partei derzeit keine besondere Bedeutung zumessen, sondern vor allem ihr Spitzenpersonal näher unter die Lupe nehmen. Denn bekanntlich fängt der Fisch am Kopf an zu stinken. Die Anführer der Piraten bedienen sich kritiklos modernster Wissenschaftsinstrumentarien, die eigens zum Systemerhalt geschaffen wurden: Politologie, Soziologie, Kommunikationsforschung, Medienkunde mit den dafür nutzbaren Internet-Optionen.

Eine "Revolution" der Politik mittels facebook-gestützer Methoden wird schon seit längerem von der gegnerischen Seite an US-Universitäten diskutiert. Die ohnehin von Sponsoren und Lobbyisten restlos abhängigen traditionellen Parteien der Bourgeoisie lassen sich durch "Politische Marketing-Agenturen" als "konkurrierende Dienstleister" im freien Wettbewerb um Klientenquoten (Wähler) mühelos ersetzen. Der Erfolg in diesem "Geschäft" entscheidet dann darüber, wem die Führungsposition im Regierungsmanagement der Kapitalinteressen zugesprochen wird. Dabei sind Facebook-Methoden und neue Medien noch intensiver und effektiver nutzbar, als das schon heute in den USA geschieht. Die auf solche Weise hochgeputschten arabischen "Revolutionen" waren nur eine Art Generalprobe. Mit Scheintransparenz, Massenkulisse und dem Aufgreifen persönlicher Anliegen scheinbar unpolitischer Konsumbürger kann man die populistisch instrumentalisierten "Wahlkämpfe", bei denen es zwar viele Köpfe gibt, dennoch aber Kopflosigkeit herrscht, noch perfekter dirigieren.

Nicht wenige Piraten erhoffen sich von solchen Methoden eine "demokratische Berücksichtigung von Individualinteressen" gegen die objektive Tendenz globaler Monopolisierung des Kapitalismus. Daß gerade innovative Wissenschaft und Technologie der Macht des Geldes, der Korruption, der Staatsgewalt und dem militärisch-industriellen Komplex viel wahrscheinlicher dienstbar gemacht werden, unterschätzen sie völlig. Dagegen gerichteter Widerstand von Teilen ihrer Bewegung ist ein fortschrittliches Moment. Das gilt auch für die mehrheitliche Abgrenzung von rechtsextremen Kräften. Hier können und müssen wir von Fall zu Fall, nach örtlicher und personeller Sachlage in einzelnen Politikbereichen und bei Teilforderungen eine Zusammenarbeit versuchen.

Dabei gilt zu beachten: Nicht jeder Pirat ist ein Klaus Störtebeker, dessen Vitalienbrüder einst die Schiffe der Pfeffersäcke aufs Korn nahmen und der 1402 zusammen mit vielen seiner Gefährten von der Hanse hingerichtet wurde. Viele erweisen sich statt dessen als Freibeuter, deren Kompaß einen ganz anderen Kurs zum Entern vorgibt. "Links" oder gar "revolutionär" sind die Piraten trotz ihres rebellischen Verhaltens, das besonders bei Jüngeren verfängt, indes keineswegs. Sie wollen den Kapitalismus lediglich "angenehmer" gestalten. Objektiv dienen sie als Auffangbecken gefährlicher Politikverdrossenheit und von Kritikern des verlogenen Geschäfts der etablierten Parteien. So wird gezielt revolutionäres und linkes Potential abgezogen, aufgefangen und kanalisiert, der Erkenntnis grundlegender Widersprüche des Kapitalismus vorgebaut und wirkliche Solidarisierung der Ausgebeuteten verhindert.

Darum werden die Piraten von der bürgerlichen Presse abwartend hofiert und als momentan höchst wirksame "Wunderwaffe" zur weiteren Schwächung der rückläufigen PDL, aber auch partiell gegen Grüne und SPD eingesetzt. Sie sollen vor allem die Schwarzen vor weiterer Erosion bewahren. Übrigens zog die einstige Bundestags- und Europaparlamentsabgeordnete Angelika Beer, früher wehrpolitische Sprecherin der Grünen, im Mai als "Piratin" verkleidet in den Kieler Landtag ein.

Ernst Schrader, Kiel

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Mehr Geltung für Galtung
Neues Nachdenken über die kritische Friedensforschung

Nach der Wahl Gustav Heinemanns zum Bundespräsidenten und Willi Brandts zum Kanzler Anfang der 70er Jahre entwickelte sich in Teilen der Bevölkerung der BRD die Hoffnung, es werde möglich sein, aus der von der CDU getragenen aggressiven Politik des Kalten Krieges auszubrechen. In dieser Atmosphäre erlebte die Friedensbewegung einen bedeutenden Aufschwung, und in ihr erlangte auch die wissenschaftliche Erforschung zu Problemen von Krieg und Frieden wachsende Bedeutung. Eine einflußreiche Strömung war die kritische Friedensforschung, als deren Repräsentanten Senghas, Narr, Krippendorf und vor allem der Norweger Johan Galtung genannt seien.

Das Neue von Galtungs Ansatz war die Unterscheidung von negativem und positivem Frieden sowie zwischen personeller und struktureller Gewalt. Frieden sei nicht erreicht, wenn lediglich die Waffen schwiegen, vielmehr müsse die strukturelle Gewalt überwunden werden, um zum positiven Frieden zu gelangen. Strukturelle Gewalt sei dann gegeben, wenn gesellschaftliche Verhältnisse bestünden, unter denen Millionen Menschen verhungern, obwohl auf der Erde die natürlichen Bedingungen vorhanden sind, 12 Milliarden Menschen ausreichend ernähren zu können. Sie werde angewandt, wenn in Afrika Kinder an Krankheiten sterben, die in Europa leicht zu heilen sind und für deren Behandlung die Pharmakonzerne über genügend Medikamente in ihren Lagern verfügen. Strukturelle Gewalt sei es auch, wenn Agrarkonzerne die Preise für Lebensmittel durch Spekulation so in die Höhe treiben, daß sie die Masse der Bevölkerung nicht mehr erwerben könne, während zugleich die kleinbäuerlichen Betriebe zugrunde gerichtet würden. Schließlich müsse man auch von struktureller Gewalt sprechen, wenn die Lebenserwartung der oberen Schichten der Gesellschaft fast doppelt so hoch ist wie die der ärmeren.

Der norwegische Gelehrte schuf nicht nur eine neue Theorie, sondern nahm auch selbst aktiv am Friedenskampf teil: durch persönlichen Einsatz bei der Konfliktlösung und schriftliche Meinungsäußerungen wie jüngst beim von außen angefachten Syrienkonflikt. Gegen alles Kriegsgebrüll gerichtet, schrieb er: "Wenn statt der neumodischen und höchst blutigen NATO-Einsätze die klassische internationale Friedenssicherung gemäß Kapitel 5 der UN-Charta wieder bemüht werden könnte, wäre einem anspruchsvollen Frieden konkret geholfen."

Der Verfechter dieses Gedankens wurde für seine Aktivitäten mit dem Alternativen Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Sein Denkansatz zu struktureller Gewalt und positivem Frieden ist heute in der Sozialwissenschaft weitgehend anerkannt und dient vor allem in Afrika und Lateinamerika als Ausgangspunkt für tiefer lotende gesellschaftswissenschaftliche Untersuchungen.

Bekannt wurde auch der geplante Auftritt des namhaften UNO-Menschenrechtlers Jean Ziegler (Schweiz) bei den jüngsten Salzburger Festspielen. In dessen vorbereitetem Manuskript heißt es: "Es wurden durch die EU-Staaten, die USA, Kanada und Australien viele Milliarden an die 'Bankhalunken' gezahlt, zur Rettung der Spekulationsbanditen. Aber für humanitäre Soforthilfe ist kein Geld da." Es versteht sich, daß diese Rede nicht gehalten werden durfte.

Wir Friedensforscher der DDR verfolgten die hier dargestellten Überlegungen der kritischen Friedensforschung mit regem Interesse, jedoch überwiegend mit Skepsis, statt Gemeinsamkeiten mit ihr zu suchen und herauszuarbeiten.

Dr. sc. Fritz Welsch, Berlin

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Eine Quelle, die aus dem Osten gespeist wurde

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Kein lauter, aber ein lauterer Mensch
Zum 90. Geburtstag des mutigen Strafverteidigers Dr. Friedrich Wolff

Alles, was Recht ist" hieß eine Fernsehsendung, die Dr. Friedrich Wolff zwischen 1981 und 1990 zu Rechtsfragen des Alltags bestritt. Er hatte damit die Nachfolge Prof. Friedrich Karl Kauls - des legendären FKK - angetreten, durch den diese Sendung zuvor moderiert worden war. "Alles, was Recht ist" könnte auch als Lebensmotto Friedrich Wolffs gelten, wenn man die Bilanz seiner 90 Lebensjahre zieht.

Unser Jubilar wurde am 30. Juli 1922 im Berliner Arbeiterbezirk Neukölln geboren. Nach dem Abitur hatte er zunächst wie sein Vater Arzt werden wollen. Der Zweite Weltkrieg durchkreuzte solche Pläne. So nahm F. W. 1946 an der Berliner Universität, die seit 1949 den Namen der Gebrüder Humboldt trägt, ein Studium der Rechtswissenschaften auf. Schon 1945 war er der KPD beigetreten. Seiner politischen und weltanschaulichen Überzeugung ist er bis heute treu geblieben.

Nach Abschluß des Studiums, der Referendar-Zeit und einer nur kurzen Richtertätigkeit entschied sich der nun 31jährige für den Anwaltsberuf. Diesen übt er seit fast sechs Jahrzehnten aus. Dabei nahm er als Strafverteidiger an zahlreichen Prozessen von besonderer Brisanz teil.

Das erforderte mitunter eine gewisse Selbstverleugnung, ging es doch oft auch um Mandanten, deren Haltung zur DDR mit Friedrich Wolffs eigenem Standpunkt scharf kontrastierte. Noch im Jahre seiner Zulassung als Anwalt übertrug man ihm z. B. die Pflichtverteidigung zweier Angeklagter, die nicht grundlos der Spionage im Dienste der berüchtigten Organisation Gehlen beschuldigt wurden. Als dann das Oberste Gericht der DDR 1960 gegen den Bonner Nazi-Minister Theodor Oberländer und drei Jahre später gegen Adenauers Staatssekretär Hans Globke, den Kommentator der Nürnberger Rassegesetze, verhandelte, hieß der Offizialverteidiger ebenfalls Friedrich Wolff.

Bereits 1954 - nur ein Jahr nach der Gründung des Berliner Rechtsanwaltskollegiums - wurde F. W. dessen Vorsitzender. Bis 1970 blieb er ununterbrochen auf diesem Posten. Zwischen 1984 und 1988 sowie im Jahre 1990 wurde er erneut damit betraut.

Friedrich Wolff übernahm die Verteidigung des in der BRD festgenommenen DDR-Kundschafters Günter Guillaume und vertrat ab 1990 Erich Honecker und Hermann Axen vor dem Gericht des Klassenfeindes.

Er war auch der Anwalt des durch die Konterrevolution verfolgten ehemaligen Chefs der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS, Generaloberst Werner Großmann, und des Ministerpräsidenten a.D. Dr. Hans Modrow, als sie von der bundesdeutschen Justiz vor Gericht gestellt wurden. Ebenso leistete er den angeklagten früheren Mitgliedern des SED-Politbüros Alfred Neumann und Siegfried Lorenz juristischen Beistand. Zu seinen Mandanten zählten Richter und Staatsanwälte der DDR, die wegen ihrer legitimen Tätigkeit für den sozialistischen deutschen Rechtsstaat vor BRD-Gerichte gezerrt wurden.

In seinen berufsbezogenen Lebenserinnerungen, die unter dem Titel "Meine verlorenen Prozesse - meine Verteidigungen in politischen Strafverfahren 1952 bis 2003" erschienen, werden ausgewählte Fälle dargestellt und Einzelheiten vermittelt. Auch sein vor einigen Jahren erschienenes Buch "Einigkeit und Recht" erfuhr vor allem im Osten große Verbreitung, was zur Folge hatte, daß Friedrich Wolff monatelang auf Vortragsreisen gehen mußte.

Obwohl sich F. W. seit einigen Jahren aus dem Berufsleben weitestgehend zurückgezogen hat, ist es deshalb keineswegs still um ihn geworden. Immer wieder stößt man auf Beiträge aus seiner Feder, so in der Zeitschrift "Ossietzky". Wiederholt wurde er selbst vom Fernsehen als kompetenter Zeitzeuge über die DDR befragt. Dabei bezog er mit aller Konsequenz Position für den deutschen Friedensstaat. Anpassung ist nicht sein Metier. Kein Mann des lauten Wortes, verläßt er sich zu Recht auf seine stets stichhaltigen Argumente. Uns jüngeren Juristen stand er jederzeit mit Rat und Tat zur Seite.

Lieber Fritz, während dreier Jahrzehnte bist Du für mich vom Lehrer zum guten Freund geworden, dessen Verbundenheit ich nicht missen möchte. Alles Gute und beste Gesundheit!

RA Ralph Dobrawa


Der "RotFuchs" schließt sich diesen Wünschen an und übermittelt dem hochverdienten Jubilar seine herzliche Gratulation.

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Der "Leidensweg" eines LPG-Vorsitzenden

Einer vom Jahrgang 1940, hielt ich enge Beziehungen zur Natur sowie zu allem, was mit Tieren zusammenhängt, seit Kindertagen für besonderes wichtig. Kurz nach dem Krieg, gab es in Ruinen vegetierende Lebewesen, die heute kaum noch einer kennt. Ein dort gefangenes Mauswiesel wurde sofort in den Zoo gebracht, auch Rebhühner zählten zu den Bewohnern der Trümmerfelder. Mir war klar, daß meine Zukunft irgendwie mit Tieren verbunden sein müßte. So begann ich im September 1956 meine Melkerlehre. Schon sehr früh spürte ich, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben.

1958 schloß ich die Ausbildung mit sehr guten Noten ab. Nach einem Jahr Praxis besuchte ich dann die landwirtschaftliche Fachschule, die ich mit einer stabilen Zwei abschließen konnte. Mein Ziel war erreicht: Der Einsatz in der Produktion konnte beginnen. In jener Zeit standen "Nordlandfahrer" hoch im Kurs. Es handelte sich um Menschen, die nach Mecklenburg zu gehen bereit waren, um dort die landwirtschaftliche Entwicklung zu unterstützen. Ich hielt die vereinbarte Fünfjahresfrist ein, zunächst als Brigadier für Tierproduktion, dann auch zusätzlich als für den Feldbau Verantwortlicher.

Es waren wichtige Jahre des Sammelns von Erfahrungen und des Erwerbs von Kenntnissen. Die Arbeit mit den Kollegen formte meinen Umgangsstil. Die angeeignete Theorie konnte in der Praxis geprüft werden. Anfangs war es nicht leicht, sich als junger Sachse unter gestandenen Mecklenburgern und Umsiedlern aus dem Osten zu behaupten.

Da meine ganze Verwandtschaft in Sachsen heimisch war, zog es mich dann wieder dorthin zurück. Eine der Hektarzahl nach kleinere LPG in einem schönen Dorf unweit von Dresden war mein neuer Arbeitsplatz. Allerdings hinkte die dortige Umgestaltung der Landwirtschaft, jener, die ich im Norden erlebt hatte, deutlich hinterher. Hier war der Anteil von Bauern, die in Genossenschaften vom niederen Typ I wirtschafteten (nur die Felder waren Gemeineigentum, das Vieh blieb in eigener Regie) noch sehr groß. So ging es darum, immer mehr Landwirte für den Eintritt in den vollgenossenschaftlichen höheren Typ III zu gewinnen. Im Herbst 1969 nahm ich in Leipzig ein vierjähriges Fernstudium auf. Mein Diplom trug die Note 1.

Jetzt sollte eigentlich mein Einsatz als Leiter einer großen Milchviehanlage erfolgen. Doch der Plan ließ sich nicht verwirklichen. Die Investitionswünsche der LPG waren größer als die Möglichkeiten ihrer Umsetzung. Nach einem halben Jahr fragte ich den Vorsitzenden und den Produktionsleiter, wie es denn mit mir weitergehen solle. Anders ausgedrückt: was für mich künftig "drin" sei. In einer Beratung mit der Leitung und einigen weiteren LPG-Bauern wollte man wissen, was ich mir selbst vorstellte. Nun hatte ich davon gehört, daß sich unser Vorsitzender bereits beim Rat des Kreises um einen Nachfolger bemühte, so daß seine Funktion bald neu besetzt werden mußte. Da bewarb ich mich einfach um diesen Posten. Das löste natürlich großes Erstaunen aus, zumal ich einigen noch viel zu jung erschien. Dennoch wählte man mich. Zwei Jahre später wandte sich die Leitung der Nachbar-LPG mit dem Vorschlag an uns, beide Betriebe zusammenzuschließen. 1977 erfolgte die Fusion, wobei der Vorsitz bei mir blieb.

Die Nachbarn verfügten über einen Stall für 250 Sauen, den sie in Eigenleistung mit ihren Handwerkern und in Feierabendarbeit errichtet hatten. Sie besaßen überdies einen zum Warmstall umgebauten Rinderoffenstall, da man zu diesem Zeitpunkt bereits erkannt hatte, daß die Haltung von Kühen nahezu unter freiem Himmel keine Lösung darstellte. Wir brachten eine Anlage zur Aufzucht von Jungsauen ein. Außerdem hatten wir viele kleine Rinderställe, die dann mühselig erweitert wurden, was etliche Arbeitskräfte band. Viel Kraft kostete es auch, Wohnungen zu modernisieren, um Melker für die LPG zu gewinnen.

Das gesamte Eigentum der Bauern - alle materiellen Werte (Vieh wie Technik), die sie beim Eintritt in die LPG mitbrachten - galten als Bestandteil des sogenannten Unteilbaren Fonds, der nicht angetastet werden durfte. Zu dieser Zeit hatte die Mehrheit der Landwirte nach anfänglichem Zögern und erheblicher Widerspenstigkeit erkannt, daß der in der DDR eingeschlagene Weg für sie zu mehr Sicherheit als das individuelle Wirtschaften führte. Durch die Einführung fester Arbeitszeiten, die Gewährung von Urlaub und andere Maßnahmen wurde besonders auch das Leben der Bäuerinnen erleichtert. Eigene Beschlüsse der Genossenschaftsbauern trieben die Entwicklung der LPG voran. Die Mär von einer angeblichen Zwangskollektivierung, die man unseren "Brüdern und Schwestern im Westen" auftischte, erwies sich als eine der plumpsten Lügen jener Tage. Die Zeit der landwirtschaftlichen Großbetriebe war eben angebrochen - so oder so, unter sozialistischen oder kapitalistischen Vorzeichen.

Doch zurück zu unserem Betrieb. Nur zwei Jahre nach der ersten Zusammenlegung vereinigten wir uns abermals mit zwei weiteren Genossenschaften. Einmal mehr wurde ich zum Vorsitzenden gewählt. Die Umstrukturierung der Landwirtschaft der DDR beschleunigte deren allgemeines ökonomisches Voranschreiten. Auch unsere LPG konnte ihren Rang in der regionalen Reihenfolge trotz geringer Bodenqualität verbessern. Eine weitere Investition, die wir vornahmen, war der Bau einer Kälberaufzuchtanlage. Die Arbeitsbedingungen im gesamten Jungviehbereich verbesserten sich wesentlich. Mit weniger Arbeitskräften erzielten wir weit höhere Ergebnisse als zuvor.

Dann kam der ungewollte "große Knall" der Jahre 1989/90. Plötzlich stand alles Kopf. Die meisten von uns liefen wie "Falschgeld" herum. Auf dem Weg zum - nach bundesdeutscher Auffassung - besseren Wirtschaften fügte man uns dann unvorstellbaren Schaden zu. Enorme genossenschaftliche Werte wurden verschleudert oder vernichtet. Der größte Teil des von den Bauern hart erarbeiteten Vermögens landete im Rachen von Viehhändlern aus dem Westen. Zuvor hatte man unsere Leiter ohne Zögern ausgemustert. Die Anzahl der Beschäftigten in der LPG sank von 269 auf 30. Die im Unteilbaren Fonds aufbewahrten Werte gingen an die Eigentümer zurück und bildeten oftmals den Grundstock neuer Landwirtschaftsbetriebe. In unserem Falle betrug der Fonds, der die LPG gegen Verluste aller Art absicherte, noch 5,2 Millionen Mark der DDR. Anschließend löste sich das gesamte Vermögen der Genossenschaft buchstäblich in Luft auf.

Wie soll das einer, der wie ich den hier dargestellten Weg gegangen ist, nur verkraften und begreifen?

Diplom-Agraringenieur Jürgen Bauch, Schönborn

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Thomas Müntzers Vision
Religiöser Glaube als Weckruf, nicht aber als Opium

Wenn von der protestantischen Reformation und den Bauernkriegen im Deutschland des 16. Jahrhunderts die Rede ist, wird das damalige Geschehen meist auf die Konfrontation Luthers mit der päpstlichen Amtskirche reduziert. Luthers Auftreten gegen kirchliche Mißstände wie Korruption, Ablaßhandel, Pfründenwirtschaft und Gesinnungsterror weckt heute noch ebensolche Bewunderung wie sein Verdienst der Bibelübersetzung ins Deutsche.

Erstmals wurde den Gläubigen Gelegenheit gegeben zu überprüfen, inwieweit der priesterliche Sermon von der Kanzel überhaupt mit dem Wirken Jesu in Einklang stand. Das Ergebnis ließ nicht lange auf sich warten, doch die von Kirche und Adel bis aufs Blut ausgebeuteten Bauern, Handwerker und Tagelöhner gingen über Luthers Reformideen hinaus. Sie wollten nicht nur in ihrem Glauben frei sein, sondern auch frei von materieller Not. Hier nun schlug die Stunde eines anderen großen Theologen, dessen Bedeutung heute in der Geschichtsbetrachtung gern heruntergespielt wird.

Thomas Müntzer hatte ebenso wie Luther die katholische Lehre als ein Machtstreben bemäntelndes Possenspiel angeprangert. In der Frühzeit seines Wirkens kann man ihn als Parteigänger Luthers verstehen. Doch bald sollten sich die Wege trennen. Luther sprach von Freiheit im Sinne einer Glaubens- und Gewissenfreiheit Rom gegenüber. Das Feudalsystem stellte er nie in Frage, wenn er auch die Fürsten zu gütigem Regieren gegenüber den Untertanen ermahnte.

Müntzer leitete aus der Bibel jedoch ein revolutionäres Programm sozialer Gleichheit ab. Auch er hatte zunächst noch auf ein Einlenken der Fürsten hin zu sozialem Ausgleich gehofft. Aber diese Erwartung wurde arg enttäuscht, wie auch das Bitten der Bauern, die Herren mögen doch ein Einsehen haben und ihnen ihr Los gnädigst erleichtern. Den Unterdrückten und Geknechteten blieb nur noch der Griff zu den Waffen. Müntzer war kein Freund des Blutvergießens, aber er wollte sich der Erkenntnis nicht verschließen, daß die Zeit des demütigen Flehens um eine gütige Obrigkeit vorbei war. "Die Herren machen das selber, daß ihnen der arme Mann feind wird. Die Ursach des Aufruhrs wollen sie nicht wegtun, wie kann es auf die Länge gut werden? So ich das sage, muß ich aufrührerisch sein! Wohlhin!", rief er zur Tat.

Vom beginnenden Aufstand erwartete Müntzer, "daß die Gewalt soll gegeben werden dem gemeinen Volk". Dabei war er sich des Umstands bewußt, daß sich nur Menschen selbst regieren können, die aus dem Zustand der Unmündigkeit herausgetreten sind: "Deshalb muß der gemeine Mann selber gelehrt werden, damit er nicht länger verführt wird." Die Parallele zu Immanuel Kants Postulat - Aufklärung als Austritt des Menschen aus selbstverschuldeter Unmündigkeit - ist unübersehbar.

In einer Bemerkung Müntzers über die Ziele des um ihn zusammengeschlossenen Allstedter Bundes deutet er seine Vision von einer kommunistischen Eigentumsordnung an: "Ist ihr Artikel gewesen und haben's auf die Wege richten wollen: Omnia sunt communia (alle Dinge sind gemeinsam), und sollten einem jeden nach seiner Notdurft ausgeteilt werden nach Gelegenheit."

Dies untermauerte er mit Hinweisen auf die Gütergemeinschaft der frühchristlichen Gemeinden im alten Rom. Nachdenkenswert sind auch Müntzers Anregungen zu einem toleranten Austausch mit Judentum und Islam im Sinne eines vielfältigen Weges zu Gott.

Im Geiste dieses Programms stellte sich Müntzer an die Spitze des thüringischen Bauernaufstandes, während sich Luther in einen wahren Blutrausch hineinschrieb, als er den Fürsten das Himmelreich in Aussicht stellte, wenn sie die Bauern nur totschlügen "wie tolle Hunde". Der Adel ließ sich nicht lange bitten. Katholische und protestantische Fürsten richteten in bemerkenswerter Einigkeit ein beispielloses Blutbad unter den schlecht bewaffneten und organisatorisch zersplitterten Bauern an. Müntzer führte sie in der Schlacht zu Frankenhausen. Er gehörte nicht zu den vergleichsweise Glücklichen, die in ihr fielen, sondern wurde gefangengenommen und nach bestialischer Folter hingerichtet.

Friedrich Engels hat in seiner Arbeit über den deutschen Bauernkrieg Müntzer in kraftvollen Worten gewürdigt. Ob aber seine Einschätzung des Revolutionärs als eines quasi "halben Atheisten" zutreffend ist, erscheint fraglich. Müntzers Schriften zeigen eine beachtliche theologische Tiefe. Engels hat recht, daß er der menschlichen Vernunft hohe Bedeutung einräumt.

Andererseits entwirft Müntzer das Bild eines Menschen, der durch das Leben in seinen geistigen Grundlagen zutiefst erschüttert wird und dann in der Folge einer qualvollen Leere zum Glauben an Gott kommt. Dieses Bild erinnert einerseits an die dialektischen Kategorien von These, Antithese und Synthese, trägt aber auch mystische Züge, die indes nicht mit heutiger Mode-Esoterik auf eine Stufe gestellt werden können. Ihr geht Müntzers großartiger revolutionärer Impuls des Eingreifens in der Welt gänzlich ab.

In der DDR wurde Müntzers Wirken hoch gewürdigt. Sein Geburtsort Stolberg sowie der Ort seines Todes Mühlhausen trugen den Beinamen "Thomas-Müntzer-Stadt". Nach der Konterrevolution sorgten die neuen Herren dafür, daß diese Beinamen rasch verschwanden. Mochten sie auch noch so sehr Demokratie und Christentum im Munde führen, so hatten sie wohl doch ein Gespür dafür, daß der Christ Müntzer niemals einer der Ihren geworden wäre.

Auch die protestantische Kirche unserer Tage zeigt wenig Neigung, Müntzers Erbe dem Vergessen zu entreißen, lebt sie doch ebenso wie ihr katholischer Gegenpart mit der kapitalistischen Ordnung in Frieden. Ihre Kumpanei mit Kaiserreich und Nazidiktatur ist unvergessen. Und heute unterstützt sie Kriegseinsätze durch "Militärseelsorge", während die Arbeitsbedingungen in ihren Einrichtungen (Lohndrückerei, Leiharbeit, Ein-Euro-Jobs) das Bild der "Ausbeutung mit christlichem Antlitz" zeigen.

Dennoch gab es immer wieder katholische und protestantische Christen, die das Evangelium in Müntzers Sinn sozial oder revolutionär wirksam machen wollten. Man denke nur an die von ihrer Amtskirche ausgegrenzten lateinamerikanischen Befreiungstheologen. Aber auch in Deutschland sei jeder ehrliche Christ aufgerufen, an der erneuten Hebung des wertvollen Schatzes von Müntzers Erbe teilzuhaben. In diesem Geiste werden wir Marxisten religiös motivierte Menschen in den Reihen des Kampfes gegen Ausbeutung, Rassismus und Krieg immer herzlich willkommen heißen.

Erik Höhne, Neuß

  • Filme: Thomas Müntzer, Regie: Martin Hellberg (1956); Denn ich sah eine neue Erde, Regie: Wolf-Dieter Panse (1970); Ich, Thomas Müntzer, Sichel Gottes, Regie: Kurt Veth (1988)
  • Bücher: Friedrich Wolf: Zwei Dramen über den Bauernkrieg (Der arme Konrad / Thomas Münzer), Aufbau-Verlag 1959; Hans Pfeiffer: Thomas Müntzer. Ein biografischer Roman, Neues Leben 1975
  • Doppel-LP: Thomas Müntzer. Dokumentar-Collage von Hans Bräunlich (1989), Litera

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Tragisches Ende
Über einen Gestrauchelten, der zu DDR-Zeiten niemals ins Bodenlose gestürzt wäre

1982 begann ich in meiner Heimatstadt Gransee beim dortigen VEB Mühlenwerk mit der Müllerlehre. Ich hatte die 10. Klasse der Polytechnischen Oberschule erfolgreich abgeschlossen und - wie in der DDR üblich - kein Problem, einen Ausbildungsplatz zu finden. Müller war zwar nicht unbedingt mein Traumberuf, aber irgendwann wuchs ich doch in diese Tätigkeit hinein. Auf gewisse Art hatte daran auch ein sehr ungewöhnlicher Kollege Anteil, der im Laufe der Zeit zu einem meiner engsten Freunde werden sollte.

Es muß 1983 gewesen sein, als uns in der Mühle die alle überraschende Nachricht erreichte, man werde uns einen neuen Kollegen zuteilen, der straffällig geworden sei und wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden müsse. Auch das war in der DDR Normalität: Menschen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren, steckte man nach ihrer Haftentlassung sofort in ein Arbeitskollektiv, um ihnen die Rückkehr in die Gesellschaft zu erleichtern. Die Paragraphen 46 und 47 des Strafgesetzbuches der DDR verpflichteten dieses ausdrücklich, solche Mitbürger besonders zu unterstützen. Denn niemand wurde fallengelassen!

Natürlich rief die Nachricht bei den Kollegen, die es betraf, nicht gerade Begeisterung hervor. Denn auch in der DDR waren Straftäter stigmatisiert. Man begegnete ihnen mit Mißtrauen. Auch wir Granseer Müller waren davon nicht frei.

An Franks erste Tage in der Mühle erinnere ich mich noch recht gut. Er war nur ein halbes Jahr älter als ich, und so fanden wir trotz anfänglicher Scheu auf beiden Seiten schnell einen Draht zueinander. Die anderen Kollegen begegneten ihm auf unterschiedliche Weise. Manche verhielten sich zunächst distanziert, andere öffneten sich ihm. Da er wegen mehrerer Eigentumsdelikte gesessen hatte, gab es natürlich niemanden, der sein Spind nicht gründlich sicherte. Frank suchte sich still einzufügen, und mit der Zeit merkten alle, daß er ein durchaus umgänglicher Mensch war. Das Vertrauen zu ihm wuchs, und irgendwann blieben dann auch die Schränke wieder unverschlossen.

Aber Frank hatte noch immer seine falschen Freunde, mit denen er nach der Arbeit zusammentraf. Plötzlich begann er zu bummeln, und ich hatte dann das eher zweifelhafte Vergnügen, ihn frühmorgens aus dem Bett holen zu müssen. Oft war er noch ziemlich alkoholisiert. Doch ich blieb stur, und nach einigem Murren ging er mit mir zum Dienst. Das Ganze entwickelte sich mit der Zeit fast zu einer Art Duell: Mal sehen, wer sich am Ende durchsetzt! Schließlich war es dann Frank, der den Widerstand aufgab. Er merkte, daß man sich um ihn kümmerte. Da waren Menschen, die ihm nicht mit Gleichgültigkeit begegneten. Trotz allem stand das Kollektiv dann auch noch hinter ihm, als er im Alkoholrausch erneut straffällig wurde und für kurze Zeit abermals ins Gefängnis mußte. Schließlich hatten ihn alle gern. Wir beide waren inzwischen Freunde geworden, mochten dieselbe Musik, dachten über viele Dinge ähnlich und konnten oft miteinander lachen.

1988 zog ich von Gransee nach Berlin. Frank hatte inzwischen eine Frau kennengelernt, die zwei Kinder in ihre Beziehung mitbrachte. Die neue Rolle ließ ihn als Menschen wachsen. Er wurde reifer, war sehr stolz auf seine Verantwortung. Unser Kontakt blieb trotz der räumlichen Entfernung aufrechterhalten. Wir besuchten einander so oft wie möglich. Es freute mich zu erleben, wie aus dem einstigen "Assi" ein treusorgender Vater geworden war, der einkaufen ging, den Kindern bei ihren Schulaufgaben half und die Wohnung mitgestaltete. Schließlich wurde dem jungen Paar auch noch ein gemeinsames Kind geschenkt.

1990 veränderte sich dann auch ihre Welt. Die Granseer Mühle wurde, obwohl sie technisch sehr modern war, kurzerhand geschlossen. Frank brachte es mit Hilfe von Freunden zuwege, für seine Frau und sich Arbeit in Buckow in der Märkischen Schweiz zu finden. In einem kirchlichen Hotel waren sie als Hausmeister und Zimmermädchen tätig. Anfangs verband Frank ähnlich wie ich naive Hoffnungen mit der "deutschen Einheit". Doch nach einiger Zeit widerte ihn die immer offenere Kolonisierung des Ostens ebenso an wie Millionen einstige DDR-Bürger. Doch er und seine Frau hatten wenigstens ihr Auskommen - jedenfalls zunächst.

Auch in Buckow besuchte ich Frank und seine Familie des öfteren. Eines Tages verriet er mir, daß er die Hausmeisterstelle "aus Gründen der Personaleinsparung" bald verlieren würde. Das bedeutete knappes Geld. Immer öfter kam es nun zwischen den Eheleuten zum Streit. Schließlich wurde auch Franks Frau entlassen.

Überhastet mußten sie die Wohnung im Hotel räumen und aus Buckow wegziehen. Ohne irgendwelche Hoffnungen auf eine bessere Zukunft nahmen sie sich ein billiges Quartier im nahen Neuhardenberg. Eines Abends rief mich Franks Frau an und berichtete mir, ihr Mann sei verschwunden. Ich trommelte sofort Freunde zusammen, und wir suchten in der Dunkelheit die ganze Gegend stundenlang ab. Frank tauchte wieder auf. Er war betrunken, verwahrlost und ohne Halt.

Die Ehe scheiterte schließlich. Frank, der immer häufiger zur Flasche griff, rief mich wiederholt mitten in der Nacht an und erzählte mir wirre Geschichten. So behauptete er, sein Idol Udo Lindenberg habe ihn besucht! Er zog sich in eine Traumwelt zurück, in die man nicht mehr vorzudringen vermochte. Die Trennung von seinen Kindern machte ihm besonders zu schaffen.

Eines Tages übersiedelte er zu den Eltern nach Gransee und hielt sich dort mit ABM-Tätigkeiten knapp über Wasser. Manchmal, wenn ich ihn besuchte, schien er fast noch der alte optimistische Frank zu sein, den ich von früher her kannte. Doch immer öfter gewann ich den Eindruck, daß er sich aufgegeben hatte. Er fand seine falschen Freunde wieder. Als ich das letzte Mal mit ihm sprach, redeten wir aneinander vorbei. Ich verstand ihn nicht mehr und hatte auch keine Idee, wie ich ihm wohl helfen könnte. Ich war ratlos.

Es war an einem Wochenende des Jahres 1998, als ich von meinen Eltern erfuhr, Frank sei gestorben. Er hatte sich die Pulsadern geöffnet. Ich war unendlich traurig und vermisse meinen guten Freund noch heute.

Manchmal stelle ich mir die Frage, wie Franks Leben wohl verlaufen wäre, hätte es den unglückseligen 3. Oktober 1990 nicht gegeben. Vielleicht wäre seine Ehe dennoch gescheitert. Sicher wäre Frank auch weiterhin für Leichtsinn und übermäßigen Alkoholgenuß anfällig gewesen. Als Abstinenzler konnte ich ihn mir nicht vorstellen. Doch wer weiß?

Mit Sicherheit aber wäre er nie ins Bodenlose gestürzt. Wie damals in unserem Müller-Kollektiv hätte er immer irgendwo Halt finden können. Dieses Aufgehobensein, das oft als Bevormundung dargestellt wird, verhinderte den Absturz so vieler in Hoffnungslosigkeit und Vereinsamung, in der heute nicht wenige Menschen leben und sterben. Ich bin mir sicher, daß es nur eine Gesellschaft, die niemanden fallen läßt, tatsächlich verdient, als human bezeichnet zu werden. So verbinde ich mit meinen Gedanken an Frank auch die Erinnerung an die Geborgenheit und menschliche Wärme, die wir in der DDR erleben durften.

Ulrich Guhl

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Grelles Licht auf Finsterlinge
Beachtenswerte Systemanalyse aus dem Bergkamener pad-Verlag

In den vergangenen drei Jahren sind viele Publikationen zu Staatsschuldenkrise, Finanzmarktkapitalismus, Spekulationsblasen und Bankenmacht erschienen. Die sich seit 2008 ständig verschärfende internationale Wirtschaftskrise des Kapitalismus liegt dem zugrunde. Wenn der auf diesem Gebiet bereits erfahrene Bergkamener pad-Verlag eine weitere Schrift mit dem Titel "Neoliberaler Kapitalismus versus Demokratie" herausbringt, stellt sich ganz automatisch die Frage, welche neuen Fakten, Informationen, Argumente und Lösungsvorschläge präsentiert werden.

Autor ist Prof. Dr. Wolfram Elsner, der in vielen Wirtschaftsinstitutionen des Landes Bremen verankert und als Hochschullehrer an der dortigen Universität tätig ist. Er selbst gibt Antwort auf die oben gestellte Frage: "Alles ist schon hundertmal gesagt und geschrieben worden ..., so wissen die Menschen im Grunde alles, was man wissen muß, ... um gemeinsam und öffentlich zu handeln."

Aber leider tun "die Menschen" das nicht, weil nämlich ihr Wissen um unsere Gesellschaftsproblematik sehr unterschiedlich entwickelt ist und von den Medien manipuliert oder "bearbeitet" wird. Aus diesem Grunde kommt ja kein einheitliches antikapitalistisches Handeln von Bevölkerungsmehrheiten zustande. Gerade deshalb wird aufklärerische Literatur dieser Art auch weiterhin dringend benötigt, um selbst bei Wissenden vorhandene Lücken zu schließen und von der Erkenntnis noch nicht berührte Menschengruppen zu erreichen.

Worin bestehen die Verdienste dieses Büchleins? Erstens darin, daß eine zusammenfassende Darstellung der Herausbildung des finanzmarktgetriebenen, aber als "wohlfahrtsstaatlich gezähmt" ausgegebenen Kapitalismus vorgelegt worden ist. Es wird anschaulich gezeigt, wie der Mechanismus funktioniert, der mittels Profitmaximierung, Finanzmarktbeherrschung und Spekulationssektor dazu führt, daß die Transaktionen von der Realwirtschaft völlig losgelöst erfolgen. "Mit all dem hat der Kapitalismus zugleich endgültig seinen Charakter verändert - von einem System zyklischer Reinigungskrisen zu einem System der permanenten strukturellen Krise", schreibt Elsner. Vereinfacht ausgedrückt: "Die gemachte Armut von Milliarden Menschen ist der gemachte Reichtum von einigen wenigen Tausend."

Nahezu beiläufig wird erklärt, daß und wie diesem Prozeß das von Marx aufgedeckte Mehrwertgesetz, die Tendenz der sinkenden Profitrate und das Streben nach Maximalprofit zugrunde liegen.

Ein zweites Verdienst besteht darin, daß der Autor viele der in den verschiedensten Publikationen verstreuten Fakten und Zahlen zusammenfaßt und in den Gesamtzusammenhang einordnet. Auch wenn er keine neuen Daten recherchiert und zu den Angaben keine Quellen nennt, verschafft er den Lesern einen guten Überblick.

Drittens liegt ein Vorzug der Schrift darin, daß der Zusammenhang von Ökonomie und Politik und dabei die Abhängigkeit des Staates und seiner Institutionen von der Macht des Großkapitals verdeutlicht werden. Der Autor weist nach, daß und wie der Staat von den Großbanken im Bunde mit der Spekulationsindustrie "sozial, kulturell, ökologisch und zukunftsbezogen komplett inkompetent gemacht" wird und "von ihr beliebig an die Kandare zu nehmen ist". Dazu gehören auch Ausführungen darüber, daß sich im Vergleich zu früher nicht nur die Größenordnungen der Finanztransaktionen verändert haben, sondern auch die Gegenstände. Es wird nicht mehr nur mit Aktien, Wertpapieren oder Immobilien spekuliert. Die Wall Street besitzt etwa zwei globale Jahresernten an Weizen in Lagern, es werden Ansprüche auf Öl, Nahrungsmittel und andere Ressourcen gekauft. Es vollzieht sich eine weltweite Agrar- und Rohstoffspekulation. Die Deutsche Bank verfügt z. B. über 45 spekulative Rohstofffonds. Prof. Elsner schlußfolgert sehr drastisch, aber letztlich zu Recht: "Bürger und Gesellschaft sind nicht mehr nur in Geiselhaft, sondern im Folterkeller der Spekulationsindustrie. Und der Staatshaushalt dient als das Folterwerkzeug, um den letzten Blutstropfen aus der Gesellschaft herauszuholen."

Vor diesem Hintergrund wird anhand von Beispielen die systematische und schrittweise Liquidierung noch vorhandener demokratischer Strukturen belegt. Die Herrschaft der Hochfinanz durch die von ihr abhängige Staatsmaschinerie ist nicht vereinbar mit dem, was selbst aus bürgerlicher Sicht unter Demokratie verstanden wird. Daraus resultieren ja die vielfältigen - und leider nicht erfolglosen - Bemühungen von Parteien, parlamentarischen Gremien und Medien, der Öffentlichkeit Demokratie vorzugaukeln. Und weil dies zur Zeit noch einigermaßen funktioniert, ist die Meinung des Autors nicht zu teilen, daß die Perspektive des herrschenden Modells "auf wenige Jahre, und aktuell möglicherweise sogar nur noch auf wenige Monate beschränkt" sei.

Wolfram Elsner neigt mitunter zu Überspitzungen, die durch die Realität nicht gedeckt sind. Das gilt z. B. für seine These, die "Strategie der systematischen Staatszerstörunq und des systematischen Ausblutens des Staates" verfolge das Ziel, diesen (sozial und kollektiv) handlungsunfähig zu machen. Die Strategie des Finanzkapitals besteht jedoch gerade nicht darin, den Staat zu zerstören und seine Handlungsunfähigkeit herbeizuführen, sondern in seiner Beherrschung, um ihn mit Hilfe des Gewaltmonopols in Gestalt von Polizei, Militär, Justiz und Verwaltung gegen jeden Widerstand einsatzfähig zu halten. Dazu aber bedarf es eines intakten, nicht aber eines zerstörten Staates.

Bezweifelt werden muß auch die Behauptung, daß "der neoliberal degenerierte Kapitalismus ... kein allgemeines, längerfristiges Systeminteresse mehr verfolgt". Das Interesse des Finanzkapitals an der längerfristigen - möglichst unbegrenzten - Aufrechterhaltung des bestehenden Herrschaftssystems ist doch unübersehbar. Dem Autor ist auch bei solchen moralischen Verallgemeinerungen wie jener, der "Neoliberalismus" entpuppe sich als "eine Ideologie des Hasses gegen alles Soziale, Gemeinschaftliche, bewußt Handelnde, gegen jegliche kollektive, vorausschauende Rationalität" Vorsicht zu empfehlen.

Erstens geht es im modernen Kapitalismus nicht um Haß, sondern um handfeste ökonomische Interessen. Und zweitens handelt auch die Großbourgeoisie zur Umsetzung ihrer Interessen durchaus gemeinschaftlich, insofern also kollektiv, bewußt, vorausschauend und rationell, statt gegen all das von Haß erfüllt zu sein. Die Wirklichkeit ist demnach komplizierter und differenzierter, als daß sie sich mit moralisierender Agitation überzeugend erklären ließe.

Doch Elsner kommt zu dem richtigen Schluß, daß "ohne Zerschlagung der Finanzindustrie ... sowie ohne die Beseitigung der 'finanziellen Massenvernichtungswaffen' in den Händen der Super- und Megareichen ... die zunehmenden Turbulenzen und die daraus resultierende zunehmende Gewaltbereitschaft von oben nicht einzudämmen sein" werden. Daher ist die vorliegende Schrift in ihrer Gesamtheit eine durchaus wertvolle Argumentationshilfe in den Auseinandersetzungen unserer Zeit.

Prof. Dr. Herbert Meißner

Wolfram Elsner: Neoliberaler Kapitalismus versus Demokratie, pad-Verlag, Bergkamen 2012, 54 Seiten, 5 €

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Wenn das Ersparte flötengeht ...
Wie die Konten früherer DDR-Bürger gleich zweimal abgeräumt wurden

Bisheriger Kulminationspunkt der weltweiten Finanzkrise war der Zusammenbruch der US-Großbank Lehman Brothers im September 2008. Auf dem Gipfel des allgemeinen Crashs flötete Kanzlerin Merkel am 5. Oktober jenes Jahres: "Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, daß ihre Einlagen sicher sind." Diese rechtlich unverbindliche und daher nur vorgespiegelte "Staatsgarantie für private Nichtbankeneinlagen" in der BRD war lediglich eine Placebo-Beruhigungspille für jene Deutschen, die sich durch das Manöver der politisch und ökonomisch Herrschenden zur Rettung der schwer angeschlagenen Hypo Real Estate (HRE) irritiert sahen. Merkel & Co. befürchteten einen Run auf die Bankschalter.

Tatsächlich gibt es seit dem 16. Juli 1998 ein Einlagen-Sicherungs- und Anleger-Entschädigungsgesetz, in dessen Paragraphen 4 und 5 geregelt ist, daß Summen bis zu einer Höhe von 100.000 Euro und 90 % der Verbindlichkeiten aus Wertpapiergeschäften mit einem Gegenwert von maximal 20.000 Euro geschützt sind. Diese Absicherung betrifft neben sämtlichen Einlagenarten (Sicht-, Termin- und Spareinlagen) auch auf den jeweiligen Namen lautende Sparbriefe.

Nicht geschützt sind Verbindlichkeiten wie von Banken ausgestellte Inhaberschuldverschreibungen und Inhabereinlagenzertifikate. Ein Entschädigungsanspruch fällt auch dann weg, wenn die Einlagen nicht auf Euro oder die Währung eines EU-Mitgliedsstaates lauten.

Die BRD-Geldinstitute gehören u. a. der Entschädigungseinrichtung deutscher Banken GmbH an. Diese übernimmt nur die gesetzlich vorgeschriebene Mindestabsicherung. Das zweite Sicherungssystem basiert auf einer freiwilligen Mitgliedschaft und ist nach Bankengruppen organisiert.

Die bereits erwähnte US-Pleitebank Lehman Brothers war mit ihrem deutschen Ableger der Entschädigungseinrichtung deutscher Banken und dem Bundesverband Deutscher Banken beigetreten. Damals zeigte sich, daß der Sicherungsfonds bei diesem Bankrott an seine Grenzen gestoßen war. Deutlich wurde auch, daß er mehrere Pleiten von Großbanken nicht würde verkraften können. Das bedeutet, daß Bankkunden Gefahr laufen, ihr Vermögen zu verlieren, wenn dem Fonds "die Luft ausgeht". Das Geldvolumen der Einlagensicherung ist also im Ernstfall nicht ausreichend.

In Anbetracht dessen beschloß der Bankenverband am 17. Oktober 2011 sogenannte Reformen. Zur Debatte steht hier nicht etwa eine freiwillige Verpflichtung, sich fortan aus jeglichen Spekulationsgeschäften, unübersichtlichen Investmentdeals oder dem Handel mit Derivaten herauszuhalten - die Banken haben vielmehr beschlossen, sich noch mehr aus ihrer Verantwortung zu stehlen. Die Sicherungsgrenze des Fonds wird in drei Stufen über einen Zeitraum von 13 Jahren abgesenkt. Ab Januar 2015 sinkt sie von derzeit 30 auf zunächst 20 %, zum 1. Januar 2020 dann auf 15 und zum 1. Januar 2025 auf nur noch 8,75 Prozent.

Anders sieht es für Großkunden aus, die man als institutionelle Anleger bezeichnet. "Nach 2025 wird mehr als ein Drittel aller privaten Banken einen hohen Schutz mit einer Sicherungsgrenze über 25 Millionen Euro anbieten können", verkündete Hans-Joachim Massenberg, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bankenverbandes.

Der Leistungsverringerung des Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes deutscher Banken werden mit Gewißheit auch die "freiwilligen Sicherungsfonds" anderer Geldinstitute folgen.

Spareinlagen sind in Krisenzeiten niemals sicher! Das wissen wir auch aus der eigenen Geschichte. Während der Inflation des Jahres 1923 erreichte die Geldentwertung in Deutschland absolute Rekordwerte. Der kleine Mann konnte mit der am Morgen für seine Arbeit empfangenen Lohnsumme am Abend desselben Tages kaum noch das zum Leben Allernotwendigste erwerben. Der Zusammenbruch der US-Börsen am 25. Oktober 1929 - dem sogenannten Schwarzen Freitag - vernichtete dann von Kleinanlegern Erspartes im Weltmaßstab.

Jede Währungsreform stellt de facto eine Abwertung von Vermögen dar. Das verhielt sich bei der 1948 in den westlichen Besatzungszonen erfolgten Einführung der D-Mark nicht anders. Die bis dahin im Umlauf befindliche Reichsmark wurde dem Bürger 10:1 umgetauscht, während für kapitalistische Großunternehmen der Wechselkurs 10:9,81 betrug!

Die im Juli 1990 erfolgte Einführung der D-Mark im nur Monate später durch die BRD annektierten DDR-Gebiet führte zum wirtschaftlichen Untergang der gesamten Volkswirtschaft des Ostens. Die Sparguthaben von DDR-Bürgern wurden 2:1 abgewertet. Durch dieses betrügerische Manöver bereichern sich Banken aus der Alt-BRD bis auf den heutigen Tag.

Mit der Euro-Einführung wurden die Ersparnisse der BRD-Bürger über Nacht im Verhältnis von ca. 2:1 "umgestellt". Das war ein der realen Kaufkraft dieser neuen Währung in keiner Weise entsprechender Vorgang. Inzwischen weiß jedermann, daß es sich de facto um eine Halbierung der Sparguthaben der BRD-Bevölkerung handelte, die bei früheren DDR-Bürgern nun sogar ein zweites Mal erfolgte.

Für die Euro-Einführung gab es keine ökonomische oder finanzpolitische Notwendigkeit. Sie erfolgte, ohne daß in den EU-Mitgliedsstaaten auch nur annähernd ausgeglichene wirtschaftliche und soziale Voraussetzungen bestanden hätten. Darin liegen wesentliche Ursachen des späteren Debakels. Heute stehen trotz angeblich erreichbarer Sanierung der Finanzen Griechenlands und anderer in das EU-Boot gezerrter Passagiere gleich mehrere Schiffbrüchige vor dem Ertrinken. Die Lasten zur angeblichen Bankenrettung und Budgetsanierung aber werden einmal mehr den Steuerzahlern der stärkeren EU-Staaten aufgebürdet. Von der Erfindung des sogenannten Euro-Raumes profitieren also lediglich die Banken und marktbeherrschenden Konzerne sowie die den Ton angebenden Staaten mit der BRD an der Spitze.

Im Zuge der Finanzkrise 2007/2008 haben Millionen US-Bürger ihr Erspartes, das bei Banken oder in Pensionskassen für Hypothekenabzahlung und Alterssicherung angelegt worden war, ganz oder teilweise eingebüßt.

Zieht man all das in Betracht, dann erweist sich die ganze Verlogenheit der Merkel-Mär von den angeblich sicheren Spareinlagen der BRD-Bürger. Während diese durch Eiapopeia-Phrasen der Kanzlerin eingelullt werden sollen, bereiten sich die Banken bereits auf neue Horrorszenarien vor.

Dr. Ulrich Sommerfeld, Berlin

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Nur wer den Kopf hebt, wird gesehen
Exklusivbericht aus Hessens "roter Festung" Mörfelden-Walldorf

Ich wohne in Mörfelden-Walldorf, einer Stadt mit 34.000 Einwohnern unweit des Frankfurter Flughafens, der Startbahn West und der neugebauten Landebahn im Norden.

Bei uns besitzt die kommunistische Arbeiterbewegung Tradition. Vor 1933 wirkte in dem damaligen Maurerdorf Hessens erster kommunistischer Bürgermeister. Bei der Reichspräsidentenwahl am 13. März 1932 erhielten Ernst Thälmann 1737, Hindenburg 850 und Hitler 264 Stimmen.

Willi Münzenberg und Erich Weinert sprachen im Volkshaus. Lange trauten sich die Nazis nicht in den Ort. Dann aber wehte die Hakenkreuzfahne doch auf dem Rathaus. Aus Mörfelden mit seinen inzwischen 5000 Einwohnern, verschleppten die Nazis 70 KPD-Genossen ins KZ Osthofen.

1945 zogen hier Kommunisten und Sozialdemokraten den Karren aus dem Dreck. Doch schon bald begann der Kalte Krieg: 1951 wurde die FDJ verboten, 1956 die KPD. Kommunisten trafen sich illegal in 5er Gruppen. Sie kandidierten auf "Ersatzlisten" für das Kommunalparlament und wurden gewählt. Natürlich verfolgte man sie: Verhöre, Anklagen, Verbote.

Im September 1968 konstituierte sich die DKP, fast zeitgleich entstand ihre Ortsgruppe in Mörfelden.

Unsere Stadt besäße ohne DKP-Vertreter im Parlament mit Sicherheit keine Memoriale für die Opfer des Faschismus. Doch es gibt einen Gedenkstein am Waldrand für ein ehemaliges KZ-Außenlager, einen anderen für die Synagoge, einen weiteren für die Opfer des NS-Regimes auf dem Friedhof. Wir haben einen Salvador-Allende-Platz, eine Thälmannstraße und ein Denkmal für die Erbauer des Volkshauses. Das waren nicht einfach Ideen, die wir als Anträge im Parlament einbrachten, sondern es gab jeweils eine intensive außerparlamentarische Begleitung und manchmal auch eine langandauernde Kampagne. Die Thälmannstraße hieß zum Beispiel schon 1946 so. Im Kalten Krieg wurde sie umbenannt, in den 70er Jahren aber mit den Stimmen von SPD und DKP gegen die der CDU erneut durchgesetzt.

Ein wichtiges Instrument, um außerparlamentarischen Druck entwickeln zu können, ist unsere Stadtzeitung "blickpunkt". Sie erscheint seit 1970 monatlich in einer Auflage von 14.500 Exemplaren. Ohne diese Zeitung hätten wir bei der Kommunalwahl nie so viele Wählerstimmen erhalten, gäbe es im 45köpfigen Stadtparlament keine fünf Stadtverordneten der DKP/Linke Liste und einen ehrenamtlichen Stadtrat.

Was vermögen Kommunisten oder Sozialisten in einem Kommunalparlament unserer Größenordnung auszurichten?-Man kann sich für die "kleinen Leute" einsetzen, das Parlament als Tribüne nutzen, antifaschistische und friedenspolitische Standpunkte vertreten. Ganz wichtig ist, daß man sich nicht auf Kommunalpolitik beschränkt.

Bei uns gibt es ein Diskussionsforum "Linke Runde", wir organisieren Grillfeste, Kinderveranstaltungen, feierten den 100. Geburtstag von Bertolt Brecht, verteilen am 8. März rote Nelken auf der Straße, in Kindergärten, der Verwaltung, bei den Banken. Unsere Stadt war die erste, die sich in den 80er Jahren auf dem Höhepunkt der Friedensbewegung zur "Atomwaffenfreien Zone" erklärte.

Die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) und die DKP hatten vor über 40 Jahren das in Vergessenheit geratene KZ-Außenlager in Mörfelden wiederentdeckt und viel darüber veröffentlicht. Bald wurde es von Schulklassen und Forschern thematisiert. Im Jahr 2000 richtete die Stadt einen Lehrpfad ein.

Jährlich gibt es eine Kundgebung der "Aktion Toleranz" am Stein für die einstige Synagoge. Ich selbst führe manchmal "alternative Stadtführungen" durch.

Etliche unserer Themen gelten als "Bündnis-Themen": Die Startbahn West, die neuen Ausbaupläne für den Flughafen, Friedensbewegung und antifaschistische Politik. Dabei entwickelte sich über viele Jahre ein gutes Verhältnis zu den Kirchen und den örtlichen Pfarrern.

Wir dürfen uns unsere Geschichte nicht stehlen lassen. Jahrelang wurden Mitglieder der KPD verfolgt und in die Zuchthäuser geworfen. Wir müssen uns auch zu unseren verlorenen Hoffnungen und Fehlern bekennen.

Eine aktuelle Publikation, die hessenweit in der Presse Beachtung fand, trägt den Titel "Politisch Verfolgte in Mörfelden und Walldorf". Es geht darum, den Einwohnern der Stadt deren jüngere Geschichte zu vermitteln. Wir leisten Erinnerungsarbeit und lassen die Mitbürger wissen, daß ein antifaschistisch-demokratisches Gemeinwesen kein Geschenk ist, wobei wir nicht verschweigen, daß unsere DKP-Genossen daran einen großen, unter Opfern erbrachten Anteil haben.

In der DKP gab es eine geschichtlich begründete Orientierung. Doch unsere Solidarität mit der UdSSR, der DDR und den anderen sozialistischen Staaten führte dazu, oftmals Probleme des entstehenden Sozialismus zu übersehen oder in Abrede zu stellen. Wir idealisierten den erreichten Entwicklungsstand und sprachen vorschnell vom "entwickelten Sozialismus". Demokratiedefizite wollten wir nicht sehen.

Der Zusammenbruch der UdSSR und die Einverleibung der DDR durch die BRD hat uns Kommunisten schwer getroffen. Aber sind damit etwa jene Gründe weggefallen, welche 1968 zur Konstituierung der DKP führten?

Wer kann heute angesichts des neofaschistischen Terrors, allseitiger Rechtsentwicklung und staatlich geförderten Sozialraubs in unserem Land behaupten, daß eine DKP inzwischen weniger wichtig wäre als 1968? Für eine marxistische Partei, die sich in die Tageskämpfe einschaltet und die strategisch anvisierte sozialistische Zukunft mit diesen verbindet, gibt es hierzulande mehr zu tun als zuvor.

Wir müssen uns auf ein längeres Miteinander und Nebeneinander von DKP und Linkspartei (PDL) einrichten. Unserer Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung gehört ein Vertreter der PDL an, und im Kreistag ist in der dreiköpfigen Fraktion der Linkspartei der Sprecher ein DKP-Mitglied. Wir unterstützen den Landtagswahlkampf der PDL in Hessen, arbeiten in vielen Fragen zusammen. Die Praxis belegt: Es geht!

Wir wollen die DKP entwickeln, die PDL will an Einfluß gewinnen. Eine Konkurrenzsituation könnte eintreten. Dennoch sollte zwischen beiden linken Parteien ein solidarisches Verhältnis bestehen. Wechselseitige Erfahrungsvermittlung, der Austausch von Publikationen und gemeinsame Aktionen sind anzustreben. Wir sollten uns alle so verhalten, daß sich linke Politik entwickelt und nicht der eine den anderen behindert.

Rudi Hechler, Mörfelden-Walldorf


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Bei insgesamt 500.000 Ermittlungsverfahren ergingen in der Adenauer-Ära 35.000 Gesinnungsurteile, überwiegend gegen Kommunisten. Rudi Hechler war mehrmals davon betroffen.

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Bernaus Stadtkommandant Konrad Wolf

Am 22. April 1945 herrscht in Bernau das Chaos. Es heißt: Die Russen kommen! In ihrer Panik suchen manche den Freitod. Die Kleiderkammer des Heeres wird geplündert. Frauen, Kinder und alte Männer schleppen heraus, was sie gerade fassen können. Am Rande der Stadt hält in der Börnicker Chaussee ein Zug der Roten Armee. Generalleutnant Perchorowitsch, Kommandierender der 47. Armee, steigt aus seinem Wagen. Offiziere und Soldaten umringen ihn. Unter ihnen befindet sich ein junger Leutnant namens Konrad Wolf. Der General fragt ihn: "Woher kommen Sie?" "Aus Moskau, Genosse General". "Nein, aus welcher deutschen Stadt?" "Aus Stuttgart": "Das kann ich Ihnen nicht bieten, da sind die Amerikaner." Dann reicht er Wolf einen aus dem Notizbuch herausgerissenen Zettel. Darauf steht: "Befehl: Leutnant Wolf, Konrad wird ab sofort zum zeitweiligen Kommandanten der Stadt Bernau ernannt. Dieser Befehl bleibt bis zu seiner Ablösung durch den ordentlichen Kommandanten in Kraft."

Konrad Wolf erhielt den Interimsbefehl, weil die sowjetischen Truppen so rasch vorankamen, daß die für die Kommandantur vorgesehene Mannschaft sich um einige Tage verspätete.

Seine wichtigste Aufgabe war es, weiteren Plünderungen zu begegnen.

In den zwei Tagen, die ihm zur Verfügung standen, bewahrte er eine Bernauer Bürgerin vor dem Freitod. Er beherbergte Frauen in der Kommandantur, die sich von Vergewaltigung bedroht fühlten. Für Konrad Wolf war die Erinnerung an die äußerst kurze Zeit in Bernau dennoch prägend. In seinem Film "Ich war neunzehn" hat er sie verarbeitet.

Viele Bernauer entsinnen sich noch, wie der Film vor Ort gedreht wurde. In der darauf folgenden Zeit entwickelte sich eine feste Beziehung zwischen Konrad Wolf und der Stadt. 1967 wurde Bernau als Beispiel für die Rekonstruktion von Klein- und Mittelstädten ausgewählt. Ein Flächenabriß war vorgesehen. Hier schaltete sich Konrad Wolf ein. Er leistete eine große Hilfe bei der Planung und während des Baus der neuen Wohnungen, besonders bei der Rekonstruktion der Innenstadt, die Anfang 1979 begann. Er gehörte zur Jury, welche die Rekonstruktionspläne für das Bernauer Zentrum zu begutachten hatte.

Dank seines Engagements konnte das historische Gesicht der Altstadt erhalten werden. Er nahm auch Einfluß darauf, daß die Neubauten im Bereich der Stadtmauer eine Höhe von vier Etagen nicht überschritten. Häufig besuchte er hiesige Schulklassen und hielt engen Kontakt zur Jugendbrigade "Konrad Wolf" im Bernauer Schichtpreßstoffwerk. Auf sein Anraten entstand dort ein Amateurfilmzentrum, welches mit ihm und über ihn drei Filme drehte: "Lokaltermin Bernau" (1975), "Bernau zweimal im April" (1975) und "Dafür will ich gebraucht werden" (1983).

Am 20. April 1975 wurde Konrad Wolf die Ehrenbürgerwürde Bernaus verliehen. Im Stadtpark erinnert eine Stele an den großen Filmemacher und ersten Stadtkommandanten.

Otto Schwabe, Bernau

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Warum ich im Supermarkt mit "Freundschaft!" begrüßt werde

Ich habe es noch deutlich im Ohr. Bei Kundgebungen skandierten unsere Blauhemden der FDJ stets drei Worte von höchster Bedeutung: Frie-den, Freund-schaft, So-li-da-ri-tät! Für manchen mag diese von vielen verinnerlichte Losung ohne Belang gewesen sein - für mich ist sie ein Appell zum Nachdenken über Vergangenheit und Gegenwart.

Als ich kürzlich bei meiner Ärztin war, fragte sie mich beiläufig, was ich früher beruflich getan hätte. "Ich durfte zu Friedenszeiten in der DDR Lehrer sein." Sie sah mich erstaunt an: "Warum sagen Sie so betont 'zu Friedenszeiten'?" Als ich erwiderte, heute müßten die Lehrer ja wieder in einem Staat leben, dessen Soldaten Kriege führten, meinte sie nach einer Weile des Schweigens: "So habe ich das noch gar nicht gesehen".

Wenn sich Mitglieder der Freien Deutschen Jugend trafen, begrüßten sie sich stets mit dem Wort "Freundschaft!". Daran muß ich stets denken, wenn ich an der Kasse eines Lebensmittelmarktes mit einem monotoneingeübten "Hallo!" begrüßt werde. Nachdem wir wieder einmal unseren Einkauf auf das Transportband gelegt hatten, empfing mich die junge Kassiererin mit dem üblichen "Hallo!", worauf ich reflexhaft mit "Freundschaft!" antwortete. Sie blickte mich verdutzt an und wollte wissen, wie ich das wohl gemeint hätte. Die nachfolgenden Kunden, meist "ältere Semester", schmunzelten, als ich ihr den "historischen Hintergrund" meines Grußes kurz erklärte. Sie fand das originell. Wenn ich mich jetzt ihrer Kasse auch nur nähere, ruft sie schon von weitem: "Freundschaft!"

Als sehr junger Schulleiter hatte ich eine sechs Jahre ältere KPD-Genossin in meinem Kollegium. Sie hieß Erna Himmer und war von 1946 bis zu ihrer Berentung an der Grundschule Kriebitzsch im thüringischen Kreis Altenburg als Unterstufenlehrerin tätig. Erna hatte mir erzählt, sie sei in den 20er Jahren Mitglied einer kommunistischen Kinderorganisation gewesen. Bei den Zusammenkünften ihrer Gruppe sei besonderer Wert auf solidarisches Verhalten untereinander gelegt worden. Dieses Prinzip wandte die Neulehrerin, die eine erste und eine zweite Klasse leitete, in ihrer Tätigkeit mit Erfolg an.

Was ich noch längst nicht beherrschte, lernte ich bei meinen Hospitationen in Ernas Unterricht. Wenn einer der Sechsjährigen die Einführung eines neuen Buchstabens noch nicht richtig begriffen hatte, forderte sie dessen pfiffigeren Sitznachbarn dazu auf, dem Mitschüler behilflich zu sein. Im Rechenunterricht der 2. Klasse verfuhr Erna genauso. Die Schnellrechner bat sie, den "Langsam-Denkern" beizuspringen. Diese Erziehung zur Solidarität im Kleinen erleichterte die Arbeit jener Kollegen, welche die Klassen dann übernahmen. Dabei war Erna Himmer nicht in allen pädagogischen Belangen von vornherein "Spitze" - wie keiner von uns, die wir quasi von heute auf morgen anstelle der davongejagten Nazilehrer in die Schulstuben entsandt wurden, um eine neue Generation friedliebender Staatsbürger zu erziehen. Aber sie brachte etwas mit, was in der DDR-Volksbildung sehr gefragt war: eine natürliche, selbstverständliche Art der Erziehung zur Solidarität.

Wenn ich heute das Schulwesen der BRD mit seiner Dominanz des Elitären und der bewußten Förderung von "Konkurrenzdenken" betrachte, dann ist es wie ein Stich ins Herz: Warum haben wir uns nur die historische Chance, Menschen für ein sozialistisches Deutschland zu erziehen, so leicht aus der Hand nehmen lassen?

Helmuth Hellge

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RF-Extra
Sag mir, wo du stehst ...
Aus der Trauerrede Hartmut Königs für Frank Bochow

Frank ruft am 25. März - es ist unser letztes Gespräch - an und fragt, ob ich auch gelesen hätte, was die Schauspielerin Jutta Hoffmann der "Berliner Zeitung" auf die Frage antwortet, warum sie nach der "Wende" weniger gespielt habe. Weil es eine Frage des Anstands sei, sagt sie und überläßt Schillers Marquis von Posa im "Don Carlos" die Weiterrede: "Sagen Sie ihm, daß er für die Träume seiner Jugend soll Achtung tragen, wenn er Mann sein wird."

Die Antwort der Zeitgenossin, und der darin steckende Stachel des Klassikers berührten Frank, der sofort nachgelesen hatte, sehr. Denn dieser Dorn bohrte wie in jedem Menschen mit vernünftigen Lebenszielen und Selbstachtung auch in ihm und wollte Antwort. Träume? Was ist aus ihnen geworden? Blieb ich ihnen treu? War die Achtung gebührend?

Allein die Selbstbefragungen vor dem Spiegel der Zeit zeichneten Frank aus. Aber noch mehr die Antworten, die er sich geben konnte. Denn Frank ist seinen Träumen, seinen Idealen lebensklug gefolgt, selbst und erst recht dann, als Häme und Kleingeist ihr "Endgültig ausgeträumt" in die Landschaft ätzten.

Aufrecht, charakterfest und mit einem tastenden Blick auf das Machbare und Chancen der Zukunft ist Frank durch ein spannendes und erfülltes Leben gegangen.

In Jahrzehnten des Aufbaus der DDR wie in den bitteren Stunden der Niederlage stritt er mit revolutionärem Elan, Klugheit und Herzensgüte für die Sache des Friedens und des Sozialismus.

So haben ihn Freunde und Genossen in ihrem Abschiedsgruß beschrieben. Prinzipienhärte bis zur Schroffheit, nicht verkapselt in Dogmen, sondern um Überprüfung am Leben bemüht. Eine ungezügelte Neugier auf alle Sorten von gesellschaftlicher Entwicklung. Einmischung nach den Maßgaben des Möglichen und seiner Prinzipien. Bis zuletzt der Vorsatz, sich die Welt auch ästhetisch anzueignen, den Künsten privaten Raum zu geben, im Familiären und im Kreis von Gleichgesinnten Glück zu suchen. Diese Mischung von Leben ist ein veritables Vermächtnis. Und wohl auch eine Lektion.

Bevor ich den Namen Bochow hörte, hatte ich ihn in "Nackt unter Wölfen" gelesen. Bruno Apitz wurde mein Parteibürge und hat mir früh erzählt, warum er Antifaschisten in seinem Roman die Namen ermordeter Buchenwaldhäftlinge gegeben hatte. Auch den Namen des Dresdener Kommunisten Bochow. Erst als ich Frank kennenlernte, erfuhr ich, daß das sein Vater war.

Mich beeindruckte, wie Frank mit dessen Vermächtnis umging. Er war unendlich stolz, aber er schmückte sich nicht damit, er zog keinen billigen Eigennutz daraus. Dem Vater nachzuleben, seine Ideale in die neue Zeit zu tragen, hieß für ihn, das eigene Leben zu meistern, seine Mutter zu stützen, dem Land seiner Hoffnungen, der DDR, durch eigene Leistung Lebenskraft zu geben.

Getrieben auch von unbändiger Wut, daß rechts nebenan altes Nazi-Gesindel aus den Löchern gekrochen war. Die Ohrfeige von historischem Format, die Beate Klarsfeld pars pro toto austeilte, bereitete ihm persönliche Genugtuung.

Und gerade dieser nachwirkende braune Geburtsfehler der anderen deutschen Republik, nicht der einzige, reizte ihn, die Alternative im Osten um so mehr zu verteidigen und zu kräftigen.

Von 1955 bis 1961 studierte Frank in Moskau Internationale Beziehungen. Sechs Jahre in einem Zentrum des Weltpanoramas, das es in sich hatte: Adenauer in Moskau, die Enthüllungen des XX. Parteitags, die Ereignisse in Polen und Ungarn, die Suez-Krise, der Sieg der kubanischen Revolution, Genfer Abrüstungsverhandlungen, die Welle von Unabhängigkeitserklärungen in Afrika, aber die Ermordung Lumumbas, Gagarin als erster Mensch im All.

Hinter und neben diesen Schlagzeilen noch der schnelle Wechsel vieler anderer Ereignisse. Ein Amalgam von Siegen und Niederlagen, Hoffnungen und Enttäuschungen.

Es war nicht abzusehen, welche beruflichen Aufgaben sich für den jungen Antifaschisten, Internationalisten, Sozialisten ergeben würden. Aber für den Optimisten war klar, das Sicherste an der Welt ist ihre Veränderung. Hin zum gesellschaftlichen Fortschritt, verstand sich. Da hatte auch außenpolitische Arbeit ihre Zukunft. Und außerdem machte sie Spaß.

Horst Schumann holte Frank an den Zentralrat der FDJ, der ihn 1963 als Vertreter zum Weltbund der Demokratischen Jugend nach Budapest entsandte. Zwei Jahre später war Frank internationaler Sekretär unseres Jugendverbandes. Eine große Verantwortung in unvermindert stürmischer Zeit. Wieder müssen Stichworte genügen. USA-Aggression in Vietnam, Laos und Kambodscha, Obristen-Putsch in Griechenland, Israels Besetzungen auf der arabischen Halbinsel, Studentenaktionen in Westeuropa, Prag 68, Ostverträge, Sieg der Unidad Popular, Pinochets Mordorgien als reaktionärer Reflex darauf, Nelkenrevolution in Portugal, Saigon befreit, die Schlußakte der KSZE unterzeichnet. Und bei jeder Nachricht hieß es, in den Konsequenzen denken, Partei ergreifen, Solidarität organisieren, sein Handeln mit den Bruderorganisationen, der progressiven Weltjugend koordinieren. Und dabei noch die scharfe Stringenz des diplomatischen Ausdrucks beherrschen, weil daran Positionen abgelesen werden. Und immer wieder: Länder kennenlernen, Völker verstehen, Sprachen sprechen.

Frank war in alledem ein guter Fachmann. Das wußten wir, und das wußte man in der internationalen Jugend- und Studentenbewegung. Das anerkannte auch, wer nicht all unsere Ansichten teilte, aber den Dialog wollte. Und so war er, ehe er Diplomat bei Oskar Fischer wurde, schon ein Botschafter im Blauhemd. Bei der New Yorker Weltjugendversammlung der UNO, in Konferenzsälen und auf Foren in aller Welt, wo Abrüstung und Entspannung, antiimperialistische Solidarität, die völkerrechtliche Anerkennung der DDR Themen waren.

Das herausragende Ereignis seiner Jahre bei der FDJ aber waren gewiß die X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Berlin, hinter deren Leichtigkeit und Buntheit man das Hochgebirge politischer und finanzieller Vorarbeiten und organisatorischer Aufgaben während des Festivals nur ahnen konnte. Frank hat sich gerade hier unvergessene Verdienste erworben.

Seine ehernen Prinzipien ließen zum Glück eine Menge Augenzwinkern und hintergründigen Humor zu. Auch davon soll die Rede sein. In New York zum Beispiel, zur Weltjugendversammlung der Vereinten Nationen - die beiden deutschen Staaten sind noch nicht UNO-Mitglieder, also keine Botschaft am Ort, die Reisemittel rar - lädt uns KP-Chef Gus Hall zum Gespräch ein und hat Kartoffelsalat gemacht. "Guck mal", sagt Frank, "was hier die Generalsekretäre alles selber machen dürfen!"

Oder als sich dort am East River der konferenzunerfahrene Gitarrenspieler der Delegation in der Kommission "Umwelt und Presse" zu lange mit den Untaten der "Bild"-Zeitung aufhält und ADN-Korrespondent Meyer die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, wie man so eine Rede halten kann, da sagt Frank: "Na so schlimm ist es nun auch wieder nicht, wenn einer der Verschmutzung der Flüsse die Verschmutzung der Hirne voranstellt." Wer rund um die große Linie solche Sätze bilden konnte, den mußte man ins Herz schließen. 1976 verlor die FDJ ihren Frank an den Staatsapparat. Aber das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten hatte dem Jugendverband - und besonders den Brigaden der Freundschaft - stets eine so große Unterstützung angedeihen lassen, daß dies eher ein Akt ausgleichender Gerechtigkeit war. Zumal Frank bald eine großartige, ihn sehr erfüllende Aufgabe übertragen bekam. Er wurde Botschafter der DDR in Portugal.

Die Begeisterung für dieses Land war nach der Nelkenrevolution enorm. Natürlich auch bei Frank, und wenn er zu den Festivals des politischen Liedes kam, sang er aus voller Kehle mit: "Grândola vila morena" und "Avante camarada". Um so mehr liebte er, als er nun dort lebte, dieses Land und seine Menschen, die sich aus der Caetano-Diktatur befreit hatten.

Diese Liebe hat bis ans Lebensende gehalten. Und groß war die Achtung, die er in der Partei Á Cunhals, aber auch bei vielen fair gesinnten Andersdenkenden in der portugiesischen Gesellschaft genoß - sagen die, die an seiner Seite arbeiteten.

Von 1982 bis 1989 konnte er also beträchtliche Erfahrungen in die Funktion als internationaler Sekretär des Bundesvorstandes des FDGB einbringen. Er war Vizepräsident des DDR-Friedensrates, Abgeordneter der Volkskammer, stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten. Und wenn wir uns nach seiner Rückkehr nun wieder öfter trafen, war es wie jedes Mal zuvor. Alle Akkus auf 100 Prozent - und hier stimmt sogar der Slogan - Leistung aus Leidenschaft. Die Akkus merken sich das. Wer so gedacht und gelebt hatte wie Frank, der mußte den Untergang des Landes, das er Heimat nannte, als verlorene politische Schlacht und als persönliche Niederlage empfinden. Zu sehr war er - wie so viele von uns - beteiligt an Errungenschaft und Fehl.

Es grämte ihn, wenn eifrigste Trommler unserer alten Botschaften nun die neuen Töne mit identischer Inbrunst auf devotester Flöte darboten. Frank machte sich nicht gemein mit dieser Klientel, die bedenkenlos widerrief, um der Futtertröge neuer Einbezogenheit willen. Denn wir lebten nicht zu Galileis Zeiten, wo am Widerruf der Kopf hing.

Und was macht Frank? Sucht sein Arbeitsamt, hat in der Jugend mal Druckereiluft geschnuppert und geht nun als Hilfsarbeiter in dieses Gewerk, tritt ab 5 Uhr morgens in der "Stampe" den Papierbrei und trägt kleinen Lohn nach Hause. Und alles merken sich die Akkus. Die Belastungen der schweren Körperarbeit und die Gewichte auf der Seele.

Doch Frank findet seinen Schritt. Er beharrt auf vielem, aber er verschließt sich nicht dem Nachdenken, das frühere Ansichten, altes Denken prüft. Er ärgert sich manchmal über Eskapaden der Partei, die er wählt, und der ihr nahen Zeitung, er geht in die Genossenschaft eines Blattes mit dem Wörtchen "jung" im Titel, das schon vor Jahrzehnten auch bei den Alten beliebt war. Er liest, analysiert, mailt, ruft an, diskutiert, wägt seine Argumente sorgfältig, schon weil er gern Recht behält.

Sein Freundes- und Bekanntenkreis ist beträchtlich, was auf das Anregende seiner Nähe schließen läßt und auch noch in anderer Hinsicht praktisch ist. Einige Jahre lang hat er nämlich beim tuk-Reiseveranstalter wieder etwas Direkteres mit der Welt zu tun. Unter Einbeziehung früherer Botschafterkollegen erfindet er Themenreisen an Orte unserer Solidarität und läßt Momente dieser Gemeinsamkeit wieder erstehen.

Wie schwer ist es uns gefallen, die Nachricht zu begreifen, daß Frank nicht mehr unter uns ist. Wir, seine Freunde und Genossen, trauern um ihn. Seiner Frau Margot, den Söhnen und ihren Familien, den Enkelkindern bekunden wir unser Mitgefühl in ihrer Trauer. Der Mensch Frank Bochow fehlt uns und wird uns fehlen. Aber Wichtiges wird uns von dir, lieber Frank, bleiben: Die Erinnerung an dich, die Achtung vor deinem Leben und ein Platz in unseren Reihen, in den Debatten und Kämpfen. Weil eben nicht alle Träume ausgeträumt sind und weil viel Arbeit ungetan wartet.

Mit diesem Versprechen sagen wir dir, lieber Frank, adieu!

Die Beisetzung fand am 3. Mai auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin statt.

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Zeitenwende am Nil
Vor 60 Jahren stürzten Ägyptens Freie Offiziere die Faruk-Monarchie

Die Revolution vom 23. Juli 1952 war die Erfüllung einer großen Hoffnung, die das ägyptische Volk nährte, seit die Ägypter begannen, in der modernen Zeit über ihre Selbstbestimmung und darüber nachzudenken, daß sie selbst das letzte Wort bei der Bestimmung ihres eigenen Schicksals haben müssen", schrieb Gamal Abdel Nasser im Juni 1953 in seinen Erinnerungen "Philosophie der Revolution".

Am 23. Juli 1952 besetzten von den Freien Offizieren geführte aufständische Truppen alle strategisch bedeutsamen Punkte der ägyptischen Hauptstadt Kairo sowie die Sommerresidenz König Faruks in Alexandria. Infolge der Fäulnis der Monarchie und trotz der explosiv revolutionären Stimmung der Massen konnte die Machtübernahme friedlich erfolgen. Den Aufständischen fehlte ein Programm. Doch bereits am 23. Juli verkündeten sie sechs Grundsätze. Auf diese hatten sie sich in langen, oft sehr zugespitzten Diskussionen in Vorbereitung des Aufstandes geeinigt: Beseitigung der britischen Fremdherrschaft und Entmachtung ihrer ägyptischen Handlanger, Abschaffung des Großgrundbesitzes, Liquidierung der Monopole und der Vorherrschaft des Kapitals über die Regierung, Schaffung einer starken nationalen Armee, Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit, Aufbau einer gesunden Demokratie. Die Zielvorstellungen der Freien Offiziere waren im Kern antikolonialistisch, antimonarchistisch und antifeudal. Die führenden Köpfe des Aufstandes hatten keineswegs übereinstimmende Vorstellungen von ihren Zielen. Gemeinsam aber war der unversöhnliche Gegensatz der Revolutionäre wie der übergroßen Mehrheit der einfachen Ägypter zum britischen Imperialismus, zur Hofkamarilla und zu den feudalen Großgrundbesitzern.

Als unumstrittener Führer der Organisation dieser patriotischen Offiziere galt seit ihrem Entstehen Ende der 30er Jahre Gamal Abdel Nasser. 1918 als Sohn eines einfachen Postbeamten geboren, schaffte er 1937 die Aufnahme in die Militärakademie. Mit weiteren patriotisch gesinnten jungen Offizieren begann er bald antibritische und antimonarchistische politische Aktivitäten. Nach der als nationale Schmach empfundenen Niederlage im ersten arabisch-israelischen Krieg 1948/49, welcher auf die Teilung Palästinas und die Bildung des Staates Israel folgte, intensivierten sie ihre Aktivitäten und schufen eine schlagkräftige Organisation.

Ägyptens Situation der Jahre 1949 bis 1952 war von einem erbitterten Ringen patriotischer Kräfte mit der das Land nach wie vor beherrschenden ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien gekennzeichnet. Mehrfach kam es zu dramatischen Zuspitzungen mit großem Blutvergießen.

Anfang 1952 war das ganze Land von Aufbruchsstimmung erfaßt. Die Wut des Volkes richtete sich gegen das verhaßte monarchistische Regime und seine inneren sozialen Stützen, in erster Linie die feudalen Großgrundbesitzer, den korrupten Hofstaat und die oberen Schichten der Bürokratie. In den Streitkräften nährten Korruption und Schlamperei der höheren Ränge den Zorn der patriotischen Offiziere und Unteroffiziere.

Nasser und seine engsten Mitstreiter waren sich einig, daß sie im Ergebnis ihres Aufstandes keine Militärdiktatur anstrebten. Sie wollten vor allem die Mißstände in den Streitkräften beseitigen, "die Armee säubern" und "das Land von der ausländischen Okkupation befreien" sowie Voraussetzungen für einen nationalen Neubeginn schaffen. Die notwendigen Veränderungen sollten dann, gestützt auf die Patrioten der Armee, durch zivile Politiker, Parteien und eine vom Parlament bestimmte Regierung realisiert werden.

In einem Interview für die Zeitung Al-Ahram im Juni 1953 erläuterte Nasser, daß "sich die Mehrheit der Freien Offiziere gegen die Erarbeitung eines detaillierten politischen Programms vor dem Aufstand entschieden hatte. Es sollte eine Spaltung in der Armee vermieden werden, weil sich die Positionen der Freien Offiziere sehr stark voneinander unterschieden, abhängig von ihrem Temperament und dem sozialen und familiären Milieu, aus dem sie stammten ... Als wir dann an die Macht gelangt waren, mußten wir improvisieren und taten unser Bestes. Die gegensätzlichen politischen Ansichten zwangen uns schließlich, uns von denjenigen zu trennen, die nicht bereit waren, sich den Mehrheitsentscheidungen im Revolutionsrat unterzuordnen."

Die USA verbanden mit dem Sieg der Freien Offiziere die Vorstellung, sich einen regionalen Verbündeten zu verschaffen und in Ägypten Großbritanniens Platz einzunehmen. Im Kontext des Kalten Krieges schienen ihnen zudem nationalbewußte Militärs bessere potentielle Bündnispartner zu sein als reaktionäre Eliten, die leicht Zielscheibe revolutionärer Aufwallungen werden konnten. So sollte Ägypten schließlich in das amerikanisch dominierte System des aggressiven Bagdad-Paktes eingebunden werden.

Obwohl nicht wenige der Freien Offiziere Sympathien für die USA empfanden und zudem antikommunistische Positionen vertraten, kam Washington nicht zum Zuge. So unternahm die CIA letztlich einen Versuch, Nasser mit 3 Millionen Dollar zu bestechen. Aber gerade das unterschied diesen Mann von den früheren Herrschern Ägyptens und all seinen bisherigen Nachfolgern: Er war nicht käuflich. Zunächst wollte er das Geld zurückweisen und eine öffentliche Erklärung abgeben, wie die Amerikaner ihn zu korrumpieren versucht hätten. Er entschloß sich dann aber, die Summe anzunehmen und zur Errichtung eines Funkturms in Kairo einzusetzen, wie ihn das Außenministerium und die ägyptischen Nachrichtendienste dringend benötigten. "Soll unsere Abwehr die Tätigkeit der USA nur aufmerksam verfolgen." So wurde der "Cairo Tower" errichtet - heute ein Wahrzeichen der ägyptischen Metropole. Er erinnere die CIA ständig daran, daß sie in bezug auf Ägypten ein Fiasko erlitten habe, sagte Nasser damals. Einen späteren Versuch des USA-Geheimdienstes, den Turm zu sprengen, konnten die Ägypter vereiteln.

Für Nasser und einige seiner engsten Mitstreiter bedeutete der "Weg der nationalen Wiedergeburt" eine zunehmend konsequente nationaldemokratische Revolution. Im Prozeß ihrer Profilierung kam es unter den Freien Offizieren zu Auseinandersetzungen.

Während des Aufstandes im Juli 1952 hatten Nasser und seine Gefährten General Mohammed Naguib für ihre Sache gewonnen. Naguib, Jahrgang 1901, genoß in den Streitkräften und darüber hinaus großes Ansehen. Im Krieg 1948/1949 verwundet und hochdekoriert, zeigte er Mut und Verantwortungsbewußtsein. Er war nicht in Korruptionsfälle verwickelt und keine Hofschranze. Die Freien Offiziere versprachen sich angesichts der Mentalität der Ägypter eine höhere Akzeptanz, wenn sie einen angesehenen General als Repräsentanten auf ihrer Seite hatten. Sie weihten ihn in groben Zügen in ihre Absichten ein und erreichten seine Bereitschaft zur Unterstützung. In der Nacht des Aufstandes, in dessen Vorbereitung er nicht einbezogen war, wurde Naguib zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte proklamiert, später auch zum Ministerpräsidenten und ersten Präsidenten der Republik Ägypten.

Mit zunehmender Profilierung der Revolution machte sich Naguib in der Regierung und im Revolutionsrat, in den er nach dem Sieg des Aufstandes integriert worden war, indes zum Sprecher restaurativer Kräfte. Seinem bürgerlich-liberalen Legalitätsprinzip und einem sich daraus ergebenden Demokratiebegriff folgend, trat er für die Wiederherstellung des parlamentarischen Parteiensystems und die Enthaltung der Freien Offizieren von jeglicher Teilnahme an der praktischen Politik ein. Deren Mehrheit sah darin eine Gefährdung der Revolution. Naguib verlor rapide an Ansehen in der Bevölkerung, da er aus seiner Opposition zum revolutionären Kurs, der große Popularität genoß, kein Hehl machte.

Den intensivsten organisierten Widerstand gegen Nassers Politik leisteten die Moslembrüder, mit denen Naguib sympathisierte. Als sich herausstellte, daß er mit Kräften in Verbindung stand, die einen Umsturz planten und hinter einem Attentat auf Nasser standen, wurde Naguib im Februar 1954 seiner Funktionen enthoben. Nasser wurde Ministerpräsident und Präsident des Revolutionsrates. 1956 wählte ihn das ägyptische Volk zum Präsidenten der Republik. Mit ihm gewannen jene Kräfte die Oberhand, welche für eine konsequente Weiterführung der Revolution eintraten.

Die ägyptischen Kommunisten, organisatorisch schwach und zersplittert, unterstützten die antiimperialistischen Schritte der neuen Führung des Landes, waren jedoch außerstande, den antikommunistischen Vorurteilen nicht weniger führender Köpfe unter den Freien Offizieren Paroli bieten zu können. Und das trotz des gewichtigen Beitrags, den einige von ihnen - genannt seien hier stellvertretend die Mitglieder des Revolutionsrates Khaled Mohieddin, Jussuf Sadik und Ahmed Hamrusch - zum Erfolg der revolutionären Erhebung geleistet hatten. Obwohl wie alle Parteien offiziell verboten und zeitweilig Verfolgungen unterworfen, trugen die Kommunisten in den 60er Jahren ganz wesentlich zu Fortschritten im ideologischen Klärungsprozeß um eine sozialistische Orientierung bei. In dieser Zeit konnten sie dann auch ihre Position verbessern und beginnen, sich organisatorisch neu zu formieren.

Mit dem Sieg der revolutionären Offiziere um Nasser befand sich Mitte 1954 die Macht in Ägypten in den Händen antiimperialistischer Kräfte. Ihre nationaldemokratische, antikoloniale und antifeudale Ausrichtung manifestierte sich in der Agrarreform und der Entmachtung der Großgrundbesitzer sowie in besonderer Weise bei der Nationalisierung des Suezkanals und der Zerschlagung der Positionen des Auslandskapitals. Die Abwehr der Dreieraggression Großbritanniens, Frankreichs und Israels 1956 sowie der Ausbau der Verbindungen mit der UdSSR und anderen sozialistischen Ländern markierten ganz wesentlich den weiteren Entwicklungsweg.

Auch die militärische Niederlage Ägyptens im Sechs-Tage-Krieg nach der israelischen Aggression vom Juni 1967, die gravierende Schwächen des Regimes offenbarte, konnte das Vertrauen der Volksmassen zu Nasser nicht zerstören. Die konsequent nationaldemokratische Entwicklung mit Elementen einer sozialistischen Orientierung wurde verstärkt. Das galt auch für die Bindungen an sozialistische und nichtpaktgebundene Länder.

Nach Nassers Tod im Jahre 1970 brachten seine Nachfolger Anwar Sadat und Hosny Mubarak das Land auf einen prowestlichen Kurs. Die Öffnung und wirtschaftliche Liberalisierung, wie sie Sadat als Totengräber des Nasserismus betrieb, war außenpolitisch mit der Abwendung von der UdSSR und weiteren früheren Verbündeten sowie mit einem Kapitulationskurs gegenüber den USA und Israel gepaart. Dies hatte einen rapiden Rückgang des politischen Gewichts und der Rolle Ägyptens im arabischen Raum und in der internationalen Arena zur Folge.

Das Aufbegehren der Ägypter 2011, ihre Entschlossenheit, sich des proamerikanischen Despoten Mubarak zu entledigen sowie der auch 2012 manifestierte Wille, sich mit den bisher äußerst bescheidenen kosmetischen Veränderungen nicht zufriedenzugeben, könnte ein positives Zeichen dafür sein, daß Patrioten aller Schichten, die ägyptische Jugend sowie die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter der Industrie und des Transportwesens das Land unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts wieder auf einen Kurs bringen wollen, der den nationalen Interessen entspricht und damit "der Erfüllung der großen Hoffnung" der Ägypter dient, wie sie Nasser 1953 bezeichnet hatte.

Bernd Fischer

Ende RF-Extra

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Kerala unter roten Fahnen
Zur Kraft der Kommunisten in Indiens südlichstem Unionsstaat

Betritt man den Boden des südindischen Unionsstaates Kerala, spürt man sofort, daß man sich in den Tropen befindet. Die Hitze ist unglaublich, überall Mengen von Menschen und - das springt ins Auge - im Vergleich zu weiten Teilen des einen Subkontinent bildenden Riesenlandes eine zwar weniger ausgeprägte, aber dennoch unübersehbare Armut.

Daß die Reichen hier nicht ganz so reich sind wie anderswo in Indien und die Armen bei allem Elend meist nicht hungern müssen, ist der Tatsache geschuldet, daß in Kerala - wenn auch im Wechsel mit der Kongreßpartei - die kommunistische CPI.M seit etlichen Jahrzehnten Regierungspartei ist. Sie genießt bei großen Teilen der Bevölkerung hohes Ansehen und verfügt über enormen Masseneinfluß. Antikommunistische Hexenjagden finden deshalb keine Basis, berichtet uns der Taxifahrer, der selbst seit 20 Jahren der KP angehört. Seine Worte werden durch das, was wir sehen, bestätigt: An jedem fünften Haus wehen rote Fahnen, allenthalben sieht man an Mauern und Fassaden die kommunistischen Insignien Hammer und Sichel. Marx, Lenin und die Helden der kubanischen Revolution begegnen uns immer wieder auf Bildern und in Denkmalsgestalt. Wir stellen fest, daß viele stolz darauf sind, zu den Kommunisten zu gehören.

Doch es gibt auch Schattenseiten. So überschwemmen, wie uns berichtet wird, nicht wenige Karrieristen seit einigen Jahren die Partei, was zu Prestigeverlusten und Stimmeneinbußen bei den jüngsten Wahlen geführt habe. Ein ins Auge springendes Problem sind zweifellos die alles verseuchenden Berge von Zivilisationsmüll, den man der Einfachheit halber in giftspeienden Feuern vor den Häusern der Ärmsten verbrennt. Dieser Mißstand scheint leider noch nicht hinreichend in den Fokus der Genossen aus Trivandrum gerückt zu sein.

Trotz solcher und anderer Defizite vermag die unverkennbare Kraft der Kommunisten allzu Gierige in Schach zu halten. Auch die der CPI.M nahestehende Gewerkschaftszentrale spielt dabei eine Schlüsselrolle. Vielleicht vermitteln unsere Aufnahmen - ohne jeden weiteren Kommentar - eine gewisse Vorstellung vom ganz normalen Straßenbild in Kerala.

Stefan Eichhoff, Berlin

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Merkels "Spezi" ging baden
Frankreich nach den Wahlen: Hoffnungen, Illusionen und Gefahren

Ohne in übertriebene Euphorie oder übersteigerte Erwartungen zu verfallen, ist zu konstatieren, daß die Wahlergebnisse in Frankreich ebenso wie der objektive Linksruck in Griechenland die politische Karte Europas nicht unwesentlich verändert haben.

In Frankreich wurde Sarkozy - der "Spezi" Angela Merkels - aus dem Sattel gehoben. Auch dessen auf Le-Pen-Wähler zielende Flucht in rechtsextreme Rhetorik konnte ihn nicht vor der Abwahl bewahren. Der neue Präsident François Hollande repräsentiert nicht wie sein Vorgänger Frankreichs politische Rechte, sondern wurde durch eine überwiegend linkszentristische bis linke Wählerschaft ins Amt getragen. Er ist ein zuvor glück- und glanzlos gebliebener traditioneller Sozialdemokrat, der sich dessen bewußt sein muß, daß sein am Wahltag errungener Sieg nur der Tatsache geschuldet war, daß auch jene 11 % der Franzosen für ihn votierten, die in der ersten Runde den Linksfront-Kandidaten Jean-Luc Mélenchon unterstützt hatten.

So wie Sarkozy seinerzeit allein durch die Mobilisierung des Wahlvolks des faschistoiden Front National von Jean-Marie Le Pen siegen konnte, was er stets in Rechnung zu stellen hatte, muß auch der neue Hausherr im Elysee-Palast seine Wählerschaft berücksichtigen. So wird er nicht ohne Kompromisse und Zugeständnisse an Frankreichs kämpferische und aktionsbereite Linke innenpolitisch über die Runden kommen.

Was die Außenpolitik betrifft, könnte man durchaus mit einigen neuen Akzenten rechnen, sollte aber in Betracht ziehen, daß wohl kaum gravierende Kurskorrekturen zu erwarten sein dürften. Dazu ist der vor allem von Berlin auf Paris ausgeübte Druck viel zu stark. Die Atommacht Frankreich muß - so oder so - wie bisher nach der Pfeife des deutschen Imperialismus, der stärksten Macht innerhalb der EU, tanzen. Daß sich Hollande darüber im klaren ist, zeigt nicht nur die Tatsache, daß er noch am Tag der Vereidigung als Präsident seine erste Auslandsreise nach Berlin unternahm, sondern auch die Entscheidung, den als ausgesprochen germanophil geltenden früheren Deutschlehrer Jean-Marc Ayrault zum Premierminister zu ernennen. Die britische Tageszeitung "The Guardian" brachte kurz vor den Wahlen ein Interview mit dem damaligen Kandidaten der Sozialistischen Partei, in dem Hollande u. a. erklärte: "Die Linke hat Frankreich 15 Jahre lang regiert. Während dieser Zeit haben wir die Wirtschaft liberalisiert und die Märkte für die Finanzwelt und Privatisierungen geöffnet. Es gibt also keinen Grund zur Beunruhigung." Konkreter: In der Regierungszeit der sogenannten pluralen Linken gingen die vorherigen Staatsbetriebe France-Telecom, Le Credit Lyonnais, Arcelor, Thomson, GAN, La Aérospatiale und andere ganz oder teilweise in die Hände des Finanz- und Monopolkapitals über.

Die Pariser "Le Monde" schrieb dazu: "Der Sozialist Lionel Jospin privatisierte mehr als Alain Juppé." Dieser Rechtspolitiker war von 1995 bis 1997 Premierminister.

Wird das französische Volk solche Erfahrungen noch einmal machen müssen?

Die Präsidentenwahlen brachten neben der erwarteten Abwahl Sarkozys, der als vom Volk am meisten verachteter Staatschef in die Geschichte seines Landes eingehen dürfte, eine noch stärkere Polarisierung der Wählerschaft hervor.

Für den profaschistischen, rassistischen und ultrachauvinistischen Front National (FN), dessen Parteigründer Jean-Marie Le Pen den Holocaust "ein unbedeutendes Detail des Zweiten Weltkrieges" genannt hatte, ging diesmal seine geschickter agierende Tochter Marine ins Rennen. Dabei wurden die gleichen übel riechenden Inhalte, nur raffinierter verpackt, den Franzosen als "Delikatesse" angeboten. Der FN kam auf 18 % der Stimmen. Fast jeder fünfte Wähler entschied sich - oft aus Verdrossenheit über die abgewirtschafteten konventionellen Parteien - für die rechtsradikale Liste. Daran ist zu ermessen, wie groß die Mobilisierungskapazität derer in Frankreich ist, die einen Ausweg aus der Krise in Entwicklungen sehen, welche im Deutschland der Weimarer Republik zur Hitlerdiktatur geführt haben. Auch die französische Nation besitzt in dieser Hinsicht einschlägige Erfahrungen.

Marine Le Pen konnte das bisherige Spitzenergebnis ihres Vaters von 17 % bei den Präsidentschaftswahlen 2002 noch übertreffen und eine Million neue Wähler für ihre rechtsradikale Partei mobilisieren. Besonders erschreckend war der hohe Anteil für den FN votierender Arbeiter (29 %). Übrigens hatte Sarkozy dem rassistischen und ausländerfeindlichen Trend dadurch zusätzlich Aufwind verschafft, daß er ein obskures "Ministerium für nationale Identität" einführte, welches die Kriminalisierung von Einwanderern in großem Stil betrieb.

Für die Linksfront von Jean-Luc Mélenchon waren am Beginn des Wahlkampfes nach Meinungsumfragen nur 5 % des Votums erwartet worden. Am Ende aber entschied sich mehr als ein Zehntel der Franzosen (4 Millionen) für den auch durch die FKP unterstützten Sozialisten, dessen dem linken Flügel der PDL nahestehende Partei im Beisein Oskar Lafontaines gegründet worden war.

Auf dem Höhepunkt ihres Einflusses hatte die auf heroische Traditionen zurückblickende Französische Kommunistische Partei von Maurice Thorez, Jaques Duclos und Marcel Cachin stets zwischen 22 und 25 % des Votums auf sich vereinigen können. 2007 aber war ihre - wie die Mehrheit der dezimierten Partei - in reformistische Gewässer abgedriftete Kandidatin mit nur 1,9 % weit zurückgefallen, während der Bewerber der trotzkistischen LCR auf immerhin 4 % kam.

Mit der Linksfront (Front de Gauche) hat erstmals wieder eine einflußreiche antikapitalistische, antifaschistische und konsequent demokratische Kraft auf Frankreichs politischer Bühne eindrucksvoll punkten können. In Großstädten wie Lille, Toulouse, Le Havre und Montpellier erzielte sie jeweils mehr als 15 %, in einigen Kommunen des einstigen Pariser "Roten Gürtels" kam sie sogar auf nahezu 25 %. Das Geheimnis dieses Erfolges beruhte vor allem darauf, daß die Linksfront Themen von brennender Aktualität in den Mittelpunkt ihrer Wahlagitation stellte - darunter die zwingende Notwendigkeit einer Umverteilung des Reichtums, eine planvolle Ökologie, den Antirassismus und die Forderung nach Austritt aus der NATO. Eine solche Haltung, die von der Grande Nation seit dem Beginn der 90er Jahre schmerzlich vermißt worden war, zahlte sich aus. Frankreichs Antifaschisten honorierten die Tatsache, daß die Linksfront als einzige politische Formation des Landes der faschistischen Attacke Le Pens ihr unmißverständliches "Non!" entgegengesetzt hatte.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel, und "Political Affairs", New York

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Zum Hundertsten der KP Chiles
Grüße an die Partei von Pablo, Luis, Victor, Gladys und Camila

Seit 100 Jahren gibt es nun schon in Chile organisierte Kommunisten. Am 12. Juni 1912 gründete der Buchdrucker Luis Emilio Recabarren mit 30 Bergleuten und Proletariern anderer Berufe in den Räumen der Zeitung "Despertar de los Trabajadores" die Sozialistische Arbeiterpartei. Diese nahm dann auf ihrem 2. Kongreß im Januar 1922 den Namen KP Chiles an, nachdem sich ihre Mitglieder für den Anschluß an die durch Lenin begründete Kommunistische Internationale (Komintern) ausgesprochen hatten.

Seit ihren frühen Tagen sah sich die KPCh wütenden Attacken seitens der Herrschenden ausgesetzt. Wiederholt gipfelten deren Repressalien im totalen Entzug legaler politischer Betätigungsmöglichkeiten. Doch immer aufs neue verstand es die Partei, sich abermals zu konstituieren. Mitglieder der KPCh wurden mißhandelt, eingekerkert und in nicht geringer Zahl ermordet. Unter den Opfern des weißen Terrors befand sich auch Chiles großer Volkssänger und genialer Songwriter Victor Jara.

1933 schloß sich die KPCh mit der Sozialistischen Partei, der Radikaldemokratischen Partei und der Gewerkschaftszentrale erstmals in einer Volksfront zusammen. Sie unterstützte das republikanische Spanien und leistete der UdSSR nach Hitlers Überfall ebenfalls beträchtliche materiell-moralische Hilfe.

Obwohl einmal mehr in den Untergrund gezwungen, stand die KPCh bereits 1952 an der Seite Salvador Allendes, als dieser erstmals bei Präsidentschaftswahlen kandidierte. Um ein erfolgreiches Abschneiden des Sozialistenführers zu begünstigen, hatte sich eine Nationale Befreiungsfront aus Kommunisten und Sozialisten formiert, die unter den damals gegebenen Bedingungen allerdings noch keine Siegeschancen besaß. 1958 unterstützte die KPCh mit ihrem antiimperialistischen und antioligarchischen Programm im Rahmen der Volksaktionsfront (FRAP) wiederum Salvador Allende. Obwohl dessen Stimmenanteil diesmal erheblich anwuchs, verhinderte eine rabiate antisozialistisch-antikommunistische Haßkampagne der chilenischen Reaktion und ihrer Medien auch diesmal seine Wahl.

In der Folgezeit nahm der Einfluß der KPCh weiter zu. 1964 ließ die Massenunterstützung für Allende, der abermals antrat, auf dessen Sieg hoffen. Doch in letzter Minute zogen die Rechtsparteien die Notbremse: Ihre Kandidaten steckten ausnahmslos zugunsten des christdemokratischen Bewerbers Eduardo Frei zurück und sicherten so dessen Einzug in die Moneda.

Als sich sechs Jahre später unter dem Namen Unidad Popular eine neue Linksallianz bildete, schlug das Pendel zu deren Gunsten aus. Allende errang den Sieg. Seiner Regierung gehörten auch mehrere kommunistische Minister an. Als der Präsident dann zur Verstaatlichung der Kupferindustrie schritt und Maßnahmen einleitete, um die Lebensbedingungen der ärmsten Chilenen spürbar zu verbessern, schrillten in Washington wie bei den einheimischen Oligarchien die Alarmglocken.

Am 11. September 1973 entfesselte die CIA bei maßgeblicher Mitwirkung Henry Kissingers einen von langer Hand vorbereiteten Putsch faschistischer Militärs unter Führung des Generals Augusto Pinochet. Der Konterrevolution fielen Tausende Linke, darunter viele Kommunisten, zum Opfer. Zehntausende Antifaschisten wurden verschleppt oder in die Emigration gezwungen. Chiles Nationaldichter Pablo Neruda fand unter ungeklärten Umständen den Tod. Die Version, er habe Selbstmord begangen, wird mit gutem Grund angezweifelt. Die Schergen verhafteten auch den in die Illegalität gegangenen KPCh-Generalsekretär Luis Corvalan, der im Ergebnis einer internationalen Solidaritätskampagne freikam und nach Moskau ins Exil gehen konnte. Dem Terror der ans Ruder gelangten Faschisten die Stirn bietend, formierte sich 1974 - nach der Verhaftung oder Exilierung der meisten ZK-Mitglieder - eine neue illegale Inlandsleitung.

1990 wurde Pinochet nach 17jähriger Schreckensherrschaft zur Aufgabe gezwungen. Dennoch bestanden auf Grund einer Reihe unter der Diktatur eingeführter "Gesetze" und der weiter geltenden Verfassung bestimmte Regelungen fort, die den politischen Handlungsspielraum der KPCh und deren Teilnahme an der parlamentarischen Arbeit stark einschränkten. Trotz dieser diskriminierenden Bedingungen beschloß die Partei, sich auf allen Ebenen den Wählern zu stellen.

1999 errang die unvergessene KPCh-Generalsekretärin Gladys Marin, die als Präsidentschaftskandidatin ihrer Partei angetreten war, mit einem Stimmenanteil von 3,2 % einen Achtungserfolg. Nach ihrem frühen Tod - Gladys Marin erhielt ein Staatsbegräbnis - nahm Guillermo Teillier, ein anderer herausragender Revolutionär, den Platz der heute in Chile als Nationalheldin Verehrten ein. Bald zogen wieder drei kommunistische Abgeordnete, die auf den Listen einer breitgefächerten demokratischen Koalition gewählt worden waren, in Chiles Nationalparlament ein. Unter ihnen befand sich auch Teillier.

Seit Sommer letzten Jahres besitzt die KPCh in Gestalt der politisch hochtalentierten und überaus dynamischen Camila Vallejo - der Vizepräsidentin des nationalen Studentenverbandes Confech - eine neue Sympathieträgerin. 2011 stießen die landesweit befolgten Kampfaktionen der akademischen Jugend, die Camila mit anführte, auch bei der Arbeiterklasse und anderen werktätigen Bevölkerungsschichten Chiles auf starken Widerhall.

RF, gestützt auf "Granma", Havanna

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Ahmed Ben Bella stand für ein freies Algerien

Der am 11. April im Alter von 96 Jahren verstorbene Ahmed Ben Bella war einer der Großen des nationalen und sozialen Befreiungskampfes der vom französischen Kolonialismus geknebelten Völker des aus Algerien, Tunesien und Marokko bestehenden nordafrikanischen Maghreb. Ein gläubiger Moslem und zugleich ein leidenschaftlicher Revolutionär, war er dazu imstande, eine Brücke von den neue Ziele anvisierenden Massen seines algerischen Volkes zu den damals noch im Aufstieg befindlichen, um die UdSSR versammelten sozialistischen Staaten Europas ebenso zu schlagen wie zu den Kampfgefährten in Kuba, China, Vietnam und der KDVR. Überdies spielte er eine führende und integrierende Rolle in den Bewegungen für panafrikanische Ziele und Blockfreiheit.

Im acht Jahre währenden Krieg des algerischen Volkes gegen seine kolonialen Unterdrücker galt Ben Bella als dessen überragender Führer. Insgesamt 24 Jahre - ein Viertel seines Lebens - mußte er in Gefängnishaft oder Hausarrest verbringen. Die Tragik besteht darin, daß er nicht nur von der französischen Kolonialjustiz verfolgt und verurteilt, sondern später auch durch ihm in den Rücken fallende "eigene Leute" hinter Gitter gebracht wurde.

Frankreich, das Algerien bereits 1830 an sich gerissen hatte, errichtete dort ein brutales Kolonialregime, das die einheimische Bevölkerung mit Zuckerbrot und Peitsche an der Kandare hielt. Paris erklärte Algerien offiziell "zu einem Teil Frankreichs" und durchdrang es mit 1,5 Millionen aus dem "Stammland" entsandten Siedlern, welche die besten Areale an sich rissen und im agrarischen Export das Monopol besaßen. Doch das geknechtete Volk erhob sich unter Führung der Nationalen Befreiungsfront (FLN) und kämpfte zwischen 1954 und 1962 - anfangs mit Knüppeln, Steinen und selbstgebauten Bomben, im Laufe der Zeit aber auch unter Einsatz bei den Kolonialtruppen erbeuteter Waffen - für seine Selbstbestimmung.

Frankreich entsandte eine halbe Million Soldaten, um den Aufstand der Algerier niederzuschlagen. Mit besonderer Grausamkeit wütete die Fremdenlegion. Ganze Ortschaften wurden durch Bombenangriffe ausradiert, drei Millionen Menschen verloren im Ergebnis von Strafexpeditionen ihr Obdach. Zwei Millionen Bürger des drangsalierten Landes wurden in Konzentrationslagern zusammengetrieben. Als Paris schließlich aufgeben mußte, betrug die Zahl der getöteten Algerier etwa eine Million - 15 % der Bevölkerung.

Doch die Medien im Dienste des Kapitals bedienten sich einmal mehr der von ihnen bevorzugten Methode, den Spieß umzudrehen. So bezeichnete die "New York Times" am 12. April den algerischen nationalen Befreiungskampf in einem Nachruf auf Ben Bella als "Krieg der Massaker und Verstümmelungen, Massenerschießungen und Vergewaltigungen".

Ben Bellas Biographie spricht für sich selbst. Er diente zunächst in einer nur aus Algeriern bestehenden Einheit der französischen Kolonialarmee und wurde im Zweiten Weltkrieg mehrfach für seine Tapferkeit ausgezeichnet. Doch als die Pariser im Mai 1945 die Niederlage Hitlerdeutschlands bejubelten, feuerte die Soldateska der "Grande Nation" in der algerischen Stadt Setif auf Teilnehmer einer antikolonialistischen Kundgebung und massakrierte Tausende von ihnen.

Dieser Tag wurde zum Wendepunkt im Leben Ben Bellas. Umgehend verließ er die französische Armee und schloß sich der Befreiungsbewegung an. Er wurde Mitglied des neunköpfigen "Komitees der algerischen Revolution". Zuvor war er bereits einer der Gründer der FLN gewesen. 1952 verhafteten ihn die französischen Okkupanten. Doch Ben Bella gelang die Flucht. Direkten Weges begab er sich nach Kairo, wo Gamal Abdel Nassers Bund der Freien Offiziere gerade die Macht erobert hatte. Wieder in Algerien, wurde Ben Bella 1956 erneut festgenommen. Er blieb bis 1962 in Haft. Doch schon ein Jahr später war er der erste Präsident eines unabhängigen algerischen Staates.

Ben Bella sah sich einer katastrophalen Lage gegenüber, da die französischen Siedler vor ihrer Flucht im Sinne der faschistischen Taktik der verbrannten Erde einen großen Teil der Lebensmittelvorräte vernichtet und wesentliche Teile der Infrastruktur des Landes zerstört hatten.

Der Präsident leitete sofort eine umfassende Agrarreform in die Wege. Er rief dazu auf, daß gewählte Arbeiter die Betriebe und Farmen leiten sollten. Ben Bellas Kabinett war strikt antiimperialistisch, unterstützte das Kuba Fidel Castros und seines damaligen Wirtschaftsministers Ernesto Che Guevara, der wiederholt zu Freundschaftsbesuchen in Algier weilte. Als der algerische Staatschef in New York mit US-Präsident John F. Kennedy zusammentraf, suchte ihn dieser von einem Weiterflug nach Havanna abzuhalten. Doch tags darauf traf sich Ben Bella dort mit Fidel und Raúl Castro.

Die FLN-Führung war sozial, politisch und ideologisch sehr heterogen. So vermochte eine fünfte Kolonne des Imperialismus in ihren Spitzengremien Fuß zu fassen. Unter Ausnutzung scharfer Kontroversen zwischen verschiedenen FLN-Flügeln und gestützt auf exponiert antikommunistische Kräfte, die jeden Kontakt zu sozialistischen Staaten - den Stützpfeilern des nationalen Befreiungskampfes - strikt ablehnten, wurde Ben Bella schon im Juni 1965 durch einen Putsch zu Fall gebracht. Sein politischer Gegenspieler Oberst Houari Boumedienne trat an die Staatsspitze. Bis 1980, als er in die Schweiz ausreisen durfte, war Ben Bella trotz späterer Lockerungen seines Haftregimes kein freier Mann.

1990 kehrte er nach Algerien zurück, wo ihm Zehntausende einen stürmischen Empfang bereiteten. 16 Jahre später gab er der Schriftstellerin Silvia Cattori ein vielbeachtetes Interview. Darin hob er besonders seine enge Verbundenheit mit Che Guevara hervor. Zugleich umriß der große alte Mann Algeriens unmißverständlich seine Position: "Ich bin kein Marxist, aber ich sehe meinen Platz nachdrücklich bei den Linken. Ich bin ein arabischer Moslem und in meinem Handeln wie in meinen Überzeugungen sehr stark links orientiert. Deshalb fand ich, auch wenn ich die marxistische Doktrin nicht teile, immer meinen Platz in linken Bewegungen auf der Welt. Die sozialistischen Länder wie Kuba, China und die UdSSR haben die antikolonialistischen und antiimperialistischen Kämpfe angeführt", zog Ben Bella das Fazit der reichen Erfahrungen eines langen Lebens.

Einer seiner engsten Freunde berichtete, an der Wand der Gefängniszelle des algerischen Revolutionärs habe dieser all die Jahre ein Foto Ches angebracht, der so als stummer Zeuge Ben Bellas Leid und Freude geteilt habe.

RF, gestützt auf "Workers World", New York, und "Solidaire", Brüssel

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Antichinesische Drohgebärde
Pentagon erklärte pazifischen Raum zur strategischen Priorität

Die unlängst von der Obama-Administration abgegebene Erklärung, die Streitkräfte der Vereinigten Staaten sähen fortan ihre strategischen Prioritäten nicht mehr im Nahen Osten und in Europa, sondern im pazifischen Raum, erfolgte vor einem überschaubaren Hintergrund. Die in Washington eingeleitete massive Verstärkung der See- und Luftstreitkräfte in einer ganzen Reihe ausgewählter asiatisch-ozeanischer Staaten soll offenkundig als Drohgebärde gegenüber China - einem Hort des Friedens in Asien - verstanden werden. Seit die Volksrepublik, die Japan ökonomisch überholte und zur zweiten Wirtschaftsmacht der Welt aufstieg, im Begriff ist, selbst den USA in historisch kurzer Frist den ersten Rang streitig zu machen, liegen im Weißen Haus die Nerven blank. Das hat zu so unsinnigen Propagandablasen wie der an den Haaren herbeigezogenen Behauptung geführt, die ausschließlich auf Verteidigung eingestellte Armee der neuen ökonomischen Großmacht sei zu einer potentiellen Bedrohung nicht nur für ihre asiatischen Nachbarstaaten geworden, sondern gefährde auch "vitale Interessen der USA im pazifischen Raum", was "entsprechende Vorkehrungen" erforderlich mache.

Die bereits beachtliche und in raschem Tempo aufgestockte Militärpräsenz der USA in der China umgebenden Region wird zügig weiter ausgebaut.

Inzwischen "beherbergt" Japan die mächtigsten und am besten bestückten Flottenverbände der U.S. Navy. Auf den Philippinen, in Südkorea, Malaysia, Thailand, Singapur, den Marshallinseln, Guam und Diego Garcia unterhält das Pentagon im Zuge der strategischen Einkreisung Chinas Stützpunkte seiner jederzeit einsatzbereiten Air Force. Die unlängst verkündete Kürzung von Militärausgaben betrifft die genannte Region nicht.

Im australischen Darwin sind derzeit 2500 Angehörige des Elitekorps der U.S. Marines stationiert. Außerdem operiert auf dem fünften Kontinent ein Kommunikationszentrum für kernwaffentragende U-Boote der Vereinigten Staaten. Nach Obamas Australien-Visite im vergangenen Jahr erhält das Pentagon noch direkteren Zugang zur militärischen Infrastruktur des Landes. Mehr gemeinsame Manöver beider Streitkräfte und eine wesentliche Steigerung der Waffenlieferungen aus US-Rüstungskonzernen wurden mit Canberra vereinbart.

Der Regierung Neuseelands, die nach Behauptungen westlicher Medien über den sich angeblich verstärkenden Einfluß Chinas auf die Fidschiinseln beunruhigt sein soll, wurde vor allem ein engeres Zusammenwirken mit den US-Seestreitkräften nahegelegt.

Die Obama-Administration hat Indien Kernwaffen und Raketenabwehrsysteme sowie Teile der US-"Sternenkriegs"-Technologie in Aussicht gestellt. Der Rüstungsgigant Boeing drängt Delhi zum Abschluß eines alle bisherigen Dimensionen sprengenden Vertrages über die Lieferung von Kampfflugzeugen, unbemannten Drohnen und anderen Hightech-Waffen. Gleichartige Angebote wurden Australien, Südkorea und Malaysia unterbreitet.

US-Außenministerin Hillary Clinton verkleidete ihre an Beijing adressierte Drohung im Zusammenhang mit kollidierenden Besitzansprüchen Chinas und Japans auf die Diaoyu-Inseln zwar diplomatisch, blieb aber in der Sache unmißverständlich: "Die Vereinigten Staaten haben ein nationales Interesse an der Freiheit der Schiffahrt und an ungehindertem rechtmäßigem Handel."

Prof. Robert Kaplan vom stockkonservativen Washingtoner "Zentrum für eine neue amerikanische Sicherheit" erklärte, die verstärkte US-Militärpräsenz in der indopazifischen Region solle der "Finnlandisierung" Vietnams, Malaysias und Singapurs durch China den Weg verlegen.

Unterdessen treiben die USA und deren NATO-Verbündete, allen voran die BRD, erheblichen propagandistischen und materiellen Aufwand, um Myanmar (Burma) - ein der Straße von Malacca gegenüber gelegenes wichtiges Nachbarland Chinas, das auch auf Grund seiner reichen Vorkommen an Erdöl, Erdgas, Kohle, Zink, Zinn, Blei, Kupfer und Edelsteinen die imperialistischen Mägen reizt - von seinem bisher neutralen Kurs abzudrängen und in die "westliche Front" einer präventiven Einkreisung der Volksrepublik einzureihen.

Auch Osttimor befindet sich im Visier des Pentagons. Dort entdeckte Öl- und Gaslagerstätten, vor allem aber der "Blick" des Landes auf die ständig von Tiefwasser-U-Booten der U.S. Navy passierte Straße von Vetar zwischen Pazifik und Indischem Ozean ließen die Verfechter des Konzepts "einer neuen Priorität" Besorgnis darüber kundtun, daß China derzeit zwei Kraftwerke in Osttimor errichtet und dessen kleine Armee mit Uniformen und Waffen beliefert. Auch hier will Washington "geeignete Schritte" in Erwägung ziehen.

All in a nutshell - alles in einer Nußschale, wie die Amerikaner zu sagen pflegen: Die neue US-Strategie zielt ganz unverblümt darauf ab, den Popanz einer angeblichen Bedrohung durch China noch stärker aufzublasen, um von der systematischen Umzingelung des unbeirrbar seinen Friedenskurs fortsetzenden bevölkerungsreichsten Staates der Erde durch immer neue imperialistische Stützpunkte abzulenken.

Washingtons Strategieexperten geht es nicht zuletzt darum, Beijings Kontrolle über die Schiffahrtswege im Südchinesischen Meer, auf denen rund 80 % der durch China importierten Energieträger - vor allem Öl aus Angola, Saudi-Arabien und Iran - transportiert werden, in Frage zu stellen.

Die Lüge von einer angeblichen Bedrohung - deutsche Imperialisten sprachen einst von der "gelben Gefahr" - ist durchsichtiger als Spinnweben, denn obwohl China seine Militärausgaben in legitimer Wahrnehmung nationaler Verteidigungsinteressen im Verlauf der letzten zehn Jahre vervierfachte, liegt es damit noch immer meilenweit hinter den Rüstungsaufwendungen der USA zurück. Tatsächlich beträgt der chinesische Verteidigungshaushalt nicht mehr als ein Fünftel der im US-Budget für militärische Zwecke vorgesehenen Summe.

Die "neuen strategischen Prioritäten" des Pentagons zeigen einmal mehr die potentielle und reale Gefährdung des Weltfriedens durch USA und NATO. Sie lassen erkennen, wo Minenleger und Brandstifter zu suchen sind.

RF, gestützt auf "The Socialist Correspondent", Glasgow

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Auskünfte über Doi Moi
Vietnams KP-Generalsekretär besuchte erneut das revolutionäre Kuba

Kubas kommunistische Tageszeitung "Granma" berichtete im Mai ausführlich über den jüngsten Besuch des Generalsekretärs der KP Vietnams, Nguyen Phu Trong, der bereits 2010 in der sozialistischen Inselrepublik geweilt hatte. Kurz bevor er dem Blatt ein ausführliches Interview vor allem zu dem 1986 von Hanoi beschlossenen Kurs der Erneuerung (Doi Moi) gewährte, hatte er ein fast zweistündiges Gespräch mit Fidel Castro, das ganz ohne Protokoll verlief.

Die Zusammenkunft mit dem Führer der kubanischen Revolution, der einen viel gesünderen Eindruck als vor zwei Jahren auf ihn gemacht habe, sei überaus herzlich verlaufen, bekundete der vietnamesische Gast. Beide Politiker hätten "wie Brüder, die in einem Haus wohnen", miteinander gesprochen. "Fidel hielt mehrere Minuten lang meine Hände und drückte seine Freude über unsere zweite Begegnung aus", berichtete Nguyen Phu Trong. "Wir Vietnamesen empfinden große Achtung für ihn und sein Volk." Fidel habe sich bei der Begegnung auch an seinen Freundschaftsbesuch in Vietnam im Jahre 1973 erinnert, als er kurz nach dem Sieg über die US-Aggressoren dort stürmisch willkommen geheißen worden war.

Vietnams KP-Generalsekretär, der während seines diesjährigen Aufenthalts auf der Insel der Freiheit u. a. einen Vortrag an der Parteihochschule der KP Kubas gehalten hatte, ging in dem "Granma"-Interview auf Inhalte und Ergebnisse des nun bereits seit zweieinhalb Jahrzehnten von den Hanoier Genossen verfolgten Doi-Moi-Kurses ein. Viele Freunde Vietnams hegten seit damals Befürchtungen, mit ihrer "Politik der Erneuerung" könne es zu einem Abdriften der KPV vom sozialistischen Weg kommen. Tatsächlich hätten jedoch "die gesammelten eigenen Erfahrungen - verbunden mit den theoretischen und wissenschaftlichen Argumenten des Marxismus-Leninismus und dem Gedankengut Ho Chi Minhs" - in Hanoi die Erkenntnis vertieft, daß nur der Sozialismus nationale Unabhängigkeit, Wohlstand und Glück des vietnamesischen Volkes sichern könne.

Unter der Leitung der KPV seien "wirtschaftliche Transformationen dem historischen Kontext und den konkreten Bedürfnissen des Landes" angepaßt worden, ohne dabei die politische Stabilität aufs Spiel zu setzen. Die vietnamesischen Kommunisten ließen sich davon leiten, "daß der Übergang zum Sozialismus als ein langwieriges, schwieriges und kompliziertes Werk" betrachtet werden müsse.

Obwohl seit 1980/81 den Bauern Land zur individuellen Bewirtschaftung übergeben worden sei, habe erst der VI. Parteitag der KPV im Jahre 1986 das entsprechende Verfahren vollends ausgestaltet. Wenn Vietnam heute bei Reis einen durchschnittlichen Jahresertrag von 47 Millionen Tonnen erziele, dann stünden dahinter enorme Anstrengungen der ländlichen Bevölkerung. Noch bis 1989 sei man gezwungen gewesen, dieses Grundnahrungsmittel zu importieren. Erst in jenem Jahr habe erstmals die Möglichkeit bestanden, eine Million Tonnen Reis auszuführen.

Das Fazit seiner komplexen Darstellung der historischen und aktuellen Situation Vietnams ziehend, versicherte Nguyen Phu Tong der "Granma": "Wir befolgen das Vermächtnis unserer Vorkämpfer und verbinden es mit dem Marxismus-Leninismus."

RF, gestützt auf "Granma Internacional", Havanna

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Völkermord in Südostasien
Die Agent-Orange-Profiteure sind Kriegsverbrecher im Sinne von Nürnberg

Vor 51 Jahren brachten die US-Aggressoren in dem durch sie entfesselten Vietnamkrieg erstmals die sogenannte Entlaubungs-Chemikalie Agent Orange zum Einsatz. Als Vorwand diente ihnen die Behauptung, das undurchsichtige Blätterdach des Dschungels müsse fallen, um die Bewegungen der in seinem Schutz operierenden Kämpfer der Vietnamesischen Befreiungsarmee besser erkennen zu können.

Innerhalb von zehn Jahren wurden 80 Millionen Liter dieses hochkonzentrierten Giftstoffes nicht nur über Wäldern, sondern auch über dichtbesiedelten Ortschaften, oftmals mehrfach, versprüht, wobei Tausende Menschen getötet, Ernten zerstört und wertvolle Tierbestände nahezu ausgerottet wurden. Der Terror sollte Hungersnöte herbeiführen.

Agent Orange drang zwangsläufig in die menschliche Nahrungskette ein. Das hatte zur Folge, daß unzählige Kinder verkrüppelt und entstellt zur Welt kamen.

Im Tu-Du-Hospital des vietnamesischen Friedensdorfes werden einige der noch in der vierten Generation total deformierten Opfer der mörderischen Chemikalie rund um die Uhr betreut.

Heute leiden 4 Millionen Vietnamesen unter den Folgen dieses alle Dimensionen sprengenden gigantischen US-Völkermordverbrechens, dessen Verantwortliche und Profiteure 1946 in Nürnberg gehenkt worden wären. Das dort zusammengetretene Tribunal der Alliierten der Antihitlerkoalition hatte von Nazi-Deutschland begangene Untaten solcher Art im Visier. Doch weder die Schuldigen im Weißen Haus und im Pentagon noch einer der Bosse der von Monsanto und Dow Chemical angeführten 36 US-Chemiekonzerne wurde jemals vor Gericht gestellt. Nicht einen Cent Schmerzensgeld oder Entschädigung zahlten sie den Verstümmelten oder den Angehörigen der Ermordeten.

Am 27. Juli werden in London auch die Paraolympischen Spiele eröffnet. Vor einem Jahr - im August 2011 - gab man offiziell bekannt, daß der Agent-Orange- und Napalm-Produzent Dow Chemical bis 2020 unter die offiziellen Sponsoren der Wettkämpfe eingereiht worden ist und überdies einen Vertrag erhalten hat, der den Konzerngiganten zur Aufstellung von 336 überdimensionalen Werbetafeln rund um das Olympiastadion berechtigt. Das ist eine infame Brüskierung des vietnamesischen Volkes, gleichfalls betroffener US-Kriegsveteranen und der demokratischen Weltöffentlichkeit.

RF, gestützt auf "The New Worker", London


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Demonstration in New York

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Der Faktor Fidel
Welches Gewicht das Format der Führer einer Revolution besitzt

Die in der antiimperialistischen Bewegung ihres Landes engagierten belgischen Autoren Katrien Demuynk und Mark Vandepitte haben eine hervorragende Dokumentation zum Verlauf der kubanischen Revolution und der herausragenden Rolle ihres historischen Führers vorgelegt. Die Leser erhalten einen tiefen Einblick in Ursachen, Wurzeln und Triebkräfte der "Bewegung des 26. Juli" und den damit weitgehend identischen politischen Reifeprozeß Fidel Castros. Sein korrekt geschildertes Wirken vermittelt eine exakte Vorstellung vom Persönlichkeitsformat Fidels, das in der Tat ein Garant für den siegreichen Kampf seiner Bewegung und seines Volkes gewesen ist. Daß der "Faktor Fidel" den Verlauf der Revolution und deren schließlichen Triumph ganz maßgeblich geprägt hat, dürfte wohl unbestritten sein. Meßbar ist das an seiner überragenden strategischen Kompetenz im gesamten Prozeß der Revolution und an seinem taktischen Können sowohl im bewaffneten Kampf als auch nach dem militärischen Sieg. Das zeigte sich 1961 bei der Zerschlagung der Invasion konterrevolutionärer Söldner in der Schweinebucht wie bei einer Reihe solidarischer Einsätze in verschiedenen afrikanischen Ländern. Fidel verfügt über die Gabe, Situationen komplex zu erfassen sowie entsprechende Konzepte zu entwerfen und durchzusetzen.

Diese Fähigkeiten entwickelten sich, wie von den Autoren unterstrichen wird, im Schoße historischer Gegebenheiten der kubanischen Gesellschaft. An dieser Stelle wäre, bei aller Wertschätzung Fidels, der geschichtlichen Wahrheit ein Hinweis darauf nähergekommen, daß nicht er die revolutionäre Entwicklung - besonders nach dem 10. März 1952 - bewirkt hat, sondern daß vielmehr die im Lande bestehende objektive Situation ihm und seinen engsten Mitstreitern entgegengekommen ist.

Die Formierung der patriotischen Kräfte erfolgte hauptsächlich in den 50er Jahren, einer Zeit rasch zunehmende politischer und sozialer Auseinandersetzungen in Kuba. Die an Kraft gewinnende Arbeiterbewegung begann sich zu formieren. Nach dem 2. Weltkrieg übten die zunächst noch progressiven US-Unions einen positiven Einfluß auf die kubanischen Gewerkschaften aus. Diese stellten sich immer häufiger an die Spitze der sozialen und politischen Bewegungen. Im Frühjahr 1952 demonstrierten in Havanna Massen von Arbeitern und Studenten mit Lohnforderungen, aber auch mit dem Verlangen nach Freilassung ihrer eingekerkerten Anführer. Diese Aktionen wurden blutig niedergeschlagen.

Der Batista-Putsch vom 10. März war ein solcher Scheitelpunkt der Repression. Anfang 1953 fanden in den östlichen Provinzen des Inselstaates machtvolle Streikaktionen statt, nachdem es bereits ab September 1952 in Matanzas und Las Villas zu anhaltenden Arbeitsniederlegungen gekommen war. Batista regierte in dieser angeheizten politischen Situation bereits mit Hilfe eines äußerst brutal durchgesetzten Ausnahmezustandes. An die Stelle der Nationalversammlung trat ein sogenannter Konstitutioneller Rat. Per Dekret verbot der Diktator alle politischen Parteien und demokratischen Organisationen.

Damals kam es zur Formierung starken Zulauf erhaltender Strömungen der bürgerlichen Intelligenz, die sich zunehmend national und patriotisch orientierte. Aus dem 1947 gegründeten und vor allem solche Kräfte repräsentierenden Partido del Pueblo Cubano (Kubanische Volkspartei) entwickelte sich der Partido Ortidoxo (Orthodoxe Partei), dessen aktives Mitglied Fidel Castro bis zu seiner Ausweisung nach Mexiko im Jahre 1956 war. Der Führer dieser Partei, Eduardo Chibas, ein glühender und von Castro hoch verehrter Patriot, erschoß sich während einer flammenden Ansprache mit dem Ruf auf den Lippen: "Kubanisches Volk, erwache!"

Die entstandene Situation setzte revolutionäre Taten zwingend auf die Tagesordnung.

Allerdings entspricht die Darstellung der beiden Autoren, daß die einzige marxistische Partei im Lande, die Sozialistische Volkspartei, keinen politischen Einfluß besessen habe, nicht den Tatsachen. Die PSP war an der Basis für damalige Verhältnisse recht gut verankert. Eine Schwächung trat dadurch ein, daß ihre Führer unter der Batista-Diktatur bei sachkundiger Anleitung durch entsprechende US-Organe physisch dezimiert oder ins Exil getrieben wurden. Die PSP-Basisorganisationen haben die Guerillabewegung jedoch aktiv unterstützt, während zwischen der Bewegung Fidels und der Parteispitze - vor allem in der Emigration - zeitweilig taktische Differenzen bestanden.

Von besonderem Gewicht für die Verdeutlichung des wahrhaft demokratischen Charakters der kubanischen Revolution und die Einschätzung der Persönlichkeit Fidel Castros sind die Kapitel 3 und 4 des hier besprochenen Buches. Mag sein, daß in Europa wenig über die Moral und Ethik, über den zutiefst humanistischen Geist der führenden kubanischen Persönlichkeiten und besonders Fidels geschrieben worden ist. Die Ethik José Martís hatte großen Einfluß auf die Geisteshaltung der Führer der kubanischen Revolution und bestimmte ganz maßgeblich deren Handeln.

Wenn man die Lebenserinnerungen Fidels oder dessen "Gespräche mit Ramonet" aufmerksam liest, wird man bemerken, daß es gerade diese Seiten sind, die auch in einer mit Gewalt verbundenen Revolution besondere Beachtung verdienen. Wie beispielsweise die gefangenen Soldaten der Batista-Armee oder andere Feinde des werktätigen Volkes von den aufständischen Kämpfern behandelt wurden, verdient Respekt. Diese moralische Größe beweist einmal mehr die Menschlichkeit des Sozialismus. Auch Raúl Castro äußerte sich gelegentlich dazu, wenn er auf Folterungen und andere Menschenrechtsverletzungen in den USA zu sprechen kam.

Die kapitalistische Propaganda hat nichts unversucht gelassen, den kubanischen Revolutionären Massenerschießungen und pauschale Racheakte anzudichten, um den "Protest der Weltöffentlichkeit" herauszufordern. Gerade deshalb sind die überzeugenden Aussagen des insgesamt sehr gelungenen und durchaus fundierten Werkes der beiden belgischen Autoren so wichtig.

Botschafter a. D. Heinz Langer, Berlin


Katrien Demuynk und Marc Vandepitte: Der Faktor Fidel. Ein politisches Zeugnis für Kuba und die Welt. Zambon-Verlag, Frankfurt/Main 2012, 214 S., 15 Euro

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Babelsberg: Lügenbrei oder Labsal?
Erst Hort der Goebbels-Propaganda, dann Film-Metropole der DDR

Im Potsdamer Stadtteil Babelsberg haben sich Zentren der deutschen Medienindustrie niedergelassen. Die technische Entwicklung der Kommunikationsmittel beeinflußte ihr Wachstum.

Als wohl älteste Institution dieser Art trat die Universum Film AG (UFA) schon am 18. Dezember 1917 auf den Plan. Sergei Eisenstein verdanken wir die Definition des Wortes Film: "Eine vollendete Synthese von Malerei und Drama oder Musik und Skulptur, von Architektur und Tanz, von Landschaft und Mensch oder von optischem Bild und gesprochenem Wort."

Das gesprochene Wort erlebte schon lange vor dem Film in Gestalt der Sprechmaschine seine Premiere. Später konstruierte Emile Berliner in Washington das Grammophon. In der Alten Jakobstraße von Berlin-Mitte produzierte die Schallplattenbranche dann im einstigen Central-Theater am laufenden Band Matrizen. Unter der Bestellnummer "Grammophon 67 466" konnten Kenner die Ouvertüre zum faschistischen Zeitgeist der "Vorsehung" erwerben: "Die Macht des Schicksals", eingespielt von Herbert von Karajan. Helge Roswaenge schmetterte die Arie "Dies Bildnis ist bezaubernd schön", Emmy Bettendorf sang das Lied Richard Wagners "Hochgewölbte Blätterkronen", während Zarah Leander fragte: "Kann denn Liebe Sünde sein?" Sie ahnte die Zukunft voraus: "Von der Pußta will ich träumen".

"Wer diese Platte besitzt, wird sie bald zu den meistgespielten zählen", warb die Münchener Zeitung "Funkschau" im Jahre 1939. Zur gleichen Zeit produzierten Ralph Maria Siegel Ohrwürmer wie "Ja der Chiantiwein" und "O mia bella Napoli", Michael Jary "Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern" und "Roter Mohn", den die chilenische Sängerin Rosita Serrano ebenso bekannt machte wie die Melodie "Es leuchten die Sterne". Marika Rökk sang und tanzte sich mit den Titeln von Peter Kreuder "Eine Insel aus Träumen geboren" und "Ich brauche keine Millionen" mehr und mehr in die Gunst des faschistischen Propagandaministers Joseph Goebbels.

Aber noch war eine technische Steigerung möglich. Das besorgten die Sender des Reichsrundfunks.

Frühzeitig erkannten die zum Zeitpunkt dieser Erfindung Regierenden in den einzelnen Ländern die enorme politische Sprengkraft der Neuheit.

Goebbels erklärte: "Unserer Propaganda lag eine klare Einsicht in die Psychologie der Masse zugrunde. Unsere Gegner appellierten an die Vernunft, lebten in dem Wahne, durch politische Erziehung die Masse urteilsreif und gegen unser Gift immun zu machen. Ich habe diese Illusion nie gehabt. Ich kannte den völligen Mangel an kritischem Geist in der Masse, der sie Widersprüche nicht sehen läßt. Ich wußte, daß die Masse dem Appell an Haß und nationale Ehre, an kurzschlüssige Tat und Begeisterung leichter folgt als dem Ruf nach Einsicht und Vernunft, daß sie durch Gewöhnung und Dressur zu allem zu bewegen ist, selbst zum Kriege, für den wir sie gewinnen mußten."

Am 1. Januar 1937 ermittelten die Faschisten die Rundfunkdichte im Deutschen Reich. Das Ergebnis: Auf jeweils 1000 Einwohner entfielen 122 Geräte.

Und der Film? 1941 resümierte Goebbels: "Die größten Filmkunstwerke aus den vergangenen zwei Jahren sind Ergebnisse von Auftragserteilungen der staatlichen Führungsinstanzen gewesen."

Viel zu wenige Deutsche brachten den Mut auf, sich dem System zu verweigern. Aufrechte Arbeiter, Studenten, Geistliche und Offiziere blieben eine unbedeutende Minderheit. Und unter den Filmschauspielern versagten neben Marlene Dietrich auch Lilli Palmer, Albert Bassermann, Elisabeth Bergner, Ernst Deutsch, Fritz Kortner und Conrad Veidt ein Mittun und emigrierten in die Vereinigten Staaten, während Heinrich Greif, Lotte Loebinger, Hans Klering und Gerhard Bienert in der Sowjetunion Zuflucht suchten.

Mit den willigen Vollstreckern im "Großdeutschen Reich" leistete sich die UFA kaum eine Drehpause. Die zwischen 1939 und 1941 gewählten Filmtitel folgten restlos den Vorgaben des Goebbels-Ministeriums: "Die barmherzige Lüge" mit Elisabeth Flickenschildt; "Die Reise nach Tilsit" mit Wolfgang Kieling; "Morgen werde ich verhaftet" mit Gisela Uhlen; "Das Ekel" mit Hans Moser; "Im Namen des Volkes" mit Eduard Winterstein; "Alarm auf Station" mit Gustav Fröhlich; "Quax der Bruchpilot", mit Harry Liedtke und Heinz Rühmann "Grenzfeuer" mit Attila Hörbiger; "Anschlag auf Baku" mit Willi Fritsch; "Stukas" mit Otto Eduard Hasse und "Sechs Tage Heimaturlaub" mit Gustav Fröhlich lagen voll auf dieser Linie.

Aber auch historische Persönlichkeiten lieferten Filmtitel: Robert Koch, Friedrich Schiller, Rembrandt, Ohm Krüger, Andreas Schlüter, Diesel, Bismarck und andere. In den Schiller- und Schlüterfilmen wirkte Heinrich George mit. Der Vater Götz Georges, der 1938 zum Intendanten des Berliner Schiller-Theaters ernannt wurde, pries überschwenglich seinen Gönner: "Ein Theater aufzubauen bedeutet im 3. Reich eigentlich gar keine Schwierigkeit. Das Reich, der Führer, hat uns die Schwierigkeiten hinweggeräumt, die es einmal gab. Heute ist eigentlich ein Bett vorbereitet, das bequem gemacht ist", erklärte dieser Erz-Nazi in einem Interview.

Verständlich, daß der talentierte Staatsschauspieler nur regimetreue Texte in seinem Haus lesen ließ, so aus dem gerade mit dem Literaturpreis der Reichshauptstadt geehrten Werk "Die Zaubergeige" eines Kurt Kluge.

Am 17. Mai 1946 wurde in Babelsberg die Deutsche Film-AG (DEFA) gegründet. Einige Jahre danach gab man eine mit der Vergangenheit scharf kontrastierende Zielsetzung bekannt. Auf dem Programm des deutschen Friedensstaates stand die "geistige Formung des Menschen der sozialistischen Gesellschaft und die Entwicklung der sozialistischen Nationalkultur". In unserem Gedächtnis haften unvergeßliche Werke des Filmschaffens der DDR, die im Kino und im Fernsehen gezeigt wurden. Das waren Babelsberger Trümpfe!

Seit 1989 sind wir in den Kapitalismus zurückgefallen. Die DDR wurde annektiert. So erscheint die oben zitierte Vorstellung eines Joseph Goebbels fast wieder zeitgemäß, nach der die Massen "durch Gewöhnung und Dressur zu allem zu bewegen sind, selbst zum Kriege". Das Stillhalten allzu vieler angesichts des Mordfeldzugs in Afghanistan liefert dafür den aktuellsten Beweis.

Hans Horn (†)


"Alles Gute wünsche ich Euch allen." Diese Worte stellte unser am 10. April verstorbener langjähriger Autor noch am 21. Februar seinem Begleitschreiben zu diesem Beitrag voran. Wir gedenken unseres toten Mitstreiters mit Wärme.

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Pich vom Papst
Ratzingers Eichsfeld-Visite löste Touristenschwemme aus

Da gibt es im Eichsfeld seit dem vergangenen Jahr ein kleines Kirchlein, das der Bajuware Benedikt alias Ratzinger bei seiner Visite ansteuerte. Die einsame Strecke zwischen Steinbach und Hundeshagen wurde eigens zu einer Wallfahrtsautobahn umgebaut. Hier zog der Papst steif winkend zwischen frenetisch jubelnden Gläubigen seine große Show ab.

Der Sage nach soll genau an dieser Stelle einstmals ein Dorf gestanden haben, von dessen Einwohnern es heißt, sie seien schon immer sehr fromm gewesen. Doch Kriegs- und Kirchensteuern setzten dem frohen Leben ein Ende: Wer nicht zahlen wollte, wurde von den Rittern einfach plattgemacht. So verschwanden die wenigen Häuser mit einem Streich und durch viel Feuer. Doch heute ist die örtliche CDU über die Tat ihrer Vorgänger, die vielleicht mit göttlicher Fügung verbunden war, von Herzen froh: Denn nach der grausamen DDR-Zeit konnte dort endlich der Heiland erscheinen - in Gestalt seines irdischen Stellvertreters, des Herrn Ratzinger.

Wie Chroniken zu entnehmen ist, wurde die Kirche im 16. Jahrhundert von der Bevölkerung als Zuflucht vor der Pestepidemie genutzt. Jetzt soll die Seuche ja in abgewandelter Form wiederkommen. Man nennt sie heute Touristenschwemme. Alle, die dort erscheinen, sollen - vertraut man den Markt-, Kneipen- und Toilettenbesitzern - auf den Spuren des großen Guru wandeln und vor dem Essen in den örtlichen Lokalitäten die inzwischen zubetonierten Flächen, auf denen er stand, inbrünstig küssen. Bis zum Erscheinen des Papstes stritt man sich in den kleinen Dörfern des Landstrichs allerdings darum, wem dieses aus gebrannten und geweihten Steinen errichtete Gebäude in Etzelsbach eigentlich nicht gehöre. Denn der Eigner mußte täglich die Toiletten entleeren, welche von den Wallfahrern im Übermaß frequentiert werden.

Doch seit Ratzingers gesalbtem Gang bewegt sich der Streit in eine andere Richtung: Plötzlich wollen alle die Felder und Wiesen der Umgebung einzäunen und bei den Gläubigen kräftig Eintritt kassieren. Es geht um den Bau überdimensionaler Gasthäuser, besonders aber um das heilkräftige Wasser, das unweit der Schweinemastanlage entdeckt worden ist. Da winken lukrative Geschäfte.

Bauer Kaff bringt es auf den Punkt: "Endlich wieder Pich schibbern." Auf hochdeutsch: Kasse machen.

Doch wie das in Thüringen nun mal so ist, verdienen eher die "Usswärtchen" die "Pich". Die Eichsfelder sind Kummer gewohnt. Schließlich stammt Herr Althaus von dort!

Um sie auf andere Gedanken zu bringen, sei ihnen und allen anderen Alphabeten das Büchlein "Ist da oben jemand?" empfohlen. Hier hat sich Peter Köhler - schon lange auf Nonsensliteratur abonniert - mit der Schöpfung und dem irdischen Bodenpersonal des Herrn auseinandergesetzt. Da gibt es Gags über Päpste, Pastoren und fromme Büßer zuhauf. Sündige, Heilige, vor allem aber Scheinheilige bekommen statt verdünnten Weihwassers ihr Fett ab. Da schließt die Kirche wegen kirchlicher Feiertage, Mao setzt die Revolution an der Himmelspforte in Gang, und Moses verbreitet schlechte Nachrichten. Neben wenigen müden Späßen stößt man auf recht ungehörige Witze, welche gläubige Leser schnell ein Kreuz schlagen lassen. Kabarettisten und Büttenredner werden sich aus dieser Truhe gewiß gern bedienen und anschließend feiern lassen.

Ein Beispiel: Der Chef von ThyssenKrupp kommt in die Hölle. Wenige Tage später klopft der Teufel bei Petrus an: "Könnt ihr den nicht übernehmen? Er hat bei mir schon zehn Öfen stillgelegt!"

Thomas Behlert


Peter Köhler (Hrsg.). Ist da oben jemand?
Göttliche Witze. Eulenspiegel-Verlag, Berlin
2012, 96 Seiten, 5,95 Euro, ISBN 978-3-359-02341-8

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Jojos grausige Entdeckung

Es bereitet stets Vergnügen, einen guten Kriminalroman zu lesen. Schwieriger erscheint es mir jedoch, ihn zu rezensieren. Natürlich möchte man den Lesern im Rahmen des Möglichen den Handlungsbogen vermitteln, ohne Gefahr zu laufen, ihm die Suche nach dem Täter allzu leicht zu machen.

Zunächst etwas über den Autor Hans Dölzer, den viele aus unserem "RotFuchs"-Kessel bereits als Verfasser interessanter Zuschriften kennen. Da der Autor von einem "halbautobiographischen Roman" spricht, kann man wohl davon ausgehen, daß er selbst ein engagierter Motorradkenner und -fahrer ist. Jahrgang 1955 und aufgewachsen in Nordhessen, war Dölzer schon in manchen Sätteln zu Hause. Er arbeitete u. a. als Buchbinder, Taxichauffeur, Grafiker und Busfahrer. Heute ist er Journalist und Schriftsteller. Nicht zuletzt verfaßt er auch Technik- und Reiseberichte rund um das Motorrad. Als der Verlag Beltz & Gelberg von dessen Eigentümern in die Insolvenz getrieben wurde, setzte sich Dölzer für die Beschäftigten ein und schrieb: "Wenn Sie weiter gute Bücher lesen wollen, bitten wir Sie: Fordern Sie, daß diese auch zu fairen Bedingungen gedruckt werden."

Eine solche Haltung vertritt auch der Hauptheld seines Motorrad-Krimis, der einen in Biker-Kreisen üblichen Titel trägt: "Kurbelwellen weinen nicht".

Jonas Jordan, von Kindheit an Jojo genannt und in Heidelberg wohnhaft, ist aus Leidenschaft Motorrad-Journalist. Sohn eines bereits verstorbenen weltoffenen Pfarrers, macht er in seiner alten nordhessischen Heimat eine grausige Entdeckung: Im kleinen Ort Spangenberg werden auf dem Boden der dortigen Kirche sieben große, relativ neue Kisten mit Totenschädeln und Menschenknochen gefunden.

Natürlich interessiert sich auch der Klerus für diese und schickt die Kirchenhistorikerin Beate Aschenbrenner an den Ort der Handlung, nachdem ein Gerichtsmediziner festgestellt hat: "Alle Skelette sind mehr als dreihundert Jahre alt - bis auf eines."

Nun beginnt eine spannende Suche nach der Identität des Täters wie des Opfers. Dabei wird Beate Aschenbrenner von ihren Kirchenoberen zurückgepfiffen und in einen üblen Unfall verwickelt. Der helfende Kriminalkommissar aus Frankfurt ist mit anderen Fällen überlastet, und Jojo stößt überall auf Gegenwehr oder drohende Gefahren. Er muß sich wehren, für eine ihm angebotene hohe Summe den Fall so aussehen zu lassen, als ob das verschwundene Mädchen an der Grenze zur DDR von der "Stasi" entführt worden sei.

Der besondere Anspruch des Krimis von Hans Dölzer besteht in seiner keinesfalls zu überlesenden kritischen Haltung zur Kirchenhierarchie und zum imperialistischen deutschen Staat, der inzwischen neue Kriege führt. Sie kontrastiert scharf mit seiner unverhohlenen Sympathie für die DDR. Das ganze Buch ist so unaufdringlich geschrieben, daß der Leser daran seine Freude hat.

Es ist dem Highlights-Verlag aus Euskirchen, der für seine ausgesprochen sachkundige Literatur rund um das Motorrad bekannt ist, zu danken, daß er auch Hans Dölzers Titel herausgebracht hat.

Er wie auch das Buchhaus sprechen betont von Jojos "erstem Fall". Dies läßt auf weitere spannende, vielschichtige und gesellschaftskritische Motorrad-Krimis aus der Feder dieses Autors hoffen.

Konstantin Brandt

Hans Dölzer: Kurbelwellen weinen nicht.
Highlights-Verlag, Euskirchen 2012, 9,90
Euro, ISBN 978-3-933-38565-9

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Eva Strittmatters Poesie berührte Lebensrätsel

Leben und Schreiben geht nicht zusammen - setze ich mich zum Schreiben hin, verzichte ich auf Bewegung, auf Leben", bekannte Eva Strittmatter. Als eine schwere Bürde erwies sich jahrzehntelang ihr riesiger täglicher Pflichtenkreis: Familie, Haushalt, Wirtschaft, geladene wie ungeladene Gäste, eine anwachsende Korrespondenz sowie die Arbeit mit und für Erwin Strittmatter. 1971 äußerte die Dichterin: "Nach dem Studium habe ich als Kritikerin und Lektorin gearbeitet, bis vor zehn Jahren der Unwille über diese Arbeit immer stärker wurde und plötzlich, unerwartet und ungewollt, sich Gedichte einstellten. Vielleicht nicht ganz unvorbereitet, ich hatte vorher zwei Kinderbücher geschrieben ..." Diese legte sie Ende der 50er Jahre vor: "Brüderchen Vierbein" und "Vom Kater, der ein Mensch sein sollte".

In den Auskünften zum Dokumentarfilm "Ich sehe, was ich sehe" offenbarte sie: "Ich habe erste Gedichte und eine Art poetische Prosa geschrieben, als ich zwölf war. Das ging über mehrere Jahre." Ihr Debüt gab sie 1973 mit dem Band "Ich mach ein Lied aus Stille", in dem sie sich lyrischphilosophischen Betrachtungen widmete.

Hieraus vertonte der österreichische Komponist Helmut Eder sieben Gedichte. Den Liederzyklus präsentierte Peter Schreier 1987 in der Dresdner Semperoper. Auch Manfred Schmitz vertonte etliche ihrer Gedichte.

Dem ersten Lyrikband folgten: "Ich schwing mich auf die Schaukel" (1974), "Ich wart auf dich im Abendwind" (1974), "Mondschnee liegt auf der Wiese" (1975), "Die eine Rose überwältigt alles" (1977), "Zwiegespräch" (1980), "Heliotrop" (1983) und "Atem" (1988). Der Band "Poesie und andere Nebendinge" (1983) enthielt Texte aus den Jahren 1971 bis 1980 über Anton Tschechow, Wassili Below, Bella Chagall, Puschkins Prosa u. a. In diesen Aussagen zur Poesie als Lebenshaltung traf sie die Feststellung: "Wer Gedichte schreibt, hat wohl ein besonders ausgeprägtes Harmoniebedürfnis."

Ihr Prosabuch "Mai in Piest'any" (1987) beschränkte sich nicht auf einen Bericht über jenen berühmten Kurort, den die Strittmatters zehn Jahre lang aufsuchten. Für die Autorin war er eine Stätte des Freiseins von einem weiten Pflichtenkreis und Anlaß, vieles in der Welt genauer zu betrachten und zu bedenken. 1990 - im Jahr ihres 60. Geburtstages - präsentierte sie ausgewählte Gedichte mit dem Titel "Unterm wechselnden Licht" mit Aquarellen von Marianne Gabor und den Band "Die heimliche Freiheit der Einsamkeit".

In ihrer Poesie, die schlicht wie Volkslieder ist, berührte Eva Strittmatter drängende Fragen um Leben und Tod, Einsamkeit und Gemeinsamkeit, aber auch die Verantwortung füreinander. Die Stärke ihrer Gedichte gewann sie immer wieder aus ihrer engen Beziehung zur Natur, die sie in ihre Selbstanalysen einbezog. Ein Rezensent sah die große Popularität ihrer Poesie "nicht nur in der Direktheit und Verständlichkeit der Sprache, sondern ebenso in der Tiefe der Sicht und der Lebenserfahrungen". Die Lyrik war für Eva Strittmatter ein Lebenselixier, das gedrückte Stimmung hob und allzu große Euphorie dämpfte. So bildet ihre Dichtung einen Schlüssel zur Wirklichkeit, da sie das auszudrücken vermochte, was jeder Mensch fühlt, erahnt, ohne es jedoch selbst in Worte fassen zu können. Sie gab eigene Hoffnungen, Empfindungen und Erfahrungen preis, machte dem Leser Angebote, sich darin wiederzufinden. Sie apostrophierte: "Schreiben ist MEINE Form von SEIN."

Eva Strittmatters drei Bände "Briefe aus Schulzenhof" (1977, 1990 und 1995) gewähren unmittelbare Einblicke in ihr liebevolles Verhalten gegenüber Ratsuchenden sowie in ihre Kunst- und Literaturrezeption, nicht zuletzt auch in den Schulzenhofer Alltag. Ein Schriftsteller-Paar wurde so in einer Vielzahl von Situationen erkennbar, auch in bezug auf seine Lebenskonzepte und Schaffensprobleme, Höhen und Tiefen, ohne Alltagsquerelen auszublenden. Die Briefbände bilden mehr als ein Kompendium Lebensäußerungen aus einer doppelten Literaten-Werkstatt. Aus ihnen ließen sich Haltung, Weltsicht und poetische Bekenntnisse ableiten. Eine Auswahl nachdenklich-heiterer Gedichte Eva Strittmatters "Unter wechselndem Licht" (1990) versah Maria Gabor mit federleichten Aquarellen. 1997 erschien der Band "Der Schöne (Obsession)".

Im neuen Jahrtausend beglückte Eva Strittmatter ihre beachtliche Lesergemeinde nicht nur mit "Rundbriefen", sondern auch mit dem Lyrikband "Liebe und Haß. Die geheimen Gedichte 1970-1990" (2000). An die "Obsession" in "Der Schöne" knüpfte sie in "Der Winter nach der schlimmen Liebe" (2005) an und setzte sie thematisch fort. Es folgten "Landschaft" (2006, mit 27 themabezogenen Gedichten und Bildern von Gerhard Lampa), "Seele seltsames Gewächs" (2009, mit sieben farbigen Bildern von Linde Kauert) und "Wildbirnenbaum" (2009, mit 119 unveröffentlichten Gedichten). 2002 vermittelte Eva Strittmatter auf der Doppel-CD von ihr selbst vorgetragene "Gedichte und Selbstauskünfte". Mehrfach erschienen Sammelbände mit Texten beider Strittmatters wie "Du liebes Grün. Ein Garten- und Jahreszeitenbuch" (2000) und "Landschaft aus Wasser, Wacholder und Stein" (2005).

Eva Strittmatters poetische und philosophische Zwiesprache mit sich selbst, der Natur und der Umwelt berührt heutige Lebensrätsel, Hoffnungen und Träume, Bedrängnisse und Besorgnisse auf sensible und unaufdringliche, aber nachhaltige Weise. Die breite Resonanz ihrer Dichtung ist einerseits im direkten Ansprechen von Erlebtem und Empfundenem zu sehen, andererseits in ihrer Aufrichtigkeit und schlichten melodiös-lyrischen Ausdrucksweise.

Irmtraud Gutschke legte 2008 ihr Buch "Eva Strittmatter. Leib und Leben" vor, das die Frucht eines längeren Dialogs in Schulzenhof war. Die packende Lebens- und Schaffensgeschichte der Dichterin hält ihre große Leserschaft auch heute gefangen.

Dieter Fechner

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Cornelias kleine große DDR (8)
Vom ganz normalen Aufwachsen und Leben im Sozialismus

Beim Rat des Bezirks Frankfurt (Oder) kam ich in das junge Kollektiv der Abteilung Preise. Hier lernte ich von der Pieke auf, wie diese gemacht werden. Unsere Chefin legte großen Wert darauf, daß sich ihre Mitarbeiter weiterqualifizierten. Gleich zu Beginn nahm ich ein Sonderstudium (Staat und Recht) auf. Das bedeutete einen Tag pro Woche Unterricht, außerdem einen Studientag, überdies sechsmal im Jahr eine zusammenhängende Woche in der Fachschule.

Nach anderthalb Jahren war es geschafft. Nun durften wir uns Staatswissenschaftler nennen. Man riet mir, das Studium an der Hochschule fortzusetzen, doch drei weitere Jahre waren mir einfach zu viel. Wie sich später herausstellen sollte, hatte ich die richtige Entscheidung getroffen, denn jene, welche im Zuge der Konterrevolution 1989/90 an die Macht gelangten, erkannten die DDR-Hochschulabschlüsse auf diesem Fachgebiet nicht an.

Während des Studiums hatte ich mich rundum wohlgefühlt. Erstaunt war ich, als unter meinem Deutsch-Aufsatz eine Eins stand. Mir erschien es unwahrscheinlich, daß ich tatsächlich nur zwei Kommafehler gemacht haben sollte. Das war mir zuvor noch nie gelungen.

Als ich das Zeugnis überreicht bekam, wußte ich bereits, daß ein von mir gewolltes drittes Kind unterwegs war. Mein Mann zeigte sich nicht sonderlich begeistert, meine Eltern schon gar nicht. Doch die von der DDR-Regierung eingeleiteten sozialpolitischen Maßnahmen begünstigten Nachwuchs. Wir waren alle gesund, und vor allem hoffte ich - ehrlich gesagt - doch noch auf ein Mädchen.

Bald wurde in unserer Abteilung eine Sachbearbeiterstelle für Preise frei, und ich konnte nun voll in dieses Gebiet einsteigen. Die Preisbildung sagte mir zu. In dieser Tätigkeit hatte ich Umgang mit vielen Menschen, die sich mit Handel und Versorgung, Land- und Lebensmittelwirtschaft, zusätzlicher Konsumgüterproduktion und der Herstellung von Hobby-Erzeugnissen befaßten. Preiskontrollen im Handel und Handwerk sowie die Betreuung der Kreise unseres Bezirks auf diesem Gebiet waren nun mein tägliches Brot. Hinzu kamen Berichte an das Berliner Amt für Preise.

Unsere Chefin wollte aus mir einen Vollprofi im Staatsapparat machen. Sie war zugleich der festen Überzeugung, daß mich die erworbene Berufsbezeichnung Hochbauzeichner in die Arbeiterklasse eingliedere, so daß ich nun mit Gewißheit in die Partei aufgenommen würde. Wir waren beide enttäuscht, als der "Apparat" abermals eine abschlägige Entscheidung traf. Besonders ärgerte ich mich darüber, daß mir eine von Karrieregedanken getriebene "Genossin" aus der eigenen Abteilung auf den Kopf zusagte, ich könne mich anstrengen, wie ich wolle, ohne Parteibuch würde ich es lediglich bis zur stellvertretenden Bereichsleiterin bringen. Im Januar 1983, an Lenins Todestag, kam mein dritter Sohn zur Welt. Vielleicht war es gut so, weil ein Mädchen als Nesthäkchen sicher sehr verwöhnt worden wäre.

Solange unsere Chefin im Amt war, verstand sie es, uns die Preispolitik als ein Instrument des Klassenkampfes zu vermitteln. Das tat sie z. B., wenn sie über die Rolle von Subventionen bei Brot, Milch und anderen Erzeugnissen sprach, bei denen der Staat mächtig zuschießen mußte.

Als wir dann eine neue Abteilungsleiterin - eine menschlich hervorragende Kollegin - bekamen, erhielt die Argumentation immer öfter einen faden Beigeschmack. Ich verstand nicht, warum wir den Bürgern der DDR die Wahrheit vorenthielten, statt ihr Vertrauen durch größere Offenheit zu gewinnen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, den Sinn der nun zu leistenden Arbeit nicht mehr zu begreifen, da ich meinen Klassenstandpunkt immer weniger darin wiederfand. Obwohl mir die Entscheidung wegzugehen schwerfiel, verließ ich die Abteilung.

Im März des für den Sozialismus in der DDR schicksalhaften Jahres 1989 nahm ich eine neue Tätigkeit bei der Frankfurter Gebäudewirtschaft als Leiterin ihrer größten Wohnungsverwaltung auf. Das war eine echte Herausforderung. Immerhin hatte ich in meinem Leben noch nie ein Kollektiv geleitet. Übrigens arbeitete mein Mann schon lange in diesem Betrieb. Er war dort zeitweilig BGL-Vorsitzender gewesen und wurde nach seinem Ökonomie-Fernstudium Kalkulator für Werterhaltung.

Ich selbst besaß zwar feste Vorstellungen von meiner Aufgabe, mußte aber zunächst einmal eingearbeitet werden. Mir ging es nicht darum, Druck nach unten auszuüben, sondern um ein möglichst festes Miteinander aller bemüht zu sein. Das haben meine Mitarbeiter bald wahrgenommen, und so wuchsen wir schnell zu einer wirklich guten Truppe zusammen. Wenn nur das bedrohliche Brodeln auf der Straße nicht gewesen wäre ...

Übrigens wurde ich am Ende doch noch als Kandidat in die Reihen der Partei aufgenommen. Damals verließen viele andere bereits fluchtartig die im Absturz befindliche SED. Meine Frauen konnten überhaupt nicht begreifen, warum mir die Zugehörigkeit zu ihr selbst jetzt noch wichtig war.

In jenen Wochen und Monaten tauchten nicht wenige 250prozentige "Genossen" plötzlich bei Veranstaltungen des Neuen Forums auf oder grölten bei Montagsdemos mit. Etliche unserer Mieter ließen ihre Wohnungen und ihre Republik im Stich und gingen in den Westen, während andere noch dringend auf ein neues Quartier warteten. Unsere Reparaturbrigaden waren plötzlich stark unterbesetzt.

In Berlin überschlugen sich die Ereignisse. Zu allem Unglück war ausgerechnet Günther Mittag vom erkrankten Generalsekretär mit der interimistischen Führung der Partei beauftragt worden. Nachdem Erich Honecker abgesetzt worden war, nahm Egon Krenz zwar seinen Platz ein, kam aber als neuer Mann an der Partei- und Staatsspitze kaum noch zum Zuge.

Als Schabowski dann "aus Versehen" die Grenzen öffnete, war mir zum Heulen. Ich fühlte mich wie weggeworfen.

Die Runden Tische ließen zwar anfangs Hoffnung aufkeimen, doch der rüde Umgangston auf der Straße und die "Invasion" aus dem Westen begruben alle Erwartungen. Gorbatschow sorgte endgültig für Klarheit: Wir wurden verraten und verkauft, unsere Lebensplanung in den Wind gesetzt.

Ich mußte an meinen Großvater und an meinen Vater - zwei treue Kommunisten - denken, die viele Entbehrungen auf sich genommen hatten. Sind dafür unsere Besten aufs Schafott gegangen?, fragte ich mich. Haben die Deutschen denn nichts aus ihrer Geschichte gelernt?

Die Massen strömten westwärts und waren sich nicht zu schade, nach ihnen zugeworfenen Bananen zu springen. Ich selbst fuhr widerwillig rüber, wurde aber die beklemmende Empfindung nicht los, die mich beim süffisanten Grinsen der einen und den verachtungsvollen Blicken anderer ergriff, während meine Kinder nach dem Glitzerpapier schielten.

Cornelia Noack, Beeskow

(Fortsetzung/Schluß folgt)

*

Archie über Wahrheit und Lüge

Archie war während seiner Kindheit, als junger Mann und später immer mal wieder mit Unwahrheiten konfrontiert worden. So hatte man ihm zum Beispiel während seines Slawistikstudiums Mitte der 50er Jahre einreden wollen, Wladimir Majakowski sei 1930 einer tückischen Kehlkopfkrankheit erlegen und hätte nicht den Freitod gewählt, wie es sich tatsächlich verhielt.

In Kindertagen hatte sich Archie bisweilen selbst mit "Zwecklügen" aus der Patsche zu helfen versucht, wenn er etwas unabsichtlich oder aus Trotz kaputtgemacht hatte. Dann setzte es Ohrfeigen fürs Schwindeln, weil die Wahrheit ohnehin ans Tageslicht gekommen war. Also bemühte er sich, möglichst bei dieser zu bleiben, aber Watschen bekam er dennoch.

Wer die Geschichte verdreht, bezieht gewissermaßen eine "historische" Tracht Prügel, allerdings oftmals erst später, während manche, die bei der Wahrheit zu bleiben vorziehen, sie sofort einstecken müssen.

So verhielt es sich auch mit Majakowski: Der Parteisekretär bei den Slawisten ohrfeigte Archie in aller Öffentlichkeit, indem er ihn der Kolportage antisowjetischer Erfindungen zum Ableben des Dichters beschuldigte. Damals wurde darüber gestritten, ob man sich in zugespitzen Situationen die volle Wahrheit leisten könne oder nicht. Diese Debatte findet ja bis auf den heutigen Tag ihre Fortsetzung. Muß man in jedem Falle sagen, wie es sich wirklich verhält - ob bequem oder unbequem -, zumal der wirkliche Sachverhalt doch irgendwann ans Tageslicht kommt.

Wenn Archie heute all die Lügen vernimmt, die von Medien und Politikern der BRD ohne Unterlaß über die DDR verbreitet werden, fragt er sich unwillkürlich: Warum kann es sich der mächtige Staat des deutschen Kapitals eigentlich nicht leisten, die Gesellschaftsordnung der DDR wahrheitsgemäß darzustellen? "Das ist eine gute Frage", antwortete ihm ein sich selbst zum linken Flügel der SPD rechnender Gesprächspartner. "Wir halten eben unsere Sicht auf die DDR für wahr." Archie fragte zurück: "Also ist Wahrheit nicht gleich Wahrheit?" Eine Antwort blieb aus.

In seiner sächsischen Oberschule war Archie bisweilen durch bürgerliche Mitschüler - Söhne von Ärzten oder Geschäftsleuten - zu Partys in die schönen Einfamilienhäuser ihrer Eltern eingeladen worden. Hinter verschlossenen Türen ließen dort die Väter seiner Schulkameraden ihrem Haß auf die "Russen" und "deren Stalin" freien Lauf. Der aus Schlesien stammende Habenichts erwiderte dann trotzig, ohne die "Russen" und Stalin wäre er wohl kaum auf die zuvor nur "Bessergestellten" vorbehaltene Goethe-Oberschule des Städtchens gekommen. Immerhin habe die Sowjetunion doch den Faschisten das Genick gebrochen.

Unterdessen werden von bourgeoisen und übergelaufenen Historikern auch im Osten geschichtliche Tatsachen "sehr differenziert" bewertet. Es gilt das Motto: Lüge, Lüge über alles in der Welt!

Archie hatte zu DDR-Zeiten u. a. als Lektor beim Henschelverlag ein paar Bände der Reihe "Internationale Dramatik" herausgegeben, auch Stücke aus dem Russischen übersetzt, so von Lunatscharski und Alexander Stein. Eines vom letztgenannten Autor hieß "Zwischen den Gewittern". Lenin denkt dort über die durch Menschewiki und Sozialrevolutionäre angestiftete Meuterei der Matrosen von Kronstadt nach und befindet sich in einer Zwickmühle: entweder die Revolution aufs Spiel zu setzen oder mit Waffengewalt gegen die rebellierenden Matrosen vorgehen zu lassen, noch ehe das Eis bricht. Der sowjetische Autor läßt Lenin in dieser ungewöhnlich zugespitzten schicksalsschweren Situation sagen: "Wenn wir nicht mit offenen Augen gegen alle Selbstbeweihräucherung die Wahrheit erkennen wollen, dann werden wir in der Blüte unserer Jahre im Schlamm des dummen Geschwätzes untergehen. ... Unsere Stärke ist die Wahrheit, die Wahrheit und nur die Wahrheit! Derzeit haben wir leider außer der Wahrheit nichts anderes in unseren Kornkammern." Alexander Stein verbürgte sich, daß diese Äußerung Lenins authentisch und in seinen Werken nachlesbar sei. Das ist schon lange her.

Nachdem Archie seiner Hausärztin, einer jungen Frau mit gutgehender Privatpraxis, einen Band seiner Geschichten überreicht hatte, ließ sie ihn wissen: "Alles gut und schön, Herr Einfalt, aber das Volk wollte diesen Sozialismus einfach nicht mehr. Deshalb sitzen Sie jetzt bei mir und nicht in einer staatlichen Arztpraxis der DDR."

Was konnte Archie in diesem Augenblick erwidern, zumal die Medizinerin es freundlich lächelnd und ohne einen Anflug von Häme gesagt hatte? Doch er empfand ihre Äußerung nicht zuletzt auch als eine ganz persönliche Niederlage. Überdies ist er der Meinung, daß sie wohl kaum das wahre Geschehen gänzlich wiedergab. War es tatsächlich "das Volk"?

Archie wird nicht müde, nach der Wahrheit zu suchen, sowohl in der Literatur als auch im Dialog mit anderen, selbst wenn sie oftmals recht bitter schmeckt.

Manfred Hocke

*

Leserbriefe an RotFuchs

Wir danken der "RotFuchs"-Redaktion dafür, daß sie uns diese glühende kommunistische Zeitschrift regelmäßig zukommen läßt. Sie behandelt eine breite Palette von Problemen, was angesichts der sich ständig vertiefenden Krise des Weltkapitalismus und des erbitterten Klassenkampfes auf allen Kontinenten von besonderer Bedeutung ist.

Der "RotFuchs" erweist sich als unermüdlicher Kämpfer für die großen Ideale des Humanismus, des Sozialismus und des Kommunismus.

Irma Kowaljowa, Vorsitzende des Koordinierungsrates der Überregionalen Gesellschaftlichen Organisation "Lenin und das Vaterland", Moskau


Vielen herzlichen Dank für die solidarische Unterstützung des RF-Kollektivs und anderer Genossen in Deutschland beim Kampf um die Wiederherstellung meiner Professorenrechte an der Universität Wroclaw. Leider sieht es damit nach wie vor recht düster aus. Unlängst erhielt ich ein offizielles Schreiben von der 2. Instanz des Ministeriums. Diese gab ihre volle Zustimmung zur erstinstanzlich gegen mich ergangenen Entscheidung. Ein Beweis dafür, daß die polnische Reaktion bei der Behinderung wissenschaftlicher Arbeit aufs Ganze geht. Dennoch kämpfen wir weiter. Euch allen eine Umarmung.

Prof. Dr. Zbigniew Wiktor, Wroclaw


Als Sympathisant und bisheriger Wähler der Linkspartei betrachte ich deren Entwicklung mit Sorge. Unverkennbar sind ihre Wahlniederlagen in Berlin und im Westen der BRD sowie ihr sinkender Einfluß. Sie mutiert von einem Bund grundsätzlich Gleichgesinnter allmählich zu einer bürgerlichen Partei, in der sich verfeindete Gruppen unversöhnlich gegenüberstehen und sich karrieristische Interessen, Vorbehalte oder Machtgerangel in den Vordergrund schieben. Das schränkt ihre öffentliche Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit ganz wesentlich ein.

Die Menschen erwarten von der Linkspartei zu Recht praktische Hilfe in den Lebensfragen der Gesellschaft. Aber man darf die Vision einer grundsätzlich sozialistischen Zielstellung niemals aufgeben und muß stets deutlich machen, daß eine friedliche, glückliche Zukunft der Menschen letztlich nur durch die Überwindung des Kapitalismus möglich ist.

Wohin die Anpassungspolitik der "Reformer" führt, hat die Entwicklung von SPD und Grünen hinlänglich bewiesen. Beide sind heute integrale Bestandteile des kapitalistischen Systems.

Eberhard Kunz, Berlin


Am 22. Juni 1941 begann der Überfall auf die Sowjetunion. Ich war direkt dabei. Als Funker dem Pionierstoßtrupp Donieden zugeteilt, sprang ich als Zweiter vom Schlauchboot. Doch Donieden hatte noch nicht das Halteseil in Händen, so daß ich durch einen Rückstoß in den Bug fiel. Beinahe wäre ich so der erste "für Führer Volk und Vaterland Gefallene" (Ersoffene) gewesen. Nur mein ausgesprochen gutes Reaktionsvermögen bewahrte mich davor.

Die Faschisten hatten auch polnische Bauern mit Pferd und Wagen dienstverpflichtet. Sie wurden später in Kiew entlassen, waren mit Anzügen und Mänteln erschossener Juden "gut eingekleidet" worden. Ob sie wohl jemals ihre Heimat wiedergesehen haben?

Im April 1943 wurde ich in Orjol gefangengenommen und kehrte erst im September 1948 nach Deutschland zurück. Dort wurde ich ein engagierter Friedenskämpfer. Ein Provokateur verleitete mich dazu, Sprengkammern an einer Brücke zuzumauern. Dafür erhielt ich 21 Monate Gefängnis.

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Es lebe die bundesdeutsche freiheitlich-demokratische Grundordnung! Ich habe sie zur Genüge kennengelernt. Am 17. Juli werde ich 92.

Karl Persch, Vellmar

Der RF gratuliert aus diesem Anlaß von ganzem Herzen.


Lange durfte ich den Eifer und die Motivation meines am 10. April verstorbenen geliebten Großvaters Hans Horn zum Verfassen von Artikeln für den "RotFuchs" begleiten.

Ihre Zeitung lese ich regelmäßig und mit großem Interesse, was ich auch weiterhin tun werde. Ich wäre erfreut, wenn ich hin und wieder noch etwas Hinterlassenes von meinem Großvater in ihr entdecken könnte. Vielleicht kommt bald die Zeit, in der auch ich einen Artikel für den RF zu verfassen in der Lage bin. Bis dahin überlasse ich das Schreiben gerne anderen. Heißt es doch: Erst viel lesen - dann schreiben!

Der im März erschienene Beitrag "Goethes Frauen" gehörte zu den letzten Artikeln, an denen mein Großvater gearbeitet hat. So möchte auch ich meinen Brief mit Goethe zugeschriebenen Zeilen beenden.

Eines Morgens wachst du nicht mehr auf.
Die Vögel aber singen, wie sie gestern sangen.
Nichts ändert diesen Tageslauf.
Nur du bist fortgegangen.
Du bist nun frei, und unsere Tränen wünschen dir Glück.

Kristina Fritz, Berlin


Ich möchte darauf hinweisen, daß die 2010 in Frankfurt am Main gegründete Ettie-und-Peter-Gingold-Erinnerungsinitiative im Mai einen 34minütigen Dokumentarfilm "Zeit für Zeugen" auf DVD herausgebracht hat. Er erinnert an das Lebenswerk der beiden Gingolds, die als junge Menschen während der Besetzung Frankreichs durch die faschistischen deutschen Truppen in der Résistance kämpften und 1944 an der Befreiung von Paris teilnahmen. Sie blieben ihr Leben lang als Kommunisten und Antifaschisten in der BRD aktiv, traten vor Schulklassen und Jugendgruppen sowie bei Demonstrationen und Kundgebungen auf. Peter Gingold verstarb 2006 im Alter von 90 Jahren.

Der Film berichtet von den wichtigsten Lebensstationen der beiden Widerstandshelden und präsentiert Interviews mit ihnen sowie historische Aufnahmen und Gespräche mit 24 Weggefährten. Er kann zum Preis von 7,50 Euro (plus Versandkosten) über folgende Homepage bestellt werden: www.gingold-initiative.de. Postalisch ist sie bei mir (PF 1205, 55002 Mainz) zu ordern.

Mathias Meyers, Mainz


Unlängst machte ich mich mit Erich Honeckers Margot gewidmeten "Letzten Aufzeichnungen" vertraut. Zum ersten Mal habe ich ein Buch an einem Tag und in einem Zug gelesen. Ich bin erschüttert, wie man mit ihm und anderen Genossen umgegangen ist. Die sich so gern als christlich bezeichnende Gesellschaft läßt keinen Funken Menschlichkeit walten. Ich war sehr beeindruckt, wie sich Erich Honecker trotz schwerster Erkrankung mit geradezu übermenschlicher Charakterstärke verteidigt hat. Er wies alle Vorwürfe der Justiz seiner Klassenfeinde zurück. Wie er sich um Margot sorgte, berührt bei der Lektüre schon sehr. Ich empfehle allen, dieses erschütternde Buch zu lesen.

Liesel Bauer, Dormagen


Sehr erfreut war ich, daß Dieter Fechner im RF 171 Erich Weinerts gedacht hat. Ich möchte eine mir wichtig erscheinende Episode hinzufügen. Nach dem Machtantritt der Faschisten lebte Weinert zeitweilig in Frankreich. Für den Januar 1935 war an der Saar eine Volksabstimmung darüber anberaumt worden, ob der Status quo für diese in der Obhut des Völkerbundes befindliche Region beibehalten oder ob sie an Nazideutschland angeschlossen werden sollte.

Die Gegner des Anschlusses, soweit sie aus KPD und SPD stammten, hatten sich zu einer Volksfront für den Status quo zusammengeschlossen. Damals wohnte Erich Weinert mit seiner Familie in der grenznahen französischen Kleinstadt St. Avold. Von hier aus unterstützte er die Volksfront auf vielen Veranstaltungen. Wir - sechs Jungkommunisten, angeführt von Werner Steinbrink, der 1942 durch die Faschisten wegen seiner Teilnahme am Brandanschlag der Herbert-Baum-Gruppe auf die Nazihetzausstellung "Das Sowjetparadies" im Berliner Lustgarten zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde - besuchten Weinert in St. Avold. Er war voller Hoffnung im Hinblick auf den Ausgang der Volksabstimmung, hatte doch die Mordaktion Hitlers und Himmlers, die am 30. Juni die SA-Führung mit Röhm an der Spitze umbringen ließen, der Anti-Nazi-Stimmung großen Auftrieb gegeben. Leider hielt dieser nicht an. Im Januar 1935 unterstützte die Mehrheit der Saarländer den Anschluß an Hitlerdeutschland.

Dr. Kurt Gossweiler, Berlin


Noch eine für die RF-Leser sicher aufschlußreiche Anmerkung zum Beitrag "Erich Weinert - Poet der Proletarier": Zur Ehrenrettung der Stadt Stendal möchte ich mitteilen, daß Horst Langpap, damals Schauspieler am hiesigen Theater der Altmark und parteiloses Mitglied der CDU-Fraktion der Stadtverordnetenversammlung, heute Rentner, als Mitglied der Kommission für Bildung, Kultur und Sport die Umbenennung der Stendaler Erich-Weinert-Straße verhindert hat. Zur Begründung führte er - ich zitiere aus dem Gedächtnis - sinngemäß folgendes aus: Die herausragende literarische und künstlerische Bedeutung des Schaffens von Erich Weinert rechtfertigt unabhängig von seiner politischen Einstellung diesen Straßennamen. Er ist ein hervorragender deutscher Dichter.

Die Erich-Weinert-Straße - eine Magistrale der Stadt - trägt auch heute noch diesen Namen. Seltsamerweise kamen die größten Widerstände aus der SPD-Fraktion!

Branimir Kyrdshiew, Stendal


Es war richtig, das Israel kritisierende Gedicht des Sozialdemokraten Günter Grass im "RotFuchs" abzudrucken - allerdings bleibt dieser insofern ein Teil des Problems und nicht der Lösung, als er sich ausdrücklich gegen "jede Vereinnahmung" seiner Position durch die Friedensbewegung und vor allem durch die marxistischen (Ost-)Linken verwahrte, indem er die Medien wissen ließ, das nach seiner Meinungsäußerung von Tel Aviv verhängte Einreiseverbot erinnere ihn "an das Regime Erich Mielkes".

Ich stimme Prof. Georg Fülberth zu: Wer zur Analyse nicht fähig ist, sollte sich der Empörung enthalten.

Ronald Brunkhorst, Kassel


Ich möchte den begrüßenswerten Beitrag meines Freundes Herbert Meißner "Max braucht Wasser" durch zwei Bemerkungen ergänzen.

Erstens irrt er sich in der Jahreszahl. Es geschah nicht 1948, sondern 1949.

Zweitens: Als Herbert zum Leipziger Studentenratsvorsitzenden gewählt wurde, leitete ich die dortige FDJ-Hochschulgruppe. Zu unseren ersten großen Aufgaben gehörte es, den Rohrleitungsbau mit zu organisieren. Dabei genügte es nicht, an "sämtlichen Fakultäten Listen auszulegen". Es bedurfte einer umfangreichen Agitations- und Werbekampagne. So traten unsere Funktionäre vor Lektionsbeginn in Hörsälen auf, um Teilnehmer zu gewinnen. Die FDJ-Mitglieder erhielten konkrete Aufträge. So war z. B. Traudl Knoderer, meine spätere Frau, die zur 2. Einsatzgruppe gehörte, für die Verpflegung verantwortlich. Sie sollte auch mit Kurt Barthel (Kuba), dem damaligen Kulturdirektor der Maxhütte, Verbindung aufnehmen, um eine entsprechende Betreuung sicherzustellen.

Prof. Dr. Werner Kühn, Berlin


Vor mir liegen der April-"RotFuchs", mein Mitgliedsausweis vom RF-Förderverein und das Buch Eberhard Esches "Wer sich grün macht, den fressen die Ziegen". Auf Seite 110 schreibt der berühmte Schauspieler: "Der RotFuchs lebt von Spenden. Einst gehörte uns ein Drittel der Erde, und nun haben wir noch 11.000 Abonnenten." Der "RotFuchs" lebt von Spenden. - Bisher hatte ich als Bezieher einer Rente von nur 556,40 € Netto und aus gesundheitlichen Gründen wenig Gelegenheit zu Überweisungen. Doch ich habe eine richtige "Räuberbraut", eine Rote, an meiner Seite. Dank ihrer Hilfe betreiben wir inzwischen eine starke "individuelle Landwirtschaft" mit Schweinen, Gänsen, Enten, Kaninchen und Hühnern.

Mit Bewunderung beobachte ich Eure erfolgreiche Arbeit. Wir beide möchten Euch dafür als Dankeschön ein Schweinchen im Gewicht von ca. 40 kg schenken. Alles wird organisiert. Wir schlachten, legen das Tier zwei Tage in Rotwein, braten es. Ihr müßt uns nur wissen lassen, wann und wo die entsprechende Feier stattfinden soll. Das könnte in Berlin, aber auch in einer Gaststätte in Altenhof oder Angermünde sein. Wir warten auf Euren Vorschlag.

Wir freuen uns, daß es diese Zeitung gibt. Sie hat auch uns die Augen über so manches in der Linkspartei geöffnet, der wir beide mehrere Jahre angehörten.

Ingrid und Siegfried Beuster, Parstein

Bemerkung der Redaktion: Wir danken beiden Genossen für Ihr generöses Angebot. An dem bereits vereinbarten Festschmaus werden vor allem RF-Basisaktivisten teilnehmen.


Seit Jahrtausenden hat sich der Mensch an bestimmte Lebensmittel gewöhnt. Er hält Haustiere für seine Bedürfnisse. Das geschieht in immer größeren Dimensionen und führt nicht selten zur Tierquälerei. Es geht darum, die Industrialisierung der landwirtschaftlichen Produktion mit dem Verzicht auf Käfighaltung und übermäßige Tierkonzentrationen unter einen Hut zu bringen. Eine Rückkehr zum Einzelbauernbetrieb widerspricht heutigen Bedarfsanforderungen der Bevölkerung. Allerdings erfordert eine veränderte Tierhaltung auch gewandelte Strukturen der Landwirtschaftsbetriebe. Flächendeckende genossenschaftliche Produktion bedeutet indes kein "Zurück zur DDR", wie immer behauptet wird, sondern ginge noch weit über bisher gesammelte Erfahrungen hinaus. In der DDR-Landwirtschaft gab es neben großen Erfolgen auch unverkennbare Fehlentwicklungen wie die disproportionale Massentierhaltung. Doch das Genossenschaftsprinzip war gut und richtig. Seine Verwirklichung erfordert ein wesentlich umfangreicheres Wissen der Bauern, das in der DDR vermittelt wurde. Besonders die Qualifikation der Landfrauen war deutlich höher als in der BRD. Auch in dieser Frage stoßen die allein auf Profit bedachten Kapitalisten an ihre Grenzen.

Gerda Huberty, Neundorf


Der Stachel saß tief, als Wissenschaftler aus Berlin und Münster vor geraumer Zeit Wahrheiten über den Doping-Mißbrauch in der Alt-BRD auf den Tisch packten und dazu detaillierte Informationen lieferten. Doping in der ach so sauberen BRD, und dann auch noch mit dem Wohlwollen aufeinanderfolgender Innenminister - das war ein Hammer!

Fünf Tote und mehrere Langzeitgeschädigte gehen auf das Konto des flächendeckenden, staatlich geförderten Dopings in der BRD. Für Sport-Insider in Ost und West war das allerdings keine Neuigkeit. Man wußte, daß die Doping-Höhlen in Freiburg und Köln erhebliche Summen aus Steuergeldern erhielten, um den "Klassenfeind" DDR auf sportlichem Gebiet zu schlagen. Dies alles geschah mit Wissen und führungsmäßiger Unterstützung des damaligen DSB-Präsidenten Willi Daume, der nicht zuletzt dafür einen Platz in der "Ruhmeshalle des Sports" erhielt.

Wissenschaftler und Medien hatten jedoch die mit ihrer Studie ausgelöste Wirkung verkannt. Der DDR-Sport und die DDR selbst kamen nämlich auf diese Weise etwas aus der Schußlinie. Doch dann erschrak man, weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte. Die Folge: Sämtliche Erkenntnisse über Doping in der Alt-BRD wurden zur Verschlußsache erklärt. Weder Namen von Doping-Experten noch von -Opfern gelangten mehr an die Öffentlichkeit.

Die Pressezensur wurde eiligst angekurbelt. Sie verpaßte den Medien Maulkörbe: Keine weiteren Veröffentlichungen! Schließlich waren und bleiben die Delegitimierung des DDR-Sports und das Anschwärzen des Staates DDR die verordnete Stoßrichtung. Das soll auch in Zukunft so bleiben! Der Dreck der Alt-BRD ist wieder einmal unter den Teppich gekehrt worden.

Erhard Richter, Berlin


Unlängst gab es ein Wiedersehen mit Täve Schur im Bautzener "Haus der Sorben". Er war einer Einladung der RF-Regionalgruppe und des NVA-Traditionsverbandes gefolgt. Täve verstand es einmal mehr, die Zuhörer mitzureißen, als er über seine sportlichen Erfolge wie über seinen Friedenseinsatz sprach. Die DDR war und ist sein Staat!

Nach 1989 erging es ihm wie vielen von uns: Unterstellungen, Verdächtigungen und Verleumdungen ohne Ende! Er wehrte sich erfolgreich, nicht zuletzt unter Nutzung seiner Position als PDS-Bundestagsabgeordneter.

Dieser großartige Nachmittag, den wir in Bautzen erlebten, läßt sich in einer kurzen Leserzuschrift nur ansatzweise umreißen. Ich begegnete dort Menschen, die wie ich gegen die mannigfaltigen Mißstände in der BRD, unter denen wir nun seit mehr als zwei Jahrzehnten zu leben und zu leiden genötigt sind, angehen.

Mein Fazit lautet: Wir müssen uns noch mehr und noch intensiver mit Gleichgesinnten verbünden, verbünden, verbünden!

Ernst-Manfred Mölle, Sohland/Spree


Hans Schneider aus Erfurt hat die Frage nach der Erwähnung von Titeln und Rängen im RF aufgeworfen. Ich war Arbeiterjunge und ABF-Student, wurde dann Doktor der Philosophie und Wissenschaftler, überdies Oberstleutnant der NVA. Als meinen obersten Rang betrachte ich indes, 40 Jahre DDR-Bürger gewesen zu sein und zeitlebens Sozialist. Dafür ging ich sogar in das Gefängnis der BRD.

Dr. Werner Ettelt, Berlin


Zu Konstantin Brandts Beitrag "Gerhard Rieges Vermächtnis": Wie der einstige Jenaer Universitätsrektor wurden viele als IM Verdächtigte in den 90er Jahren, lange vor Abschluß von Untersuchungen, ja bereits in deren Vorfeld, öffentlich be- und verurteilt. Diese inquisitorische Verfolgung hatte keineswegs eine wohlmeinende, persönlichkeitsschützende Behandlung im Sinne innerdeutschen Zusammenwachsens zum Gegenstand. Die großbürgerlich gelenkte Politik trachtete danach, parlamentarische und außerparlamentarische Einheitskritiker zur politischen Hinrichtung zu führen, sie ein für allemal mundtot zu machen. Dieses Vorgehen war Methode, war Programm!

Wie sieht es heute mit den Opfern des Turbokapitalismus aus? Haben Sie in ihrer Armut überhaupt noch etwas von der ihnen damals versprochenen Freiheit? Wer zählt die Arbeitslosen, Obdachlosen, Hartz-IV-Empfänger und Rentner mit kleinen Bezügen? Aus der Sicht der Hochfinanz sind sie doch nur störender Ballast bei deren Jagd nach wachsender Rendite und höheren Dividenden.

Mario Kettler, Reichenbach/V.


Wieder geistert eine Ente durch die bundesdeutschen Massenmedien. Von "Zwangsarbeit politischer Gefangener in der DDR" ist die Rede.

Tatsächlich wurden alle Strafgefangenen nach dem "Gesetz über den Strafvollzug in der DDR" gleich behandelt. In dessen Mittelpunkt stand Umerziehung durch Arbeit. Generalleutnant a. D. Karl-Heinz Schmalfuß vom Ministerium des Innern der DDR konstatierte: "Die Strafgefangenen hatten das Recht auf und die Pflicht zur Arbeit."

Die in Haft verbrachten Arbeitsjahre wurden auf die Rente angerechnet. Bei der Übergabe des Strafvollzugs der DDR an den der BRD im Jahre 1990 war der Leiter der Abteilung Strafvollzug beim Bundesjustizministerium der Meinung, man solle diese Regelung auch in das entsprechende Gesetz der BRD einarbeiten. Das ist indes nicht geschehen.

Die Erziehung durch Arbeit führte u. a. dazu, daß der Anteil von Wiederholungstätern in der DDR unter 30 % lag. Nach einschlägigen Veröffentlichungen sollen hingegen 80 % der Häftlinge in der BRD in diese Kategorie fallen.

Übrigens wurde die Praxis des DDR-Strafvollzugs mehrfach durch die UNO überprüft. Dabei gab es keine Beanstandungen.

Bernd Gnant, Geithain


Prof. Dr. Horst Schneider weist mit seinem Beitrag "Demagoge im Talar" (RF 171) die Verlogenheit von "Friedensinitiativen" des damaligen Pfarrers Rainer Eppelmann nach. Analog dazu sind seinerzeitige Aktivitäten von "Friedensgruppen", "Friedensseminaren", "Friedensbibliotheken" und anderen Zusammenschlüssen im Bezirk Karl-Marx-Stadt zu betrachten. Deren Organisatoren - in der Regel kirchliche Amtsträger, Laien-Christen, Mitarbeiter im Gesundheitswesen u. a. - entwickelten pseudopazifistische Thesen, die sich gegen die Friedens-, Verteidigungs- und Bündnispolitik der DDR richteten.

In nach 1990 mit Organisatoren solcher Gruppen geführten Gesprächen suchten mir diese zu verdeutlichen, ihre Forderungen nach weltweiter Abrüstung, Abschaffung atomarer Waffen und Abzug aller ausländischen Streitkräfte von den Territorien beider deutschen Staaten hätten keineswegs die Beseitigung der DDR zum Ziel gehabt.

Ernsthafte Zweifel an solchen Behauptungen ließen sich abbauen, wenn die damaligen Akteure heute mit gleicher Konsequenz für die Beendigung der BRD-Teilnahme an Kriegen, den Abzug der US-Streitkräfte aus Deutschland und die Entfernung atomarer Waffen vom Boden der Bundesrepublik eintreten würden.

Nehmen wir sie beim Wort, geben wir ihnen Gelegenheit, ihre Friedensabsichten zu beweisen.

Oberstleutnant a. D. Peter Eichler, Chemnitz


Wie gerufen kam mir im Mai-RF der Beitrag von Rudi Kurz über den Spätsommer 1953 unter Erwähnung des Philosophen Ernst Bloch. Dieser "große und ehrliche Sinnsucher" war nämlich auch mir vor kurzem aufgefallen, als ich erneut einen Beitrag im RF vom Dezember 2007 über den Dialog zwischen Christen und Marxisten las. Ernst Blochs Überlegungen fordern ein Bündnis zwischen dem genuinen (echten) Marxismus und dem genuinen (echten) Christentum. Das bedeutet für mich, der Lehre Jesu Christi zu folgen. Dort findet man nichts von humanen Uran-Waffen (Rudolf Scharping, 2006) oder einer Bejahung des Tötens (Thomas de Maiziere, "Der Spiegel", Mai 2011).

Echtes Christentum kann das nicht sein, denkt wohl jeder wahre Christ/Marxist.

Christine Hemman, Werdau


Ich erlaube mir eine kleine Anmerkung zur Mai-Ausgabe des RF, in der mich der Beitrag von Rudi Kurz besonders erfreut hat, der an seine Begegnung mit Ernst Bloch erinnert. Die Umstände, die 1961 zu Blochs Weggang aus Leipzig führten, und die ganze Vorgeschichte sind mir bekannt. Die Argumente beider Seiten erscheinen nachvollziehbar, und dennoch war dies eines jener Mißverständnisse, die sich besser nicht hätten ereignen sollen. In Tübingen war Bloch geduldet und "vertrieb" Josef Karl Ratzinger von dort. Als marxistischer Querkopf wurde er jedoch offiziell gemieden, wenn man von der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels einmal absieht. Für mich ist er einer der großen jüdischen Denker wie Georg Lukacs und Walter Benjamin, und ich muß sagen, daß mir alle drei in diesen Zeiten einer diskursiven Mittelmäßigkeit, die gelegentlich Verzweiflung aufkommen läßt, sehr fehlen.

Michael Mansion, Wallerfangen


Kanzlerin Merkel versprach 2009 auf dem Seniorentag in Leipzig, "daß die Angleichung der Ostrenten an die Westrenten in der Mitte der Legislaturperiode erfolgen wird". Doch bis heute ist dieser Schritt nicht getan worden. Der Rentenwert Ost liegt immer noch etwa 3 Euro unter dem Rentenwert West. Folgt man aktuellen Berechnungen, dann würden beim derzeitigen Tempo der Rentenanpassung noch etwa 160 Jahre vergehen, bis eine Einheitlichkeit hergestellt worden ist. Generationen nach uns würden dafür bestraft, daß ihre Vorfahren ehrliche DDR-Bürger waren.

Frau Merkel hat 2009 vor den Senioren in Leipzig also vorsätzlich die Unwahrheit gesagt. Nach Presseberichten sieht das Kanzleramt nämlich derzeit "keinen juristischen oder sachlichen Zwang, das Rentensystem in dieser Wahlperiode zu vereinfachen".

Wilfried Steinfath, Berlin


In Ihrer Zeitschrift (Nr. 167) wurde ich in einem Artikel von Werner Erdner, in dem gegen mich polemisiert wird, namentlich erwähnt. Leider verletzte Ihr Autor dabei Mindeststandards intellektueller Redlichkeit, indem er mir ein Zitat falsch zuwies und einen meiner Sätze durch eine Auslassung verfälschte, was dessen Aussage völlig verdrehte.

Zu einer inhaltlichen Diskussion ohne Vorverurteilungen, Feindmarkierungen und Kampfansagen bin ich selbstverständlich bereit.

Mathias Wörsching, E-Mail


Zwei Anmerkungen zum Leitartikel der Maiausgabe "Über Wolkenkuckucksheime": Insgesamt stimme ich Klaus Steiniger zu. Hinsichtlich seiner Formulierung, "linke" Phrasendrescherei sei "nicht minder schädlich als rechter Opportunismus" möchte ich jedoch an Lenins Bemerkung im "Linksradikalismus" erinnern: "Im Kampf mit welchen Feinden innerhalb der Arbeiterbewegung hat sich der Bolschewismus entwickelt, gekräftigt und gestählt. Erstens und hauptsächlich im Kampf gegen den Opportunismus ... Das war natürlich der Hauptfeind ... innerhalb der Arbeiterbewegung. Dieser Feind bleibt auch der Hauptfeind im internationalen Maßstab."

Also keine Äquidistanz zu beiden, besonders jetzt, da der Rechtsopportunismus in einem solchen Maße vorherrscht, daß der "linke" Radikalismus daneben kaum zu bemerken ist.

Fast noch schlimmer als beide ist ein entpolitisierter Protest, der gegenwärtig durch die "Piraten" aufgefangen wird. Bei berechtigter Ablehnung obrigkeitsstaatlicher Bevormundung übersehen sie, daß hinter solcher Gängelung der Wunsch nach Kontrolle der Beherrschten durch die Ausbeuterklasse steht. Hier bleibt zu hoffen, daß in dieser Bewegung mehr Klarheit wächst, bevor sie sich durch Regierungseinbindung korrumpieren läßt.

Fritz Dittmar, Hamburg


In der ZDF-Sendung "Markus Lanz" trat am 3. Mai u. a. der "Spiegel"-Kulturredakteur Matthias Matussek auf, der mit seinem rückwärtsgewandten Buch "Das katholische Abenteuer" bereits für eine unangenehme Überraschung gesorgt hatte. Wie so oft schon zog er in dümmlicher Manier gegen den Sozialismus vom Leder. Der sei "nicht funktionsfähig" gewesen, verkündete er. Diese Äußerung machte ein Mann, der das vom katholischen Klerus verlorene Terrain zurückzugewinnen sucht. Doch gerade diese Institution war im Verlauf ihrer gesamten Geschichte auf Meinungsunterdrückung und physische Vernichtung Andersgläubiger im Dienst der Ausbeuter fixiert, von den im Verlauf der letzten Jahre aufgedeckten Mißbrauchsaffären ganz zu schweigen.

Da haben wir mit unseren Vorstellungen von einer besseren Welt doch etwas weitaus Positiveres anzubieten, weshalb es geboten erscheint, immer und überall Flagge zu zeigen.

Günter Waldeck, Lamstedt


Auch wenn es üblich ist, das Provisorium Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland als Verfassung zu bezeichnen, ist das sachlich falsch. Im Artikel 146 heißt es nämlich, dieses GG werde ungültig, "wenn eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist". Bis zum 21. Juli 2010 gab es nicht weniger als 58 Änderungen, Ergänzungen und Einfügungen. Diese betrafen exakt 200 Artikel des GG, von denen einige gleich mehrfach geändert wurden. Allerdings "vergaß" man dabei die in der Europäischen Sozialcharta vom 18. Oktober 1961 fixierten sozialen Grundrechte.

RA Dr. Klaus Emmerich, Kassel


Vor dem Hintergrund anhaltender Verunglimpfung der DDR und des systematischen Verschweigens ihrer Errungenschaften denke ich daran, wie gut doch DDR-Bürger alle sie betreffenden Gesetze kannten und auf ihr Recht pochten, wenn dazu Veranlassung bestand. Doch wer kann heute noch mit exaktem Wissen und gestützt auf den Inhalt unserer damaligen Gesetze argumentieren, wer besitzt deren Wortlaut? Mir geht es vor allem um Themenkreise wie Arbeit, Familie, Frauen, Bildung, Urlaub, Kinderheime, Gesundheitsfürsorge, Miete/Hausgemeinschaften, Wahlen, öffentliche Erörterung von Gesetzen vor deren Inkrafttreten.

Sicher wäre es von Nutzen, wenn der "RotFuchs" geeignete Autoren fände, die wichtige Normen der DDR zitieren und kurz kommentieren könnten. Leider verzichtete man im Zuge der notorischen "Aufarbeitung der DDR-Geschichte" darauf, die Bürger in den alten Bundesländern mit den Gesetzen des "Unrechtsstaates" DDR überhaupt vertraut zu machen.

Erhard Römer, Berlin


Seit dem Frühjahr 2009 beziehe ich den "RotFuchs". In dieser Zeit ist er mir mehr als nur ans Herz gewachsen. Die politische Standhaftigkeit, Geradlinigkeit und Professionalität des RF hat mich, einen 44jährigen Alt-BRD-Bürger, der das große Glück hatte, in seiner Jugend mehrmals die DDR mit ihren Stärken und Schwächen bei Besuchen kennengelernt zu haben, überzeugt und tief beeindruckt.

Christoph Tiedemann, Escheburg


Wenn auch Haßprediger Gauck inzwischen Bundespräsident geworden ist, vertritt er keineswegs "alle Deutschen". Nach einer bereits am 17. März in der "Schweriner Volkszeitung" veröffentlichten Umfrage ließen 57,4 % der angesprochenen Mecklenburger wissen, daß sie sich durch Herrn Gauck nicht vertreten fühlen. Und das in der "Heimatregion" des groteskerweise obendrein auch noch zum Rostocker Ehrenbürger Gekürten!

Walter Krüger, Dudinghausen


Als ich mich 1978 in einem Sportverein anmeldete, begrüßte mich dort ein breitschultriger und muskelbepackter Mittfünfziger, der sich als Übungsleiter vorstellte. Erst 20 Jahre später nahm ich zufällig eine verräterische SS-Tätowierung an seinem Oberarm wahr. Nach einigen Schrecksekunden sprach ich den Mann direkt darauf an. Dieser bestritt nichts. Er reagierte ruhig und besonnen.

Als Sohn eines österreichischen Offiziers der Nazi-Wehrmacht war er zum willigen Werkzeug der deutschen Faschisten geworden. Er gelangte mit der berüchtigten SS-Aufklärungseinheit 17 "Heinrich Himmler", die in der UdSSR schwerste Verbrechen beging, zum Einsatz und leugnete die von dieser "Elitetruppe" verübten Untaten in keiner Weise.

Im Frühjahr 1945 geriet der Österreicher in US-Gefangenschaft, aus der er Mitte 1946 entlassen wurde. Er begab sich aber nicht in seine Heimat oder suchte Zuflucht im deutschen Westen, sondern wandte sich im kriegszerstörten Leipzig an die Behörden mit der Bitte, ihm Gelegenheit zu geben, am Aufbau einer besseren Gesellschaft teilzunehmen. Besonders wolle er gegenüber der Sowjetunion Wiedergutmachung leisten. Er wurde in einem führenden Maschinenbaubetrieb unserer Messestadt als Techniker ausgebildet und arbeitete dort verläßlich bis zum Erreichen des Rentenalters. Seine Freizeit widmete er der DDR-Sportbewegung.

Bis zu seinem Tod mied der Österreicher jeden Kontakt mit SS-Traditionsverbänden im Westen und bekannte sich nach wie vor zu seiner zweiten Heimat DDR. Ich respektierte diesen Mann, weil er sich vom Feind zum Freund gewandelt hatte und auch dann nicht umfiel, als manche "Super-Genossen" von der Fahne gingen.

Joachim Spitzner, Leipzig


Mit großem Interesse las ich Ulrich Guhls Beitrag über Heribert Münzbergs Buch "Fette Beute" im RF Nr. 171. Den in diesem Artikel genannten Treuhandvorsitzenden Gohlke, Rohwedder und Breuel möchte ich einen weiteren Namen hinzufügen: Ex-Bundespräsident Horst Köhler, damals Staatssekretär in Theo Waigels Bonner Finanzministerium, war ebenfalls eine Schlüsselfigur dieses schmutzigen Spiels. Er und seinesgleichen gaben den ökonomischen und sozialen Errungenschaften der DDR die todbringende Treuhand-Spritze.

Ich erinnere mich überdies an ein Trauerspiel ganz besonderer Art, das sich in Suhl zutrug: Dort warben im Sommer 1990 leitende Militärs der Offiziershochschule "Rosa Luxemburg" Kursanten, aus denen Grenzbeschützer der DDR hatten werden sollen, für den Übertritt zum Bundesgrenzschutz (BGS). Bei diesem handelte es sich um eine von Nazigrößen aufgebaute und geführte Elitetruppe des deutschen Imperialismus. Die Werbung für den BGS richtete sich nicht nur auf Broterwerb, sondern war ein totaler Wechsel der Seiten und der Fronten. Es handelte sich um ein besonders krasses Beispiel von Unterwürfigkeit, Selbsterniedrigung und Würdelosigkeit.

Hans Linke, Suhl


In seinem Beitrag "Wenn die Hutschnur platzt ..." schreibt Ernst Schrader aus Kiel zum Thema Leserbriefe über manches, was unter uns zu wenig diskutiert wird. Ich selbst zähle ja gewissermaßen zu den "Profis" auf diesem Gebiet. Wenn man sich über Jahre hinweg immer wieder in verschiedenen Presseerzeugnissen zu Wort meldet, lernt man vieles, zahlt aber zugleich auch Lehrgeld. Da bleibt es nicht aus, daß einem Fehler unterlaufen, und manche Sätze, die in aufwallender erster Wut zu Papier gebracht werden, eher danebengehen.

Mit einigen seiner Hinweise vermittelt der Autor Erfahrungen von Wert. Es wird manchen wie mir gehen, denen die ausgemachte Volksverdummung und Geschichtsfälschung, Demagogie und Hetze von Haß bis Hohn den Blutdruck nach oben schnellen lassen. Dann setzt man sich hin und verfaßt Leserbriefe, um den angestauten Frust abzulassen. Sicher wäre es besser und effektiver, wenn sich Gleichgesinnte in Gruppen zusammenfänden und mit vereinter Argumentationskraft gezielter und wirkungsvoller eine Art Gegenöffentlichkeit ins Leben riefen.

Wir besitzen so hervorragende Publikationsorgane wie "junge Welt", "RotFuchs", "KAZ" u. a. Doch mitunter stellt sich mir die Frage, ob wir nicht manchmal allzusehr im eigenen Saft schmoren und ob es ausreicht, wenn wir wichtige politische Fragen meist nur im kleinen Kreis diskutieren.

Roland Winkler, Aue

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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. August 2012