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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1337: Ein Porträt der FDP - Die Partei des Besitzindividualismus


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11 - November 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Ein Porträt der FDP
Die Partei des Besitzindividualismus

Von Paul B. Kleiser


Lange Jahre galt in Deutschland das geflügelte Wort, es sei unmöglich, nicht von der FDP regiert zu werden. Tatsächlich waren die Liberalen mit Ausnahme der Zeit der ersten Großen Koalition 1966-1969 bis zum Wahlsieg von Rot-Grün 1998 an allen Bundesregierungen beteiligt. Als Partei des Besitzindividualismus veränderte sie ihr Gesicht mehrfach, und als "Umfallerpartei" hatte sie immer ein mehr als opportunistisches Verhältnis zur Macht.


Wiewohl es sich bei der FDP zunächst hauptsächlich um eine antikatholische und antisozialistische Milieupartei des protestantischen Mittelstands handelte, nahm sie ab 1949 in den vom Oberkatholiken Adenauer geführten Regierungen ihren Platz ein und unterstützte auch die wesentlichen Grundausrichtungen des westdeutschen Staates wie die Westintegration, Remilitarisierung und den NATO-Beitritt, die "soziale Marktwirtschaft" sowie die Gründung der EWG.

In der unmittelbaren Nachkriegszeit setzte sich zunächst der eher linksliberale Flügel um Theodor Heuss und Reinhold Maier (Mitglied der DDP in der Weimarer Republik) mit seinen Demokratisierungsforderungen durch. Nach der Gründung der BRD kam es jedoch zu einem massiven Zustrom von Leuten, die in der Nazizeit sozialisiert worden waren oder gar der NSDAP angehört hatten.

Diese schwarzbraunen Teile der FDP spielten besonders in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen eine bedeutende Rolle. Sie schimpften auf die Alliierten und die Methoden der "Entnazifizierung" und beklagten das "Unrecht der Vertreibung". Sie verkündeten den Stolz auf die Nation und verbaten sich Kritik am deutschen Soldatentum. Diese Strömung wollte aus der FDP eine Art nationaler Sammlungsbewegung machen. Sie verfasste ein "Deutsches Programm", das auf dem Parteitag 1952 sicherlich eine Mehrheit gefunden hätte; die Verfasser verzichteten aber schließlich auf eine Abstimmung, um die drohende Spaltung der Partei abzuwenden. Doch die Bedeutung dieser Strömung zeigte sich noch 1960 in der Wahl des Wehrmachtsoffiziers Erich Mende zum Parteivorsitzenden.


Die Königsmacher

Als Gegenbewegung formierten sich seit Mitte der 50er Jahre die Jungtürken um Willi Weyer, Wolfgang Döring und Walter Scheel, die sich der Umklammerung durch Adenauer entziehen wollten und 1956 in Nordrhein-Westfalen gegen den Willen der Parteiführung die erste sozialliberale Koalition bildeten. Ihnen ging es darum, die FDP zu einer "Scharnierpartei" zumachen, die ihren Handlungsspielraum durch Koalitionen mit beiden Volksparteien erweitern konnte. Diese Politik setzte sich in den späten 60er Jahren unter Karl-Hermann Flach schließlich durch und machte 1969 den Weg frei für die sozialliberale Koalition unter Brandt und Scheel.

In der Koalition mit der SPD setzte die FDP die neue Ostpolitik und zahlreiche Reformen im Bereich der Bildung und des Strafrechts um; sie verstand sich aber auch als wirtschaftsfreundlicher Wächter der Marktwirtschaft. Diese Rolle sorgte dafür, dass die Partei trotz geringer Spendenbereitschaft der Mitgliedschaft über umfangreiche Zuwendungen aus der Industrie verfügen konnte.

Diese sozialliberale Ausrichtung und die Abspaltung der Rechten verhinderten später, dass die FDP auf einen rechtspopulistischen Weg à la Österreich oder Skandinavien einschwenkte, obwohl der FDP wegen des Koalitionswechsels 1982 zu Kohl der eigentliche linksliberale Flügel großenteils wegbrach.

Nach dem Anschluss der DDR wuchs die Partei durch die Übernahme der LDPD auf etwa 200.000 Mitglieder an, von denen sie aber binnen weniger Jahre gut zwei Drittel wieder verlor. Ihre Politik der Durchsetzung der Marktwirtschaft und der Massenarbeitslosigkeit durch Privatisierung führte dazu, dass die Mitglieder in Scharen flüchteten und die Partei aus allen ostdeutschen Landtagen flog. Der Genscherismus - eine Politik des Ausgleichs zwischen Ost und West - machte nach dem Zusammenbruch des Ostblocks keinen Sinn mehr. Und die Parteiführung unter Kinkel, später Gerhardt, war nicht mehr in der Lage, wichtige Reformen wie die Einführung der Pflegeversicherung oder die Gesundheitsreform zu verhindern, wie Teile des Unternehmerlagers es von ihr erwarteten.

Kulturell wirkte die Partei entweder altbacken oder yuppiemäßig (die "Partei der Besserverdienenden"), sodass der eher linksliberale neue akademische Mittelstand sich zumeist an den Grünen orientierte. Am Ende der Ära Kohl waren die Liberalen finanziell und personell ausgeblutet, und die Partei drohte, im Orkus der Geschichte zu verschwinden.


Auf der Oppositionsbank

Nach dem Wahlsieg von Rot-Grün 1998 begannen für die FDP im Bund elf lange Jahre auf den Oppositionsbänken. In dieser Zeit setzte sich Guido Westerwelle zunächst als Generalsekretär durch und erbte dann von Wolfgang Gerhardt den Parteivorsitz. Er richtete die FDP auf eine Art Dreiklang aus: ein Mann auf allen Kanälen (Westerwelle), ein Thema (die Steuern) und eine Option (eine "bürgerliche Regierung", keine Ampelkoalition).

Vor dem Hintergrund einer sich weltweit immer stärker durchsetzenden neoliberalen Wirtschaftsdogmatik und den gigantischen Kosten der deutschen Einheit, die bei vielen Steuerzahlern Ärger hervorriefen, bediente er die gegen den "Steuer- und Abgabenstaat" gerichteten Ressentiments zahlreicher Zeitgenossen. Die Schizophrenie dieser Politik liegt darin, dass die FDP dabei noch stets die Subventionserwartungen ihrer Klientel (z. B. Bauern, Ärzte, Gewerbetreibende) reichlich bedient hat.

Westerwelle wurde in der Medienlandschaft zu einem Politikverkäufer, der im "Guidomobil" durchs Land tingelte oder sogar dem Container von "Big Brother" seine Aufwartung machte; daher sehen zwei Drittel der Deutschen in ihm einen "Spaßpolitiker" ohne wirkliches politisches Profil. Er und seine Entourage achten darauf, immer geschniegelt in Markenklamotten und dem neuesten Handy herumzulaufen, damit die brutalen Inhalte unter der gelackten Oberfläche nicht zum Vorschein kommen.


Mehr Netto vom Brutto?

Das mit 14,6% beste Wahlergebnis der FDP-Geschichte (Bundestagswahl 2009) muss auch als rechte Protestwahl gegen die Große Koalition interpretiert werden, denn ein Drittel der FDP-Wähler hat die Erststimme an die Union vergeben. Die FDP erhielt 1,1 Mio. Stimmen von der Union, aber auch 520.000 von der SPD, sogar 10% der Arbeitslosen sollen FDP gewählt haben. Da aber die Parteibindungen stark nachlassen und demnächst die konkrete Politik der FDP bewertet werden wird, dürfte es schnell zu Desillusionierungen kommen.

Die im Wahlkampf 2009 verwendete Hauptparole "Arbeit muss sich wieder lohnen" (mit Anklängen an die Nazi-Ideologie) fasst die wirtschaftsliberale Ideologie der FDP recht gut zusammen. Seit mindestens zehn Jahren wiederholt Westerwelle den immergleichen Satz, es brauche eine einfachere, niedrigere und gerechtere Besteuerung.

Das Stufenmodell der FDP mit Sätzen von 10,25 und 35% würde je nach Ausgestaltung zu Steuerausfällen von wahrscheinlich annähernd 100 Milliarden Euro führen. Wie dann noch höhere Ausgaben in die Bildung finanziert werden sollen, von denen in allen Wahlkampfreden gesprochen wurde, bleibt unbekannt; einige Illusionisten erwarten sich wohl ein solches Wirtschaftswachstum, dass genügend Steuern fließen würden. Die Abschaffung der Gewerbesteuer würde den Finanzrahmen der Kommunen noch weiter einschränken und sie zwingen, noch ihre letzten Eigenbetriebe zu verramschen.

Der zweite und noch gefährlichere Teil des Mottos richtet sich gegen die Abgaben für den Sozialstaat. "Mehr Netto vom Brutto" würde schlichtweg bedeuten, dass man die Zahlungen in die Rentenkasse, an die Krankenkassen oder für die Arbeitslosenversicherung reduziert und damit die Leistungen, die für die Alten und Kranken erbracht werden. Dies nennt sich dann Stärkung der Eigenverantwortung.

Die steuerfinanzierten Sozialleistungen (also etwa Hartz IV) sollen zu einem "Bürgergeld" zusammengefasst werden, dessen Höhe mit 662 Euro beziffert wird - was zumindest angesichts des Mietniveaus in den Großstädten auf eine deutliche Absenkung der Leistungen hinausliefe. Das trifft sich mit neoliberalen Professoren, die ebenfalls Sozialstaatskürzungen in der Größenordnung von 30% propagieren. Außerdem drohen unter dem Motto "Konzentration aufs Wesentliche" massive Ausgliederungen aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung, die dann selbst bezahlt oder privat versichert werden müssten.

Aus heutiger Sicht lässt sich sicher noch nicht erkennen, ob und in welchem Umfang die Rechtskoalition, die keine strukturelle Mehrheit in der Gesellschaft hat, die Konfrontation mit den Gewerkschaften und den sozialen Bewegungen suchen wird, denn Angela Merkels Erfahrungen mit der beinahe verlorenen Wahl 2005 dürften ihren Aktionismus bremsen. Auf der andern Seite sind es die Verwerfungen der Wirtschaftskrise, die auf Seiten des Kapitals und seiner Wortführer massiven Druck aufbauen, jetzt endlich "ans Eingemachte" zu gehen.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11, 24.Jg., November 2009, Seite 7
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. November 2009